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"Wir wollen eine tief gehende Dezentralisierung"

Bei den jüngsten Kommunalwahlen in Polen zog die "Bewegung für eine Autonomie Schlesiens" in das Regionalparlament ein. Ihre Gegner kritisieren, sie wolle Schlesien von Polen abtrennen. Am Wochenende veranstaltete die schlesische Bewegung einen Gedenkmarsch - selbstbewusst wie kaum zuvor.

Von Florian Kellermann | 31.01.2011
    Von Kattowitz bis nach Schwientochlowitz sind es zehn Kilometer - der Weg führt quer durch das oberschlesische Steinkohlerevier. Trotz der frostigen Temperaturen machten sich am Wochenende knapp 100 Menschen auf den Weg. "Marsch nach Zgoda" nennen sie ihren Zug. Denn im Stadtviertel Zgoda befand sich ein Konzentrationslager. Die deutschen Besatzer hatten es1942 eingerichtet.

    Die Teilnehmer des Marsches am Wochenende interessierten sich aber mehr dafür, was nach dem Krieg aus dem Lager wurde. Die kommunistische Volksrepublik Polen benutzte es mehrere Monate lang weiter: Sie inhaftierte dort Menschen mit deutschen Wurzeln, rund 2000 von ihnen kamen dabei ums Leben. Über diesen Teil der Geschichte sei lange geschwiegen worden, sagte Roman Gatys, ein Teilnehmer des Marsches.

    "Der Geheimdienst hat meinen Vater 1945 verhaftet und in so ein Lager gebracht. Nur, weil die Familie zu Hause deutsch gesprochen hat. Zwei Jahre hat er gesessen, war vorbestraft und hat das nie verkraftet. Ich habe erst lange nach seinem Tod erfahren, warum er im Gefängnis war. Denn im kommunistischen Polen durfte man nicht über dieses Unrecht sprechen. "

    Roman Gatys hat eine blaugelbe Fahne über die Schultern gelegt - sie stammt aus der Zeit vor dem Krieg, als ein Teil von Oberschlesien einen Autonomiestatus innerhalb von Polen hatte. So eine Autonomie wünscht er sich wieder für seine Heimat. Davon verspricht er sich einen anderen Umgang mit der schlesischen Geschichte, sie solle in den Schulen ausführlicher unterrichtet werden, sagt der 43-jährige. Auch finanziell solle Schlesien unabhängiger von der Hauptstadt Warschau werden.

    "Viel zu wenig von unseren Steuergeldern fließt zurück in die Region. In Warschau heißt es: Die in Oberschlesien haben doch alle Verwandte in Deutschland, die kommen schon irgendwie zurecht. Deshalb leitet die Regierung unsere Steuern in ärmere Gegenden um. Dabei geht es uns nur deshalb relativ gut, weil wir hart arbeiten."

    So, wie Roman Gatys, denken immer mehr Menschen in Oberschlesien. Die Bewegung für eine Autonomie, die den Marsch nach Zgoda organisierte, erreichte bei den letzten Kommunalwahlen 8,5 Prozent der Stimmen. Sie zog zum ersten Mal ins Regionalparlament ein - und ist inzwischen an der dortigen Regierungskoalition beteiligt. Ihr oberstes Ziel sei es, Polen in einen Bundesstaat zu verwandeln, sagt der Vorsitzende der Partei Jerzy Gorzelik.

    "Wir wollen eine tief gehende Dezentralisierung. Die meisten öffentlichen Aufgaben sollten auf regionaler und kommunaler Ebene entschieden werden. Ein föderaler Staat weckt in den Menschen eine schöpferische Energie, das zeigt das Beispiel Deutschland."

    Mit dieser Rhetorik gewinnt die Autonomie-Bewegung nicht nur Wähler, sie macht sich auch Feinde. Viele der Kattowitzer, die am Wochenende dem Marsch nach Zgoda zuschauten, schüttelten den Kopf.

    Diese Leute wollen doch Polen spalten, sagte ein Mann, der seinen Namen nicht nennen wollte. Ich fühle mich zuerst als Pole, dann als Schlesier, fügte ein Jüngerer hinzu. Nationalistische Gruppen kündigten einen Protestmarsch gegen die Autonomie-Bewegung an, sagte ihn aber in letzter Minute ab.

    Piotr Pietrasz, Vorsitzender der rechtskonservativen Partei PiS in Kattowitz, kann die Aufregung der Menschen verstehen.

    "Es gibt offizielle und inoffizielle Ziele der Autonomie-Bewegung. So gab es dort auch Stimmen, die eine staatliche Unabhängigkeit Schlesiens ins Spiel brachten. Der Vorsitzende Jerzy Gorzelik will, dass die Schlesier als eigene Nation anerkannt werden und verbindet das mitunter mit deutlich antipolnischen Aussagen. Das ist ein gefährliches Spiel."

    Die Schlesier-Partei weist den Vorwurf, Polen teilen zu wollen, weit von sich. Vielmehr habe sie große Pläne für das Land. Bis 2020 will sie eine Verfassungsänderung durchsetzen. Sie soll es allen Regierungsbezirken möglich machen, eine regionale Autonomie zu erhalten.