Christian Schütte: Mehrere Tage war US-Kapitän Richard Phillips in der Hand von somalischen Piraten, dann wurde er gewaltsam befreit. Drei Piraten sind dabei durch amerikanische Scharfschützen getötet worden. Das haben die Anführer wiederum als Kriegserklärung aufgefasst und mit Rache und Vergeltung gedroht. Eine Spirale der Gewalt, die sich jetzt nach oben dreht? Was bedeutet die Befreiungsaktion für die Sicherheit der deutschen Seeleute an Bord des Frachters "Hansa Stavanger", der noch immer in Gewalt von Piraten ist? Am Telefon begrüße ich Thomas Kossendey, CDU, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Guten Morgen, Herr Kossendey!
Thomas Kossendey: Guten Morgen, Herr Schütte!
Schütte: Herrscht im Golf von Aden jetzt endgültig Krieg?
Kossendey: Zunächst einmal ist es ja nicht der Golf von Aden, sondern es ist ja die südöstliche Küste Somalias, das ist noch ein paar Hunderte von Kilometern davon entfernt, aber Krieg würde ich es nicht nennen. Es herrscht Kriminalität, die von kriminellen Banden ausgeübt wird und die mit polizeilichen und militärischen Mitteln bekämpft wird, und zwar auch unter Inkaufnahme, dass Menschenleben derer, die kriminell handeln, dabei gefährdet werden, wenn es darum geht, Menschen zu retten.
Schütte: War es denn richtig, eine Geisel zu befreien, wenn man dadurch das Leben anderer, auch möglicherweise deutscher Geiseln in Gefahr bringt?
Kossendey: Ich glaube nicht, dass die Zusammenhänge so eng sind, dass man davon reden kann, dass nach der Befreiung von Kapitän Phillips deutsche Geiseln konkret in Gefahr sind, aber die Situation hat sich dadurch natürlich verschärft, das muss man sagen.
Schütte: Bisher waren die Piraten ja an Lösegeld interessiert. Jetzt wollen sie Rache nehmen und gegebenenfalls auch Geiseln erschießen. Das könnte theoretisch doch die deutschen Geiseln auch betreffen.
Kossendey: Ich glaube, in dem deutschen Fall haben wir die Situation, dass wir sowohl mit den Geiselnehmern als auch mit den Geiseln in Kontakt stehen und ich gehe davon aus, dass das im Augenblick nicht die Lage ist, in der sich unsere deutschen Geiseln befinden.
Schütte: US-Präsident Obama hat Gewalt angeordnet im Kampf gegen Piraten. Ist das aus Sicht des deutschen Verteidigungsministeriums der richtige Weg?
Kossendey: Natürlich. Das Bundestagsmandat Atalanta, in dem wir die deutsche Marine als Parlament bevollmächtigt haben, an der EU-Operation teilzunehmen, beinhaltet ausdrücklich auch die Ausübung von Gewalt. Das Mandat umfasst das ganze Spektrum an Möglichkeiten, Piraterie zu bekämpfen, und ich glaube schon, dass man da nicht selektiv vorgehen kann. Wir müssen auch sehen, dass wir parallel dazu natürlich Anstrengungen unternehmen, die Situation in Somalia selber in den Griff zu bekommen. Ohne eine Befriedung der Lage an Land wird die Bekämpfung der Piraterie auf See schwerlich erfolgreich sein. Somalia ist seit 14 Jahren ohne Regierung, es gibt keine Strafverfolgungsbehörden, wir haben niemanden, mit dem wir an Land kooperieren können. Die Gespräche jetzt mit den Stammesführern sind vielleicht ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber wir müssen zum Beispiel der Übergangsregierung, die sich Anfang des Jahres in Somalia gegründet hat, auch von der Internationalen Gemeinschaft her mehr Unterstützung geben, damit die in ihrem eigenen Land für Ordnung sorgen kann. Denn das ist ja nicht das Interesse der somalischen Bevölkerung insgesamt, Kriminalität von ihrem Land ausgehend zu dulden.
Schütte: Herr Kossendey, Sie haben gesagt, Gewalt ist im Mandat, im Kampf gegen Piraterie inbegriffen. Noch einmal konkret nachgefragt - heißt das, wenn es die Situation erfordert, erschießen deutsche Spezialkräfte, Sicherheitskräfte auch Piraten?
Kossendey: Ich will jetzt über das konkrete Vorgehen in Einzelfällen nicht spekulieren, das ist Sache des Krisenstabes, Sache der Verantwortlichen vor Ort. Aber das Mandat, das der Bundestag beschlossen hat, enthält ausdrücklich auch die Möglichkeit zur Gewaltanwendung, auch mit dem Risiko, dass Kriminelle dabei körperlich Schaden nehmen.
Schütte: Wir haben gehört, dass der Krisenstab des Auswärtigen Amtes eine gewaltsame Befreiung der "Hansa Stavanger" erwogen hat und zwar durch die Eliteeinheit der Bundespolizei GSG 9. Medienberichten zufolge war ein Vorauskommando schon unterwegs. Warum ist es dann doch nicht zu einem Einsatz gekommen?
Kossendey: Ich denke, das macht keinen Sinn, in dieser Situation, in der Geiseln in der Hand von Kriminellen sind, darüber zu spekulieren, was in unseren Krisenstäben diskutiert worden ist. Das Interesse unseres Landes geht dahin, alle gefangen gehaltenen Geiseln unversehrt zu befreien und dabei langfristig auch die Kriminalität der Seeräuber einzudämmen. Einzelheiten sollten wir jetzt nicht öffentlich diskutieren.
Schütte: Was wird denn derzeit sonst noch unternommen, um die deutschen Seeleute auf der "Hansa Stavanger" zu befreien?
Kossendey: Zunächst einmal halten wir den Kontakt, sowohl mit den Geiselnehmern wie auch mit den Geiseln selber, und ich glaube, das ist auch psychologisch eine ganz wichtige Angelegenheit. Parallel dazu finden Gespräche statt mit den Stammesführern an Land, mit vielen anderen, um eine Lösung herbeizuführen, die den Geiseln, unabhängig ob sie deutsch sind oder nicht, eine unversehrte Heimkehr ermöglichen.
Schütte: Nun stellt sich die Frage, ob die Gewalt nach der US-Befreiungsaktion dennoch zunimmt. Das sagen ja auch selbst amerikanische Militärs. Ist Gewalt da eine Lösung, die weiterhilft?
Kossendey: Nein, ich sage es noch einmal: Wir werden den Krieg gegen die Piraterie schwerlich auf See allein gewinnen. Wir werden ihn nur langfristig gewinnen können, wenn wir an Land, in Somalia, eine Situation schaffen, in der dieses Land selber eben die Piraten verfolgen kann, selber diese Piraten bestrafen kann, indem an Land eine Situation geschaffen wird, in der Warlords, die sich dort gegenseitig bekämpfen, nicht mehr ihre Waffen aus den Lösegeldern der Piraterie bezahlen müssen. Und von daher glaube ich, dass die internationale Völkergemeinschaft, die Vereinten Nationen, darauf angewiesen sind, mit den somalischen Autoritäten, die sich jetzt gerade wieder bilden, so zusammenzuarbeiten, dass sie stark genug sind, vor Ort Ruhe und Ordnung in ihrem eigenen Land zu schaffen.
Schütte: An welchem Hebel könnte man da konkret ansetzen?
Kossendey: Da wird es natürlich darum gehen, dass wir helfen, Vermittlungsgespräche zwischen den drei großen Bürgerkriegsparteien in Somalia zu unterstützen, da wird es darum gehen, dass wir natürlich auch von der Völkergemeinschaft versuchen, Strukturen wieder aufzubauen im verwaltungsmäßigen, im juristischen, aber natürlich auch im Sicherheitsbereich. Und da wird es sicher auch darum gehen, den Menschen zu zeigen, dass der Weg ohne Gewalt in ihrem eigenen Land erfolgreicher sein kann als das seit 15 Jahren währende gegenseitige Hin- und Hermorden. Wir waren ja mit den Vereinten Nationen Anfang der 90er-Jahre schon einmal dort, haben allerdings offensichtlich nicht die richtigen Mittel und Wege gefunden, um die Menschen untereinander so in Kontakt zu bringen, dass sie diesen Bürgerkrieg beenden konnten.
Schütte: Jetzt haben Sie die Zeiträume schon einmal angesprochen. Worüber reden wir, wenn wir auf die zeitliche Perspektive schauen?
Kossendey: Wenn wir eine Befriedung in Somalia erreichen wollen, dann wird das sicher nicht von heute auf morgen möglich sein, dazu sind 15 Jahre Bürgerkrieg zu intensiv gewesen, haben zu tiefe Wunden geschlagen. Aber wenn wir damit nicht anfangen, werden wir nie zu einem Ende kommen, und da wünschte ich mir, dass die Internationale Gemeinschaft viel intensiver noch drangeht.
Schütte: Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und CDU-Politiker Thomas Kossendey. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Thomas Kossendey: Guten Morgen, Herr Schütte!
Schütte: Herrscht im Golf von Aden jetzt endgültig Krieg?
Kossendey: Zunächst einmal ist es ja nicht der Golf von Aden, sondern es ist ja die südöstliche Küste Somalias, das ist noch ein paar Hunderte von Kilometern davon entfernt, aber Krieg würde ich es nicht nennen. Es herrscht Kriminalität, die von kriminellen Banden ausgeübt wird und die mit polizeilichen und militärischen Mitteln bekämpft wird, und zwar auch unter Inkaufnahme, dass Menschenleben derer, die kriminell handeln, dabei gefährdet werden, wenn es darum geht, Menschen zu retten.
Schütte: War es denn richtig, eine Geisel zu befreien, wenn man dadurch das Leben anderer, auch möglicherweise deutscher Geiseln in Gefahr bringt?
Kossendey: Ich glaube nicht, dass die Zusammenhänge so eng sind, dass man davon reden kann, dass nach der Befreiung von Kapitän Phillips deutsche Geiseln konkret in Gefahr sind, aber die Situation hat sich dadurch natürlich verschärft, das muss man sagen.
Schütte: Bisher waren die Piraten ja an Lösegeld interessiert. Jetzt wollen sie Rache nehmen und gegebenenfalls auch Geiseln erschießen. Das könnte theoretisch doch die deutschen Geiseln auch betreffen.
Kossendey: Ich glaube, in dem deutschen Fall haben wir die Situation, dass wir sowohl mit den Geiselnehmern als auch mit den Geiseln in Kontakt stehen und ich gehe davon aus, dass das im Augenblick nicht die Lage ist, in der sich unsere deutschen Geiseln befinden.
Schütte: US-Präsident Obama hat Gewalt angeordnet im Kampf gegen Piraten. Ist das aus Sicht des deutschen Verteidigungsministeriums der richtige Weg?
Kossendey: Natürlich. Das Bundestagsmandat Atalanta, in dem wir die deutsche Marine als Parlament bevollmächtigt haben, an der EU-Operation teilzunehmen, beinhaltet ausdrücklich auch die Ausübung von Gewalt. Das Mandat umfasst das ganze Spektrum an Möglichkeiten, Piraterie zu bekämpfen, und ich glaube schon, dass man da nicht selektiv vorgehen kann. Wir müssen auch sehen, dass wir parallel dazu natürlich Anstrengungen unternehmen, die Situation in Somalia selber in den Griff zu bekommen. Ohne eine Befriedung der Lage an Land wird die Bekämpfung der Piraterie auf See schwerlich erfolgreich sein. Somalia ist seit 14 Jahren ohne Regierung, es gibt keine Strafverfolgungsbehörden, wir haben niemanden, mit dem wir an Land kooperieren können. Die Gespräche jetzt mit den Stammesführern sind vielleicht ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber wir müssen zum Beispiel der Übergangsregierung, die sich Anfang des Jahres in Somalia gegründet hat, auch von der Internationalen Gemeinschaft her mehr Unterstützung geben, damit die in ihrem eigenen Land für Ordnung sorgen kann. Denn das ist ja nicht das Interesse der somalischen Bevölkerung insgesamt, Kriminalität von ihrem Land ausgehend zu dulden.
Schütte: Herr Kossendey, Sie haben gesagt, Gewalt ist im Mandat, im Kampf gegen Piraterie inbegriffen. Noch einmal konkret nachgefragt - heißt das, wenn es die Situation erfordert, erschießen deutsche Spezialkräfte, Sicherheitskräfte auch Piraten?
Kossendey: Ich will jetzt über das konkrete Vorgehen in Einzelfällen nicht spekulieren, das ist Sache des Krisenstabes, Sache der Verantwortlichen vor Ort. Aber das Mandat, das der Bundestag beschlossen hat, enthält ausdrücklich auch die Möglichkeit zur Gewaltanwendung, auch mit dem Risiko, dass Kriminelle dabei körperlich Schaden nehmen.
Schütte: Wir haben gehört, dass der Krisenstab des Auswärtigen Amtes eine gewaltsame Befreiung der "Hansa Stavanger" erwogen hat und zwar durch die Eliteeinheit der Bundespolizei GSG 9. Medienberichten zufolge war ein Vorauskommando schon unterwegs. Warum ist es dann doch nicht zu einem Einsatz gekommen?
Kossendey: Ich denke, das macht keinen Sinn, in dieser Situation, in der Geiseln in der Hand von Kriminellen sind, darüber zu spekulieren, was in unseren Krisenstäben diskutiert worden ist. Das Interesse unseres Landes geht dahin, alle gefangen gehaltenen Geiseln unversehrt zu befreien und dabei langfristig auch die Kriminalität der Seeräuber einzudämmen. Einzelheiten sollten wir jetzt nicht öffentlich diskutieren.
Schütte: Was wird denn derzeit sonst noch unternommen, um die deutschen Seeleute auf der "Hansa Stavanger" zu befreien?
Kossendey: Zunächst einmal halten wir den Kontakt, sowohl mit den Geiselnehmern wie auch mit den Geiseln selber, und ich glaube, das ist auch psychologisch eine ganz wichtige Angelegenheit. Parallel dazu finden Gespräche statt mit den Stammesführern an Land, mit vielen anderen, um eine Lösung herbeizuführen, die den Geiseln, unabhängig ob sie deutsch sind oder nicht, eine unversehrte Heimkehr ermöglichen.
Schütte: Nun stellt sich die Frage, ob die Gewalt nach der US-Befreiungsaktion dennoch zunimmt. Das sagen ja auch selbst amerikanische Militärs. Ist Gewalt da eine Lösung, die weiterhilft?
Kossendey: Nein, ich sage es noch einmal: Wir werden den Krieg gegen die Piraterie schwerlich auf See allein gewinnen. Wir werden ihn nur langfristig gewinnen können, wenn wir an Land, in Somalia, eine Situation schaffen, in der dieses Land selber eben die Piraten verfolgen kann, selber diese Piraten bestrafen kann, indem an Land eine Situation geschaffen wird, in der Warlords, die sich dort gegenseitig bekämpfen, nicht mehr ihre Waffen aus den Lösegeldern der Piraterie bezahlen müssen. Und von daher glaube ich, dass die internationale Völkergemeinschaft, die Vereinten Nationen, darauf angewiesen sind, mit den somalischen Autoritäten, die sich jetzt gerade wieder bilden, so zusammenzuarbeiten, dass sie stark genug sind, vor Ort Ruhe und Ordnung in ihrem eigenen Land zu schaffen.
Schütte: An welchem Hebel könnte man da konkret ansetzen?
Kossendey: Da wird es natürlich darum gehen, dass wir helfen, Vermittlungsgespräche zwischen den drei großen Bürgerkriegsparteien in Somalia zu unterstützen, da wird es darum gehen, dass wir natürlich auch von der Völkergemeinschaft versuchen, Strukturen wieder aufzubauen im verwaltungsmäßigen, im juristischen, aber natürlich auch im Sicherheitsbereich. Und da wird es sicher auch darum gehen, den Menschen zu zeigen, dass der Weg ohne Gewalt in ihrem eigenen Land erfolgreicher sein kann als das seit 15 Jahren währende gegenseitige Hin- und Hermorden. Wir waren ja mit den Vereinten Nationen Anfang der 90er-Jahre schon einmal dort, haben allerdings offensichtlich nicht die richtigen Mittel und Wege gefunden, um die Menschen untereinander so in Kontakt zu bringen, dass sie diesen Bürgerkrieg beenden konnten.
Schütte: Jetzt haben Sie die Zeiträume schon einmal angesprochen. Worüber reden wir, wenn wir auf die zeitliche Perspektive schauen?
Kossendey: Wenn wir eine Befriedung in Somalia erreichen wollen, dann wird das sicher nicht von heute auf morgen möglich sein, dazu sind 15 Jahre Bürgerkrieg zu intensiv gewesen, haben zu tiefe Wunden geschlagen. Aber wenn wir damit nicht anfangen, werden wir nie zu einem Ende kommen, und da wünschte ich mir, dass die Internationale Gemeinschaft viel intensiver noch drangeht.
Schütte: Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und CDU-Politiker Thomas Kossendey. Ich danke Ihnen für das Gespräch!