Fischer-Solms: Herr Bierhoff, das Länderspieljahr 2008 endete mit einer 1:2-Niederlage gegen England, das Länderspieljahr 2009 begann mit einer 0:1-Niederlage gegen Norwegen. Jetzt am kommenden Samstag in Leipzig das Weltmeisterschafts-Qualifikationsspiel gegen Lichtenstein: Die Fans bangen, kann die deutsche Fußballauswahl noch gewinnen?
Bierhoff: Wir können gewinnen und wir werden gewinnen. Ich meine, das Schöne ist, dass es jetzt wirklich ein Qualifikationsspiel ist und kein Freundschaftsspiel, wobei das keine Entschuldigung sein soll, zwei Spiele in Folge zu verlieren. Wir haben eigentlich das Jahr schlecht beendet und auch schlecht angefangen, nicht nur wegen der Ergebnisse, sondern natürlich auch in der Art und Weise, wie wir gespielt haben. Damit haben die Trainer sich beschäftigt. Wir wissen natürlich auch, dass ein Qualifikationsspiel etwas Besonderes ist. Und der Druck ist ja da, wir wollen gerade in der Gruppe weiter Tabellenführer bleiben und uns gegen die Russen, wenn möglich, weiter absetzen. Und deswegen gehe ich fest davon aus, dass diese beiden Spiele von uns erfolgreich gestaltet werden.
Fischer-Solms: Zwei Heimniederlagen in Folge, das hat es zuletzt 1956 gegeben. Wenn ich richtig gerechnet habe, war das zwölf Jahre, bevor Sie geboren wurden.
Bierhoff: Ja, also ich kann das nur auf dem Papier nachkontrollieren, ich habe ja selber nicht erlebt, es ist mir auch nicht so bewusst gewesen. Es ist so eine lange Zeit, dass wir zwei Heimspiele hintereinander nicht verloren haben. Das muss uns jetzt nicht unnötig beunruhigen, eher müssen wir die Spiele nüchtern und sachlich analysieren, die Fehler erkennen und die natürlich dann versuchen abzustellen.
Fischer-Solms: Gegen Norwegen gab es gellende Pfiffe vom eigenen Publikum. Das war ein völlig neues Gefühl, das tut weh.
Bierhoff: Es ist immer ärgerlich, man ist auch enttäuscht - erstmal über die eigene Leistung und die Niederlage, aber natürlich auch, dass man die Zuschauer und die vielen Fans, die teils von weit herkommen, die auch viel für ein Ticket zahlen, nicht zufrieden stellen konnte. Ich denke, wir haben - seitdem ich zumindest da bin, seit 2004 - die Fans in vielen Dingen auch verwöhnt, gerade bei Heimspielen natürlich immer wieder tolle Leistungen gezeigt, begeisternden Fußball. Das ist auch unser Anspruch, und da ist es natürlich verständlich, dass dann auch mal bei schwächeren Leistungen oder wenn auch diese Euphorie, diese Freude nicht rüber kommt, dass da eine Enttäuschung ist, die sich auch in Pfiffen zum Ausdruck bringt. Aber das ist halt etwas, dem wir uns stellen müssen und wenn möglich, immer gute Spiele zeigen müssen.
Fischer-Solms: Der Bundestrainer fordert mit Hinblick auf die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika: Jeder Spieler muss alles für den Erfolg mobilisieren, "wir sind eine Hochleistungsgesellschaft". Finden Sie, dass der Fußballer die Hochleistungsgesellschaft repräsentiert?
Bierhoff: Ja, auf jeden Fall. Ich meine, er wird danach bewertet, und ich glaube, es gibt kaum einen Beruf - vielleicht den noch des Politikers -, der so in der Öffentlichkeit steht und auch so, sagen wir mal, sich offen der Kritik der gesamten Bevölkerung stellt, vor allen Dingen natürlich als Nationalspieler. Um auf internationalem Niveau zu bestehen, müssen wir Höchstleistungen bringen, und die Aussage des Bundestrainers ist dahin zu interpretieren, dass er nicht nur in der Zeit, wenn die Spieler bei uns sind, wir von den Spielern diese Konzentration und den Einsatz für ihren Job verlangen, sondern natürlich auch in den vielen, vielen Tagen, wo wir sie nicht zur Verfügung haben. Das ist immer wieder unser Aufruf. "Sei dein eigener Coach" - das ist der Spruch, den wir den Spielern mitgeben, dass sie ständig an sich arbeiten müssen, um sich zu verbessern. Denn sonst haben wir keine Chance, zu bestehen.
Fischer-Solms: Der Fußballer als Hochleistungssportler? Der gemeine Fan sieht das ja gelegentlich anders. Er ärgert sich über die hochbezahlten Stars und über das Missverhältnis von Leistung und Ertrag.
Bierhoff: Das ist immer wieder ein Problem. Ich meine, das ist auch kein Problem, das seit gestern da ist, sondern es besteht schon seit Ewigkeiten, eigentlich, seitdem es beim Fußball auch mehr Prämien gab, teils auch schon seit Beckenbauers Zeiten oder auch davor, als die ersten Spieler dann mal ins Ausland gegangen sind. Das ist verständlich, und es ist natürlich auch immer wieder schwer, dem gemeinen Fan das deutlich zu machen, wenn dort Höchstsummen bezahlt werden.
Auf der anderen Seite sind natürlich auch die Spieler Menschen. Im Fußball hängt es von vielen, vielen Faktoren ab, ob eine Leistung erbracht wird, ob der Erfolg kommt. Den kann man so jetzt nicht immer garantieren, wie den Ausstoß von einer Maschine. Was natürlich garantiert werden muss und was immer ganz wichtig ist, und da fehlt es dann doch hin und wieder, ist die Einsatzbereitschaft, der Wille zum Siegen und auch der Wille, sein Bestes für den Tag zu geben. Mehr kann man eigentlich auch vom Menschen dann in dem Moment nicht verlangen.
Fischer-Solms: Der Rückhalt bei der Bevölkerung ist dem Deutschen Fußballbund sehr wichtig - die DFB-Führung spricht vom "verspieltem Kredit".
Bierhoff: Ja, das eine ist natürlich, was der DFB als Gesamtverband für den Fußball tut, für die 27.000 Vereine. Man darf nicht vergessen, dass natürlich die Haupteinnahmen und der Großteil des Geldes durch die Nationalmannschaft erspielt werden - durch die Fernsehgelder, durch die Vermarktung. Da werden wir schon unserer gesellschaftlichen Aufgabe gerecht, das müssen wir immer wieder auch mit Kampagnen, mit Aktionen für die Vereine, aber auch für soziale Projekte untermauern. Der Kredit war eher sicher in der Hinsicht zu sehen, dass wir durch die EM 2008 - ich sage immer "das Sommermärchen reloaded" - eine unglaubliche Euphorie bei den Menschen hervorgerufen haben.
Wenn wir überlegen: 2004 haben wir das Amt übernommen, da wollte fast kein Spieler Nationalspieler sein, die Nationalspieler wurden nur noch als "Millionaries" bezeichnet, es gab keine Bindung zwischen den Fans und der Mannschaft. Und da ist natürlich durch die tollen Leistungen in den letzten viereinhalb Jahren einfach wieder etwas ganz Tolles, Riesiges aufgebaut worden, und das dürfen wir natürlich jetzt nicht durch leichtsinnige Aktionen verspielen. Durch diese beiden Niederlagen, gerade in Heimspielen, ist es so ein bisschen angekratzt, aber ich bin davon überzeugt: Wenn wir jetzt in der Qualifikation wieder gute Spiele zeigen, wenn wir jetzt bei den Heimspielen auch wieder guten Fußball spielen, dann sind die Fans auch ganz nahe wieder bei uns.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, für diesen Bundestrainer steht die erste wirkliche Bewährungsprobe ja bevor - bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Gibt es für Löw gegenüber den Spielern ein Autoritätsproblem?
Bierhoff: Nein, überhaupt nicht. Ich denke auch schon, eine EM nach dieser erfolgreichen WM 2006 war für ihn schon ein ganz schwieriger Test. Auch dort schon stand er schon während des Turniers stark unter Druck, und man hat, glaube ich, immer wieder gemerkt, dass die Mannschaft ihm folgt. Da hatte er überhaupt kein Autoritätsproblem. Es war eine kurze Phase mit dem Thema "Ballack - Frings" - in dieser Auseinandersetzung, die leider öffentlich ausgetragen wurde, in der der Eindruck vielleicht entstanden ist, dass es diese "heile Welt Nationalmannschaft", die ja doch immer auch vermittelt wurde, nicht gibt.
Ich kann aber sagen: Die Atmosphäre in der Nationalmannschaft ist sehr gut, die Stimmung ist sehr gut. Wir sind auch ein kleiner Mikrokosmos, wie eine Familie, auch dort gibt es mal Unstimmigkeiten, gibt es Streitigkeiten, gibt es Meinungsverschiedenheiten. Aber ich glaube, auch in der Situation hat der Trainer Jogi Löw ganz klar gezeigt, wer das Sagen hat, wer die Entscheidungen trifft. Und das ist jetzt auch in die richtigen Bahnen gelenkt.
Fischer-Solms: Sie sagen, " die heile Welt Nationalmannschaft" gibt es einfach nicht, das muss man so akzeptieren?
Bierhoff: Ja, ich gehe mal davon weg, dass es Schwarz-Weiß-Malerei gibt. Wir haben eine sehr homogene Mannschaft, wir haben eine sehr gute Stimmung in der Mannschaft, die auch ein Ziel verfolgt. Und wir haben natürlich auch in dieser Mannschaft mal Unzufriedene, wir haben auch manchmal Spieler da, die mit der Entscheidung des Trainers nicht einverstanden sind oder die vielleicht auch mit Kollegen aneinander rasseln. Für uns war es immer wichtig, dass wir - und das haben wir den Spielern immer vorgegeben - respektvoll miteinander umgehen, dass wir immer die Mannschaft in den Vordergrund stellen, egal, welche Entscheidung auch getroffen wird. Und das ist eigentlich in den meisten Fällen auch befolgt worden.
Fischer-Solms: Michael Ballack, der Kapitän, hat sich öffentlich entschuldigt nach seine Personalkritik am Trainer. Aber er hat dann in einem nachgeschobenen Interview diese Entschuldigung zumindest halbiert. Es wäre ja nicht das erste Mal in der Geschichte der Fußballnationalmannschaft, dass zeitweise ein Spieler das Kommando übernimmt. Das hat's schon mal gegeben.
Bierhoff: Ja, das Kommando übernehmen - das finde ich jetzt übertrieben. Aber er ist natürlich als Kapitän und Führungsspieler besonders gefordert, das fordern wir auch ein. Es gab Unstimmigkeiten über die Meinung und auch über die Art und Weise, wie es vorgetragen wurde. Das ist geklärt worden. Es ist natürlich immer wieder so, dass in Interviews danach - ob das der Trainer oder der Spieler ist, gefragt wird und man das dann wieder am Hals hat - etwas hineininterpretiert wird.
Fakt ist für uns, und das ist eigentlich auch in den letzten Zusammentreffen so gewesen, dass auch das Verhältnis "Ballack - Löw" und "Ballack - Bierhoff" absolut in Ordnung ist und er sich auch in den Dienst der Mannschaft stellt, aber weiterhin natürlich als Kapitän auch gewisse Reizpunkte setzen wird und darf.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, nach diesem kommenden Doppelspieltag in der WM-Qualifikation, also Samstag gegen Lichtenstein in Leipzig, dann am Mittwoch in Cardiff gegen Wales, geht die Nationalmannschaft auf eine interessante Auslandstournee Ende Mai, zunächst nach Shanghai und dann nach Dubai. Das sieht ja so aus, als habe der studierte Wirtschaftsökonom Oliver Bierhoff diese Partner, nämlich China und die Vereinigten Arabischen Emirate, ausgesucht?
Bierhoff: Der wirtschaftliche Aspekt spielt natürlich schon eine Rolle. Wir haben einige Anfragen natürlich von anderen Nationen. Wir hatten mit China noch eine lange Verpflichtung aus alten Tagen, die wir erfüllen mussten, aber der wir natürlich dankbar sind, dass wir dort die DFL, die Liga mit ins Boot holen konnten. Sie hat auch Interesse natürlich bei der Auslandsvermarktung ihrer Mannschaften, dort neue Territorien zu erobern, wenn man das so sagen kann. Und da hilft selbstverständlich das Flaggschiff, das Aushängeschild, die Nationalmannschaft zu nutzen. Also wir werden diese Reise natürlich als sportlichen Test nutzen, der Bundestrainer wird auf einige Spieler verzichten müssen - diejenigen, die im Pokalfinale stehen oder auch U-21-Nationalspieler, die bei der EM in Schweden sind. Und wir werden aber natürlich auch die Zeit nutzen, um dort Kontakte zu pflegen, um uns zu präsentieren und eventuell auch den deutschen Fußball, der ja doch eigentlich im asiatischen Raum oder auch im anderen Ausland doch ein bisschen unterrepräsentiert ist gegenüber der englischen oder der italienischen und spanischen Liga, dort noch ein bisschen zu stärken.
Fischer-Solms: China und die Arabischen Emirate - Kann der Fußball der Politik helfen, Terrain zu gewinnen beziehungsweise der Wirtschaft, mehr Fuß zu fassen?
Bierhoff: Das denke ich auf jeden Fall. Man hat ja gesehen, welche Bedeutung oder welche Wirkung auch eine gelungene Weltmeisterschaft als Organisation in der Welt bewirkt hat. Die Olympischen Spiele sind da auch gute Beispiele, wie man ein anderes Bild von einem Land bekommt. Und wenn wir so als Nationalmannschaft auftreten - und das wird auch den Spielern immer mitgegeben -, sind wir Repräsentanten unseres Landes. Ich möchte jetzt nicht den Rang des Bundespräsidenten nehmen, aber es schauen natürlich viele Augen drauf, vielleicht mehr, als bei einem hohen Staatsbesuch. Und dessen müssen wir uns bewusst werden, da müssen wir Sympathien schaffen. Und ich glaube, wenn wir diese Sympathie als Sportler gewinnen können und damit auch zeigen, dass Deutschland ein schönes Land ist, werden es auch die Wirtschafts- oder Politikvertreter einfacher haben.
Fischer-Solms: Gelegentlich hat man den Eindruck, dass der wirtschaftliche Erfolg dem deutschen Fußball wichtiger ist als der sportliche.
Bierhoff: Zumindest, was den Verband angeht, werden viele Entscheidungen, die im Präsidium getroffen werden, nicht nutzenmaximiert für die Wertschöpfung, für den finanziellen Erfolg angedacht, sondern wirklich wird da auch der soziale Aspekt gesehen, auch der Solidaritätsaspekt mit unseren Landesverbänden, mit anderen Sportverbänden. Insofern sehe ich das zumindest bei uns nicht so. Aber die Diskussion im Fußball geht natürlich häufig in diese Richtung, wenn ich das im Allgemeinen sehe - wie überall in dem Bereich: Wir brauchen mehr, wir müssen wachsen, wir wollen mehr noch in diesen Sport investieren. Und daher ist es immer wichtig, dass dieser Eindruck nicht entsteht, dass das Geld alleine regiert.
Fischer-Solms: Aber wie stehen Sie zur Zersplitterung des Bundesliga-Spielkalenders ab der neuen Saison? Der für Amateure immer "heilige Sonntagnachmittag" wurde dem Bezahlfernsehen geopfert. Die Fußballbasis murrt, zum Teil protestiert sie heftig. Haben Sie Verständnis?
Bierhoff: Ich habe Verständnis dafür, aber ich denke, die Diskussion wird nicht sachlich geführt sondern sehr emotional, denn wenn man dann genau analysieren würde, in wie vielen Fällen es denn wirklich auch zu einem Problem für diese Amateurvereine wird, dann wäre dieser Aufschrei gar nicht so groß. Das ist eher gering. Ich glaube, es geht um 20 Spiele im ganzen Jahr. Und wenn man das mal auf ganz Deutschland verteilt, glaube ich nicht, dass, sagen wir mal, ein Kieler Amateurverein Probleme hat, wenn in Unterhaching irgendwie noch gespielt wird oder irgendwo in Bayern. Aber es ist natürlich ein emotionaler Aspekt.
Man muss natürlich einfach auch sehen, dass die Landesverbände letztendlich auch Geld von der Fernsehvermarktung der Liga bekommen durch den Grundlagenvertrag. Also es ist nicht nur eine einfache Entscheidung Ja oder Nein, sondern es hängt natürlich von vielen Faktoren ab. Als Fan - und das habe ich ja in Italien schon miterlebt - mag ich eigentlich diese zerrissenen Spieltage auch nicht. Irgendwo geht so ein bisschen diese Spannung verloren, wo man früher wusste, man setzt sich an einem Nachmittag hin und hat eigentlich alle Spiele gesehen. Insofern hängt man natürlich an diesen alten Gegebenheiten.
Aber man muss natürlich auch sehen, dass da jetzt wirklich finanzielle Interessen da sind. Die Liga hat durch die Entscheidung des Kartellrechts Probleme mit der Fernsehvermarktung bekommen. Sie kriegt schon weniger Geld. Und selbst das kann sie eigentlich nur erwirtschaften, wenn sie das Produkt oder den Spieltag interessanter für das Pay-TV macht. Also ist das eher eine gezwungene Maßnahme, um einfach auch finanziell zu überleben.
Fischer-Solms: Sie sind ja einer der internationalsten deutschen Nationalspieler. Sie haben lange im Ausland gespielt, in Österreich, sehr lange in Italien, in Monaco, interessanterweise nicht auf der Insel, in England. Dort spielt ja das Pay-TV eine viel größere Rolle als in Deutschland. Und dennoch schützen sie ihre Amateure mit dem geheiligten Samstagnachmittag. Es geht also.
Bierhoff: Es geht schon, ja. Ich denke, wir haben ja auch gewisse Uhrzeiten, wo wir dann sagen, da muss dann der Amateurverein spielen können. Jedes Land hat so seine Eigenarten. Es geschehen viele Diskussionen und Gespräche, auch bei uns im Präsidium, zwischen den Ligavertretern und den Amateurvertretern. Wir müssen immer wieder da hin kommen, dass wir gemeinsam diesen Weg gehen, dass wir auch an alle denken, dieses Solidaritätsprinzip, das in Deutschland immer sehr stark gefahren wird, und dass darauf geachtet wird. Aber ich glaube schon, dass wir alle wissen, was wir den Amateurvereinen und dem Amateurfußball zu verdanken haben.
Fischer-Solms: Grundsätzlich kritisiert wird ja eine Politik fortdauernder Ertragssteigerung, und dass der Kunde sich mit dem, was ihm da vorgesetzt wird, dem Fußballfreund, womöglich nicht mehr richtig identifizieren kann. Ist das nicht doch eine Gefahr, ein Risiko?
Bierhoff: Es ist eine Gefahr. Man muss natürlich einmal festhalten, dass so billig, wie man in Deutschland Fußball schauen kann, werden Sie es in ganz Europa eigentlich nicht sehen, zumindest jetzt in den Spitzenligen nicht. Ob das England, Italien oder Spanien ist, die Ticketpreise sind um das drei- oder vierfache höher, das Pay-TV ist teilweise teurer, teilweise sieht man die Spiele nur im Pay-TV.
Das ist ja bei uns immer anders gewährleistet. Also, ich glaube, dass letztendlich auch die Vereine sehr sozialverträglich versuchen, auch ihre Fans zu bedienen. Ich glaube, bei Bayern München gibt es auch schon eine Dauerkarte für 150 - 160 Euro im Jahr für die 17 Spiele. Aber es ist natürlich schon so, dass wir auch immer wieder darauf achten müssen, dem Fan nicht das Gefühl zu geben, dass er ausgenutzt wird, dass er immer mehr geben muss und letztendlich nicht mehr bekommt. Also, diese Möglichkeiten oder dieses Gefühl muss man schon ihm überlassen.
Fischer-Solms: Bayern-Manager Ulli Hoeness denkt an einen Solibeitrag für die Bundesliga von zwei Euro monatlich. Das wären bei 37 Millionen Haushalten dann ungefähr 900 Millionen Euro. Dafür hätten ARD und ZDF - sagt Hoeness - dann alle Fußballrechte. Wie denken Sie darüber?
Bierhoff: Es ist ein ein bisschen provokanter Vorschlag. Da halte ich eigentlich jetzt nicht so viel davon. Ich denke, man muss sich da auch an dem Markt orientieren, was möglich ist. Natürlich wird sich jeder wünschen, dass, sagen wir mal, die Vertreter von Wirtschaft oder vom Fernsehen mehr zahlen können, teilweise in den Vergleichen zu den anderen internationalen Ligen noch was drauflegen könnten. Aber ich würde da jetzt keinen Solibeitrag, ähnlich wie der Kohlepfennig oder was auch immer, den Zuschauern zumuten wollen.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, der Fußball, dieser so überschaubare und einfache Volkssport, war ja für lange Zeit für viele einfach so ein Ort der Glückseligkeit. Es war alles überschaubar, es war wenig kompliziert, alles war so klar. Die Zeiten scheinen offenbar ein für alle Mal vorbei zu sein, oder?
Bierhoff: Sie ändern sich und man vergisst manchmal auch natürlich die schlechten Zeiten. Es gab auch schon mal Wettskandale in den 70er Jahren, neue Spielbetrüge und es gab Insolvenzen von Vereinen - und Theater, Bauherrenmodelle und was auch immer. Ich glaube, das wird dann auch immer wieder vergessen. Ich glaube, der Fußball ist einen guten Weg zur Professionalisierung auch im Management gegangen, in der Arbeit mit den Spielern.
Wenn wir schauen, welchen Service, welchen Luxus mittlerweile die Zuschauer auch in den Stadien haben, und das ist natürlich auch ein Grund, weshalb diese Stadien voll sind, weil es überall überdachte Plätze gibt, weil die Anfahrt gut ist, weil auch die Sitzplätze bequem sind, das sind alles sehr, sehr positive Effekte. Was mich eher so ein bisschen bedrücken würde, wäre eher, sagen wir mal, das was dann innerhalb der Mannschaft passiert, dass eine Identifikation verloren geht. Und insofern, obwohl ich eher liberal bin und auch den Europagedanken liebe, denke ich, wäre diese Regelung von 6 + 5 gerade im Sport doch noch eine interessante Initiative, um einfach wieder eine höhere Identifikation der Spieler, aber auch der Fans mit den Mannschaften zu erwirken.
Fischer-Solms: Sechs plus fünf, das heißt also, mindestens sechs deutsche Spieler, die auf dem Spielberichtsbogen stehen, - eine Initiative, die sehr stark diskutiert wird, die aber natürlich gegen das Bosmann-Urteil des Europäischen Gerichtshofs steht.
Bierhoff: Ja, das ist halt das Problem. Das Europarecht steht noch dagegen. Wir hoffen auf eine Sonderstellung, oder ich würde auf eine Sonderstellung des Sports beziehungsweise des Fußballs hoffen. Ich habe ja auch im Ausland selber gespielt. Und die Identifikation, die Bindung ist dann doch etwas geringer, als wenn man in seinem Heimatland spielt oder vielleicht noch in seiner Heimatstadt. Und ich glaube einfach, auch wenn ich sonst den Europagedanken sehr pflege, dass es schön wäre, wenn die Mannschaft Arsenal gegen Bayern München spielt, dass es auch dann wieder so ein bisschen ein englisch-deutsches Duell wäre, denn zur Zeit ist es alles andere als ein solches.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, wir haben im Fußball Erscheinungen - Sie haben es selbst aufgezählt, wie Kommerz, Korruption. Wir haben merkwürdige Verflechtungen, wenn wir nach Bremen schauen, von Vereinsfunktionären, die sich in Spielertransfers finanziell einschalten. Hat der Fußball auch ein Doping-Problem?
Bierhoff: Aus meiner Zeit kann ich sagen: Auf keinen Fall. Aber wenn man sich natürlich mit Doping-Experten unterhält, muss man immer wieder damit rechnen, dass so etwas auftreten kann. Mir ist es nie vorgekommen, ich habe es nie gesehen, ich habe es irgendwo auch nie mitbekommen. Vielleicht ist es mal möglich, dass es den einen oder anderen Spieler gibt, der lange verletzt ist, der auf eigene Initiative hin so verrückt ist, so etwas zu starten. Aber unabhängig dieser klaren Verneinung meiner Aussage müssen wir als Fußballverantwortliche auch in diesem Fall vorne weg gehen. Das ist eine Veränderung, auch für die Spieler, dort viele Angaben zu machen, auch offen zu sein. Aber wir müssen dort, gerade auch wir, die wir in der Öffentlichkeit stehen, mit gutem Beispiel vorangehen, die Regeln mehr als einhalten, sie unterstützen, um dann einfach auch zu zeigen, dass Doping im Fußball wirklich kein Thema ist.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat geschrieben, "der bedeutendste deutsche Sportverband hat schon mal ein besseres Bild abgegeben", sie verweist dann auf die Konfrontation zwischen Bundestrainer und seinem Kapitän und auch auf die persönliche Fehde des DFB-Präsidenten mit dem Journalisten Weinreich, der ihn ja aus aktuellem Anlass als Demagogen bezeichnet hatte. Die FAZ folgert, "der Vorwurf mache die Runde, nach den fetten Jahren des steten wirtschaftlichen und sportlichen Aufschwungs habe sich an der DFB-Spitze Realitätsverlust breit gemacht." So mancher nehme sich einfach zu wichtig. Die FAZ gehört ja nun nicht zu den Blättern, die immer sehr kritisch mit dem DFB umspringen.
Bierhoff: Das kann sein. Ich meine, wir haben natürlich die WM 2006 als Höhepunkt gehabt. Und darauf hat sich natürlich vieles fokussiert. Da war viel Begeisterung da und jetzt sind wir auch wieder in der Entwicklung, um mit diesen Themen weiter voran zu gehen. Ich kann das nicht unterstützen, ich merke halt immer wieder in den Diskussionen, im Präsidium, mit dem Präsidenten, mit dem Generalsekretär, dass da sehr verantwortungsvoll damit umgegangen wird. Im Gegenteil, wir machen sehr viele Projekte sogar noch, um einfach deutlich zu machen, dass wir an die Allgemeinheit denken. Also, das sehe ich nicht so. Sicherlich gab es Momente, wo wir uns als Mannschaft oder als Verantwortliche der Nationalmannschaft, vielleicht auch mal als Verband, nicht glücklich dargestellt haben, Diskussionen in der Öffentlichkeit ausgetragen haben. Aber das lässt sich dann eben manchmal auch in diesen Bereichen gar nicht vermeiden.
Fischer-Solms: Es gibt ja auch den Vorwurf, der DFB stürze sich sehr stark auf gesellschaftspolitische Anliegen, nur der Fußball selbst komme ein bisschen zu kurz. Sie selbst engagieren sich sehr stark für Integrationsaufgaben.
Bierhoff: Ja, wir machen auch mit unserem Partner Mercedes Benz den Integrationspreis, um das einfach zu unterstützen. Ich glaube, man muss ein gutes Maß finden. Das findet man auch nicht immer linear, das gibt es mal mehr, mal weniger. Das hängt auch immer ein bisschen von den Einnahmen ab. Hauptaufgabe von uns ist natürlich, den Sport, den Fußball zu organisieren in unseren 27.000 Vereinen, in den Jugend-Nationalmannschaften, in der Trainerausbildung, Schiedsrichterausbildung und so weiter. Aber darüber hinaus haben wir natürlich auch als vermögender Verband, der wir nun mal sind, die Aufgabe, dieses Glück nicht nur den Vereinen weiter zu geben, sondern eben auch sozial Benachteiligten, und den Fußball zu nutzen, um Themen, die gesellschaftspolitisch wichtig sind, voran zu treiben. Und ich glaube, es gibt kein besseres Transportmittel als den Sport oder den Fußball, um zum Beispiel Integration voran zu treiben. Und das spüren wir einfach. Und deswegen ist uns diese Aufgabe sehr wichtig.
Fischer-Solms: Wenn ein Jung-Nationalspieler wie Mesut Özil von Werder Bremen, der noch keine 21 Jahre alt ist, wenn der am kommenden Samstag im Osten Deutschlands, im Leipziger Zentralstadion, für die deutsche Nationalmannschaft mit dem Adler auf der Brust aufläuft, was bedeutet das gesellschaftspolitisch?
Bierhoff: Es ist schon eine sehr wichtige Rolle, die er dort übernommen hat. Er ist ja nicht der einzige Spieler mit Migrationshintergrund. Wir haben mittlerweile viele. Wir haben früher immer über die Franzosen gesprochen, die natürlich mit ihren Afrikanern viel Migrantenhintergrund haben. Wir haben jetzt mittlerweile Miroslav Klose mit polnischem Migrationshintergrund, Podolski, Gómez spanisch, Serdar Tasci, auch türkisch, und wir wissen auch, wie schwer es für diese jungen Spieler ist, dies teilweise familiär auch durchzusetzen oder zu diskutieren. Teilweise sind die Eltern noch sehr stark mit der Türkei verbunden. Und wir verstehen natürlich auch, dass bei den Spielern so ein bisschen zwei Herzen schlagen. Aber für uns ist immer wichtig ein klares Bekenntnis zur deutschen Nationalmannschaft, ein klares Bekenntnis zu Deutschland. Und damit können sie eigentlich auch ein klares Zeichen für die vielen anderen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland geben, zu zeigen: Ja, wir haben zwar andere Hintergründe, aber wir wollen uns hier integrieren und wir setzen uns auch für dieses Land ein.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, am 14. Oktober dieses Jahres spielt Deutschland gegen Finnland. Es ist der Schlusspunkt der Weltmeisterschaftsqualifikation. Wird Deutschland in Südafrika bei der WM dabei sein?
Bierhoff: Diese Frage kann ich mit einem klaren Ja beantworten. Es ist eigentlich Pflicht für die deutsche Nationalmannschaft und wir werden alles dafür geben und hoffen natürlich, diese Qualifikation für die WM auch direkt im Oktober zu schaffen.
Fischer-Solms: Und das bedeutet, dass Sie auch für den Samstag in Leipzig optimistisch sein müssen?
Bierhoff: Ich muss nicht optimistisch sein, sondern ich bin optimistisch. Ich meine, wir spielen gegen Liechtenstein. Das ist jetzt auch kein Riese. Da müssen wir natürlich sehr gut spielen und uns gut vorbereiten, denn auch das Spiel in Wales, in Cardiff, wird nicht einfach.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, in Ihrer Jugend in Essen waren sie bei den Dom-Singknaben. Richtig?
Bierhoff: Ja.
Fischer-Solms: Warum ist kräftiges Mitsingen bei der Nationalhymne für die Spieler Pflicht?
Bierhoff: Es ist Pflicht, um einfach auch nach außen zu zeigen, dass sie sich mit der Nationalmannschaft verbunden fühlen, dass sie hier das Land vertreten, und auf der anderen Seite ist es auch noch mal eine gute Gelegenheit, um den letzten Druck, der vor so einem Spiel noch da ist, noch mal raus zu lassen.
Fischer-Solms: Darf man nicht in Andacht und Ergriffenheit sich still konzentrieren?
Bierhoff: Das geht auch. Es gibt ja den einen oder anderen Spieler, der ein bisschen zaghaft mitsingt. Das würde ich jetzt auch keinem verwehren. Aber ich denke eigentlich, als Bild und auch am Fernseher ist es natürlich schön, wenn man sieht, dass alle die Hymne mitsingen.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, besten Dank für das Gespräch.
Bierhoff: Ja, vielen Dank.
Bierhoff: Wir können gewinnen und wir werden gewinnen. Ich meine, das Schöne ist, dass es jetzt wirklich ein Qualifikationsspiel ist und kein Freundschaftsspiel, wobei das keine Entschuldigung sein soll, zwei Spiele in Folge zu verlieren. Wir haben eigentlich das Jahr schlecht beendet und auch schlecht angefangen, nicht nur wegen der Ergebnisse, sondern natürlich auch in der Art und Weise, wie wir gespielt haben. Damit haben die Trainer sich beschäftigt. Wir wissen natürlich auch, dass ein Qualifikationsspiel etwas Besonderes ist. Und der Druck ist ja da, wir wollen gerade in der Gruppe weiter Tabellenführer bleiben und uns gegen die Russen, wenn möglich, weiter absetzen. Und deswegen gehe ich fest davon aus, dass diese beiden Spiele von uns erfolgreich gestaltet werden.
Fischer-Solms: Zwei Heimniederlagen in Folge, das hat es zuletzt 1956 gegeben. Wenn ich richtig gerechnet habe, war das zwölf Jahre, bevor Sie geboren wurden.
Bierhoff: Ja, also ich kann das nur auf dem Papier nachkontrollieren, ich habe ja selber nicht erlebt, es ist mir auch nicht so bewusst gewesen. Es ist so eine lange Zeit, dass wir zwei Heimspiele hintereinander nicht verloren haben. Das muss uns jetzt nicht unnötig beunruhigen, eher müssen wir die Spiele nüchtern und sachlich analysieren, die Fehler erkennen und die natürlich dann versuchen abzustellen.
Fischer-Solms: Gegen Norwegen gab es gellende Pfiffe vom eigenen Publikum. Das war ein völlig neues Gefühl, das tut weh.
Bierhoff: Es ist immer ärgerlich, man ist auch enttäuscht - erstmal über die eigene Leistung und die Niederlage, aber natürlich auch, dass man die Zuschauer und die vielen Fans, die teils von weit herkommen, die auch viel für ein Ticket zahlen, nicht zufrieden stellen konnte. Ich denke, wir haben - seitdem ich zumindest da bin, seit 2004 - die Fans in vielen Dingen auch verwöhnt, gerade bei Heimspielen natürlich immer wieder tolle Leistungen gezeigt, begeisternden Fußball. Das ist auch unser Anspruch, und da ist es natürlich verständlich, dass dann auch mal bei schwächeren Leistungen oder wenn auch diese Euphorie, diese Freude nicht rüber kommt, dass da eine Enttäuschung ist, die sich auch in Pfiffen zum Ausdruck bringt. Aber das ist halt etwas, dem wir uns stellen müssen und wenn möglich, immer gute Spiele zeigen müssen.
Fischer-Solms: Der Bundestrainer fordert mit Hinblick auf die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika: Jeder Spieler muss alles für den Erfolg mobilisieren, "wir sind eine Hochleistungsgesellschaft". Finden Sie, dass der Fußballer die Hochleistungsgesellschaft repräsentiert?
Bierhoff: Ja, auf jeden Fall. Ich meine, er wird danach bewertet, und ich glaube, es gibt kaum einen Beruf - vielleicht den noch des Politikers -, der so in der Öffentlichkeit steht und auch so, sagen wir mal, sich offen der Kritik der gesamten Bevölkerung stellt, vor allen Dingen natürlich als Nationalspieler. Um auf internationalem Niveau zu bestehen, müssen wir Höchstleistungen bringen, und die Aussage des Bundestrainers ist dahin zu interpretieren, dass er nicht nur in der Zeit, wenn die Spieler bei uns sind, wir von den Spielern diese Konzentration und den Einsatz für ihren Job verlangen, sondern natürlich auch in den vielen, vielen Tagen, wo wir sie nicht zur Verfügung haben. Das ist immer wieder unser Aufruf. "Sei dein eigener Coach" - das ist der Spruch, den wir den Spielern mitgeben, dass sie ständig an sich arbeiten müssen, um sich zu verbessern. Denn sonst haben wir keine Chance, zu bestehen.
Fischer-Solms: Der Fußballer als Hochleistungssportler? Der gemeine Fan sieht das ja gelegentlich anders. Er ärgert sich über die hochbezahlten Stars und über das Missverhältnis von Leistung und Ertrag.
Bierhoff: Das ist immer wieder ein Problem. Ich meine, das ist auch kein Problem, das seit gestern da ist, sondern es besteht schon seit Ewigkeiten, eigentlich, seitdem es beim Fußball auch mehr Prämien gab, teils auch schon seit Beckenbauers Zeiten oder auch davor, als die ersten Spieler dann mal ins Ausland gegangen sind. Das ist verständlich, und es ist natürlich auch immer wieder schwer, dem gemeinen Fan das deutlich zu machen, wenn dort Höchstsummen bezahlt werden.
Auf der anderen Seite sind natürlich auch die Spieler Menschen. Im Fußball hängt es von vielen, vielen Faktoren ab, ob eine Leistung erbracht wird, ob der Erfolg kommt. Den kann man so jetzt nicht immer garantieren, wie den Ausstoß von einer Maschine. Was natürlich garantiert werden muss und was immer ganz wichtig ist, und da fehlt es dann doch hin und wieder, ist die Einsatzbereitschaft, der Wille zum Siegen und auch der Wille, sein Bestes für den Tag zu geben. Mehr kann man eigentlich auch vom Menschen dann in dem Moment nicht verlangen.
Fischer-Solms: Der Rückhalt bei der Bevölkerung ist dem Deutschen Fußballbund sehr wichtig - die DFB-Führung spricht vom "verspieltem Kredit".
Bierhoff: Ja, das eine ist natürlich, was der DFB als Gesamtverband für den Fußball tut, für die 27.000 Vereine. Man darf nicht vergessen, dass natürlich die Haupteinnahmen und der Großteil des Geldes durch die Nationalmannschaft erspielt werden - durch die Fernsehgelder, durch die Vermarktung. Da werden wir schon unserer gesellschaftlichen Aufgabe gerecht, das müssen wir immer wieder auch mit Kampagnen, mit Aktionen für die Vereine, aber auch für soziale Projekte untermauern. Der Kredit war eher sicher in der Hinsicht zu sehen, dass wir durch die EM 2008 - ich sage immer "das Sommermärchen reloaded" - eine unglaubliche Euphorie bei den Menschen hervorgerufen haben.
Wenn wir überlegen: 2004 haben wir das Amt übernommen, da wollte fast kein Spieler Nationalspieler sein, die Nationalspieler wurden nur noch als "Millionaries" bezeichnet, es gab keine Bindung zwischen den Fans und der Mannschaft. Und da ist natürlich durch die tollen Leistungen in den letzten viereinhalb Jahren einfach wieder etwas ganz Tolles, Riesiges aufgebaut worden, und das dürfen wir natürlich jetzt nicht durch leichtsinnige Aktionen verspielen. Durch diese beiden Niederlagen, gerade in Heimspielen, ist es so ein bisschen angekratzt, aber ich bin davon überzeugt: Wenn wir jetzt in der Qualifikation wieder gute Spiele zeigen, wenn wir jetzt bei den Heimspielen auch wieder guten Fußball spielen, dann sind die Fans auch ganz nahe wieder bei uns.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, für diesen Bundestrainer steht die erste wirkliche Bewährungsprobe ja bevor - bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Gibt es für Löw gegenüber den Spielern ein Autoritätsproblem?
Bierhoff: Nein, überhaupt nicht. Ich denke auch schon, eine EM nach dieser erfolgreichen WM 2006 war für ihn schon ein ganz schwieriger Test. Auch dort schon stand er schon während des Turniers stark unter Druck, und man hat, glaube ich, immer wieder gemerkt, dass die Mannschaft ihm folgt. Da hatte er überhaupt kein Autoritätsproblem. Es war eine kurze Phase mit dem Thema "Ballack - Frings" - in dieser Auseinandersetzung, die leider öffentlich ausgetragen wurde, in der der Eindruck vielleicht entstanden ist, dass es diese "heile Welt Nationalmannschaft", die ja doch immer auch vermittelt wurde, nicht gibt.
Ich kann aber sagen: Die Atmosphäre in der Nationalmannschaft ist sehr gut, die Stimmung ist sehr gut. Wir sind auch ein kleiner Mikrokosmos, wie eine Familie, auch dort gibt es mal Unstimmigkeiten, gibt es Streitigkeiten, gibt es Meinungsverschiedenheiten. Aber ich glaube, auch in der Situation hat der Trainer Jogi Löw ganz klar gezeigt, wer das Sagen hat, wer die Entscheidungen trifft. Und das ist jetzt auch in die richtigen Bahnen gelenkt.
Fischer-Solms: Sie sagen, " die heile Welt Nationalmannschaft" gibt es einfach nicht, das muss man so akzeptieren?
Bierhoff: Ja, ich gehe mal davon weg, dass es Schwarz-Weiß-Malerei gibt. Wir haben eine sehr homogene Mannschaft, wir haben eine sehr gute Stimmung in der Mannschaft, die auch ein Ziel verfolgt. Und wir haben natürlich auch in dieser Mannschaft mal Unzufriedene, wir haben auch manchmal Spieler da, die mit der Entscheidung des Trainers nicht einverstanden sind oder die vielleicht auch mit Kollegen aneinander rasseln. Für uns war es immer wichtig, dass wir - und das haben wir den Spielern immer vorgegeben - respektvoll miteinander umgehen, dass wir immer die Mannschaft in den Vordergrund stellen, egal, welche Entscheidung auch getroffen wird. Und das ist eigentlich in den meisten Fällen auch befolgt worden.
Fischer-Solms: Michael Ballack, der Kapitän, hat sich öffentlich entschuldigt nach seine Personalkritik am Trainer. Aber er hat dann in einem nachgeschobenen Interview diese Entschuldigung zumindest halbiert. Es wäre ja nicht das erste Mal in der Geschichte der Fußballnationalmannschaft, dass zeitweise ein Spieler das Kommando übernimmt. Das hat's schon mal gegeben.
Bierhoff: Ja, das Kommando übernehmen - das finde ich jetzt übertrieben. Aber er ist natürlich als Kapitän und Führungsspieler besonders gefordert, das fordern wir auch ein. Es gab Unstimmigkeiten über die Meinung und auch über die Art und Weise, wie es vorgetragen wurde. Das ist geklärt worden. Es ist natürlich immer wieder so, dass in Interviews danach - ob das der Trainer oder der Spieler ist, gefragt wird und man das dann wieder am Hals hat - etwas hineininterpretiert wird.
Fakt ist für uns, und das ist eigentlich auch in den letzten Zusammentreffen so gewesen, dass auch das Verhältnis "Ballack - Löw" und "Ballack - Bierhoff" absolut in Ordnung ist und er sich auch in den Dienst der Mannschaft stellt, aber weiterhin natürlich als Kapitän auch gewisse Reizpunkte setzen wird und darf.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, nach diesem kommenden Doppelspieltag in der WM-Qualifikation, also Samstag gegen Lichtenstein in Leipzig, dann am Mittwoch in Cardiff gegen Wales, geht die Nationalmannschaft auf eine interessante Auslandstournee Ende Mai, zunächst nach Shanghai und dann nach Dubai. Das sieht ja so aus, als habe der studierte Wirtschaftsökonom Oliver Bierhoff diese Partner, nämlich China und die Vereinigten Arabischen Emirate, ausgesucht?
Bierhoff: Der wirtschaftliche Aspekt spielt natürlich schon eine Rolle. Wir haben einige Anfragen natürlich von anderen Nationen. Wir hatten mit China noch eine lange Verpflichtung aus alten Tagen, die wir erfüllen mussten, aber der wir natürlich dankbar sind, dass wir dort die DFL, die Liga mit ins Boot holen konnten. Sie hat auch Interesse natürlich bei der Auslandsvermarktung ihrer Mannschaften, dort neue Territorien zu erobern, wenn man das so sagen kann. Und da hilft selbstverständlich das Flaggschiff, das Aushängeschild, die Nationalmannschaft zu nutzen. Also wir werden diese Reise natürlich als sportlichen Test nutzen, der Bundestrainer wird auf einige Spieler verzichten müssen - diejenigen, die im Pokalfinale stehen oder auch U-21-Nationalspieler, die bei der EM in Schweden sind. Und wir werden aber natürlich auch die Zeit nutzen, um dort Kontakte zu pflegen, um uns zu präsentieren und eventuell auch den deutschen Fußball, der ja doch eigentlich im asiatischen Raum oder auch im anderen Ausland doch ein bisschen unterrepräsentiert ist gegenüber der englischen oder der italienischen und spanischen Liga, dort noch ein bisschen zu stärken.
Fischer-Solms: China und die Arabischen Emirate - Kann der Fußball der Politik helfen, Terrain zu gewinnen beziehungsweise der Wirtschaft, mehr Fuß zu fassen?
Bierhoff: Das denke ich auf jeden Fall. Man hat ja gesehen, welche Bedeutung oder welche Wirkung auch eine gelungene Weltmeisterschaft als Organisation in der Welt bewirkt hat. Die Olympischen Spiele sind da auch gute Beispiele, wie man ein anderes Bild von einem Land bekommt. Und wenn wir so als Nationalmannschaft auftreten - und das wird auch den Spielern immer mitgegeben -, sind wir Repräsentanten unseres Landes. Ich möchte jetzt nicht den Rang des Bundespräsidenten nehmen, aber es schauen natürlich viele Augen drauf, vielleicht mehr, als bei einem hohen Staatsbesuch. Und dessen müssen wir uns bewusst werden, da müssen wir Sympathien schaffen. Und ich glaube, wenn wir diese Sympathie als Sportler gewinnen können und damit auch zeigen, dass Deutschland ein schönes Land ist, werden es auch die Wirtschafts- oder Politikvertreter einfacher haben.
Fischer-Solms: Gelegentlich hat man den Eindruck, dass der wirtschaftliche Erfolg dem deutschen Fußball wichtiger ist als der sportliche.
Bierhoff: Zumindest, was den Verband angeht, werden viele Entscheidungen, die im Präsidium getroffen werden, nicht nutzenmaximiert für die Wertschöpfung, für den finanziellen Erfolg angedacht, sondern wirklich wird da auch der soziale Aspekt gesehen, auch der Solidaritätsaspekt mit unseren Landesverbänden, mit anderen Sportverbänden. Insofern sehe ich das zumindest bei uns nicht so. Aber die Diskussion im Fußball geht natürlich häufig in diese Richtung, wenn ich das im Allgemeinen sehe - wie überall in dem Bereich: Wir brauchen mehr, wir müssen wachsen, wir wollen mehr noch in diesen Sport investieren. Und daher ist es immer wichtig, dass dieser Eindruck nicht entsteht, dass das Geld alleine regiert.
Fischer-Solms: Aber wie stehen Sie zur Zersplitterung des Bundesliga-Spielkalenders ab der neuen Saison? Der für Amateure immer "heilige Sonntagnachmittag" wurde dem Bezahlfernsehen geopfert. Die Fußballbasis murrt, zum Teil protestiert sie heftig. Haben Sie Verständnis?
Bierhoff: Ich habe Verständnis dafür, aber ich denke, die Diskussion wird nicht sachlich geführt sondern sehr emotional, denn wenn man dann genau analysieren würde, in wie vielen Fällen es denn wirklich auch zu einem Problem für diese Amateurvereine wird, dann wäre dieser Aufschrei gar nicht so groß. Das ist eher gering. Ich glaube, es geht um 20 Spiele im ganzen Jahr. Und wenn man das mal auf ganz Deutschland verteilt, glaube ich nicht, dass, sagen wir mal, ein Kieler Amateurverein Probleme hat, wenn in Unterhaching irgendwie noch gespielt wird oder irgendwo in Bayern. Aber es ist natürlich ein emotionaler Aspekt.
Man muss natürlich einfach auch sehen, dass die Landesverbände letztendlich auch Geld von der Fernsehvermarktung der Liga bekommen durch den Grundlagenvertrag. Also es ist nicht nur eine einfache Entscheidung Ja oder Nein, sondern es hängt natürlich von vielen Faktoren ab. Als Fan - und das habe ich ja in Italien schon miterlebt - mag ich eigentlich diese zerrissenen Spieltage auch nicht. Irgendwo geht so ein bisschen diese Spannung verloren, wo man früher wusste, man setzt sich an einem Nachmittag hin und hat eigentlich alle Spiele gesehen. Insofern hängt man natürlich an diesen alten Gegebenheiten.
Aber man muss natürlich auch sehen, dass da jetzt wirklich finanzielle Interessen da sind. Die Liga hat durch die Entscheidung des Kartellrechts Probleme mit der Fernsehvermarktung bekommen. Sie kriegt schon weniger Geld. Und selbst das kann sie eigentlich nur erwirtschaften, wenn sie das Produkt oder den Spieltag interessanter für das Pay-TV macht. Also ist das eher eine gezwungene Maßnahme, um einfach auch finanziell zu überleben.
Fischer-Solms: Sie sind ja einer der internationalsten deutschen Nationalspieler. Sie haben lange im Ausland gespielt, in Österreich, sehr lange in Italien, in Monaco, interessanterweise nicht auf der Insel, in England. Dort spielt ja das Pay-TV eine viel größere Rolle als in Deutschland. Und dennoch schützen sie ihre Amateure mit dem geheiligten Samstagnachmittag. Es geht also.
Bierhoff: Es geht schon, ja. Ich denke, wir haben ja auch gewisse Uhrzeiten, wo wir dann sagen, da muss dann der Amateurverein spielen können. Jedes Land hat so seine Eigenarten. Es geschehen viele Diskussionen und Gespräche, auch bei uns im Präsidium, zwischen den Ligavertretern und den Amateurvertretern. Wir müssen immer wieder da hin kommen, dass wir gemeinsam diesen Weg gehen, dass wir auch an alle denken, dieses Solidaritätsprinzip, das in Deutschland immer sehr stark gefahren wird, und dass darauf geachtet wird. Aber ich glaube schon, dass wir alle wissen, was wir den Amateurvereinen und dem Amateurfußball zu verdanken haben.
Fischer-Solms: Grundsätzlich kritisiert wird ja eine Politik fortdauernder Ertragssteigerung, und dass der Kunde sich mit dem, was ihm da vorgesetzt wird, dem Fußballfreund, womöglich nicht mehr richtig identifizieren kann. Ist das nicht doch eine Gefahr, ein Risiko?
Bierhoff: Es ist eine Gefahr. Man muss natürlich einmal festhalten, dass so billig, wie man in Deutschland Fußball schauen kann, werden Sie es in ganz Europa eigentlich nicht sehen, zumindest jetzt in den Spitzenligen nicht. Ob das England, Italien oder Spanien ist, die Ticketpreise sind um das drei- oder vierfache höher, das Pay-TV ist teilweise teurer, teilweise sieht man die Spiele nur im Pay-TV.
Das ist ja bei uns immer anders gewährleistet. Also, ich glaube, dass letztendlich auch die Vereine sehr sozialverträglich versuchen, auch ihre Fans zu bedienen. Ich glaube, bei Bayern München gibt es auch schon eine Dauerkarte für 150 - 160 Euro im Jahr für die 17 Spiele. Aber es ist natürlich schon so, dass wir auch immer wieder darauf achten müssen, dem Fan nicht das Gefühl zu geben, dass er ausgenutzt wird, dass er immer mehr geben muss und letztendlich nicht mehr bekommt. Also, diese Möglichkeiten oder dieses Gefühl muss man schon ihm überlassen.
Fischer-Solms: Bayern-Manager Ulli Hoeness denkt an einen Solibeitrag für die Bundesliga von zwei Euro monatlich. Das wären bei 37 Millionen Haushalten dann ungefähr 900 Millionen Euro. Dafür hätten ARD und ZDF - sagt Hoeness - dann alle Fußballrechte. Wie denken Sie darüber?
Bierhoff: Es ist ein ein bisschen provokanter Vorschlag. Da halte ich eigentlich jetzt nicht so viel davon. Ich denke, man muss sich da auch an dem Markt orientieren, was möglich ist. Natürlich wird sich jeder wünschen, dass, sagen wir mal, die Vertreter von Wirtschaft oder vom Fernsehen mehr zahlen können, teilweise in den Vergleichen zu den anderen internationalen Ligen noch was drauflegen könnten. Aber ich würde da jetzt keinen Solibeitrag, ähnlich wie der Kohlepfennig oder was auch immer, den Zuschauern zumuten wollen.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, der Fußball, dieser so überschaubare und einfache Volkssport, war ja für lange Zeit für viele einfach so ein Ort der Glückseligkeit. Es war alles überschaubar, es war wenig kompliziert, alles war so klar. Die Zeiten scheinen offenbar ein für alle Mal vorbei zu sein, oder?
Bierhoff: Sie ändern sich und man vergisst manchmal auch natürlich die schlechten Zeiten. Es gab auch schon mal Wettskandale in den 70er Jahren, neue Spielbetrüge und es gab Insolvenzen von Vereinen - und Theater, Bauherrenmodelle und was auch immer. Ich glaube, das wird dann auch immer wieder vergessen. Ich glaube, der Fußball ist einen guten Weg zur Professionalisierung auch im Management gegangen, in der Arbeit mit den Spielern.
Wenn wir schauen, welchen Service, welchen Luxus mittlerweile die Zuschauer auch in den Stadien haben, und das ist natürlich auch ein Grund, weshalb diese Stadien voll sind, weil es überall überdachte Plätze gibt, weil die Anfahrt gut ist, weil auch die Sitzplätze bequem sind, das sind alles sehr, sehr positive Effekte. Was mich eher so ein bisschen bedrücken würde, wäre eher, sagen wir mal, das was dann innerhalb der Mannschaft passiert, dass eine Identifikation verloren geht. Und insofern, obwohl ich eher liberal bin und auch den Europagedanken liebe, denke ich, wäre diese Regelung von 6 + 5 gerade im Sport doch noch eine interessante Initiative, um einfach wieder eine höhere Identifikation der Spieler, aber auch der Fans mit den Mannschaften zu erwirken.
Fischer-Solms: Sechs plus fünf, das heißt also, mindestens sechs deutsche Spieler, die auf dem Spielberichtsbogen stehen, - eine Initiative, die sehr stark diskutiert wird, die aber natürlich gegen das Bosmann-Urteil des Europäischen Gerichtshofs steht.
Bierhoff: Ja, das ist halt das Problem. Das Europarecht steht noch dagegen. Wir hoffen auf eine Sonderstellung, oder ich würde auf eine Sonderstellung des Sports beziehungsweise des Fußballs hoffen. Ich habe ja auch im Ausland selber gespielt. Und die Identifikation, die Bindung ist dann doch etwas geringer, als wenn man in seinem Heimatland spielt oder vielleicht noch in seiner Heimatstadt. Und ich glaube einfach, auch wenn ich sonst den Europagedanken sehr pflege, dass es schön wäre, wenn die Mannschaft Arsenal gegen Bayern München spielt, dass es auch dann wieder so ein bisschen ein englisch-deutsches Duell wäre, denn zur Zeit ist es alles andere als ein solches.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, wir haben im Fußball Erscheinungen - Sie haben es selbst aufgezählt, wie Kommerz, Korruption. Wir haben merkwürdige Verflechtungen, wenn wir nach Bremen schauen, von Vereinsfunktionären, die sich in Spielertransfers finanziell einschalten. Hat der Fußball auch ein Doping-Problem?
Bierhoff: Aus meiner Zeit kann ich sagen: Auf keinen Fall. Aber wenn man sich natürlich mit Doping-Experten unterhält, muss man immer wieder damit rechnen, dass so etwas auftreten kann. Mir ist es nie vorgekommen, ich habe es nie gesehen, ich habe es irgendwo auch nie mitbekommen. Vielleicht ist es mal möglich, dass es den einen oder anderen Spieler gibt, der lange verletzt ist, der auf eigene Initiative hin so verrückt ist, so etwas zu starten. Aber unabhängig dieser klaren Verneinung meiner Aussage müssen wir als Fußballverantwortliche auch in diesem Fall vorne weg gehen. Das ist eine Veränderung, auch für die Spieler, dort viele Angaben zu machen, auch offen zu sein. Aber wir müssen dort, gerade auch wir, die wir in der Öffentlichkeit stehen, mit gutem Beispiel vorangehen, die Regeln mehr als einhalten, sie unterstützen, um dann einfach auch zu zeigen, dass Doping im Fußball wirklich kein Thema ist.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat geschrieben, "der bedeutendste deutsche Sportverband hat schon mal ein besseres Bild abgegeben", sie verweist dann auf die Konfrontation zwischen Bundestrainer und seinem Kapitän und auch auf die persönliche Fehde des DFB-Präsidenten mit dem Journalisten Weinreich, der ihn ja aus aktuellem Anlass als Demagogen bezeichnet hatte. Die FAZ folgert, "der Vorwurf mache die Runde, nach den fetten Jahren des steten wirtschaftlichen und sportlichen Aufschwungs habe sich an der DFB-Spitze Realitätsverlust breit gemacht." So mancher nehme sich einfach zu wichtig. Die FAZ gehört ja nun nicht zu den Blättern, die immer sehr kritisch mit dem DFB umspringen.
Bierhoff: Das kann sein. Ich meine, wir haben natürlich die WM 2006 als Höhepunkt gehabt. Und darauf hat sich natürlich vieles fokussiert. Da war viel Begeisterung da und jetzt sind wir auch wieder in der Entwicklung, um mit diesen Themen weiter voran zu gehen. Ich kann das nicht unterstützen, ich merke halt immer wieder in den Diskussionen, im Präsidium, mit dem Präsidenten, mit dem Generalsekretär, dass da sehr verantwortungsvoll damit umgegangen wird. Im Gegenteil, wir machen sehr viele Projekte sogar noch, um einfach deutlich zu machen, dass wir an die Allgemeinheit denken. Also, das sehe ich nicht so. Sicherlich gab es Momente, wo wir uns als Mannschaft oder als Verantwortliche der Nationalmannschaft, vielleicht auch mal als Verband, nicht glücklich dargestellt haben, Diskussionen in der Öffentlichkeit ausgetragen haben. Aber das lässt sich dann eben manchmal auch in diesen Bereichen gar nicht vermeiden.
Fischer-Solms: Es gibt ja auch den Vorwurf, der DFB stürze sich sehr stark auf gesellschaftspolitische Anliegen, nur der Fußball selbst komme ein bisschen zu kurz. Sie selbst engagieren sich sehr stark für Integrationsaufgaben.
Bierhoff: Ja, wir machen auch mit unserem Partner Mercedes Benz den Integrationspreis, um das einfach zu unterstützen. Ich glaube, man muss ein gutes Maß finden. Das findet man auch nicht immer linear, das gibt es mal mehr, mal weniger. Das hängt auch immer ein bisschen von den Einnahmen ab. Hauptaufgabe von uns ist natürlich, den Sport, den Fußball zu organisieren in unseren 27.000 Vereinen, in den Jugend-Nationalmannschaften, in der Trainerausbildung, Schiedsrichterausbildung und so weiter. Aber darüber hinaus haben wir natürlich auch als vermögender Verband, der wir nun mal sind, die Aufgabe, dieses Glück nicht nur den Vereinen weiter zu geben, sondern eben auch sozial Benachteiligten, und den Fußball zu nutzen, um Themen, die gesellschaftspolitisch wichtig sind, voran zu treiben. Und ich glaube, es gibt kein besseres Transportmittel als den Sport oder den Fußball, um zum Beispiel Integration voran zu treiben. Und das spüren wir einfach. Und deswegen ist uns diese Aufgabe sehr wichtig.
Fischer-Solms: Wenn ein Jung-Nationalspieler wie Mesut Özil von Werder Bremen, der noch keine 21 Jahre alt ist, wenn der am kommenden Samstag im Osten Deutschlands, im Leipziger Zentralstadion, für die deutsche Nationalmannschaft mit dem Adler auf der Brust aufläuft, was bedeutet das gesellschaftspolitisch?
Bierhoff: Es ist schon eine sehr wichtige Rolle, die er dort übernommen hat. Er ist ja nicht der einzige Spieler mit Migrationshintergrund. Wir haben mittlerweile viele. Wir haben früher immer über die Franzosen gesprochen, die natürlich mit ihren Afrikanern viel Migrantenhintergrund haben. Wir haben jetzt mittlerweile Miroslav Klose mit polnischem Migrationshintergrund, Podolski, Gómez spanisch, Serdar Tasci, auch türkisch, und wir wissen auch, wie schwer es für diese jungen Spieler ist, dies teilweise familiär auch durchzusetzen oder zu diskutieren. Teilweise sind die Eltern noch sehr stark mit der Türkei verbunden. Und wir verstehen natürlich auch, dass bei den Spielern so ein bisschen zwei Herzen schlagen. Aber für uns ist immer wichtig ein klares Bekenntnis zur deutschen Nationalmannschaft, ein klares Bekenntnis zu Deutschland. Und damit können sie eigentlich auch ein klares Zeichen für die vielen anderen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland geben, zu zeigen: Ja, wir haben zwar andere Hintergründe, aber wir wollen uns hier integrieren und wir setzen uns auch für dieses Land ein.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, am 14. Oktober dieses Jahres spielt Deutschland gegen Finnland. Es ist der Schlusspunkt der Weltmeisterschaftsqualifikation. Wird Deutschland in Südafrika bei der WM dabei sein?
Bierhoff: Diese Frage kann ich mit einem klaren Ja beantworten. Es ist eigentlich Pflicht für die deutsche Nationalmannschaft und wir werden alles dafür geben und hoffen natürlich, diese Qualifikation für die WM auch direkt im Oktober zu schaffen.
Fischer-Solms: Und das bedeutet, dass Sie auch für den Samstag in Leipzig optimistisch sein müssen?
Bierhoff: Ich muss nicht optimistisch sein, sondern ich bin optimistisch. Ich meine, wir spielen gegen Liechtenstein. Das ist jetzt auch kein Riese. Da müssen wir natürlich sehr gut spielen und uns gut vorbereiten, denn auch das Spiel in Wales, in Cardiff, wird nicht einfach.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, in Ihrer Jugend in Essen waren sie bei den Dom-Singknaben. Richtig?
Bierhoff: Ja.
Fischer-Solms: Warum ist kräftiges Mitsingen bei der Nationalhymne für die Spieler Pflicht?
Bierhoff: Es ist Pflicht, um einfach auch nach außen zu zeigen, dass sie sich mit der Nationalmannschaft verbunden fühlen, dass sie hier das Land vertreten, und auf der anderen Seite ist es auch noch mal eine gute Gelegenheit, um den letzten Druck, der vor so einem Spiel noch da ist, noch mal raus zu lassen.
Fischer-Solms: Darf man nicht in Andacht und Ergriffenheit sich still konzentrieren?
Bierhoff: Das geht auch. Es gibt ja den einen oder anderen Spieler, der ein bisschen zaghaft mitsingt. Das würde ich jetzt auch keinem verwehren. Aber ich denke eigentlich, als Bild und auch am Fernseher ist es natürlich schön, wenn man sieht, dass alle die Hymne mitsingen.
Fischer-Solms: Herr Bierhoff, besten Dank für das Gespräch.
Bierhoff: Ja, vielen Dank.