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"Wir waren ja wie die Jünger Jesu"

Medizin.- Der Immunologe Ralph Steinman ist einer der drei Preisträger des Medizin-Nobelpreises. Etwa drei Stunden nach der Bekanntgabe ging die Nachricht um: Steinman ist tot. Er starb bereits am Freitag an den Folgen eines Krebsleidens. Professor Gerold Schuler von der Universitätsklinik Erlangen hat lange mit Steinman zusammengearbeitet und erzählt von der Forschung des Verstorbenen.

Gerold Schuler im Gespräch mit Christiane Knoll | 03.10.2011
    Christiane Knoll: Die Geschichte von Herrn Steinman und seinen Arbeiten zu den dendritischen Zellen ist sehr lange und spannend. Die vertiefen wir auch gleich. Zunächst aber möchte ich einen Kollegen des Preisträgers, Professor Gerold Schuler von der Universität Erlangen, am Telefon begrüßen. Guten Tag Herr Schuler.

    Gerold Schuler: Guten Tag.

    Knoll: Was haben Sie heute zuerst erfahren: die Nachricht vom Nobelpreis oder die von Steinmans Tod?

    Schuler: Zuerst die vom Nobelpreis. Es hat mich ein Kollege angerufen und gleich danach hat mich seine Frau angerufen und hat mir das eben mitgeteilt, dass er verstorben ist am Freitag.

    Knoll: Wussten Sie davon, dass er schwer krank ist und auch mit dem Tod kämpft?

    Schuler: Natürlich haben wir alle gewusst, dass er eben am Pankreaskarzinom erkrankt ist. Das war ja vor vier Jahren. Und er hat ja auch verschiedene Therapien erhalten und dann, wie auch auf der Presse der Rockefeller-Universität steht, eine Therapie mit dendritischen Zellen. Und das ist ja ein extrem ungewöhnlich langer Verlauf. Er war ganz super beisammen. Im April war meine Familie mit mir in New York. Da waren wir auch bei ihm. Und er war im Mai noch in Erlangen und hat dann die Joachim-Kalden-Lecture gehalten und war ganz in Topform. Und in letzter Zeit ist das dann immer explodiert und da hat sich das Ganze eben sehr verschlechtert, also ganz in zwei Monaten.

    Knoll: Wie schätzen Sie ihn als Menschen ein? Sie haben ihn ja sehr gut gekannt. Was für ein Mensch war Herr Steinman?

    Schuler: Ich kenne ihn wirklich sehr lange. Seit 1983, da bin ich also zu ihm gekommen. Ich habe ich schon vorher gekannt, weil ich etwa ein halbes oder ein Jahr – das weiß ich nicht mehr genau – vorher bei ihm war und mich vorgestellt habe. Und ich bin ja damals aus Innsbruck gekommen, habe von Immunologie nur relativ wenig Ahnung gehabt. Und er hat sich mit mir unterhalten, und das hat ihn also einfach fasziniert, dass ich so begeistert bin. Und er hat sich seine Meinung gebildet und dann hat er spontan gesagt: "Okay, das finde ich toll. Sie können zu mir kommen", was ja nicht so selbstverständlich war, nicht. Und dann bin ich also '83 zu ihm und '85 dann zurück nach Innsbruck. Und es war damals ja eine ganz spezielle Zeit, die heute niemand mehr wirklich nachvollziehen kann, der damals nicht sozusagen bei dieser ganz frühen Truppe war, die diese Zeit erlebt hat damals, nach dieser Entdeckung.

    Knoll: Was war denn so speziell an der Situation?

    Schuler: Naja, das Spezielle war, dass eigentlich die Entdeckung damals und die Idee, dass die dendritischen Zellen für die Einleitung der Immunantworten, also der erworbenen Immunität, so wichtig ist, überhaupt nicht akzeptiert war. Also es ist, dass damals wirklich Steinman bei den Kongressen – also man würde das salopp so formulieren – verlacht wurde.

    Knoll: Wie hat er darauf reagiert?

    Schuler: Völlig sachlich, so wie er halt immer war, und hat also einfach immer stur seine Argumente vorgebracht, war also weder beleidigt noch irgendwie blockiert dadurch. Wir sind natürlich sozusagen um ihn herum gesessen und waren etwas schockiert, aber das hat uns irgendwie natürlich auch fasziniert. Weil wir waren ja natürlich wie die Jünger Jesu. Das war damals ein relativ kleiner Kreis und wir waren eine eingeschworene Gemeinschaft und wir haben natürlich an das ganz fest geglaubt, an dieses Konzept. Und über die Jahre hat sich das natürlich dann immer mehr bewahrheitet. Es hat aber doch 15 Jahre gedauert, bis dann eigentlich sozusagen die Leute umgeschwenkt sind und immer mehr Immunologen einfach sozusagen auch selbst Experimente auf dem Gebiet gemacht haben und dann halt einfach gesehen haben, das da etwas dran ist und das eine sehr wichtige Sache ist.

    Knoll: Hätte Herr Steinman den Nobelpreis früher kriegen können?

    Schuler: Ja, das mag durchaus sein. Aber das dauert natürlich immer eine gewisse Zeit. Und das Entscheidende natürlich war, dass sich das sukzessive so entwickelt hat, dass man gesehen hat: Das wird in der Klinik einfach relevant. Also erstens einmal für das Verständnis vieler Erkrankungen, das hat sich immer mehr herauskristallisiert, auch für die Arbeit von vielen, vielen Gruppen, die natürlich auf dem Gebiet der dendritischen Zellen heute tätig sind. Man braucht ja nur in die Datenbanken reingehen und 'dentritische Zellen' eingeben und dann sieht man, wie das halt sozusagen exponentiell explodiert ist – dieses Feld. Und nicht nur fürs Verständnis von Krankheiten und Krankheitsmechanismen, sondern eben auch für die Therapie. Und sozusagen eine feine Idee, die er über Jahre verfolgt hat – eigentlich von Anfang an – ist eben die Idee, die dendritischen Zellen oder die Biologie der dendritischen Zellen, die Kenntnis darüber auszunutzen, um bessere Impfstoffe herzustellen.

    Knoll: Eine lange, mühsame Geschichte offenbar, die er mühelos gemeistert hat, nur den Nobelpreis jetzt leider nicht mehr entgegennehmen kann. Soweit herzlichen Dank nach Erlangen, Professor Gerold Schuler von der Universitätsklinik Erlangen. Er hat einige Jahre mit dem Nobelpreisträger zusammengearbeitet.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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