Unter den Exilanten, die vor den Nazis aus Paris geflohen waren, befanden sich auch der rumänische Surrealist Jacques Hérold und die salvadorianische Bildhauerin Consuelo de Saint-Exupéry. Die Ehefrau des Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry schloss sich der "Gruppe von Oppède" an, die in den Bergen des Luberon, nördlich von Marseille, eine freie Kunstakademie gründete.
Mit Hilfe engagierter Mitarbeiter gelang es Varian Fry bis zum Herbst 1941, über 2000 Menschen die Flucht nach Amerika zu ermöglichen. Die Gruppe von Oppède half Dutzenden von Schülern und Studenten, ihre Berufung in Zeiten des Krieges zu finden.
Jacques Hérold, der zu jung war, um ein Visum für Amerika zu bekommen, ging zurück nach Paris, wo er im Untergrund gegen die deutschen Besatzer arbeitete.
Der Fluchthelfer der Dichter und Denker
Er war ein Held des Zweiten Weltkriegs, doch sein Name ist heute vergessen: Varian Mackey Fry hat vielen Intellektuellen, Schriftstellern und Künstlern zur Flucht vor der Nazi-Verfolgung verholfen. Eine Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste würdigt den mutigen Amerikaner.
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Varian Fry in Marseille
Varian Fry
Auslieferung auf Verlangen
Die Rettung deutscher Emigranten in Marseille 1940/41.
Hrsg. u. mit e. Anh. vers. v. Wolfgang D. Elfe u. Jan Hans .
2009 Fischer (TB.), Frankfurt
Mehr als tausend von der Gestapo verfolgte deutsche Emigranten, unter ihnen die Schriftsteller Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Heinrich und Golo Mann, Franz Werfel, Walter Mehring und Siegfried Kracauer, der Hitler-Biograf Konrad Heiden und der Maler Max Ernst, wurden 1940/41 in Marseille von Varian Fry, dem Repräsentanten des amerikanischen Emergency Rescue Committee (ERC), mit Geld, Pässen und Visa ausgestattet und illegal aus Frankreich herausgeschleust.
Die Bedeutung des Komitees und die Dringlichkeit einer raschen Hilfe für die Verfolgten wurden schlagartig klar, als am 22. Juni 1940 das deutsch-französische Waffenstillstandsabkommen bekannt wurde: Im Artikel 19 verpflichtete sich die Vichy-Regierung, alle in Frankreich sowie in den französischen Besitzungen befindlichen Deutschen, die von der deutschen Reichsregierung namhaft gemacht werden, auf Verlagen auszuliefern . Das südliche, noch nicht von deutschen Truppen besetzte Frankreich, war damit für die deutschen Emigranten zu einer Falle geworden.
Varian Fry, Organisator des Hilfskomitees in Marseille, berichtet von seiner legalen und illegalen Arbeit und den Fluchthilfeaktionen, die stets unter den Augen deutscher Spitzel, misstrauischer amerikanischer Konsulatsbeamter und Vichy-Polizisten getan werden mussten. Er schildert den Aufbau der Organisation und die Rettung der Emigranten, schreibt über die Zusammenarbeit mit prominenten Helfern (wie Andre Gide), mit Kreisen der Marseiller Unterwelt und erzählt vor allem von den zahllosen Verfolgten, von ihren Ängsten, ihrem entwürdigenden Anstehen vor Polizeipräfekturen, ihrem Gefühl des Ausgeliefertseins, dem "staatenlos im Nirgendwo" (Walter Mehring). "Auslieferung auf Verlangen" ist eine Kulturgeschichte der besonderen Art. Seine Authentizität ist von vielen Zeitzeugen bestätigt worden.
Auszug aus dem Manuskript:
Die Situation in der südfranzösischen Hafenstadt ist zwiespältig : Auf der einen Seite die Flüchtlinge aus ganz Europa, auf der anderen die Einheimischen, die versuchen, weiterzuleben wie bisher. In dem 1945 in New York erschienenen Buch "Auslieferung auf Verlangen" beschreibt der junge Amerikaner Varian Fry seine ersten Eindrücke :
" Marseille war voll von Flüchtlingen, französischen ebenso wie ausländischen. Alle, die irgend konnten, kehrten, sobald das möglich war, in ihre Heimat zurück, viele französische Juden gingen sogar zurück in die besetzte Zone. Sie wollten zurück und verdrängten ihre Angst vor den Nazis, indem sie sich einredeten, dass Hitler es nie wagen würde, den Franzosen das anzutun, was er den Polen angetan hatte. Alle, mit Ausnahme der antifaschistischen Flüchtlinge und Intellektuellen, hatten offenbar nur das eine Ziel: das nach der Niederlage eingetretene Durcheinander zu entwirren und so schnell wie möglich wieder zu "normalen" Verhältnissen zurückzukehren. Die Zeitungen, die auf einen Umfang von zwei, höchstens vier Seiten geschrumpft waren, brachten spaltenweise Kleinanzeigen, in denen durch Krieg und Rückzug versprengte Familienangehörige gesucht wurden. Den Suchanzeigen waren oft ergreifende und tragische Schicksale abzulesen: "Mutter sucht Kind, Mädchen, zwei Jahre alt, verloren auf der Flucht, auf der Straße zwischen Tours und Poitiers " oder: "Großzügige Belohnung für jede Information, die dazu beiträgt, meinen Sohn Jacques wiederzufinden, zehn Jahre alt, zuletzt gesehen am 17. Juni in Bordeaux". Aber das Leben in Marseille war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Es gab keine Unordnung und keine verhungernden Kinder auf den Straßen. Nur wenig deutete darauf hin, dass sich das Land im Krieg befand. Die Einwohner von Marseille schienen sich mit der Niederlage abgefunden zu haben, sie sogar - wie auch sonst alles - leicht zu nehmen. "
Zu den Flüchtlingen, die beim Einmarsch der deutschen Truppen Hals über Kopf Paris verließen und nach einer langen Irrfahrt schließlich in Marseille ankamen, gehörten auch Consuelo de Saint-Exupéry, die Ehefrau des Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry und der rumänische Maler Jacques Herold. Seit 1930 lebte Hérold in Paris, wo er sich der Gruppe der Surrealisten um Salvator Dali, Max Ernst und André Breton angeschlossen hatte.
Hérold wollte nach Spanien fliehen und hielt sich einige Wochen mit Gelegenheitsjobs in der Grenzstadt Perpignan über Wasser, aber als er erfuhr, dass die meisten seiner Freunde in Marseille Unterschlupf gefunden hatten, änderte er seine Pläne. In Marseille lernte er Consuelo de Saint-Exupéry kennen, die auf der Flucht ihr gesamtes Gepäck verloren hatte und auf die Unterstützung durch alte und neue Freunde angewiesen war.
Bei einem Interview sechs Monate vor seinem Tod sprach Jacques Hérold im Sommer 1986 von dem Widerspruch zwischen der Vorstellungswelt der Künstler und Intellektuellen, die ihre Ideale nicht aufgeben wollten, und dem täglichen Kampf ums Überleben in einer Zeit, die aus den Fugen geraten war.
" Die Straße war ein Schauspiel, die Straße und die Cafés, wo wir uns manchmal versammelten und dann ... ich ging abends zusammen mit Madame de Saint-Exupéry noch einen trinken ... und da die Cafés sehr früh geschlossen wurden, gingen wir in die Hinterzimmer, wo man hochprozentige Getränke bekam ... und da wir nichts zu rauchen hatten, verkauften uns die Prostituierten Zigarettenstummel, kleine Päckchen mit Zigarettenstummeln ...
Sie sehen die Situation - die Vorstellungskraft war sehr groß, sehr weit und sehr erhöht, und dann musste man die Dinge auf die kleinsten Notwendigkeiten des Lebens reduzieren ...
Ich ging zum Beispiel mit dem Bühnenautor Adamov, Arthur Adamov, in die eleganten Bars und Adamov sammelte die Kippen vom Boden auf, um etwas zu rauchen zu haben, denn in den eleganten Bars sind die Kippen groß ... und ich hatte einen Spazierstock mit einem Nagel am Ende, und ich sammelte sehr würdevoll die Kippen mit meinem Spazierstock auf ... "
Lisa Fittko
Mein Weg über die Pyrenäen
Erinnerungen 1940/41.
2010 DTV
Das Porträt einer ungewöhnlich mutigen Frau - uneitel, anschaulich und persönlich erzählt Lisa Fittko von ihrem Einsatz als Fluchthelferin. In einigen Exil-Erinnerungen ist, wenn es um einen Pyrenäen-Fluchtweg aus dem besetzten Frankreich ging, von einer "F-Route" die Rede - wer oder was sich hinter dem F verbirgt, wird nicht erklärt. Das vorliegende Buch löst dieses Rätsel: Der alte Schmugglerpfad wurde nach Lisa und Hans Fittko benannt, die monatelang von der Auslieferung bedrohte Hitlergegner zur spanischen Grenze geführt hatten. Es wäre nicht geschrieben worden, wenn nicht durch einen Zufall Gershom Scholem von Lisa Fittko gehört und sie gedrängt hätte, ihre Pyrenäenüberquerung mit Walter Benjamin (der sich dann, seine Verhaftung befürchtend, nach dem Grenzübertritt in Spanien das Leben nahm) aufzuschreiben.
Die "F-Route" ist für die Fittkos nur eine Station einer langen Odyssee, die 1933 in Berlin begann und sie über Prag, Zürich und Amsterdam nach Paris führte. 1940 wurde Lisa Fittko als "feindliche Ausländerin" in dem berüchtigten Frauenlager von Gurs interniert. Sie entkam nach Marseille und stieß dort auf Varian Fry und das Emergency Rescue Commitee, das organisierte Fluchthilfe betrieb. An seinen Hilfsaktionen hatten die Fittkos maßgeblichen Anteil. Der Strom der Flüchtlinge riss nicht ab; sie machten den gefährlichen Weg über die Pyrenäen bis zu dreimal in der Woche.
Anne Klein
Flüchtlingspolitik und Flüchtlingshilfe 1940-1942
Varian Fry und die Komitees zur Rettung politisch Verfolgter in New York und Marseille. Dokumente, Texte, Materialien
2007 Metropol
2008
La collection Phares
DVD consacrée aux artistes surréalistes, va consacrer un prochain numéro à Jacques Hérold (sortie probable en 2012).
Centenaire Jacques Hérold
Auszug aus dem Manuskript:
In ihrem Buch Oppède beschreibt sie ihn als "einen Ausländer, der dicke Brillengläser trug und dessen warme und saubere Kleidung mit der sichtbaren Armut meiner Freunde kontrastierte. ... Er war der Delegierte eines amerikanischen Hilfskomitees für europäische Künstler und Intellektuelle. Er verfügte über ein Schloss in der Nähe von Marseille, wo wir alle für sehr wenig Geld solange wohnen konnten, bis unsere Visa für Amerika bewilligt waren. "
Das "Schloss", von dem Consuelo de Saint-Exupéry spricht, ist in Wirklichkeit eine geräumige provenzalische Villa in dem Vorort La Pomme. Zwar gibt es viele Zimmer in dem alten Herrenhaus, aber weder Consuelos Freund Octave noch ihr Bekannter Jacques Hérold finden in der Villa Air Bel Unterschlupf. Octave, der immer wieder für ein paar Tage aus der Stadt verschwindet, um Kontakt zu verschiedenen Widerstandsgruppen aufzunehmen, wohnt in einer kleinen Mansarde am Alten Hafen, die er sich mit einem chinesischen Wäscher teilt. Auch Jacques Hérold lebt unter den Dächern von Marseille, in einem Zimmerchen, das zwar hell genug zum Malen ist, sonst aber keinerlei Komfort bietet.
Jacques Hérold:
" Mein Nachbar war ein Tänzer ... ein Türke oder Grieche ... oder beides zusammen ... er war homosexuell, Philatelist und Züchter von weißen Mäusen. Aber er hatte auch eine Freundin, eine Gemischtwarenhändlerin ... sie brauchte er zum Überleben. Dieser Nachbar ist für mich die Verkörperung des Marseiller Lebens in jener Zeit. Wir Surrealisten waren ganz am Rande ... wir kannten eigentlich keine richtigen Marseiller. In den 2 Jahren haben wir keine Einheimischen kennengelernt, wir lebten unter uns, und wir hatten das Gefühl, dass nichts die Leute, die uns umgaben, erhellen könnte. "
Für Varian Fry ist die Villa Air Bel ein Ruhepunkt, wo er sich von seiner aufreibenden und gefährlichen Arbeit erholen kann. Offiziell ist das Marseiller Büro des Emergency Rescue Committee ein wohltätiger Verein, der mit amerikanischen Geldern versucht, die Notlage der Flüchtlinge zu lindern, aber die Behörden sind misstrauisch und immer wieder droht Fry die Verhaftung und Ausweisung. Nur dem Verhandlungsgeschick seines Stellvertreters Daniel Bénédite ist es zu verdanken, dass sie die Fassade eines gänzlich unpolitischen Hilfskomitees so lange aufrechterhalten konnten. Daniel Bénédite war es auch, der den Mietvertrag über die Villa Air Bel mit dem altersschwachen und weltfremden Besitzer, Dr. Thumin aushandelte. Der pensionierte Arzt wohnte in einem kleinen Nebengebäude, wo er sich ganz der Pflege seiner umfangreichen Sammlung ausgestopfter Vögel widmen konnte. Erst als Bénédite die Sammlung des Hobbyornithologen gebührend bewundert hat, bricht das Eis und der Vertrag kommt zustande.
In seinem Buch "Auslieferung auf Verlangen" hat Varian Fry der Villa und seinen Bewohnern ein eigenes Kapitel gewidmet.
" Man hätte schwerlich einen besseren Platz finden können, um sich zu erholen und zu entspannen. Im "été de la St. Martin", dem französischen Altweibersommer, hatten wir schönes Wetter. Der Himmel war blau und die Sonne so warm, dass wir an Sonntagen häufig im Freien aßen. Aber es war nicht nur das Haus, der Ausblick und der Garten: Es war auch die Gesellschaft, die wir um uns versammelten.
Victor Serge war ein magenkranker, aber scharfsinniger alter Bolschewik. Früher hatte er der Komintern angehört, war jedoch etwa zu der Zeit ausgeschlossen worden, als Stalin mit Trotzki brach. In seiner langen Laufbahn hatte er sich vom radikalen Revolutionär zum gemäßigten Demokraten entwickelt. Wenn er bei uns war, sprach er stundenlang über seine Erfahrungen in russischen Gefängnissen, berichtete von seinen Gesprächen mit Trotzki oder diskutierte über die Verzweigungen und Wechselbeziehungen der europäischen Geheimdienste, ein Thema, zu dem er über beträchtliche Kenntnisse verfügte. Ihm zuzuhören war, als läse man einen russischen Roman.
Andre Breton, ehemals ungezogener Dadaist, dann König des Surrealismus, hatte während des Krieges als Arzt in der französischen Armee gedient. In der Villa Air-Bel legte er verschiedene Sammlungen an: Insekten, vom Seewasser polierte Porzellanscherben und alte Magazine. Er konnte großartig und immer unterhaltsam über alles und jeden reden. Sonntag nachmittags veranstaltete er Surrealisten-Treffen, zu denen die gesamte Deux-Magots-Meute erschien, verrückt wie eh und je. An seinem ersten Tag in der Villa fing Breton einen Skorpion in der Badewanne und stellte eine Flasche mit lebenden Gottesanbeterinnen auf den Esszimmertisch - statt Blumen. "
Paul Webster
Consuelo de Saint-Exupéry
Das Leben der Rose des "Kleinen Prinzen". Aus d. Französ. v. Barbara Röhl.
2007 List TB.
Consuelo de Saint-Exupéry faszinierte durch ihre magisch-exotische Ausstrahlung und ihr unbändiges erzählerisches Talent die Pariser Boheme der 20er und 30er Jahre. Sie zählte Picasso, Dalí und Gabriele D'Annunzio zu ihren engsten Freunden und erlangte durch ihre Ehe mit Antoine de Saint-Exupéry die schönste und außergewöhnlichste Form literarischer Unsterblichkeit: Sie ist die Rose des "Kleinen Prinzen", der bis heute die Herzen der Menschen bewegt.
Alain Vircondelet, José Martinez Fructuoso
Der kleine Prinz war eine Frau.
Antoine und Consuelo de Saint-Exupéry, eine legendäre Liebe ("Antoine et Consuelo de Saint-Exupéry").
Kunstmann Verlag, München 2006
Auszug aus dem Manuskript:
Während des Gespräches mit Jean-Paul Clébert in seinem Haus an der alten Stadtmauer von Oppède, spricht der Schriftsteller, der in den 1960er-Jahren seinen Wohnsitz in Paris aufgeben und in den Süden übergesiedelt ist, von der dunklen Seite der Provence, die auch scheinbar starke, unabhängige Menschen ganz plötzlich in den Abgrund ziehen kann.
Jean-Paul Clébert:
" Wenn man den Luberon kennenlernt, sieht man natürlich zuerst nur die ästhetische Seite -diese wunderschönen Bergmassive mit ihren Pinien und Zedern, die sich an die Felsen klammern, der aufsteigende Nebel - all das lässt an eine chinesische Malerei denken - also eine Landschaft der Meditation, des Friedens und des Nachdenkens.
Nach und nach merkt man dann, dass es da noch eine andere, tragische Dimension gibt. So etwa wie sie auf Kreta existiert - deswegen ist für mich der Luberon auch ein kleines Kreta - en miniature. Es gibt also auf der einen Seite die Schönheit der Landschaft und auf der anderen, den Dämon des Südens, dieses starke, blendende Licht, das die Dinge in ihrer Bewegung aufhält und alles erstarren lässt - so wie in den Bildern von Giorgio de Chirico - und das ein Gefühl der Tragödie im griechischen Sinn hervorruft. Nicht nur bei den Touristen und Besuchern, sondern auch bei den Einheimischen.
Und manchmal ist das zu stark - Menschen, die in den Bergen sind, auf der Jagd zum Beispiel, an diesen steilen, gefährlichen Felsklippen, von denen es hier so viele gibt, dann wird das Gefühl der Einsamkeit zu stark, die Anziehung des Abgrunds, der Schwindel ... und sie stürzen sich hinunter.
Ich erinnere mich an einen Fall in Bonnieux : Wir waren im Café und tranken Pastis, es war die Stunde des Hirten -l´heure du berger, also 7 Uhr abends; an einem der Tische saßen 4 Männer aus Bonnieux und spielten Karten, einer stand dann plötzlich auf und sagte : " Ich werde mich umbringen."
Dann ist er weggegangen, hat sein Gewehr geholt und sich irgendwo in den Bergen eine Kugel durch den Kopf geschossen. Keiner von uns hatte ihm geglaubt, natürlich ... er sagte das mit so einer ... Einfachheit. Andere hat man nie wiedergefunden, trotz monatelanger Suche - sie sind irgendwo in den unzugänglichen Abgründen verschwunden, von den Füchsen und Dachsen aufgefressen ... "
Am 29. August 1941 wird Varian Fry verhaftet und in die Präfektur gebracht. Der Leiter des Emergency Rescue Commitee weiß, dass er diesmal keine Chancen mehr hat, der schon lange drohenden Abschiebung zu entgehen. Am nächsten Morgen zeigt ihm der Hauptkommissar den vom Präfekten persönlich unterzeichneten Abschiebebefehl und stellt ihm den Inspektor vor, der ihn zur Grenze bringen soll.
" "Angenehm", sagte Garandel und gab mir die Hand. Er wirkte verlegen. "Ich fühle mich verpflichtet. Ihnen zu zeigen, dass wir Franzosen keine Barbaren sind", sagte er.
"Das habe ich auch keine Minute angenommen", antwortete ich.
Er lächelte.
"Aber so, wie man Sie behandelt hat. . .?"
"Ach", antwortete ich. "Das sind doch nur einige Franzosen. Man möchte fast sagen: nur ein Franzose . . ."
Er strahlte.
"Ja. Ich freue mich, dass Sie so denken."
Um halb vier holten mich die beiden Detektive ab, die mich verhaftet hatten. Mit einem Polizeilastwagen fuhren wir zunächst ins Büro. Ich leerte den Inhalt meiner Schreibtischschubladen in einen Pappkarton und verabschiedete mich von den Mitarbeitern, die noch im Büro waren. Danny war nach Vichy gefahren und wollte versuchen, das Verfahren aufzuhalten; die meisten hatten die kurze Pause, die bei der Unterstützungsarbeit für Flüchtlinge immer nach einer Razzia oder einer Verhaftung eintritt, genutzt und waren an diesem Tag früher nach Hause gegangen. Die kleine Anna Gruss war aber da und half mir beim Einsammeln meiner Sachen. Und unser Nachtwächter Alfonso drückte mich mit seinen bärenstarken Armen an sich.
Als ich alle persönlichen Unterlagen eingepackt hatte, nahm ich den Karton mit in den Wagen und wir fuhren zum Haus Air-Bel. Dort sollte ich in einer Stunde packen, was sich in mehr als einem Jahr angesammelt hatte: Kleider, Bilder, Karten, Bücher und Dokumente. Obwohl mir kaum Zeit blieb, verabschiedete ich mich von der Köchin, dem Küchenmädchen, dem Gärtner und auch von Dr. Thumin, der herübergekommen war, um sich nach dem Grund der Aufregung zu erkundigen. Den schmutzigen Hut in der Hand stand er auf der Terrasse und schaute, als wir abfuhren, noch verwirrter drein als sonst.
Um sechs Uhr tauchte Garandel wieder auf und brachte mich in einem Polizeiwagen zum Bahnhof. Da wir durch Nebenstraßen fuhren, sah ich die Cannebiere und den Vieux Port nicht mehr. An der Gare St. Charles stieg ich dann aber die große Freitreppe hinauf und sah von dort auf die Boulevards hinunter - d'Athenes und Dugommier, Cannebiere und Garibaldi. Die Spätnachmittagssonne vergoldete die Stadt, und die Leute hasteten von der Arbeit nach Hause. Trotzdem machte die Stadt einen stillen, ruhigen Eindruck. Da fast keine Autos fuhren, hörte man nur sehr selten den Lärm von einem krachenden Getriebe, von Hupen oder dem Pfeifen von Polizisten. Überall gingen Fußgänger so sorglos mitten auf der Straße, als wäre es ein Bürgersteig. Das Klingeln der Straßenbahnen, das gedämpft aus der Feme herüberklang, und das gelegentliche Geklapper von Holzschuhen auf dem Pflaster waren die einzigen Geräusche. Selbst im Hafen rührte sich nichts. "
Jean-Paul Clébert in der französischsprachigen Internet-Enzyklopädie Wikipedia
Mit Hilfe engagierter Mitarbeiter gelang es Varian Fry bis zum Herbst 1941, über 2000 Menschen die Flucht nach Amerika zu ermöglichen. Die Gruppe von Oppède half Dutzenden von Schülern und Studenten, ihre Berufung in Zeiten des Krieges zu finden.
Jacques Hérold, der zu jung war, um ein Visum für Amerika zu bekommen, ging zurück nach Paris, wo er im Untergrund gegen die deutschen Besatzer arbeitete.
Der Fluchthelfer der Dichter und Denker
Er war ein Held des Zweiten Weltkriegs, doch sein Name ist heute vergessen: Varian Mackey Fry hat vielen Intellektuellen, Schriftstellern und Künstlern zur Flucht vor der Nazi-Verfolgung verholfen. Eine Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste würdigt den mutigen Amerikaner.
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Varian Fry in Marseille
Varian Fry
Auslieferung auf Verlangen
Die Rettung deutscher Emigranten in Marseille 1940/41.
Hrsg. u. mit e. Anh. vers. v. Wolfgang D. Elfe u. Jan Hans .
2009 Fischer (TB.), Frankfurt
Mehr als tausend von der Gestapo verfolgte deutsche Emigranten, unter ihnen die Schriftsteller Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Heinrich und Golo Mann, Franz Werfel, Walter Mehring und Siegfried Kracauer, der Hitler-Biograf Konrad Heiden und der Maler Max Ernst, wurden 1940/41 in Marseille von Varian Fry, dem Repräsentanten des amerikanischen Emergency Rescue Committee (ERC), mit Geld, Pässen und Visa ausgestattet und illegal aus Frankreich herausgeschleust.
Die Bedeutung des Komitees und die Dringlichkeit einer raschen Hilfe für die Verfolgten wurden schlagartig klar, als am 22. Juni 1940 das deutsch-französische Waffenstillstandsabkommen bekannt wurde: Im Artikel 19 verpflichtete sich die Vichy-Regierung, alle in Frankreich sowie in den französischen Besitzungen befindlichen Deutschen, die von der deutschen Reichsregierung namhaft gemacht werden, auf Verlagen auszuliefern . Das südliche, noch nicht von deutschen Truppen besetzte Frankreich, war damit für die deutschen Emigranten zu einer Falle geworden.
Varian Fry, Organisator des Hilfskomitees in Marseille, berichtet von seiner legalen und illegalen Arbeit und den Fluchthilfeaktionen, die stets unter den Augen deutscher Spitzel, misstrauischer amerikanischer Konsulatsbeamter und Vichy-Polizisten getan werden mussten. Er schildert den Aufbau der Organisation und die Rettung der Emigranten, schreibt über die Zusammenarbeit mit prominenten Helfern (wie Andre Gide), mit Kreisen der Marseiller Unterwelt und erzählt vor allem von den zahllosen Verfolgten, von ihren Ängsten, ihrem entwürdigenden Anstehen vor Polizeipräfekturen, ihrem Gefühl des Ausgeliefertseins, dem "staatenlos im Nirgendwo" (Walter Mehring). "Auslieferung auf Verlangen" ist eine Kulturgeschichte der besonderen Art. Seine Authentizität ist von vielen Zeitzeugen bestätigt worden.
Auszug aus dem Manuskript:
Die Situation in der südfranzösischen Hafenstadt ist zwiespältig : Auf der einen Seite die Flüchtlinge aus ganz Europa, auf der anderen die Einheimischen, die versuchen, weiterzuleben wie bisher. In dem 1945 in New York erschienenen Buch "Auslieferung auf Verlangen" beschreibt der junge Amerikaner Varian Fry seine ersten Eindrücke :
" Marseille war voll von Flüchtlingen, französischen ebenso wie ausländischen. Alle, die irgend konnten, kehrten, sobald das möglich war, in ihre Heimat zurück, viele französische Juden gingen sogar zurück in die besetzte Zone. Sie wollten zurück und verdrängten ihre Angst vor den Nazis, indem sie sich einredeten, dass Hitler es nie wagen würde, den Franzosen das anzutun, was er den Polen angetan hatte. Alle, mit Ausnahme der antifaschistischen Flüchtlinge und Intellektuellen, hatten offenbar nur das eine Ziel: das nach der Niederlage eingetretene Durcheinander zu entwirren und so schnell wie möglich wieder zu "normalen" Verhältnissen zurückzukehren. Die Zeitungen, die auf einen Umfang von zwei, höchstens vier Seiten geschrumpft waren, brachten spaltenweise Kleinanzeigen, in denen durch Krieg und Rückzug versprengte Familienangehörige gesucht wurden. Den Suchanzeigen waren oft ergreifende und tragische Schicksale abzulesen: "Mutter sucht Kind, Mädchen, zwei Jahre alt, verloren auf der Flucht, auf der Straße zwischen Tours und Poitiers " oder: "Großzügige Belohnung für jede Information, die dazu beiträgt, meinen Sohn Jacques wiederzufinden, zehn Jahre alt, zuletzt gesehen am 17. Juni in Bordeaux". Aber das Leben in Marseille war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Es gab keine Unordnung und keine verhungernden Kinder auf den Straßen. Nur wenig deutete darauf hin, dass sich das Land im Krieg befand. Die Einwohner von Marseille schienen sich mit der Niederlage abgefunden zu haben, sie sogar - wie auch sonst alles - leicht zu nehmen. "
Zu den Flüchtlingen, die beim Einmarsch der deutschen Truppen Hals über Kopf Paris verließen und nach einer langen Irrfahrt schließlich in Marseille ankamen, gehörten auch Consuelo de Saint-Exupéry, die Ehefrau des Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry und der rumänische Maler Jacques Herold. Seit 1930 lebte Hérold in Paris, wo er sich der Gruppe der Surrealisten um Salvator Dali, Max Ernst und André Breton angeschlossen hatte.
Hérold wollte nach Spanien fliehen und hielt sich einige Wochen mit Gelegenheitsjobs in der Grenzstadt Perpignan über Wasser, aber als er erfuhr, dass die meisten seiner Freunde in Marseille Unterschlupf gefunden hatten, änderte er seine Pläne. In Marseille lernte er Consuelo de Saint-Exupéry kennen, die auf der Flucht ihr gesamtes Gepäck verloren hatte und auf die Unterstützung durch alte und neue Freunde angewiesen war.
Bei einem Interview sechs Monate vor seinem Tod sprach Jacques Hérold im Sommer 1986 von dem Widerspruch zwischen der Vorstellungswelt der Künstler und Intellektuellen, die ihre Ideale nicht aufgeben wollten, und dem täglichen Kampf ums Überleben in einer Zeit, die aus den Fugen geraten war.
" Die Straße war ein Schauspiel, die Straße und die Cafés, wo wir uns manchmal versammelten und dann ... ich ging abends zusammen mit Madame de Saint-Exupéry noch einen trinken ... und da die Cafés sehr früh geschlossen wurden, gingen wir in die Hinterzimmer, wo man hochprozentige Getränke bekam ... und da wir nichts zu rauchen hatten, verkauften uns die Prostituierten Zigarettenstummel, kleine Päckchen mit Zigarettenstummeln ...
Sie sehen die Situation - die Vorstellungskraft war sehr groß, sehr weit und sehr erhöht, und dann musste man die Dinge auf die kleinsten Notwendigkeiten des Lebens reduzieren ...
Ich ging zum Beispiel mit dem Bühnenautor Adamov, Arthur Adamov, in die eleganten Bars und Adamov sammelte die Kippen vom Boden auf, um etwas zu rauchen zu haben, denn in den eleganten Bars sind die Kippen groß ... und ich hatte einen Spazierstock mit einem Nagel am Ende, und ich sammelte sehr würdevoll die Kippen mit meinem Spazierstock auf ... "
Lisa Fittko
Mein Weg über die Pyrenäen
Erinnerungen 1940/41.
2010 DTV
Das Porträt einer ungewöhnlich mutigen Frau - uneitel, anschaulich und persönlich erzählt Lisa Fittko von ihrem Einsatz als Fluchthelferin. In einigen Exil-Erinnerungen ist, wenn es um einen Pyrenäen-Fluchtweg aus dem besetzten Frankreich ging, von einer "F-Route" die Rede - wer oder was sich hinter dem F verbirgt, wird nicht erklärt. Das vorliegende Buch löst dieses Rätsel: Der alte Schmugglerpfad wurde nach Lisa und Hans Fittko benannt, die monatelang von der Auslieferung bedrohte Hitlergegner zur spanischen Grenze geführt hatten. Es wäre nicht geschrieben worden, wenn nicht durch einen Zufall Gershom Scholem von Lisa Fittko gehört und sie gedrängt hätte, ihre Pyrenäenüberquerung mit Walter Benjamin (der sich dann, seine Verhaftung befürchtend, nach dem Grenzübertritt in Spanien das Leben nahm) aufzuschreiben.
Die "F-Route" ist für die Fittkos nur eine Station einer langen Odyssee, die 1933 in Berlin begann und sie über Prag, Zürich und Amsterdam nach Paris führte. 1940 wurde Lisa Fittko als "feindliche Ausländerin" in dem berüchtigten Frauenlager von Gurs interniert. Sie entkam nach Marseille und stieß dort auf Varian Fry und das Emergency Rescue Commitee, das organisierte Fluchthilfe betrieb. An seinen Hilfsaktionen hatten die Fittkos maßgeblichen Anteil. Der Strom der Flüchtlinge riss nicht ab; sie machten den gefährlichen Weg über die Pyrenäen bis zu dreimal in der Woche.
Anne Klein
Flüchtlingspolitik und Flüchtlingshilfe 1940-1942
Varian Fry und die Komitees zur Rettung politisch Verfolgter in New York und Marseille. Dokumente, Texte, Materialien
2007 Metropol
2008
La collection Phares
DVD consacrée aux artistes surréalistes, va consacrer un prochain numéro à Jacques Hérold (sortie probable en 2012).
Centenaire Jacques Hérold
Auszug aus dem Manuskript:
In ihrem Buch Oppède beschreibt sie ihn als "einen Ausländer, der dicke Brillengläser trug und dessen warme und saubere Kleidung mit der sichtbaren Armut meiner Freunde kontrastierte. ... Er war der Delegierte eines amerikanischen Hilfskomitees für europäische Künstler und Intellektuelle. Er verfügte über ein Schloss in der Nähe von Marseille, wo wir alle für sehr wenig Geld solange wohnen konnten, bis unsere Visa für Amerika bewilligt waren. "
Das "Schloss", von dem Consuelo de Saint-Exupéry spricht, ist in Wirklichkeit eine geräumige provenzalische Villa in dem Vorort La Pomme. Zwar gibt es viele Zimmer in dem alten Herrenhaus, aber weder Consuelos Freund Octave noch ihr Bekannter Jacques Hérold finden in der Villa Air Bel Unterschlupf. Octave, der immer wieder für ein paar Tage aus der Stadt verschwindet, um Kontakt zu verschiedenen Widerstandsgruppen aufzunehmen, wohnt in einer kleinen Mansarde am Alten Hafen, die er sich mit einem chinesischen Wäscher teilt. Auch Jacques Hérold lebt unter den Dächern von Marseille, in einem Zimmerchen, das zwar hell genug zum Malen ist, sonst aber keinerlei Komfort bietet.
Jacques Hérold:
" Mein Nachbar war ein Tänzer ... ein Türke oder Grieche ... oder beides zusammen ... er war homosexuell, Philatelist und Züchter von weißen Mäusen. Aber er hatte auch eine Freundin, eine Gemischtwarenhändlerin ... sie brauchte er zum Überleben. Dieser Nachbar ist für mich die Verkörperung des Marseiller Lebens in jener Zeit. Wir Surrealisten waren ganz am Rande ... wir kannten eigentlich keine richtigen Marseiller. In den 2 Jahren haben wir keine Einheimischen kennengelernt, wir lebten unter uns, und wir hatten das Gefühl, dass nichts die Leute, die uns umgaben, erhellen könnte. "
Für Varian Fry ist die Villa Air Bel ein Ruhepunkt, wo er sich von seiner aufreibenden und gefährlichen Arbeit erholen kann. Offiziell ist das Marseiller Büro des Emergency Rescue Committee ein wohltätiger Verein, der mit amerikanischen Geldern versucht, die Notlage der Flüchtlinge zu lindern, aber die Behörden sind misstrauisch und immer wieder droht Fry die Verhaftung und Ausweisung. Nur dem Verhandlungsgeschick seines Stellvertreters Daniel Bénédite ist es zu verdanken, dass sie die Fassade eines gänzlich unpolitischen Hilfskomitees so lange aufrechterhalten konnten. Daniel Bénédite war es auch, der den Mietvertrag über die Villa Air Bel mit dem altersschwachen und weltfremden Besitzer, Dr. Thumin aushandelte. Der pensionierte Arzt wohnte in einem kleinen Nebengebäude, wo er sich ganz der Pflege seiner umfangreichen Sammlung ausgestopfter Vögel widmen konnte. Erst als Bénédite die Sammlung des Hobbyornithologen gebührend bewundert hat, bricht das Eis und der Vertrag kommt zustande.
In seinem Buch "Auslieferung auf Verlangen" hat Varian Fry der Villa und seinen Bewohnern ein eigenes Kapitel gewidmet.
" Man hätte schwerlich einen besseren Platz finden können, um sich zu erholen und zu entspannen. Im "été de la St. Martin", dem französischen Altweibersommer, hatten wir schönes Wetter. Der Himmel war blau und die Sonne so warm, dass wir an Sonntagen häufig im Freien aßen. Aber es war nicht nur das Haus, der Ausblick und der Garten: Es war auch die Gesellschaft, die wir um uns versammelten.
Victor Serge war ein magenkranker, aber scharfsinniger alter Bolschewik. Früher hatte er der Komintern angehört, war jedoch etwa zu der Zeit ausgeschlossen worden, als Stalin mit Trotzki brach. In seiner langen Laufbahn hatte er sich vom radikalen Revolutionär zum gemäßigten Demokraten entwickelt. Wenn er bei uns war, sprach er stundenlang über seine Erfahrungen in russischen Gefängnissen, berichtete von seinen Gesprächen mit Trotzki oder diskutierte über die Verzweigungen und Wechselbeziehungen der europäischen Geheimdienste, ein Thema, zu dem er über beträchtliche Kenntnisse verfügte. Ihm zuzuhören war, als läse man einen russischen Roman.
Andre Breton, ehemals ungezogener Dadaist, dann König des Surrealismus, hatte während des Krieges als Arzt in der französischen Armee gedient. In der Villa Air-Bel legte er verschiedene Sammlungen an: Insekten, vom Seewasser polierte Porzellanscherben und alte Magazine. Er konnte großartig und immer unterhaltsam über alles und jeden reden. Sonntag nachmittags veranstaltete er Surrealisten-Treffen, zu denen die gesamte Deux-Magots-Meute erschien, verrückt wie eh und je. An seinem ersten Tag in der Villa fing Breton einen Skorpion in der Badewanne und stellte eine Flasche mit lebenden Gottesanbeterinnen auf den Esszimmertisch - statt Blumen. "
Paul Webster
Consuelo de Saint-Exupéry
Das Leben der Rose des "Kleinen Prinzen". Aus d. Französ. v. Barbara Röhl.
2007 List TB.
Consuelo de Saint-Exupéry faszinierte durch ihre magisch-exotische Ausstrahlung und ihr unbändiges erzählerisches Talent die Pariser Boheme der 20er und 30er Jahre. Sie zählte Picasso, Dalí und Gabriele D'Annunzio zu ihren engsten Freunden und erlangte durch ihre Ehe mit Antoine de Saint-Exupéry die schönste und außergewöhnlichste Form literarischer Unsterblichkeit: Sie ist die Rose des "Kleinen Prinzen", der bis heute die Herzen der Menschen bewegt.
Alain Vircondelet, José Martinez Fructuoso
Der kleine Prinz war eine Frau.
Antoine und Consuelo de Saint-Exupéry, eine legendäre Liebe ("Antoine et Consuelo de Saint-Exupéry").
Kunstmann Verlag, München 2006
Auszug aus dem Manuskript:
Während des Gespräches mit Jean-Paul Clébert in seinem Haus an der alten Stadtmauer von Oppède, spricht der Schriftsteller, der in den 1960er-Jahren seinen Wohnsitz in Paris aufgeben und in den Süden übergesiedelt ist, von der dunklen Seite der Provence, die auch scheinbar starke, unabhängige Menschen ganz plötzlich in den Abgrund ziehen kann.
Jean-Paul Clébert:
" Wenn man den Luberon kennenlernt, sieht man natürlich zuerst nur die ästhetische Seite -diese wunderschönen Bergmassive mit ihren Pinien und Zedern, die sich an die Felsen klammern, der aufsteigende Nebel - all das lässt an eine chinesische Malerei denken - also eine Landschaft der Meditation, des Friedens und des Nachdenkens.
Nach und nach merkt man dann, dass es da noch eine andere, tragische Dimension gibt. So etwa wie sie auf Kreta existiert - deswegen ist für mich der Luberon auch ein kleines Kreta - en miniature. Es gibt also auf der einen Seite die Schönheit der Landschaft und auf der anderen, den Dämon des Südens, dieses starke, blendende Licht, das die Dinge in ihrer Bewegung aufhält und alles erstarren lässt - so wie in den Bildern von Giorgio de Chirico - und das ein Gefühl der Tragödie im griechischen Sinn hervorruft. Nicht nur bei den Touristen und Besuchern, sondern auch bei den Einheimischen.
Und manchmal ist das zu stark - Menschen, die in den Bergen sind, auf der Jagd zum Beispiel, an diesen steilen, gefährlichen Felsklippen, von denen es hier so viele gibt, dann wird das Gefühl der Einsamkeit zu stark, die Anziehung des Abgrunds, der Schwindel ... und sie stürzen sich hinunter.
Ich erinnere mich an einen Fall in Bonnieux : Wir waren im Café und tranken Pastis, es war die Stunde des Hirten -l´heure du berger, also 7 Uhr abends; an einem der Tische saßen 4 Männer aus Bonnieux und spielten Karten, einer stand dann plötzlich auf und sagte : " Ich werde mich umbringen."
Dann ist er weggegangen, hat sein Gewehr geholt und sich irgendwo in den Bergen eine Kugel durch den Kopf geschossen. Keiner von uns hatte ihm geglaubt, natürlich ... er sagte das mit so einer ... Einfachheit. Andere hat man nie wiedergefunden, trotz monatelanger Suche - sie sind irgendwo in den unzugänglichen Abgründen verschwunden, von den Füchsen und Dachsen aufgefressen ... "
Am 29. August 1941 wird Varian Fry verhaftet und in die Präfektur gebracht. Der Leiter des Emergency Rescue Commitee weiß, dass er diesmal keine Chancen mehr hat, der schon lange drohenden Abschiebung zu entgehen. Am nächsten Morgen zeigt ihm der Hauptkommissar den vom Präfekten persönlich unterzeichneten Abschiebebefehl und stellt ihm den Inspektor vor, der ihn zur Grenze bringen soll.
" "Angenehm", sagte Garandel und gab mir die Hand. Er wirkte verlegen. "Ich fühle mich verpflichtet. Ihnen zu zeigen, dass wir Franzosen keine Barbaren sind", sagte er.
"Das habe ich auch keine Minute angenommen", antwortete ich.
Er lächelte.
"Aber so, wie man Sie behandelt hat. . .?"
"Ach", antwortete ich. "Das sind doch nur einige Franzosen. Man möchte fast sagen: nur ein Franzose . . ."
Er strahlte.
"Ja. Ich freue mich, dass Sie so denken."
Um halb vier holten mich die beiden Detektive ab, die mich verhaftet hatten. Mit einem Polizeilastwagen fuhren wir zunächst ins Büro. Ich leerte den Inhalt meiner Schreibtischschubladen in einen Pappkarton und verabschiedete mich von den Mitarbeitern, die noch im Büro waren. Danny war nach Vichy gefahren und wollte versuchen, das Verfahren aufzuhalten; die meisten hatten die kurze Pause, die bei der Unterstützungsarbeit für Flüchtlinge immer nach einer Razzia oder einer Verhaftung eintritt, genutzt und waren an diesem Tag früher nach Hause gegangen. Die kleine Anna Gruss war aber da und half mir beim Einsammeln meiner Sachen. Und unser Nachtwächter Alfonso drückte mich mit seinen bärenstarken Armen an sich.
Als ich alle persönlichen Unterlagen eingepackt hatte, nahm ich den Karton mit in den Wagen und wir fuhren zum Haus Air-Bel. Dort sollte ich in einer Stunde packen, was sich in mehr als einem Jahr angesammelt hatte: Kleider, Bilder, Karten, Bücher und Dokumente. Obwohl mir kaum Zeit blieb, verabschiedete ich mich von der Köchin, dem Küchenmädchen, dem Gärtner und auch von Dr. Thumin, der herübergekommen war, um sich nach dem Grund der Aufregung zu erkundigen. Den schmutzigen Hut in der Hand stand er auf der Terrasse und schaute, als wir abfuhren, noch verwirrter drein als sonst.
Um sechs Uhr tauchte Garandel wieder auf und brachte mich in einem Polizeiwagen zum Bahnhof. Da wir durch Nebenstraßen fuhren, sah ich die Cannebiere und den Vieux Port nicht mehr. An der Gare St. Charles stieg ich dann aber die große Freitreppe hinauf und sah von dort auf die Boulevards hinunter - d'Athenes und Dugommier, Cannebiere und Garibaldi. Die Spätnachmittagssonne vergoldete die Stadt, und die Leute hasteten von der Arbeit nach Hause. Trotzdem machte die Stadt einen stillen, ruhigen Eindruck. Da fast keine Autos fuhren, hörte man nur sehr selten den Lärm von einem krachenden Getriebe, von Hupen oder dem Pfeifen von Polizisten. Überall gingen Fußgänger so sorglos mitten auf der Straße, als wäre es ein Bürgersteig. Das Klingeln der Straßenbahnen, das gedämpft aus der Feme herüberklang, und das gelegentliche Geklapper von Holzschuhen auf dem Pflaster waren die einzigen Geräusche. Selbst im Hafen rührte sich nichts. "
Jean-Paul Clébert in der französischsprachigen Internet-Enzyklopädie Wikipedia