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"Wir" und "die anderen"

Bis vor 30 Jahren war die Region Venetien im Nordosten Italiens eine der ärmsten des Landes. Doch dann kam das Wirtschaftswunder und seither angewiesen auf Arbeitskräfte aus dem Ausland. Osteuropäer, Nordafrikaner, Asiaten gehören heute zum Stadtbild von Verona, Vicenza, Padua. Doch die Einheimischen tun sich schwer damit, sie als Mitbürger zu akzeptieren.

Von Kirstin Hausen |
    Geblieben von der landwirtschaftlichen Tradition Venetiens ist nur der Wein. Bardolino, Valpolicella und Soave heißen die bekanntesten Sorten. Es sind Spitzenweine, international anerkannt, teuer. Der Sommelier Carlo Cassalotti sieht den rasanten Aufstieg dieser Weine stellvertretend für den sozialen Aufstieg seiner Generation.
    "Ich konnte zur Universität gehen dank meiner Brüder, die ins Ausland gegangen sind, um dort Geld zu verdienen. Wir hatten hier ja nichts. Jetzt hat sich die Situation ins Gegenteil verkehrt und die anderen kommen zu uns."

    Die Anderen – das sind Osteuropäer, Asiaten, Afrikaner. Sie sind in weiten Teilen der "Lega Nord"-Hochburgen in Venetien unerwünscht.

    "Verschwinden sollen sie, wir haben genug von ihnen."

    "Es sind zu viele, wir können sie nicht alle aufnehmen."

    In mehreren Dörfern und Städten, unter anderem in Verona, ist die ausländerfeindliche Partei Lega Nord stärkste politische Kraft. Ihre Bürgermeister sorgen mit oft rassistischen Hetzkampagnen landesweit für Schlagzeilen. Etwa, wenn sie getrennte Busse für Italiener und Immigranten fordern oder Sozialbauwohnungen nur noch an die sogenannte "angestammte Bevölkerung" vergeben wollen. Die Lega-Nord-Politikerin Maria Piera Pastore:

    "Wir müssen unseren Bürgern helfen und dürfen keine falschen Hoffnungen wecken bei denjenigen, die hierher kommen und Arbeit suchen. Wir haben keine Arbeitsplätze mehr zu vergeben."

    Die Realität sieht häufig anders aus. In Abano Terme, einem Kurort bei Padua, gibt es noch Jobs. In der Pflege, in der Gastronomie, in den Hotelküchen. Sehr viel Arbeit für sehr wenig Geld – sagen die meisten italienischen Bewerber und lehnen ab.

    Ohne die Tellerwäscher aus Marokko, den Koch aus Ägypten und die Kellnerin aus Rumänien gäbe es im Vier-Sterne-Hotel "Roma Terme" heute kein Abendessen für die Gäste.

    "Ich habe Biologie studiert. Als ich hier anfing, war ich nicht imstande, mehr als zwei Teller Suppe auf einmal zu tragen,"

    … erzählt Michaila, die Kellnerin aus der Nähe von Bukarest. Inzwischen trägt sie professionell auf, gibt Weinempfehlungen und plaudert mit den Gästen. Ihren osteuropäischen Akzent versteckt sie dabei so gut es geht.

    "Es ist schwierig geworden hier, wegen der Mentalitätsunterschied, aber nicht nur. Seit in Rom eine Italienerin von zwei Rumänen überfallen wurde, heißt es immer gleich, ach ja, die Rumänen, dabei gibt es doch wohl auch genug italienische Kriminelle. Leider sind nicht alle der Meinung, dass man den Menschen sehen muss und nicht ein ganzes Volk verurteilen kann."

    Michaila senkt den Blick. Sie ist froh, diese Stelle gefunden zu haben. Und über ihren Chef will sie nicht klagen. Er hat sie seiner Familie vorgestellt, ihr nach der Probezeit einen festen Vertrag angeboten und einen Vorschuss gezahlt, als ihre Mutter in Rumänien ins Krankenhaus musste und die Arztrechnungen nicht bezahlen konnte. Trotzdem fühlt sie sich in Italien nicht zuhause.

    "Jeder, der seine Heimat verlässt, um Arbeit zu finden, träumt davon, zurückzukehren."