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"Wir werden von Russland abhängig werden"

Eben noch im Gas-Streit mit dem Nachbarn, bittet die ukrainische Premierministerin Julia Timoschenko Russland derzeit um einen Kredit über fünf Milliarden Dollar: die Wirtschaft ihres Landes ist marode. Sie will bei der Präsidentenwahl in einem Jahr als Retterin in der Krise dastehen - doch das Wahlvolk durchschaut die Taktik.

Von Clemens Hoffmann | 12.02.2009
    Kein Land in Osteuropa bekommt die Folgen der Finanzkrise derzeit so stark zu spüren wie die Ukraine. Metall- und Chemiebetriebe haben ihre Produktion seit Herbst um die Hälfte reduziert. Auf den meisten Baustellen ruht die Arbeit, weil keine Kredite mehr zu bekommen sind. Weil die Wirtschaft lahmt, wächst das Haushaltsdefizit, der Staat kommt seinen Verpflichtungen nicht mehr nach. Auch die 26-jährige Oxana, die mit ihrem kleinen Sohn Danyl vor dem zentralen Kiewer Arbeitsamt auf den Bus wartet, spürt die Krise:

    "Die Preise steigen, aber das Gehalt kommt nicht. Mein Mann ist Kriminalbeamter. Im September hat er zuletzt den vollen Lohn bekommen. Ab und zu kriegt er einen kleinen Vorschuss, aber nicht die ganze Summe. Zum Glück helfen mir Verwandte."

    In der Familie hält man fest zusammen, jetzt erst recht. Das bestätigt auch Krankenschwester Alexandra, die ihren Sohn auf die Behörde begeleitet.

    "Ich unterstütze meine Kinder mit Geld. Mein Sohn hat seine Arbeit verloren, er ist Verkäufer. Mein Schwiegersohn auch. Er hat auf dem Bau gearbeitet - jetzt sitzt er zuhause. Wir kaufen billige Lebensmittel, achten nicht mehr so auf die Qualität. Kleidung kaufe ich jetzt auch Second Hand – so sparen wir."

    Premierministerin Julia Timoschenko will nicht sparen. Sie möchte lieber neue Schulden machen, um unpopuläre Einschnitte bei den Sozialleistungen zu vermeiden. Schließlich wird in der Ukraine in einem Jahr ein neuer Präsident gewählt – und sie will dieses Amt. Deshalb schreibt Timoschenko Bittbriefe, auch an den schwierigen Nachbarn Russland. Moskau erklärte prompt sein Interesse, der Ukraine mit einem Fünf-Milliarden-Dollar-Kredit aus der Patsche zu helfen. Gestern noch Krieg ums Gas, heute wieder Kooperation: Für den Publizisten Mykola Ryabtchuk kommt der plötzliche Sinneswandel gar nicht so überraschend.

    "Die Ukraine und Russland kommen mir so vor wie ein geschiedenes Ehepaar: Ihre Beziehung ist von einer Mischung aus Liebe und Hass gekennzeichnet. Es ist nichts Falsches daran, dass sich die Ukraine nach Krediten umschaut. Das tun andere Staaten auch. Nur ich meine, Russland sollte das letzte Land sein, das wir um einen Kredit bitten. Sehr wahrscheinlich wäre ein solcher Kredit an politische Bedingungen geknüpft."

    So könnte Russland Zugeständnisse von der Ukraine verlangen, die Richtung EU und Nato strebt. Auch wirtschaftliche Gegenleistungen wären denkbar. Rentnerin Olga Valentinovna macht sich darüber keine Illusionen.

    "Das wird der Bankrott der Ukraine: Wir werden von Russland abhängig werden, denn wir haben keine Mittel, um diesen Kredit zurückzuzahlen. Sie werden uns die Gastransit-Leitungen abnehmen, wie in Weißrussland. Dann werden sie das Gas besitzen und auch die Leitungen. Außerdem wollen sie bei Privatisierungen bevorzugt werden. Alles was man uns wegnehmen kann, wird man uns wegnehmen. "

    Präsident Victor Juschtschenko schäumt vor Wut über den Moskau-Kurs seiner Rivalin Timoschenko. Er wirft ihr vor, die Ukraine zu verraten. Sogar vor Nazi-Vergleichen schreckt der Präsident nicht zurück: Was Timoschenko vorhabe, erinnere ihn an den Molotow-Ribbentrop-Pakt, bei dem die Nationalsozialisten und das Stalin-Regime große Teile Osteuropas unter sich aufteilten. Das Klima zwischen den einstigen Weggefährten ist also wieder mal auf dem Nullpunkt. Ein Effekt, den der Kreml bei seinem Wirtschaftsflirt mit Kiew einkalkuliere, glaubt Publizist Mykola Ryabtschuk.

    "Ich glaube die Russen haben keinen Grund, Timoschenko besonders zu trauen. Ich bin sicher, sie sind bereit, jeden zu unterstützen, einfach, um noch mehr Unordnung und Streit zu stiften, das ist das Hauptziel."

    Die einfachen Leute, so scheint es, haben das Spiel längst durchschaut. Krankenschwester Alexandra hat Konsequenzen aus der Krise gezogen und sich eingeschränkt. Das gleiche empfiehlt sie auch den Politikern.

    "Von Krediten halte ich überhaupt nichts! Ich versuche, kein Kredit aufzunehmen, sondern was zu sparen. Wenn die Ukraine Kredite aufnimmt, werden Lebensmittel teurer, werden Gebühren und Steuern erhöht, letztlich werden wir kleinen Leute das ausbaden müssen."