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"Wir werden Christa Wolf im Kino wiederfinden"

Christa Wolf habe ein sehr feines Gespür für Sprache gehabt, sagt Literaturredakteur Denis Scheck. Die Schriftstellerin habe sich immer wieder neu erfunden - auch literarisch, so Scheck.

Denis Scheck im Gespräch mit Karin Fischer | 01.12.2011
    Karin Fischer: Sie war eine DDR-Autorin, aber ihre Literatur war immer auch anschlussfähig an viele Diskurse im Westen: die Individualismus-Debatte, die Feminismus-Debatte. Es waren Frauenfiguren, die suchten oder widerständig zu sein versuchten, oder die durch subjektives Erinnern gesellschaftliche Prozesse verdeutlichten, wie in "Kindheitsmuster" das Fortbestehen des Faschismus auch in der DDR, Christa Wolf hat den Mauerbau thematisiert im "geteilten Himmel" und Tschernobyl in "Störfall". Sie ist kanonisiert, gehört längst zur Pflichtlektüre in deutschen Schulen. Denis Scheck, was macht für Sie als Literaturkritiker das Werk Christa Wolfs bedeutsam?

    Denis Scheck: Ja, Frau Fischer. Ich habe heute natürlich im Laufe des Tages viel über Christa Wolf nachdenken müssen, nachgedacht, und mir kam der Gedanke, dass allein schon mal diese Biografie von Christa Wolf, von der wir jetzt ein bisschen was gehört haben, sich ganz sicher anbietet für den großen deutschen Geschichtsfilm. Ich glaube, wir werden Christa Wolf im Kino wiederfinden, in kommenden Generationen spätestens.
    Was das Werk angeht, ist der Todestag sicherlich nicht die Stunde, nun zu entscheiden, was da Marmor und was da Gips ist. Da muss man wahrscheinlich erst mal die Pulverdampfwolken der aktuellen Gefechte wieder etwas sich senken lassen. Ich glaube – Sie haben es angesprochen -, dass die Feministin, die Autorin großartiger Frauenfiguren Christa Wolf, sicherlich noch sehr lange die Rezeptionen bestimmen wird. Ich glaube auch, dass seltsamerweise ausgerechnet ein Titel von Susan Sontag, nämlich "Krankheit als Metapher", das Werk von Christa Wolf sehr stark charakterisiert. Die besten Geschichten werden über den Körper erzählt, und Christa Wolf hat immer über den Körper erzählt, auch wenn ihre Hauptfiguren sehr schwer mitunter von ihr zu unterscheiden waren, was allerdings dann auch wieder die Flanke öffnete zu einer großen Portion Larmoyanz, von der man auch abgestoßen sein konnte.

    Fischer: ... und was sie dann einreihen würde in die Riege der sogenannten Frauenliteratur, die sie ganz bestimmt nie sein wollte.

    Scheck: Nein, das würde auch ihre Bedeutung verkennen. Um Gottes Willen! "Kindheitsmuster", "Nachdenken über Christa T.", das sind ja schon auch Texte, die in die deutsche Nachkriegsliteratur Moderne zugelassen haben, eingeführt haben. Das will man nicht verkennen. Allerdings diese späteren Bücher, das genannte "Leibhaftig" beispielsweise, oder der letzte Roman "Stadt der Engel", oder "the overcoat of Dr. Freud", 2010 erschienen, wo es dann heißt, das moralische Todesurteil IM, weißt du überhaupt, was das heißt, und wir der Icherzählerin in all ihren körperlichen Gebrechen dann folgen müssen, die sind vielleicht die Schattenseiten von dann wiederum sehr geglückten Texten, die ich aber viel früher verorten würde.

    Fischer: Wir haben viel über Christa Wolf als Symbolfigur gehört und viel über ihr Ringen um Wahrheit und Erinnerung in diesem, ihrem Staat. Aber, Denis Scheck, wie hat sie geschrieben? Wie hat sie das gemacht, diese Erinnerung einzuholen?

    Scheck: Das ist natürlich die Kehrseite der Sensitivität, die sich auf das körperliche Empfinden richtet. Sie hatte ein sehr feines Gespür für Sprache. Sie hatte ein großes und breites Arsenal ganz handwerklicher stilistischer Mittel und sie hat sich immer wieder neu erfunden. Neu erfunden hat sich die gläubige Faschistin, neu erfunden hat sich die gläubige Kommunistin und die dritte Neuerfindung nach 89, die ist ein bisschen schiefgegangen, kann man vielleicht sagen. Aber neu erfunden hat sich natürlich Christa Wolf immer wieder auch literarisch. Wenn Sie nur den Weg sich vorstellen von "Nachdenken über Christa T." zu "Kassandra", zu "Medea", dann sind das doch abenteuerliche Neuerfindungen auch im Stilistischen. Da wurde in den 80er-Jahren - diese feministischen Texte mit der "Kassandra" – ein Sound in die Welt gesetzt. Das war unverkennbar Christa Wolf. Das bot sich dann aber auch an für, sagen wir mal, die Titanic zur Imitation, aber das ist ja eigentlich eher ein Qualitätsausweis, wenn ein Schriftsteller eben keine Masche ist, sondern seinen Ton findet. Und ich glaube, Christa Wolf hatte diesen Ton in den 80ern für sich gefunden und kam ein bisschen ins Stocken und Stottern nach 89, den neuen Ton zu finden.

    Fischer: Denis Scheck - herzlichen Dank -, Literaturredakteur des Deutschlandfunks, über die Literatur der Christa Wolf. Die Schriftstellerin ist heute im Alter von 82 Jahren in Berlin gestorben.