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"Wir wollen einen höheren Spitzensteuersatz"

Hannelore Kraft (SPD) sieht Nordrhein-Westfalen auf einem guten Sparkurs. Bis 2020 soll die Neuverschuldung des Landes von derzeit drei Milliarden auf Null sinken. Die Unterfinanzierung von Kommunen und von Ländern müsse auch auf Bundesebene berücksichtigt werden, fordert die stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD. Es bleibe bei der Forderung der SPD, den Spitzensteuersatz zu erhöhen.

Das Gespräch führte Barbara Schmidt-Mattern | 29.01.2012
    Barbara Schmidt-Mattern: Frau Ministerpräsidentin, heute um 14:00 Uhr kommt der SPD-Vorstand der Bundespartei zu seiner Klausursitzung zusammen. Sie wollen unter anderem sogenannte Verantwortungsbereiche verteilen. Sie haben festgelegt, Sigmar Gabriel will sich in Zukunft verstärkt um das Thema Finanzen kümmern, Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern will sich um die Themen Familie kümmern, Martin Schulz, der neue Präsident im Europaparlament, um die Europapolitik verstärkt. Ist das schon so eine Art Kompetenzteam, was da zusammengestellt wird? Ist das ein Warmlaufen für den Vorwahlkampf?

    Hannelore Kraft: Nein, wir haben solche thematischen Zuordnungen auch bisher gehabt in der Spitze der Partei. Ich war bislang verantwortlich für den Bereich Bildung. Jetzt stehen für mich wichtige Aufgaben im Wirtschaftsbereich an. Deshalb werde ich diesen Bereich übernehmen, Wirtschaft, Industrie und Energie. Und diese thematischen Zuordnungen gab es eigentlich schon immer. Die sind jetzt nichts Besonderes.

    Schmidt-Mattern: Wir kommen gleich noch einmal auf Ihren neuen Themenbereich zurück. Lassen Sie uns noch mal genereller auf die Partei gucken. Was hat sich die SPD im Bund denn vorgenommen für dieses kommende Jahr. Womit wollen Sie die Bundesregierung stellen?

    Kraft: Wir haben ja auf dem Bundesparteitag im Dezember wirklich sehr gute Beschlüsse gefasst. Das muss jetzt weiter ausgefeilt werden. Wir müssen das, was wir Gutes beschlossen haben, auch den Menschen näherbringen. Wir wollen in Dialoge eintreten mit denen, die davon betroffen sind, über Gewerkschaften, Unternehmen, Leuten an den Hochschulen in den ganz unterschiedlichen Bereichen. Das sind die Dialogprozesse, die jetzt in diesem Jahr im Vordergrund stehen werden und wir bereiten damit sozusagen schon so ein bisschen das vor, was im Wahlprogramm stehen wird.

    Schmidt-Mattern: Vielleicht können wir noch ein bisschen konkreter werden. Was ist der inhaltliche Schwerpunkt für Sie? Liegt der in der Europapolitik in diesem Jahr, ist das eher die Sozial- oder die Wirtschaftspolitik? Wo sehen Sie den Schwerpunkt?

    Kraft: Ich glaube, die inhaltlichen Schwerpunkte werden durch die tagesaktuelle natürliche Debatte sich ergeben. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass wir weiter intensiv über Europa, Euro und Finanzkrise diskutieren werden. Ich glaube allerdings auch, dass es weiter gehen muss mit der Konkretisierung der Energiewende. Bisher haben wir hier ein Gesetzespaket verabschiedet und seitdem 'still ruht der See'. Wir müssen jetzt endlich einen Masterplan bekommen. Die Bundesregierung ist hier in der Pflicht. Gerade im Klimaschutz ist das so. Es kann nicht sein, dass wir nur Ziele benennen, sondern wir müssen den Weg dahin beschreiben. Und wir müssen dann aber auch konkret sagen, wie kommen wir denn von A nach B, wie schaffen wir denn diese Energiewende? Was tun wir denn?

    Schmidt-Mattern: Wie denn? Wie schaffen Sie sie denn, Frau Kraft?

    Kraft: Indem wir beispielsweise sehr konkret unsere Ziele runterbrechen auf Nordrhein-Westfalen, indem wir sagen, wie erreichen wir denn eine CO2-Einsparung von X Prozent? In welchen Schritten kommen wir voran? Welcher CO2-Emittent wird denn welchen Beitrag leisten? Das müssen wir doch gemeinsam diskutieren. Das kann man doch nicht sozusagen einfach nur als Ziel nehmen und dann abwarten, ob man das Ziel erreichen wird. Das ist zu wenig. Hier brauchen wir eine konkrete Politik, und dafür bekomme ich auch von der Wirtschaft – ich führe viele Gespräche; gerade auch zur Energiewende und zum Klimaschutz – bekomme ich viel Unterstützung, weil: Eines braucht die Wirtschaft, nämlich Planungssicherheit. Und das bedeutet, man muss klar miteinander ausarbeiten, was wann zu welchem Zeitpunkt geschieht.

    Schmidt-Mattern: Das ist die Energiepolitik. Das andere Thema, das mit Ihrem Namen verbunden wird, ist die Sozialpolitik. Wenn wir hier vor allem ans Land denken, Ihre Devise "Kein Kind zurücklassen, Prävention in Bildung und Soziales", das ist ja ein Politikansatz, der ließe sich durchaus auch vielleicht auf den Bund übertragen. Braucht die SPD im Bund, in ganz Deutschland, braucht sie einen neuen Linksruck?

    Kraft: Das ist kein Linksruck. Das, was wir hier machen, eine gute Präventions- und Vorbeugungspolitik, ist auch nicht nur Sozialpolitik.

    Schmidt-Mattern: Was ist denn so schlecht an einem Linksruck?

    Kraft: Ich bin nicht der Auffassung, dass das ein Linksruck ist. Darum geht es ja, wie das zu bewerten ist, sondern ich sage, hier siegt die Vernunft. Wenn man frühzeitig investiert und damit Folgekosten, Reparaturkosten absenkt, dann ist das eine Aufgabe der Vernunft, das zu tun. Das hat nichts mit links und rechts zu tun. Und es ist auch nicht nur Sozialpolitik, sondern es ist im wahren Sinne des Wortes Haushaltspolitik. Denn wir müssen darauf schauen, wie bekommen wir Ausgaben gesenkt. Es geht nicht, nur einfach zu streichen und sich dann zu wundern, dass an anderer Stelle höhere Folgekosten auftreten, sondern es geht darum, wirklich dafür zu sorgen, dass bestimmte Reparaturkosten in dieser Größenordnung nicht mehr anfallen. Und es ist dann am Ende des Tages natürlich auch Wirtschaftspolitik; weil wenn wir besser werden bei Vorbeugung und Bildung – das gehört ja immer eng zusammen, dann heißt das, mehr machen bessere Abschlüsse. Es gibt weniger Schulabbrecher. Und das wird uns helfen, die aufkommende Fachkräftelücke zu schließen. Denn das ist die größte Bedrohung mit für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen.

    Schmidt-Mattern: Ich würde gerne noch ein paar andere Stichworte nennen, die immer wieder als Streitthemen kursieren bis heute in der SPD. Ob das die Rente mit 67 ist, die Agenda 2010, Hartz IV. Sind das Themen, wo die SPD im Bund einen klaren Schnitt wagen muss um ihrer Glaubwürdigkeit willen? Müssen Sie sich davon verabschieden, beispielsweise von der Rente mit 67?

    Kraft: Wir haben dazu alle notwendigen Beschlüsse auf dem Bundesparteitag im Dezember gefasst und wir haben unsere Position hier klar bezogen.

    Schmidt-Mattern: Nennen Sie die noch mal.

    Kraft: Für uns ist klar, dass die Rente mit 67 nur dann beginnen kann, wenn es auch genug Arbeitsplätze gibt für diejenigen, die da arbeiten sollen. Das ist im Moment nicht der Fall. Deshalb, sagen wir, darf die Rente mit 67 auch nicht beginnen. Punkt eins. Punkt zwei ist für uns klar, dass man auch immer eine Lösung finden muss für diejenigen, die aus unterschiedlichsten Gründen das körperlich gar nicht durchhalten. Da ist immer von dem Dachdecker die Rede gewesen. Ich sage auch immer, die Erzieherin kann auch nicht mit 67 noch auf dem Bauteppich spielen. Also hier sind wir in der Verantwortung, die entsprechenden Übergänge auch zu gestalten. Und da hat die SPD sich auf den Weg gemacht und wird diesen Weg auch konsequent weiter gehen.

    Schmidt-Mattern: Das heißt, damit widersprechen Sie Peer Steinbrück ein wenig, wenn Sie sagen, das ist noch verhandelbar. Peer Steinbrück hat wiederum in diesem Monat gesagt, die Rente mit 67 ist für ihn mehr oder weniger nicht verhandelbar.

    Kraft: Wir haben dazu klare Beschlüsse als SPD auf dem Bundesparteitag beschlossen. Und das ist die Grundlage unserer Arbeit und unseres Wahlprogramms.

    Schmidt-Mattern: Das heißt, da liegt Peer Steinbrück, der ja als einer der möglichen Kanzlerkandidaten der SPD gehandelt wird, schon wieder quer mit seiner Partei?

    Kraft: Ich glaube, da muss man immer in die Details hineinschauen. Ich lasse das nicht zu, dass man uns da sozusagen im Wege von Überschriften gegeneinander fährt. Diese Spielchen mache ich einfach nicht mehr mit.

    Schmidt-Mattern: Hannelore Kraft, Sie sind ja nicht nur Ministerpräsidentin hier in Nordrhein-Westfalen, sondern eben auch stellvertretende Bundesvorsitzende, gerade mit grandiosem Ergebnis auf dem Bundesparteitag im Dezember wiedergewählt - mit dem besten Ergebnis. Welche Rolle wollen Sie denn künftig in der Bundespolitik eigentlich spielen in diesem Jahr?

    Kraft: Ich spiele die Rolle, die ich bisher auch gespielt habe.

    Schmidt-Mattern: Beschreiben Sie die mal.

    Kraft: Als stellvertretende Bundesvorsitzende bin ich von den thematischen Schwerpunkten her demnächst für Wirtschaft, Energie und Industrie zuständig. Ich werde mich dort intensiv einbringen. Ich bin regelmäßig, eigentlich mindestens einmal pro Woche, in Berlin. Wir stimmen uns eng ab. Ich bestimme die Linien der Partei sozusagen mit in Person, aber wir haben unsere Gremien, die das auch mit tun. Und der Landesverband Nordrhein-Westfalen ist der größte, ist sicherlich auch einer, der den größten Einfluss mit ausüben kann. Und das werden wir tun mit Blick auf eine Politik der sozialen Gerechtigkeit, wie wir sie auch in Nordrhein-Westfalen umgesetzt haben.

    Schmidt-Mattern: Aber mit Verlaub, Frau Ministerpräsidentin, ob das nun die großen Themen Eurokrise sind, die Affäre um den Bundespräsidenten oder auch das Thema Rechtsextremismus, von Ihnen hört man da nicht viel auf bundespolitischer Bühne.

    Kraft: Wie gesagt, wir haben uns da thematisch zugeordnet und daran halten wir uns auch weitestgehend. Aber ich habe natürlich zuallererst hier die Aufgabe als Ministerpräsidentin. Ich kann nicht jede Woche die Medien in Berlin bespielen. Das werde ich auch zukünftig nicht tun können.

    Schmidt-Mattern: Warum nicht?

    Kraft: Dazu ist Nordrhein-Westfalen zu wichtig.

    Schmidt-Mattern: Die Arbeit als Ministerpräsidentin absorbiert Sie zu sehr, um auf der Berliner Bühne stärker aufzutreten.

    Kraft: Ja, jedenfalls kann ich hier nicht den ganzen Tag Kaffee trinken, um es mal ganz deutlich zu sagen, sondern hier ist eine Menge zu tun. Das ist auch in einer Minderheitsregierung sicherlich noch mal eine Schippe drauf gegenüber einer – sagen wir mal – normalen Regierung. Aber es macht mir außerordentlich viel Freude. Ich bin regelmäßig in Berlin. Ich bin auch bundesweit im Einsatz bei vielen Mediengeschichten, aber auch bei vielen Veranstaltungen in Wahlkampfeinsätzen. Also, ich glaube, da beklagt sich in Berlin niemand drüber.

    Schmidt-Mattern: Heißt das dann auch, dass Sie auf die Kanzlerkandidatur eigentlich auch gar keine Lust hätten?

    Kraft: Ich habe mich dazu ja klar geäußert. Hier steht in Nordrhein-Westfalen irgendwann die nächste Wahl an, wann immer das auch ist. Die letzte Wahl hat die SPD nicht gewonnen, und ich möchte ganz gerne diejenige sein, die die SPD zum nächsten Wahlsieg führt, weil wir weitermachen wollen damit, das Land voran zu bringen. Das ist für uns ganz zentral. Wir haben uns das vorgenommen. Bisher können wir sagen: Versprochen – gehalten. Wir haben das umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben in schwieriger Lage und wir wollen das auch in Zukunft tun. Und dafür erhoffen wir uns von den Bürgerinnen und Bürgern eine Zustimmung bei der nächsten Wahl. Und dafür kämpfe ich.

    Schmidt-Mattern: Das heißt, Ihre politische Karriere hat natürlich hier begonnen in Nordrhein-Westfalen. Sie soll hier auch enden, oder fehlt Ihnen einfach der Ehrgeiz?

    Kraft: Ich darf Sie daran erinnern, dass ich 51 bin demnächst. Also von daher mache ich mir über das Ende meiner politischen Karriere noch keine Gedanken. Aber ich bin sehr gerne hier in Nordrhein-Westfalen. Mir macht dieses Amt außerordentlich viel Freude. Das ist nicht einfach, es kostet viel Kraft, aber es macht mir wirklich viel Spaß. Und das ist auch – und das sage ich auch für die Sozialdemokratie in Deutschland – Nordrhein-Westfalen ist wichtig. Und es ist ganz wichtig, dass dieses Land auch von uns gut regiert wird.

    Schmidt-Mattern: Hannelore Kraft im Interview der Woche im Deutschlandfunk, de Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen und stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD. Lassen Sie uns doch noch mal einen Blick auf die sogenannte Troika werfen, also Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel. Diese drei Herren machen dann eh alles unter sich aus oder wie darf ich das verstehen, wenn Sie an der Berliner Bühne im Moment gar nicht so viel Interesse haben?

    Kraft: Das habe ich nicht gesagt und das wäre auch eine unzulässige Verkürzung. Ich habe gesagt, ich bin regelmäßig in Berlin. Und das, was uns mal eine Zeit lang ausgezeichnet hat im negativen Sinne, nämlich dass es eine breite Kakofonie gab, das gibt es nicht mehr. Das macht es den Medien etwas schwieriger, aber ich freue mich darüber, dass wir eine solche Troika haben. Alle drei, die da in Rede stehen, sind allemal besser als das, was die amtierende Bundesregierung zu bieten hat. Und darüber kann sich die SPD auch mal freuen.

    Schmidt-Mattern: Also Stichwort Kakofonie, Sie haben es gerade selber genannt. Es ist immer wieder von hörbaren Dissonanzen die Rede oder sie sind auch nicht zu übersehen, beispielsweise zwischen der Generalsekretärin Andrea Nahles und Ihrem Bundesparteivorsitzenden Sigmar Gabriel. Für Andrea Nahles finden Sie aber nur lobende Worte.

    Kraft: Wir arbeiten im Team alle sehr gut zusammen. Und Dissonanzen erkenne ich auch nicht. Ich bin jede Woche da, wir sitzen beieinander und wir stimmen uns eng ab. Natürlich gibt es immer mal wieder unterschiedliche Positionen und auch ich bringe mich mal mit Positionen ein, mit denen am Anfang nicht alle einverstanden sind. Aber dann wird das ausdiskutiert …

    Schmidt-Mattern: Nennen Sie uns ein Beispiel.

    Kraft: Nein, das hätten Sie gerne, das tue ich nicht. Dafür gibt es ja verschlossene Türen. Aber das klären wir untereinander und das gelingt uns sehr gut. Und deshalb ist eben genau diese Angriffsfläche, die die SPD zugegebenerweise in der Vergangenheit geboten hat, geschlossen. Und dabei lassen wir es auch.

    Schmidt-Mattern: Stichwort Dissonanzen vielleicht doch noch mal. Wenn wir auf die Affäre um den Bundespräsidenten gucken, da spricht auf der einen Seite der Bundesparteivorsitzende von einer drohenden Staatskrise, die Generalsekretärin hat in Aussicht gestellt, es könnte Neuwahlen im Bundestag geben, wenn der Bundespräsident zurückträte. Daraufhin wurde Andrea Nahles von Siegmar Gabriel zurückgepfiffen. Ist das nicht doch Kakofonie und Dissonanz?

    Kraft: Dass es uns nicht immer gelingt, gleichzeitig mit gleicher Sprache nach draußen zu gehen, das ergibt sich schon aus der Situation heraus rein organisatorisch. Wichtig ist, dass wir sozusagen in eine Richtung marschieren, und das tun wir. Ich kann das auch nicht mehr ertragen, muss ich sagen, dass von Medienseite da manche Halbsätze gegeneinander geschoben werden und Konflikte hochgebauscht werden. Natürlich gibt es Auseinandersetzungen. Die gibt es auch hier im Land zwischen Rot und Grün. Natürlich gibt es die. Es gibt sachliche Diskussionen, die wir führen. Das gehört zur Politik dazu. Aber wichtig ist, dass man dann am Ende des Tages sich auf was einigt und das gemeinsam vertritt. Und genau so läuft das bei uns in der SPD und genau so läuft das auch hier im Land zwischen Rot und Grün.

    Schmidt-Mattern: Dann lassen Sie uns auf das Thema Koalitionen schauen. Im Saarland steht Ende März eine Neuwahl des Landtags an. Würden Sie dann Heiko Maas eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei empfehlen?

    Kraft: Sie wissen, ich habe das bereits mehrfach gesagt, die Landesverbände müssen selbst entscheiden, was sie tun und was sie nicht tun.

    Schmidt-Mattern: Aber man tauscht sich doch aus.

    Kraft: Natürlich beraten wir darüber, aber auch das hinter verschlossenen Türen. Das tue ich nicht öffentlich. Ich habe mir das damals auch verbeten, als wir hier in Nordrhein-Westfalen in der Situation waren; und zwar deshalb, weil niemand von außen beurteilen kann, wie es hier geht. Und letztlich werden Koalitionen gebildet von Menschen. Die müssen miteinander klarkommen. Und sie werden gebildet, weil Inhalte zueinanderpassen oder nicht zueinander passen. Und bei landespolitischen Entscheidungen geht es um landespolitische Inhalte und es geht um die Menschen, die im Land tätig sind. Und deshalb würde ich nie öffentlich einen Rat geben in irgendeine Richtung eines Landesverbandes, das zu tun oder das zu lassen.

    Schmidt-Mattern: Aber gerade wenn es so sehr um Inhalte geht, haben Inhalte ja auch immer mit den Menschen und Politikern zu tun, die diese Inhalte prägen und formen. Deswegen noch mal die Frage: Ist diese Ausschließeritis, die Heiko Maas im Saarland mit Blick auf die Linkspartei betreibt und die auch Sigmar Gabriel in Bezug auf den Bund formuliert, ist diese Ausschließeritis mit Blick auf die Linkspartei der richtige Weg?

    Kraft: Man muss sich die Inhalte anschauen und muss sehen, geht es oder geht es nicht. Und geht es mit den Personen oder geht es nicht. Und dann muss jede Ebene und jeder Landesverband für sich selbst entscheiden. Und das ist die Verantwortung derjenigen, die dort tätig sind.

    Schmidt-Mattern: Diese Antwort interpretiere ich so, dass Sie eher der Auffassung sind, wie Sie es auch in Ihrem eigenen Landtagswahlkampf hier in Nordrhein-Westfalen 2010 vertreten haben: Man muss sich alle Optionen offen halten, notfalls auch mit der Linkspartei.

    Kraft: Ich habe ja auch die Äußerungen von Oskar Lafontaine im Saarland zur Kenntnis genommen. Also ich meine, eine Partei, die im Prinzip sagt, wir können nicht mit jemandem zusammenarbeiten, der die Schuldengrenze einhalten will, das ist natürlich abstrus, mit Verlaub, denn die Schuldengrenze ist ein Verfassungselement. Wir müssen es einhalten. Man kann ja nicht sagen, ich arbeite nur mit einem zusammen, der die Verfassung nicht einhält. Das habe ich alles nicht verstanden. Aber da bin ich auch nicht tief genug in den Debatten drin. Deshalb von außen von mir kein Ratschlag und auch keine Bewertung dazu.

    Schmidt-Mattern: Aber Sie werden ja eine Meinung haben, zum Beispiel mit Blick auf …

    Kraft: Aber die werde ich nicht öffentlich äußern, mit Verlaub.

    Schmidt-Mattern: Aber das interessiert doch viele Menschen.

    Kraft: Welche Meinung ich zu Heiko Maas und Koalitionen habe, glaube ich nicht.

    Schmidt-Mattern: Welche Meinung Sie zur Linkspartei haben.

    Kraft: Ich habe eine Meinung zur Linkspartei hier, weil ich die beobachten kann und weil ich da sehen kann, was passiert und was nicht passiert. Die Linkspartei hat sich bei den Haushalten zum Teil enthalten. Sie konnten nicht zustimmen. Sie wollten, wenn ich es richtig aufaddiert habe, über eine Milliarde mehr Geld ausgeben. Da sagen wir, es geht nicht. Wir müssen den Dreiklang wahren, nämlich sparen, konsolidieren, wir müssen an den richtigen Stellen investieren, nämlich in Vorbeugung und in Bildung und wir müssen die Einnahmen erhöhen. Und bei diesem Dreiklang wollen wir auch bleiben.

    Schmidt-Mattern: Auf das Thema Haushalt würde ich gleich gerne noch einmal zu sprechen kommen. Einmal noch zurück zur Linkspartei im Bund. Sigmar Gabriel lehnt sich da wesentlich weiter aus dem Fenster als Sie und schließt schon jetzt eine rot-rot-grüne Koalition im Bund aus. Warum tun Sie das nicht auch?

    Kraft: Wir werden das miteinander sicherlich an diesem Wochenende auch diskutieren. Und ich bin keine Bundestagsabgeordnete, ich erlebe diese Bundestagsfraktion auch nur über die Medien, nur indirekt mit. Da muss ich auch mit denjenigen Gespräche führen, die da vor Ort sind, die das beurteilen können. Und dann muss man die Entscheidung treffen. Aber im Moment sind wir überhaupt noch nicht auf dem Weg, Koalition zu definieren oder auszuschließen, denn wir sind ja noch, wenn diese Regierungskoalition noch halten sollte, ein ganzes Stück weg von den Wahlen. Und wir hatten uns eigentlich vorgenommen, erst mal über die Inhalte zu reden. Das sollten wir auch weiterhin tun, denn wir haben eine Menge guter Beschlüsse gefasst und die müssen wir jetzt erst mal auch unter die Menschen bringen.

    Schmidt-Mattern: Lassen Sie uns auf ein ganz anderes Thema zu sprechen kommen, das viele Bürger in Deutschland derzeit sehr beschäftigt: die Affäre um den Bundespräsidenten Christian Wulff. Wie empfinden Sie die Debatte, die da jetzt seit Wochen geführt wird?

    Kraft: Sie macht mich sprachlos. Das ist eigentlich das Einzige, was ich dazu sagen kann. Da kommen Dinge ans Licht, die für mich unvorstellbar sind, für mich persönlich, und die ich mir auch nicht habe vorstellen können. Aber der Bundespräsident ist jemand, der wird nicht abgesetzt, sondern der muss diese Entscheidung selber treffen.

    Schmidt-Mattern: Ist Christian Wulff denn noch – ganz persönlich gesprochen – Ihr Bundespräsident?

    Kraft: Ja, mit "Ihr Bundespräsident" ist das so eine Sache. Ich habe ihn nicht gewählt. Ich war in der Bundesversammlung. Ich glaube, es wird ihn nicht überraschen, wenn ich das auch öffentlich sage. Mir geht es auch ein Stück weit um das Amt des Bundespräsidenten. Er ist eben für mich eine moralische Instanz in unserem Staatsaufbau. Und er muss sich selbst die Frage beantworten, ob er das unter den Umständen, die jetzt auf dem Tisch liegen, noch weiter sein kann.

    Schmidt-Mattern: Wie sehr wird denn das erste Amt im Staate derzeit beschädigt?

    Kraft: Ich glaube, das habe ich ja dadurch gerade deutlich gemacht. Ich glaube schon, dass das auch das Amt ein Stück weit beschädigt. Und ich frage mich, wie will er diese moralische Instanz sein? Ich kann mir nicht vorstellen, dass da sozusagen irgendwann die Berichterstattung zu Ende ist, und dass dann alles irgendwie so ist, als wäre nie etwas gewesen. Wenn ich beobachte, wie das jetzt auch bei den Witzen losgeht. Beim Karnevalszug gibt es jetzt einen Wagen. Alle diese Dinge zeigen natürlich, dass das eine gewisse Dimension erreicht hat. Aber noch mal, der Bundespräsident ist jemand, dem kann man nicht absetzen, sondern der muss diesen Schritt selber tun.

    Schmidt-Mattern: Sie haben hier als Ministerpräsidentin in den vergangenen anderthalb Jahren, in denen die Minderheitsregierung jetzt im Amt ist, auch schon einige Krisen überstehen müssen, unter anderem eine Klage der Opposition vor dem Verfassungsgericht. Wenn Sie auf das Thema Selbstkritik bei Politikern schauen, wie üben Sie Selbstkritik an sich als Politikerin?

    Kraft: Also ich bemühe mich schon, selbstkritisch zu sein. Diese Klage, dass wir da ein Risiko eingehen würden mit dem, was wir im Nachtragshaushalt 2010 gemacht haben, war uns eigentlich schon klar. Denn wir haben Rücklagen bilden wollen für die West-LB. Das war der wesentliche Teil. Diese Rücklagen hat uns das Gericht gesagt, dürfen wir nicht bilden, aus Schulden finanziert. Im Grunde war uns schon klar, dass das Risiko da ist. Allerdings muss ich sagen, dass das dann mit der einstweiligen Anordnung passiert ist, hat uns schon überrascht. Aber letztlich ging es ja gar nicht um rot-grüne Politik, sondern es ging auch ein Stück weit um politische Zuweisung.

    Schmidt-Mattern: Jetzt steht in Kürze wieder die Verabschiedung eines Haushaltes an, nämlich für dieses laufende Jahr 2012. Sie haben allein an Personalkosten circa 22 Milliarden Euro angesetzt. Dem gegenüber stehen gerade Einsparungen von gerade einmal 750 Millionen Euro, eine gewaltige Lücke. Nichtsdestotrotz sagen Sie, Sie wollen jetzt eisern sparen. Was heißt das denn konkret, Frau Ministerpräsidentin?

    Kraft: Ich glaube, wir haben gezeigt, dass wir sparen. Wir haben ja jetzt gerade diese Woche den Haushaltsabschluss für das Jahr 2011 vorgelegt. Und da wird deutlich, dass wir rund eine Milliarde, die wir eingeplant haben, nicht ausgeben. Das heißt, wir sind sehr sparsam zu Werke gegangen. Und das werden wir auch weiterhin tun. Und dann muss man sehen, wie erfolgt dann auch die Einnahmensituation. Wir haben jetzt im Moment noch sprudelnde Steuereinnahmen – Gott sei Dank – aber wir können natürlich auch die Ausgabenseite beeinflussen. Und das versuchen wir auch so sparsam wie möglich voranzugehen. Auch das gehört zu einer soliden Haushaltspolitik dazu.

    Schmidt-Mattern: Aber konkret sagen, wo Sie jetzt in diesem neuen Haushalt sparen wollen, konkret sagen wollen Sie das nicht?

    Kraft: Wir haben ja die Größenordnung genannt. Wir werden das miteinander diskutieren, in welchen Bereichen wir diese Einsparungen vornehmen können, natürlich auch vor dem Hintergrund jetzt der Daten und Fakten, die sich ergeben aus dem Haushaltsabschluss 2011, das ist klar. Ich glaube, wir haben hier eine Menge Erkenntnisse, die wir daraus gewinnen können. Wir haben noch eine Expertenkommission eingesetzt, ein Effizienzteam, wie das heißt. Natürlich hat das Land sehr hohe Personalkosten. Aber ich möchte gerne dem Eindruck widerstehen, dass das hier sozusagen alles Beamtinnen und Beamte im öffentlichen Dienst sind, die hier in Ministerien und Bezirksregierungen und anderen Landeseinrichtungen sitzen. Die Mehrzahl der Menschen, die wir beschäftigen, sind in vier sehr personalintensiven Bereichen tätig. Das ist Schule, das ist Hochschule, das ist Polizei und Justiz. Zu erwarten, wir könnten hier im Hunderten-Millionen-Umfang beim Personal sparen, ist völlig unrealistisch. Wir müssen bei den Ausgaben sparen. Und ich bleibe dabei, insbesondere bei den Ausgaben, die wir deshalb brauchen, weil wir nicht früh genug da waren, weil wir nicht rechtzeitig in Prävention, in Vorbeugung investiert haben.

    Schmidt-Mattern: Dennoch bleibt bei allen Argumenten die Tatsache, dass Sie keine eigene Mehrheit für diesen Haushalt haben. Die CDU-Opposition hier im Landtag in Düsseldorf ist bereits wieder mit dem Titel "Schuldenkönigin" dabei. Eigentlich lässt sich doch niemand gerne so nennen, oder?

    Kraft: Ich glaube, nach dem, was wir jetzt an Haushaltsabschluss 2/11 vorgelegt haben, kann man den umbenennen in "Sparkönigin". Das habe ich gestern mal scherzhaft gesagt. Insofern, da muss man die Kirche im Dorf lassen. Das ist Oppositionspolemik, die gehört einfach auch dazu. Wir kriegen die Neuverschuldung richtig runter. Wir sind jetzt 2011 "nur noch" bei drei Milliarden. Wir hatten in der Planung die feine Linie. Wir können aufzeigen, dass wir das Ziel, 2020 null Neuverschuldung zu haben, auch erreichen wollen. Was wir auf der Landesseite tun können, haben wir getan. Deshalb geht dann unser Blick in Richtung Berlin. Und meine Hoffnung ist da schon die nächste Bundestagswahl, dass wir auch deutlich noch mal sagen, es gibt eine strukturelle Unterfinanzierung von Kommunen und von Ländern und hier brauchen wir mehr Geld. Und das haben wir auf unserem Bundesparteitag sehr klar entschieden in unserem Finanzkonzept. Wir wollen einen höheren Spitzensteuersatz. Wir stehen dazu, weil wir wissen, dass wir in Bildung und in Kommunen und in diese Bereiche investieren müssen.

    Schmidt-Mattern: Frau Ministerpräsidentin, Sie nennen sich selbst jetzt "Sparkönigin" …

    Kraft: Das war ein Scherz. Ich mag solche Begrifflichkeiten gar nicht, aber ich finde, das benutzen die (die CDU-Landtagsopposition) ja, seit wir ins Amt gekommen sind, unabhängig davon, welchen Haushalt in welcher Form wir vorlegen. Das wird doch ein bisschen unglaubwürdig inzwischen.

    Schmidt-Mattern: Dann lassen Sie mich mit einer anderen Frage schließen, die Sie hier vor einigen Tagen vermisst haben, als Sie die versammelte landespolitische Presse hier in Düsseldorf zum Gespräch geladen haben, denn niemand hat Sie an diesem Tag nach Neuwahlen gefragt. Und darüber waren Sie überrascht, vielleicht enttäuscht, ich weiß es nicht.

    Kraft: Na, ich war natürlich darauf vorbereitet, und insofern …

    Schmidt-Mattern: Daraus würde ich gerne meine letzte Frage schließen, nämlich Neuwahlen sind hier in Nordrhein-Westfalen weiter ein Thema für Sie?

    Kraft: Eine Minderheitsregierung, da sind Neuwahlen immer ein Thema. Aber ich bleibe bei dem, was ich immer gesagt habe. Damit es zu Neuwahlen kommt, müssen sich im Landesparlament 91 Hände heben, und die kann ich nach wie vor nicht erkennen. Und insofern, wir regieren weiter. Wir haben eine Menge von unserem Koalitionsvertrag schon umgesetzt, wir haben dieses Land ein ganzes Stück weit voran gebracht mit einem klaren Kurs und auch, glaube ich, mit einer Politik, die deutlich macht, es geht nicht um Konfrontation, sondern wir wollen, so weit es geht, auch andere mitnehmen in den Prozess. Und wir bleiben auch nicht auf unseren Positionen, sondern wir sind auch in der Lage, an der einen oder anderen Stelle unsere Vorschläge zu verändern, wenn es bessere Ideen gibt. Das hat eine neue Qualität und ich glaube, dass das am Ende auch zu dieser Stabilität führt.

    Schmidt-Mattern: Hannelore Kraft, vielen Dank für dieses Gespräch.