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"Wir wollen Offenheit, Transparenz in der Politik"

In Bulgarien wird demonstriert - schon wieder. Im Gegensatz zu den Protesten im Februar gehören die Demonstranten dieses Mal jedoch zum größten Teil der akademischen Mittelschicht an und fordern einen grundlegenden Wechsel in der Politik. Sie sagen: Es geht uns nicht um Geld, sondern um politische Moral.

Von Ralf Borchard | 05.08.2013
    Kalina Dimitrowa und Jordan Dimitrow haben sich im Studium kennengelernt, sie hat Betriebswirtschaft und Buchhaltung, er Volkswirtschaft studiert, heute sind sie beide 36, haben zwei Kinder, Mitko ist 7, Bella 3. Die vier Dimitrows durchqueren einen Park im Zentrum Sofias. Gleich beginnt der tägliche Demonstrationszug.

    "Wir sind nicht einverstanden mit der Politik dieser Regierung, mit diesem Haufen skandalöser Personalentscheidungen, damit, wie sie unser Geld ausgeben. Wir sind das Volk, wir sind die Steuerzahler","

    sagt Kalina. Und ihr Mann ergänzt:

    ""Es geht uns dabei nicht um materielle Dinge, um mehr Geld für uns oder so, sondern um politische Moral, darum, dass die Politik endlich begreift, dass wir die immer gleichen korrupten Strukturen in Bulgarien satthaben. Wir wollen Offenheit, Transparenz in der Politik."

    Die Familie ist typisch für den Kern der Demonstranten, die seit 14. Juni täglich auf die Straße gehen, es sind Manager, Architekten, Designer, Kulturschaffende, Studierende zwischen 20 und 40, die den Rücktritt der erst im Mai neu gewählten Regierung fordern.

    "Vieles hat sich positiv entwickelt seit dem EU-Beitritt Bulgariens 2007, wir haben jetzt zum Beispiel mehr Freiheit, in Europa zu reisen, aber vieles ist auch schlechter geworden. Korruption, der Anteil der Schattenwirtschaft - das hat in den letzten Jahren sogar wieder zugenommen."

    Die Dimitrows verdienen gut für bulgarische Verhältnisse, sie arbeiten beide bei einer kleinen Wirtschaftsberatungsfirma, die auch etwas Geld aus EU-Fonds bezieht. Sie haben eine Eigentumswohnung am Rande von Sofia und einen Kindergartenplatz für Tochter Bella, Sohn Mitko kommt jetzt in die Schule. Wir demonstrieren auch für die Kinder, weil sie ein besseres Leben haben sollen, sagt Kalina Dimitrowa:

    "Ich wünsche mir, dass mein Sohn in einem freieren Land lebt, in dem keine Mafia-Strukturen mehr dominieren, in dem er Arbeitsmöglichkeiten hat, die nicht mehr von Beziehungen zu einer Partei oder einem Mächtigen abhängen, sondern die seiner Ausbildung entsprechen."

    Natürlich wissen beide, dass ein Erfolg der Proteste alles andere als garantiert ist. Und doch sagen sie: Wir halten durch, bis es Neuwahlen gibt, vielleicht hat sich bis dahin auch eine neue Partei formiert, von der wir uns vertreten fühlen:

    Haben sie keine Angst um die Kinder, mitten im Demonstrationszug, nachdem es vor Kurzem Ausschreitungen mit Verletzten gab?

    "Nein, auf keinen Fall will ich meine Kinder zu Hause lassen. Die Ausschreitungen in der einen Nacht waren die absolute Ausnahme, das war spätabends und eine gezielte, vorbereitete Provokation. Schon am nächsten Tag war es wieder völlig friedlich. Dies sind Proteste, zu denen die Leute lächelnd kommen, die überhaupt nicht gefährlich sind, es gibt keinerlei Schlägereien oder so etwas."

    Die dreijährige Bella hat sich am ersten Abend schon die Ohren zugehalten, weil die Pfeifen und Trommeln so laut waren, erzählt Kalina Dimitrowa zum Abschied, aber inzwischen singt die Kleine ganz selbstverständlich im Chor mit. Und schon reihen sich die Vier auch an diesem Abend ein, in der Hoffnung auf ein besseres Bulgarien.