Hartmut Kriege: Herr Erzbischof Marx, in wenigen Tagen beginnt der Programm-Marathon des zweiten ökumenischen Kirchentags in München, ein Treffen zweier Konfessionen in Deutschland. Was erwarten Sie als gastgebender Erzbischof von diesem Treffen, das nach sieben Jahren in München stattfindet?
Reinhard Marx: Zunächst einmal freue ich mich darüber, dass es sich nicht nur auf die zwei Konfessionen beschränkt, sondern dass in diesem Jahr auch zum ersten Mal, glaube ich, in dieser Intensität die Orthodoxen teilnehmen. Also, das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt.
Und zum anderen ist natürlich ein solcher Kirchentag, genau wie Katholikentage oder evangelische Kirchentage, ein großer Marktplatz. Manche stört das, dass es so ein vielfältiges Unternehmen ist. Auf der anderen Seite sag ich mir: Eine offene Gesellschaft, in der wir leben - Gott sei Dank -, braucht auch solche Kommunikationsorte. Und wenn wir als Christen auch aus unserer Perspektive das anbieten, über Gott und die Welt zu reden - aus der Perspektive unserer Hoffnung -, dann leisten wir auch einen Beitrag, glaube ich, für das Miteinander in unserer Gesellschaft.
Das ist nicht immer ganz einfach, weil es vielfältig ist, aber dass es das gibt, dass wir miteinander streiten und miteinander beten, miteinander feiern als Christen in dieser Gesellschaft, das ist in sich schon eine großartige Sache. Und ich hoffe, dass die Menschen, die nach Hause gehen, nach dem ökumenischen Kirchentag sagen: Es hat uns noch mal Rückenwind gegeben für unseren Glauben, für unsere Hoffnung, die wir leben wollen im Alltag.
Kriege: Was macht denn für Sie gerade diese Bi-Konfessionalität aus? Gibt es da ein Verwässern, oder könnte man sagen: Nein, wir schärfen uns eigentlich in verschiedenen Themen?
Marx: Ich glaube, es ist zunächst einmal ein positiver Zwang, dass wir uns noch intensiver einlassen müssen aufeinander in unserem Selbstverständnis, in dem, was wir programmatisch wünschen - das habe ich in der Vorbereitung auch gemerkt: Ob wir einen Katholikentag machen oder einen evangelischen Kirchentag. Da laden wir ja auch ein, und da sind ja viele evangelische Christen auf dem Katholikentag und umgekehrt.
Aber hier ist noch mal ein, ja, ein gewisser positiver Druck - ich sage es noch einmal -, sich auch zu vereinbaren: Was ist das Programm, wie wollen wir feiern, wie wollen wir die Gottesdienste gestalten, welches Thema wollen wir nehmen, welche Referenten sollen wo sprechen? Gut, das bestimmen ja nicht die Bischöfe, wir sind ja Gastgeber, Veranstalter ist der ...
Kriege: Aber Sie wachen drüber.
Marx: Ja, aber wir reden miteinander, denke ich. Wir müssen uns vereinbaren. Es kann keiner den anderen bestimmen, sondern man muss sich vereinbaren, man muss miteinander ringen. Und das ist schon auch etwas Positives, manchmal anstrengend - das wird die evangelische Seite genau so sagen -, aber eben mit diesem Zwang: Wir wollen uns einigen, wir wollen verstehen, warum wollt Ihr das so und warum möchten wir es anders.
Das ist, glaube ich, beim ökumenischen Kirchentag das Besondere. Und dann kann auch, denke ich, das Konfessionelle da sein. Die Orthodoxen werden eine orthodoxe Vesper feiern und dann anschließend einladen zu einer Gemeinschaft des Teilens von Brot und Wein und Öl, also eine Art Begegnung, die sie eben auch über die Konfessionen hinaus anbieten.
Das ist etwas, wo das sehr sichtbar wird - also das eigene Profil, ein ganz orthodoxer Gottesdienst - , aber dann auch die Einladung, nach der Vesper miteinander Austausch zu halten. Und das, denke ich, ist bei anderen Anlässen auch. Oder nehmen wir Christi Himmelfahrt: Wir feiern dann unsere Gottesdienste im Dom und in der evangelischen Kirche und treffen uns dann nach dem Gottesdienst gemeinsam zu einem ökumenischen Abschluss. Solche Kombinationen zeigen: Ja, wir sind noch nicht in allen Punkten eins, aber wir wollen zusammenkommen.
Auch solche symbolisch sichtbare Erfahrungen, glaube ich, könnten einen solchen ökumenischen Kirchentag dann auch prägen und auch Erfahrungen vermitteln, die man mitnimmt nach zu Hause.
Kriege: Sie haben gerade davon gesprochen, dass die Orthodoxen da eine Vesper halten, mit einer Art Agape, anschließender Begegnung. Gerade das steht schon in der Kritik, wie Sie wissen, weil München immer auch noch mit Blick auf den ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin gesehen wird.
Und zwar mit Blick auf einen Vorfall in der Gethsemanekirche, im Prenzlauer Berg, als in einer dort gehaltenen katholischen Messfeier die Nicht-Katholiken nicht ausdrücklich von der Kommunion zurückgewiesen worden sind, was zu einem Eklat führte - hatte doch der Papst, Johannes-Paul II., diesen interkonfessionellen Gottesdienst untersagt.
Befürchten Sie, dass es auch in München Gruppen auftreten, die diesen Vorgang wiederholen könnten?
Marx: Man kann nichts voraussagen. Also im Rahmen dessen, was im offiziellen abgesprochenen Bereich des Kirchentages stattfindet - das galt übrigens auch für Berlin, das waren ja nicht Veranstaltungen des ökumenischen Kirchentages, sondern außerhalb, ausdrücklich gegen den Wunsch beider Veranstalter, das wird man nie genau kontrollieren können. Wir leben ja nicht hier in einer Diktatur, wo man das befehlen kann.
Aber im Rahmen des ökumenischen Kirchentages haben wir sehr, sehr verlässliche, gute Absprachen. Das ist so zusagen das Fundament der Ökumene. Sonst ist Ökumene gar nicht möglich, wenn man nicht das Selbstverständnis des anderen achtet, wir das Selbstverständnis der evangelischen Kirche und umgekehrt die evangelische Kirche oder auch die Orthodoxen das Selbstverständnis, was wir äußern und die Ordnung, die in den einzelnen Kirchen da ist.
Wenn wir das überlaufen, ja, dann ist ein solcher ökumenischer Kirchentag in Zukunft kaum mehr möglich, weil dann irgendwie dieses Grundvertrauen fehlt. Was außerhalb dieses Kirchentages stattfindet, gut, das habe ich nicht in der Hand und kann das nicht bestimmen. Aber ich hoffe, dass auch alle, die zum ökumenischen Kirchentag kommen, spüren: Mit Parforceritt und so zusagen mit eventmäßigen Medienereignissen die Ökumene vorantreiben zu können, das ist ein falscher Weg.
Kriege: Aber es ist für Sie auch kein Anlass, zu sagen, wir machen nicht weiter, wenn noch so ein Ereignis kommen wird.
Marx: Man kann sich ja auch jetzt nicht von Gruppen, die jetzt eine andere Meinung haben oder auch Dinge tun, wo ich sage, das bringt die Ökumene meiner Ansicht nach nicht voran, kann ich ja nicht jetzt so zusagen meine Intention, meine ökumenische Gesinnung abhängig machen. Da würde man ja wirklich die in eine Position bringen, dann bestimmen die nachher, wann ein ökumenischer Kirchentag stattfindet oder ob ein Katholikentag stattfindet. Das kann nicht sein, nein.
Kriege: Derartige Großveranstaltungen haben ja auch immer etwas Janusköpfiges an sich. Auf der einen Seite: Man hat ein Gemeinschaftsgefühl, was über die Konfessionsgrenzen hinausgeht, man trifft sich, man ist zusammen. Auf der anderen Seite weckt das aber auch dann Erwartungen, die nachher, wenn man auseinandergeht, dann nicht mehr erfüllt werden.
Könnte es möglich sein, auch aus Ihrer Sicht, dass da auch ein bisschen Frustration nachher, gerade aufgrund solcher Ereignisse sich in den Gemeinden bildet - in beiden Kirchen?
Marx: Gut, das ist, glaube ich, immer ein gewisses Pendel. Man hat große Feste - sagen wir mal große Wallfahrten, Weltjugendtag -, und dann fragt man sich: Ja, was passiert jetzt in den Gemeinden. Also, das große Fest, die Emotion - ja, die muss man übersetzen in den Alltag hinein. Man kann aber das, was man dort erfährt, nicht einfach eins zu eins übertragen dann in das alltägliche Leben der christlichen Gemeinden. Aber man bekommt einen neuen Schub, man bekommt neue Horizonte.
Also insofern habe ich die Hoffnung, dass auch im Nachklang nicht einfach dann Schluss ist und man sagt: Na ja, das war der ökumenische Kirchentag, das hat keine Auswirkungen gehabt, sondern dass sich auch Kontakte weiter entwickeln und die ökumenischen Begegnungen dadurch eine gewisse Intensität bekommen.
Kriege: Sie hören das Interview der Woche, heute mit Professor Dr. Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising.
Die Klagen dennoch gibt es über eine - sagen wir mal - dahinsiechende Ökumene, und sie sind wahrscheinlich auch so alt wie die ökumenische Bewegung selbst. Die geforderte Einheit der Christenheit: Ist sie überhaupt mit Blick auf die Geschichte der beiden Konfessionen in der einen Kirche wünschenswert?
Marx: Ja, unbedingt! Das ist ja der Auftrag Jesu, dass wir zusammenkommen, dass wir eins sind. Natürlich ergibt sich gerade in unserer Zeit so ein gewisses Missverständnis. Also man sieht die Ökumene - ich möchte mal sagen - wie so ein politisches Unternehmen, so ein Koalitionsgespräch. Also man macht so ein Gesamtpaket, und die eine Seite gibt da ein bisschen nach, die andere da. Und dann muss man irgendwie zurechtkommen. Und dieses Denken ist natürlich schwer zu übertragen auf das, was wir im ökumenischen Bereich tun.
Das Wichtigste für mich ist, dass wir uns auf den gemeinsamen Weg begeben und sagen: Wir verkündigen Jesus Christus, wir sind gemeinsam Getaufte, wir wollen uns vom Evangelium in unserem Alltag inspirieren lassen, wir wollen im Gebet zueinander kommen, wir wollen das gemeinsame Zeugnis in dieser Gesellschaft. Und das ist nicht schwächer geworden, glaube ich.
Die Vorstellung, was die Einheit der Kirche ist, ist ja auch konfessionell und ökumenisch unterschiedlich. Das hat sich natürlich auch in den letzten Jahrzehnten gezeigt. Und im evangelischen Bereich hat sich jetzt stärker durchgesetzt die Vorstellung einfach eine Anerkennung der verschiedenen Kirchen als Kirchen. Und dann ist es eigentlich auch gut. Und dann sagen wir von der katholischen und auch von der orthodoxen Seite: Das ist uns nicht ausreichend genug. Wir wollen wirklich eine sichtbare Einheit, wo man nicht nur äußerlich sich anerkennt und sagt, Ihr glaubt das, wir glauben jenes - das wollen wir da mal so stehen lassen -, sondern wir wollen tiefer gehen.
Darüber müssen wir uns sicher auch verständigen. Was ist die Vorstellung von Einheit? Aber nachlassen dürfen wir nicht daran, wir nicht sagen: Die Ökumene - gut, das ist etwas für einige wenige. Die Päpste haben, vor allen Dingen Johannes Paul II. in einer großen Enzyklika, sehr deutlich gemacht: Es gibt überhaupt keine Alternative zum ökumenischen Weg. Und Benedikt XVI. hat das auch sehr klar unterstrichen, auch bei seinem Besuch jetzt in der evangelischen Kirche in Rom.
Kriege: Es ist dann letztlich eine Frage des Preises, welche Seite bereit ist, was zu geben und was nicht zu geben, also doch ein Koalitionsgespräch.
Marx: Nein, weil es nicht darum geht, was machen wir, sondern: Was will der Herr, was will Jesus Christus. Also die Perspektive ist ja nicht: Ja, wir sind hier Vereine, die haben bestimmte Satzungen, da kann man da ein bisschen was drehen und da ein bisschen was drehen, und dann kommen wir irgendwie zusammen, sondern wir haben beide den Anspruch oder die Erfahrung: Wir möchten verstehen, wie Jesus Christus die Kirche will.
Da sind wir nicht ganz eins, das ist richtig - in wesentlichen Punkten schon. Also es ist nicht so, als wenn wir überhaupt nicht eins sind, das ist selbstverständlich, sonst würden wir ja nicht so etwas machen wie einen ökumenischen Kirchentag, also, da läuft sehr vieles gemeinsam. Und das miteinander auch im Gebet, im geistlichen Leben und auch in den theologischen Dialogen auszutasten, ist, glaube ich, sehr, sehr wichtig. Auch wenn wir an die größere Ökumene unter Einschluss der Orthodoxie. Es nützt uns wenig, irgendwo Wege zu finden - kompromissmäßig, was ich nicht glaube, dass es so einfach geht -, und dann wiederum neue Gräben aufzureißen in eine andere Richtung.
Also wir müssen schon diese größere Ökumene der Orthodoxen, der Protestanten und der Katholiken insgesamt sehen. Es ist ja nicht so, als sei gar nichts erreicht worden. Wenn man die letzten 50 Jahre anschaut, ist eben sehr, sehr viel erreicht worden, wahrscheinlich manches, was sich die Menschen vor 50 Jahren gar nicht haben vorstellen können. Und das, meine ich, muss auch weitergehen.
Kriege: Dieser Kirchentag wird ein bisschen überschattet von einer Sensibilität, die - sagen wir mal - durch den irrigen Sammelbegriff Missbrauch überschattet wird. Generalverdacht gegenüber kirchlichen Mitarbeitern, wenige plausible Erklärungen, wie die Kirchen - beide Kirchen, denn auch die evangelische Kirche ist ja in Bereichen betroffen -, wie man mit diesem Phänomen umgeht. Welchen Weg sehen Sie in dieser Frage?
Marx: Also, der erste Weg ist sicher, zu versuchen, das wirklich aufzuklären und hinzuschauen, was ist gewesen: Das Ausmaß, was in den letzten 50 Jahren, so weit wir es überschauen können, auch in Einrichtungen oder durch kirchliche Mitarbeiter, aber auch in anderen Bereichen erfolgt ist.
Ein wichtiger Punkt wird dann sein, auch die Forschung noch einmal voranzutreiben, was ist das eigentlich und wie kann man dem begegnen, und eben dann Prävention: Auswahl der Mitarbeiter, Schulung der Mitarbeiter, sodass wir am Ende sagen könnten, nach diesen bitteren Erfahrungen, ja auch nach dieser Betroffenheit, die uns alle wirklich tief bewegt - das muss ich wirklich sagen - auch in den Gemeinden, doch als Ziel vor Augen zu haben, wir möchten als Kirche in einigen Jahren als Einrichtung oder als Gemeinschaft gelten, wo die Prävention wirklich vorbildlich läuft.
Das Phänomen selber und das, was hier passiert zu verstehen: Da muss ich sagen, für mich ist das unbegreiflich, was dort passiert. Wenn wir auch mal die Täterprofile anschauen, das geht ja quer durch die Gesellschaft, das beunruhigt mich. Ich habe da keine schlüssige Antwort drauf. Und deswegen finde ich es nicht gut, wenn das so in Schlagzeilen einfach abgearbeitet wird.
Die runden Tische, glaube ich, sind doch eine gute Möglichkeit. Soweit ich höre, vom ersten runden Tisch wurde uns ja berichtet - ja, ich würde fast sagen, dass manche Wissenschaftler ein bisschen, in Anführungsstrichen, "froh waren", dass das Thema endlich auf die Tagesordnung kommt.
Wir als katholische Kirche wollen unsere Hausaufgaben erledigen. Das geht nicht in wenigen Tagen, aber es ist ein wichtiger Auftrag und wir müssen Schritt für Schritt den Menschen vermitteln, dass wir alles in unserer Kraft stehende tun und so Vertrauen wieder gewinnen.
Kriege: Dennoch wissen Sie auch, dass gerade das, was Pater Klaus Mertes losgetreten hat, nicht überall Beifall findet. Setzt man aber nicht auch mögliche Kandidaten für das priesterliche Amt ein bisschen unter Druck, weil sie jetzt so zusagen ausgequetscht werden könnten - und niemand schaut hinter die Stirn eines Menschen -, dass viele das auch zusätzlich abschreckt zu sagen: Bevor ich mich hier einem Rigorosum Morale unterziehe, lasse ich lieber die Finger davon?
Marx: Ich muss da auch die Frage an die Wissenschaftler stellen: Wie kann man denn etwa eine pädophile Neigung erkennen? Ich bin kein Fachmann. Bei manchen kommt es ja erst später und man kann nicht sagen, das sei von vorneherein allen bewusst. Das gilt ja auch für die Auswahl von Lehrern und in den anderen Bereichen von pädagogischen Einrichtungen.
Ich glaube, was wir tun können und tun müssen, ist einfach, die Gesamtpersönlichkeit anzuschauen. Wir werden nie eine hundertprozentige Sicherheit haben, wie entwickelt sich jemand, was kommt in den Jahren auf ihn zu, was entdeckt er in sich an Gefährdungen? Ich kann das nie ganz ausschließen. Wir müssen die moralische Gewissheit haben als Bischöfe, dass wir hier eine Persönlichkeit haben, die ausgereift ist, die überzeugend ist, die in der Frage der Kommunikation mit Menschen authentisch ist und so weiter.
Aber noch einmal: Es wird nie, so weit ich das jetzt sehe, hundertprozentig einen Weg geben, das absolut sicher zu machen und wir können vieles dafür tun, aber diese absolute Sicherheit wird es wahrscheinlich nicht geben.
Kriege: Sie hören das Interview der Woche, heute mit Professor Dr. Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising.
Stichwort menschliche Reife: Wir feiern in diesen Tagen ein Jubiläum. Am 2. Februar 1970 hat Papst Paul VI. einen Brief geschrieben an seinen damaligen Staatssekretär Jean Villot zum Thema "Viri probati", und das drei Jahre, nachdem er selber eine Enzyklika zum Priestertum - in einer sehr rigorosen Weise, könnte man heute sagen - veröffentlicht hat.
Offenbar sind ihm Zweifel gekommen und er hat mal die Frage ventiliert, ob man nicht angesichts der Schwierigkeiten, Nachwuchs zu rekrutieren, auch mal sich umschauen sollte unter geeigneten Männern, verheiratet oder nicht verheiratet, die möglicherweise in der Lage wären, dieses Amt mit zu übernehmen.
Die Bischofssynode hat dann rigoros gesagt: Nein, brauchen wir derzeit nicht, sehen wir auch nicht. Dennoch steht die Frage weiter im Raum. Wäre es eine Möglichkeit - ich frage das jetzt mal jetzt so auch Sie als Erzbischof und Verantwortlichen -, dass man ad experimentum derartige Dinge auch mal unter den derzeitigen Gesichtspunkten in Erwägung zieht und sagt, gut, dann machen wir mal dies Experiment, ob das funktioniert. Was meinen Sie?
Marx: Ich würde es nicht gerne mit dem Thema Missbrauch verknüpfen. Das ist, glaube ich, noch mal eine andere Frage. Man kann, glaube ich, hier nicht einfach experimentieren, sondern man muss erst einmal wieder neu entdecken. Das ist meine Perspektive, den Zölibat auch positiv zu beschreiben. Das ist leider im Augenblick nicht der Fall. Das weiß ich, da mache ich mir keine Illusionen.
In einer solchen Phase noch weiter zu suggerieren oder das Vorurteil noch zu nähren, das ist ja irgendwie eine defiziente Lebensform oder bringt Leute hinein, die nicht ganz richtig sind, das fällt mir schwer. Aber ich bin da auch ein Praktiker und denke, es muss auch mehr lebensmäßig eingebunden sein. Das fehlte uns, glaube ich eigentlich, dass wir sehen, der Zölibat, die Ehelosigkeit des Priesters ist keine Einsamkeit, ist kein Junggesellendasein, sondern soll sich ja auch einfügen in ein Beziehungsgeflecht der Priester untereinander. Da sehe ich schon manche Defizite.
Also, das wäre jetzt meine erste Ausrichtung, zu versuchen, noch einmal deutlich zu machen, dass das nicht nur lebbar ist, sondern ein wichtiges Zeichen in der Kirche. Und da sind wir im Augenblick nicht an dem Punkt. Und das müssen wir miteinander, glaube ich, noch einmal intensiver bereden.
Denn in einer Zeit, in der das im Grunde fast nur in der Kritik ist, da sieht dann ein Experiment, wie das, was Sie vorschlagen, einfach aus als Anfang einer Abschaffung. Und da muss man, glaube ich, schon überlegen. Man kann ein Experiment dieser Art nicht einfach wieder zurückfahren. Das muss man einfach realistisch sehen. Das geht nicht. So naiv bin ich nicht. Das muss man schon gut überlegen.
Kriege: Aber dennoch stellt sich natürlich die Frage: Was macht man in Zukunft mit dem Zölibat?
Marx: Also, ich sehe auch in der aktuellen Diskussion ein starkes Bedürfnis, bei mir selber auch, dieses Lebensmodell, das ja im Evangelium grundgelegt ist, und nicht in der Weise wie wir - Jesus hat ja keinen Kodex verfasst, das ist klar, das wissen wir - aber als sein Beispiel, dass wir das noch stärker weiterentwickeln als ein positives Zeichen. Und wenn das nicht gelingt, dann habe ich große Sorgen.
Kriege: Herr Erzbischof, die Kirche in Deutschland war stets eine gesellschaftlich engagierte Glaubensgemeinschaft. Diese Tradition reicht - Brüche eingeschlossen natürlich - bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Es gibt derzeit wieder starke säkulare Tendenzen, die die Kirche eigentlich aus dem öffentlichen Raum verschwinden lassen wollen. Sie wollen eine klare Trennung zwischen Staat und Religion aus der Sorge, ja vielleicht sogar aus der Angst heraus, dass die Gesellschaft religiös fremdbestimmt wird, wie das so gerne heißt. Wie ist da Ihre Einstellung?
Marx: Also, ich glaube, wir haben in Deutschland die Erfahrung gemacht, dass in einer offenen Gesellschaft auch die Kirchen ihren Platz haben. Welche Modelle das im Laufe der Jahrhunderte sein können, das muss man der Geschichte überlassen.
Wir haben eine gute Erfahrung, dass wir sagen, wir haben eine Trennung von Kirche und Staat. Der Staat soll der Kirche nicht sagen, was sie zu glauben hat und die Kirche hat nicht die Macht, dem Staat zu sagen, was er politisch entscheiden soll.
Aber es ist eine Kooperation da, eine Kooperation, die aber nicht bedeutet, es gibt einen Einfluss oder einen Zwang der Kirche dem Staat gegenüber oder umgekehrt. Das ist, glaube ich, eine ganz gute Lösung. Und ich habe nach der sogenannten Revolution nach '89 auch in den anderen Ländern Europas gespürt, das wird eigentlich von anderen auch als positiv angesehen.
Natürlich gibt es immer wieder neue Auseinandersetzungen. Wir stehen nie irgendwo an einem Punkt und sagen aha, das ist jetzt so in Deutschland, dann bleibt das auch so, sondern wir müssen auch deutlich machen, dass das, was die Kirchen tun, etwas Wichtiges ist, und nicht nur im Karitativen oder gesellschaftspolitischen Sinne, sondern dass es in einer Gesellschaft, die eben offen ist, die weltanschaulich neutral ist, auch die Stimme des Glaubens gibt, der Religion gibt - der Religionen, müssen wir ja heute sagen - gibt, ist etwas, was dazu gehört. Und das müsste man eigentlich positiv unterstreichen.
Kriege: Gut - früher hatte die Kirche einen leichteren Stand, weil sie die große Kraft in der Gesellschaft gewesen ist. Heute steht sie mit anderen Sinnanbietern in einer Reihe, muss sich auch ein bisschen bewähren auf diesem Markt.
Welche Chancen wird denn die Kirche haben, wenn man mal schaut auch mit Blick auf die Gemeinden, in denen es gerade bei den älteren Leuten große Sorgen gibt, dass die Kirche zurückfallen könnte - Krisenzeiten sind immer für solche Rückfragen anfällig -, zurückfallen in Zeiten wie vorher - nach dem Motto: Heute wasche ich mit einer elektrischen Waschmaschine, früher rubbelte ich, das Rubbeln war solider, ich möchte gerne zurück. Hat die Kirche diese Tendenz?
Marx: Dann wäre es nicht meine Kirche, also jedenfalls ich persönlich kann mit solchen Gedanken wenig anfangen zurückzugehen. Also es gibt den Unterschied, sage ich immer, zwischen Restauration und Renaissance. Renaissance - okay, aus alten Ideen wieder was Neues für die heutige Zeit schöpfen, das hat es immer gegeben in der Weltgeschichte und in der Kirchengeschichte.
Aber nostalgisches Zurückgehen ist mit dem Evangelium nicht vereinbar. Das Evangelium muss in jede Zeit neu hineingesprochen werden, und da kann man nicht einfach sagen: Früher war es besser - was gar nicht stimmt übrigens. Also man muss dann schon alles vergleichen und nicht nur bestimmte Dinge herausnehmen.
Nein, davon halte ich überhaupt nichts. Ich bin der Meinung, die moderne Gesellschaft ist, im Ganzen gesehen, ein Fortschritt - die offene Gesellschaft, die Freiheit der Menschheit, sich entscheiden zu können, auch gegen die Kirche entscheiden zu können, ihre persönliche Lebenswahl zu treffen.
Das ist natürlich sehr anspruchsvoll, eine anspruchsvolle Gesellschaft setzt viel an Eigenverantwortung auch voraus. Das war vielleicht früher in festgelegten Gehäusen des Lebenssinns anders, aber keiner von uns will ja, dass wir dahin zurückkehren, dass uns andere sagen, was wir zu denken und zu tun haben. Und das ist eine absolut für Europa oder für Deutschland neue Situation für die Kirche. Die ist nicht so ganz neu, aber sie kommt jetzt überall Schritt für Schritt an.
Aber ich kann doch als Bischof nicht sagen, das ist etwas Gefährliches und Schlimmes. Das ist doch etwas Positives. Was das bedeutet für uns ist natürlich: Jetzt müssen wir auch neu sagen können, jedenfalls deutlicher machen können, warum es - wie ich oft sage - ein Qualitätssprung ist, Christ zu sein. Also die Frage, warum bin ich überhaupt Christ, kann nicht mehr beantwortet werden mit Blick auf die Vergangenheit: Na, wir sind doch hier ein christliches Land.
Das wird nicht ausreichen. Und wenn ich ganz ehrlich bin, halte ich das vom Evangelium her eigentlich für die normalere Situation als zu sagen, wir sind in festen, klaren, christlichen Milieus, wo das eigentlich vorgegeben ist. Und deswegen zitiere ich ab und zu den etwas gefährlichen Satz von Kardinal Lustiger, dem verstorbenen Kardinal von Paris: Das Christentum in Europa steckt noch in den Kinderschuhen, seine große Zeit liegt noch vor uns.
Dann denken natürlich viele, der Erzbischof ist irgendwo nicht ganz in der Realität angekommen. Wir kommen doch aus der großen Vergangenheit. Ja, aber die Vergangenheit ist nur eine Seite, wir müssen ja in die Zukunft hineinschauen. Und nur mit Blick in die Vergangenheit gewinne ich ja die Zukunft auch nicht.
Wenn man die Kirchengeschichte anschaut: Natürlich gab es immer wieder Krisen, auch existenziell gefährdende Situationen - denken wir an die Säkularisierung, denken wir an den Kulturkampf, an Nationalsozialismus. Also da gab es schon Herausforderungen, wo auf einmal die Kirche in einer bedrohlichen Situation war.
Jetzt ist eine andere, eine offene Gesellschaft. Ob das und wie das funktioniert über Jahrhunderte, eine solche offene Gesellschaft weltanschaulich offen und neutral zu leben mit verschiedenen Sinnangeboten - und wie das überhaupt geht, das ist noch ganz offen. Das machen wir ja zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte. Also, da sind ja viele Staatstheoretiker der Meinung, dass das für eine moderne Gesellschaft absolut notwendig und gut ist. Aber kein Zwang! Es gibt keinen Zwang mehr. Und das ist eine neue Situation, der wir uns zu stellen haben.
Reinhard Marx: Zunächst einmal freue ich mich darüber, dass es sich nicht nur auf die zwei Konfessionen beschränkt, sondern dass in diesem Jahr auch zum ersten Mal, glaube ich, in dieser Intensität die Orthodoxen teilnehmen. Also, das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt.
Und zum anderen ist natürlich ein solcher Kirchentag, genau wie Katholikentage oder evangelische Kirchentage, ein großer Marktplatz. Manche stört das, dass es so ein vielfältiges Unternehmen ist. Auf der anderen Seite sag ich mir: Eine offene Gesellschaft, in der wir leben - Gott sei Dank -, braucht auch solche Kommunikationsorte. Und wenn wir als Christen auch aus unserer Perspektive das anbieten, über Gott und die Welt zu reden - aus der Perspektive unserer Hoffnung -, dann leisten wir auch einen Beitrag, glaube ich, für das Miteinander in unserer Gesellschaft.
Das ist nicht immer ganz einfach, weil es vielfältig ist, aber dass es das gibt, dass wir miteinander streiten und miteinander beten, miteinander feiern als Christen in dieser Gesellschaft, das ist in sich schon eine großartige Sache. Und ich hoffe, dass die Menschen, die nach Hause gehen, nach dem ökumenischen Kirchentag sagen: Es hat uns noch mal Rückenwind gegeben für unseren Glauben, für unsere Hoffnung, die wir leben wollen im Alltag.
Kriege: Was macht denn für Sie gerade diese Bi-Konfessionalität aus? Gibt es da ein Verwässern, oder könnte man sagen: Nein, wir schärfen uns eigentlich in verschiedenen Themen?
Marx: Ich glaube, es ist zunächst einmal ein positiver Zwang, dass wir uns noch intensiver einlassen müssen aufeinander in unserem Selbstverständnis, in dem, was wir programmatisch wünschen - das habe ich in der Vorbereitung auch gemerkt: Ob wir einen Katholikentag machen oder einen evangelischen Kirchentag. Da laden wir ja auch ein, und da sind ja viele evangelische Christen auf dem Katholikentag und umgekehrt.
Aber hier ist noch mal ein, ja, ein gewisser positiver Druck - ich sage es noch einmal -, sich auch zu vereinbaren: Was ist das Programm, wie wollen wir feiern, wie wollen wir die Gottesdienste gestalten, welches Thema wollen wir nehmen, welche Referenten sollen wo sprechen? Gut, das bestimmen ja nicht die Bischöfe, wir sind ja Gastgeber, Veranstalter ist der ...
Kriege: Aber Sie wachen drüber.
Marx: Ja, aber wir reden miteinander, denke ich. Wir müssen uns vereinbaren. Es kann keiner den anderen bestimmen, sondern man muss sich vereinbaren, man muss miteinander ringen. Und das ist schon auch etwas Positives, manchmal anstrengend - das wird die evangelische Seite genau so sagen -, aber eben mit diesem Zwang: Wir wollen uns einigen, wir wollen verstehen, warum wollt Ihr das so und warum möchten wir es anders.
Das ist, glaube ich, beim ökumenischen Kirchentag das Besondere. Und dann kann auch, denke ich, das Konfessionelle da sein. Die Orthodoxen werden eine orthodoxe Vesper feiern und dann anschließend einladen zu einer Gemeinschaft des Teilens von Brot und Wein und Öl, also eine Art Begegnung, die sie eben auch über die Konfessionen hinaus anbieten.
Das ist etwas, wo das sehr sichtbar wird - also das eigene Profil, ein ganz orthodoxer Gottesdienst - , aber dann auch die Einladung, nach der Vesper miteinander Austausch zu halten. Und das, denke ich, ist bei anderen Anlässen auch. Oder nehmen wir Christi Himmelfahrt: Wir feiern dann unsere Gottesdienste im Dom und in der evangelischen Kirche und treffen uns dann nach dem Gottesdienst gemeinsam zu einem ökumenischen Abschluss. Solche Kombinationen zeigen: Ja, wir sind noch nicht in allen Punkten eins, aber wir wollen zusammenkommen.
Auch solche symbolisch sichtbare Erfahrungen, glaube ich, könnten einen solchen ökumenischen Kirchentag dann auch prägen und auch Erfahrungen vermitteln, die man mitnimmt nach zu Hause.
Kriege: Sie haben gerade davon gesprochen, dass die Orthodoxen da eine Vesper halten, mit einer Art Agape, anschließender Begegnung. Gerade das steht schon in der Kritik, wie Sie wissen, weil München immer auch noch mit Blick auf den ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin gesehen wird.
Und zwar mit Blick auf einen Vorfall in der Gethsemanekirche, im Prenzlauer Berg, als in einer dort gehaltenen katholischen Messfeier die Nicht-Katholiken nicht ausdrücklich von der Kommunion zurückgewiesen worden sind, was zu einem Eklat führte - hatte doch der Papst, Johannes-Paul II., diesen interkonfessionellen Gottesdienst untersagt.
Befürchten Sie, dass es auch in München Gruppen auftreten, die diesen Vorgang wiederholen könnten?
Marx: Man kann nichts voraussagen. Also im Rahmen dessen, was im offiziellen abgesprochenen Bereich des Kirchentages stattfindet - das galt übrigens auch für Berlin, das waren ja nicht Veranstaltungen des ökumenischen Kirchentages, sondern außerhalb, ausdrücklich gegen den Wunsch beider Veranstalter, das wird man nie genau kontrollieren können. Wir leben ja nicht hier in einer Diktatur, wo man das befehlen kann.
Aber im Rahmen des ökumenischen Kirchentages haben wir sehr, sehr verlässliche, gute Absprachen. Das ist so zusagen das Fundament der Ökumene. Sonst ist Ökumene gar nicht möglich, wenn man nicht das Selbstverständnis des anderen achtet, wir das Selbstverständnis der evangelischen Kirche und umgekehrt die evangelische Kirche oder auch die Orthodoxen das Selbstverständnis, was wir äußern und die Ordnung, die in den einzelnen Kirchen da ist.
Wenn wir das überlaufen, ja, dann ist ein solcher ökumenischer Kirchentag in Zukunft kaum mehr möglich, weil dann irgendwie dieses Grundvertrauen fehlt. Was außerhalb dieses Kirchentages stattfindet, gut, das habe ich nicht in der Hand und kann das nicht bestimmen. Aber ich hoffe, dass auch alle, die zum ökumenischen Kirchentag kommen, spüren: Mit Parforceritt und so zusagen mit eventmäßigen Medienereignissen die Ökumene vorantreiben zu können, das ist ein falscher Weg.
Kriege: Aber es ist für Sie auch kein Anlass, zu sagen, wir machen nicht weiter, wenn noch so ein Ereignis kommen wird.
Marx: Man kann sich ja auch jetzt nicht von Gruppen, die jetzt eine andere Meinung haben oder auch Dinge tun, wo ich sage, das bringt die Ökumene meiner Ansicht nach nicht voran, kann ich ja nicht jetzt so zusagen meine Intention, meine ökumenische Gesinnung abhängig machen. Da würde man ja wirklich die in eine Position bringen, dann bestimmen die nachher, wann ein ökumenischer Kirchentag stattfindet oder ob ein Katholikentag stattfindet. Das kann nicht sein, nein.
Kriege: Derartige Großveranstaltungen haben ja auch immer etwas Janusköpfiges an sich. Auf der einen Seite: Man hat ein Gemeinschaftsgefühl, was über die Konfessionsgrenzen hinausgeht, man trifft sich, man ist zusammen. Auf der anderen Seite weckt das aber auch dann Erwartungen, die nachher, wenn man auseinandergeht, dann nicht mehr erfüllt werden.
Könnte es möglich sein, auch aus Ihrer Sicht, dass da auch ein bisschen Frustration nachher, gerade aufgrund solcher Ereignisse sich in den Gemeinden bildet - in beiden Kirchen?
Marx: Gut, das ist, glaube ich, immer ein gewisses Pendel. Man hat große Feste - sagen wir mal große Wallfahrten, Weltjugendtag -, und dann fragt man sich: Ja, was passiert jetzt in den Gemeinden. Also, das große Fest, die Emotion - ja, die muss man übersetzen in den Alltag hinein. Man kann aber das, was man dort erfährt, nicht einfach eins zu eins übertragen dann in das alltägliche Leben der christlichen Gemeinden. Aber man bekommt einen neuen Schub, man bekommt neue Horizonte.
Also insofern habe ich die Hoffnung, dass auch im Nachklang nicht einfach dann Schluss ist und man sagt: Na ja, das war der ökumenische Kirchentag, das hat keine Auswirkungen gehabt, sondern dass sich auch Kontakte weiter entwickeln und die ökumenischen Begegnungen dadurch eine gewisse Intensität bekommen.
Kriege: Sie hören das Interview der Woche, heute mit Professor Dr. Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising.
Die Klagen dennoch gibt es über eine - sagen wir mal - dahinsiechende Ökumene, und sie sind wahrscheinlich auch so alt wie die ökumenische Bewegung selbst. Die geforderte Einheit der Christenheit: Ist sie überhaupt mit Blick auf die Geschichte der beiden Konfessionen in der einen Kirche wünschenswert?
Marx: Ja, unbedingt! Das ist ja der Auftrag Jesu, dass wir zusammenkommen, dass wir eins sind. Natürlich ergibt sich gerade in unserer Zeit so ein gewisses Missverständnis. Also man sieht die Ökumene - ich möchte mal sagen - wie so ein politisches Unternehmen, so ein Koalitionsgespräch. Also man macht so ein Gesamtpaket, und die eine Seite gibt da ein bisschen nach, die andere da. Und dann muss man irgendwie zurechtkommen. Und dieses Denken ist natürlich schwer zu übertragen auf das, was wir im ökumenischen Bereich tun.
Das Wichtigste für mich ist, dass wir uns auf den gemeinsamen Weg begeben und sagen: Wir verkündigen Jesus Christus, wir sind gemeinsam Getaufte, wir wollen uns vom Evangelium in unserem Alltag inspirieren lassen, wir wollen im Gebet zueinander kommen, wir wollen das gemeinsame Zeugnis in dieser Gesellschaft. Und das ist nicht schwächer geworden, glaube ich.
Die Vorstellung, was die Einheit der Kirche ist, ist ja auch konfessionell und ökumenisch unterschiedlich. Das hat sich natürlich auch in den letzten Jahrzehnten gezeigt. Und im evangelischen Bereich hat sich jetzt stärker durchgesetzt die Vorstellung einfach eine Anerkennung der verschiedenen Kirchen als Kirchen. Und dann ist es eigentlich auch gut. Und dann sagen wir von der katholischen und auch von der orthodoxen Seite: Das ist uns nicht ausreichend genug. Wir wollen wirklich eine sichtbare Einheit, wo man nicht nur äußerlich sich anerkennt und sagt, Ihr glaubt das, wir glauben jenes - das wollen wir da mal so stehen lassen -, sondern wir wollen tiefer gehen.
Darüber müssen wir uns sicher auch verständigen. Was ist die Vorstellung von Einheit? Aber nachlassen dürfen wir nicht daran, wir nicht sagen: Die Ökumene - gut, das ist etwas für einige wenige. Die Päpste haben, vor allen Dingen Johannes Paul II. in einer großen Enzyklika, sehr deutlich gemacht: Es gibt überhaupt keine Alternative zum ökumenischen Weg. Und Benedikt XVI. hat das auch sehr klar unterstrichen, auch bei seinem Besuch jetzt in der evangelischen Kirche in Rom.
Kriege: Es ist dann letztlich eine Frage des Preises, welche Seite bereit ist, was zu geben und was nicht zu geben, also doch ein Koalitionsgespräch.
Marx: Nein, weil es nicht darum geht, was machen wir, sondern: Was will der Herr, was will Jesus Christus. Also die Perspektive ist ja nicht: Ja, wir sind hier Vereine, die haben bestimmte Satzungen, da kann man da ein bisschen was drehen und da ein bisschen was drehen, und dann kommen wir irgendwie zusammen, sondern wir haben beide den Anspruch oder die Erfahrung: Wir möchten verstehen, wie Jesus Christus die Kirche will.
Da sind wir nicht ganz eins, das ist richtig - in wesentlichen Punkten schon. Also es ist nicht so, als wenn wir überhaupt nicht eins sind, das ist selbstverständlich, sonst würden wir ja nicht so etwas machen wie einen ökumenischen Kirchentag, also, da läuft sehr vieles gemeinsam. Und das miteinander auch im Gebet, im geistlichen Leben und auch in den theologischen Dialogen auszutasten, ist, glaube ich, sehr, sehr wichtig. Auch wenn wir an die größere Ökumene unter Einschluss der Orthodoxie. Es nützt uns wenig, irgendwo Wege zu finden - kompromissmäßig, was ich nicht glaube, dass es so einfach geht -, und dann wiederum neue Gräben aufzureißen in eine andere Richtung.
Also wir müssen schon diese größere Ökumene der Orthodoxen, der Protestanten und der Katholiken insgesamt sehen. Es ist ja nicht so, als sei gar nichts erreicht worden. Wenn man die letzten 50 Jahre anschaut, ist eben sehr, sehr viel erreicht worden, wahrscheinlich manches, was sich die Menschen vor 50 Jahren gar nicht haben vorstellen können. Und das, meine ich, muss auch weitergehen.
Kriege: Dieser Kirchentag wird ein bisschen überschattet von einer Sensibilität, die - sagen wir mal - durch den irrigen Sammelbegriff Missbrauch überschattet wird. Generalverdacht gegenüber kirchlichen Mitarbeitern, wenige plausible Erklärungen, wie die Kirchen - beide Kirchen, denn auch die evangelische Kirche ist ja in Bereichen betroffen -, wie man mit diesem Phänomen umgeht. Welchen Weg sehen Sie in dieser Frage?
Marx: Also, der erste Weg ist sicher, zu versuchen, das wirklich aufzuklären und hinzuschauen, was ist gewesen: Das Ausmaß, was in den letzten 50 Jahren, so weit wir es überschauen können, auch in Einrichtungen oder durch kirchliche Mitarbeiter, aber auch in anderen Bereichen erfolgt ist.
Ein wichtiger Punkt wird dann sein, auch die Forschung noch einmal voranzutreiben, was ist das eigentlich und wie kann man dem begegnen, und eben dann Prävention: Auswahl der Mitarbeiter, Schulung der Mitarbeiter, sodass wir am Ende sagen könnten, nach diesen bitteren Erfahrungen, ja auch nach dieser Betroffenheit, die uns alle wirklich tief bewegt - das muss ich wirklich sagen - auch in den Gemeinden, doch als Ziel vor Augen zu haben, wir möchten als Kirche in einigen Jahren als Einrichtung oder als Gemeinschaft gelten, wo die Prävention wirklich vorbildlich läuft.
Das Phänomen selber und das, was hier passiert zu verstehen: Da muss ich sagen, für mich ist das unbegreiflich, was dort passiert. Wenn wir auch mal die Täterprofile anschauen, das geht ja quer durch die Gesellschaft, das beunruhigt mich. Ich habe da keine schlüssige Antwort drauf. Und deswegen finde ich es nicht gut, wenn das so in Schlagzeilen einfach abgearbeitet wird.
Die runden Tische, glaube ich, sind doch eine gute Möglichkeit. Soweit ich höre, vom ersten runden Tisch wurde uns ja berichtet - ja, ich würde fast sagen, dass manche Wissenschaftler ein bisschen, in Anführungsstrichen, "froh waren", dass das Thema endlich auf die Tagesordnung kommt.
Wir als katholische Kirche wollen unsere Hausaufgaben erledigen. Das geht nicht in wenigen Tagen, aber es ist ein wichtiger Auftrag und wir müssen Schritt für Schritt den Menschen vermitteln, dass wir alles in unserer Kraft stehende tun und so Vertrauen wieder gewinnen.
Kriege: Dennoch wissen Sie auch, dass gerade das, was Pater Klaus Mertes losgetreten hat, nicht überall Beifall findet. Setzt man aber nicht auch mögliche Kandidaten für das priesterliche Amt ein bisschen unter Druck, weil sie jetzt so zusagen ausgequetscht werden könnten - und niemand schaut hinter die Stirn eines Menschen -, dass viele das auch zusätzlich abschreckt zu sagen: Bevor ich mich hier einem Rigorosum Morale unterziehe, lasse ich lieber die Finger davon?
Marx: Ich muss da auch die Frage an die Wissenschaftler stellen: Wie kann man denn etwa eine pädophile Neigung erkennen? Ich bin kein Fachmann. Bei manchen kommt es ja erst später und man kann nicht sagen, das sei von vorneherein allen bewusst. Das gilt ja auch für die Auswahl von Lehrern und in den anderen Bereichen von pädagogischen Einrichtungen.
Ich glaube, was wir tun können und tun müssen, ist einfach, die Gesamtpersönlichkeit anzuschauen. Wir werden nie eine hundertprozentige Sicherheit haben, wie entwickelt sich jemand, was kommt in den Jahren auf ihn zu, was entdeckt er in sich an Gefährdungen? Ich kann das nie ganz ausschließen. Wir müssen die moralische Gewissheit haben als Bischöfe, dass wir hier eine Persönlichkeit haben, die ausgereift ist, die überzeugend ist, die in der Frage der Kommunikation mit Menschen authentisch ist und so weiter.
Aber noch einmal: Es wird nie, so weit ich das jetzt sehe, hundertprozentig einen Weg geben, das absolut sicher zu machen und wir können vieles dafür tun, aber diese absolute Sicherheit wird es wahrscheinlich nicht geben.
Kriege: Sie hören das Interview der Woche, heute mit Professor Dr. Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising.
Stichwort menschliche Reife: Wir feiern in diesen Tagen ein Jubiläum. Am 2. Februar 1970 hat Papst Paul VI. einen Brief geschrieben an seinen damaligen Staatssekretär Jean Villot zum Thema "Viri probati", und das drei Jahre, nachdem er selber eine Enzyklika zum Priestertum - in einer sehr rigorosen Weise, könnte man heute sagen - veröffentlicht hat.
Offenbar sind ihm Zweifel gekommen und er hat mal die Frage ventiliert, ob man nicht angesichts der Schwierigkeiten, Nachwuchs zu rekrutieren, auch mal sich umschauen sollte unter geeigneten Männern, verheiratet oder nicht verheiratet, die möglicherweise in der Lage wären, dieses Amt mit zu übernehmen.
Die Bischofssynode hat dann rigoros gesagt: Nein, brauchen wir derzeit nicht, sehen wir auch nicht. Dennoch steht die Frage weiter im Raum. Wäre es eine Möglichkeit - ich frage das jetzt mal jetzt so auch Sie als Erzbischof und Verantwortlichen -, dass man ad experimentum derartige Dinge auch mal unter den derzeitigen Gesichtspunkten in Erwägung zieht und sagt, gut, dann machen wir mal dies Experiment, ob das funktioniert. Was meinen Sie?
Marx: Ich würde es nicht gerne mit dem Thema Missbrauch verknüpfen. Das ist, glaube ich, noch mal eine andere Frage. Man kann, glaube ich, hier nicht einfach experimentieren, sondern man muss erst einmal wieder neu entdecken. Das ist meine Perspektive, den Zölibat auch positiv zu beschreiben. Das ist leider im Augenblick nicht der Fall. Das weiß ich, da mache ich mir keine Illusionen.
In einer solchen Phase noch weiter zu suggerieren oder das Vorurteil noch zu nähren, das ist ja irgendwie eine defiziente Lebensform oder bringt Leute hinein, die nicht ganz richtig sind, das fällt mir schwer. Aber ich bin da auch ein Praktiker und denke, es muss auch mehr lebensmäßig eingebunden sein. Das fehlte uns, glaube ich eigentlich, dass wir sehen, der Zölibat, die Ehelosigkeit des Priesters ist keine Einsamkeit, ist kein Junggesellendasein, sondern soll sich ja auch einfügen in ein Beziehungsgeflecht der Priester untereinander. Da sehe ich schon manche Defizite.
Also, das wäre jetzt meine erste Ausrichtung, zu versuchen, noch einmal deutlich zu machen, dass das nicht nur lebbar ist, sondern ein wichtiges Zeichen in der Kirche. Und da sind wir im Augenblick nicht an dem Punkt. Und das müssen wir miteinander, glaube ich, noch einmal intensiver bereden.
Denn in einer Zeit, in der das im Grunde fast nur in der Kritik ist, da sieht dann ein Experiment, wie das, was Sie vorschlagen, einfach aus als Anfang einer Abschaffung. Und da muss man, glaube ich, schon überlegen. Man kann ein Experiment dieser Art nicht einfach wieder zurückfahren. Das muss man einfach realistisch sehen. Das geht nicht. So naiv bin ich nicht. Das muss man schon gut überlegen.
Kriege: Aber dennoch stellt sich natürlich die Frage: Was macht man in Zukunft mit dem Zölibat?
Marx: Also, ich sehe auch in der aktuellen Diskussion ein starkes Bedürfnis, bei mir selber auch, dieses Lebensmodell, das ja im Evangelium grundgelegt ist, und nicht in der Weise wie wir - Jesus hat ja keinen Kodex verfasst, das ist klar, das wissen wir - aber als sein Beispiel, dass wir das noch stärker weiterentwickeln als ein positives Zeichen. Und wenn das nicht gelingt, dann habe ich große Sorgen.
Kriege: Herr Erzbischof, die Kirche in Deutschland war stets eine gesellschaftlich engagierte Glaubensgemeinschaft. Diese Tradition reicht - Brüche eingeschlossen natürlich - bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Es gibt derzeit wieder starke säkulare Tendenzen, die die Kirche eigentlich aus dem öffentlichen Raum verschwinden lassen wollen. Sie wollen eine klare Trennung zwischen Staat und Religion aus der Sorge, ja vielleicht sogar aus der Angst heraus, dass die Gesellschaft religiös fremdbestimmt wird, wie das so gerne heißt. Wie ist da Ihre Einstellung?
Marx: Also, ich glaube, wir haben in Deutschland die Erfahrung gemacht, dass in einer offenen Gesellschaft auch die Kirchen ihren Platz haben. Welche Modelle das im Laufe der Jahrhunderte sein können, das muss man der Geschichte überlassen.
Wir haben eine gute Erfahrung, dass wir sagen, wir haben eine Trennung von Kirche und Staat. Der Staat soll der Kirche nicht sagen, was sie zu glauben hat und die Kirche hat nicht die Macht, dem Staat zu sagen, was er politisch entscheiden soll.
Aber es ist eine Kooperation da, eine Kooperation, die aber nicht bedeutet, es gibt einen Einfluss oder einen Zwang der Kirche dem Staat gegenüber oder umgekehrt. Das ist, glaube ich, eine ganz gute Lösung. Und ich habe nach der sogenannten Revolution nach '89 auch in den anderen Ländern Europas gespürt, das wird eigentlich von anderen auch als positiv angesehen.
Natürlich gibt es immer wieder neue Auseinandersetzungen. Wir stehen nie irgendwo an einem Punkt und sagen aha, das ist jetzt so in Deutschland, dann bleibt das auch so, sondern wir müssen auch deutlich machen, dass das, was die Kirchen tun, etwas Wichtiges ist, und nicht nur im Karitativen oder gesellschaftspolitischen Sinne, sondern dass es in einer Gesellschaft, die eben offen ist, die weltanschaulich neutral ist, auch die Stimme des Glaubens gibt, der Religion gibt - der Religionen, müssen wir ja heute sagen - gibt, ist etwas, was dazu gehört. Und das müsste man eigentlich positiv unterstreichen.
Kriege: Gut - früher hatte die Kirche einen leichteren Stand, weil sie die große Kraft in der Gesellschaft gewesen ist. Heute steht sie mit anderen Sinnanbietern in einer Reihe, muss sich auch ein bisschen bewähren auf diesem Markt.
Welche Chancen wird denn die Kirche haben, wenn man mal schaut auch mit Blick auf die Gemeinden, in denen es gerade bei den älteren Leuten große Sorgen gibt, dass die Kirche zurückfallen könnte - Krisenzeiten sind immer für solche Rückfragen anfällig -, zurückfallen in Zeiten wie vorher - nach dem Motto: Heute wasche ich mit einer elektrischen Waschmaschine, früher rubbelte ich, das Rubbeln war solider, ich möchte gerne zurück. Hat die Kirche diese Tendenz?
Marx: Dann wäre es nicht meine Kirche, also jedenfalls ich persönlich kann mit solchen Gedanken wenig anfangen zurückzugehen. Also es gibt den Unterschied, sage ich immer, zwischen Restauration und Renaissance. Renaissance - okay, aus alten Ideen wieder was Neues für die heutige Zeit schöpfen, das hat es immer gegeben in der Weltgeschichte und in der Kirchengeschichte.
Aber nostalgisches Zurückgehen ist mit dem Evangelium nicht vereinbar. Das Evangelium muss in jede Zeit neu hineingesprochen werden, und da kann man nicht einfach sagen: Früher war es besser - was gar nicht stimmt übrigens. Also man muss dann schon alles vergleichen und nicht nur bestimmte Dinge herausnehmen.
Nein, davon halte ich überhaupt nichts. Ich bin der Meinung, die moderne Gesellschaft ist, im Ganzen gesehen, ein Fortschritt - die offene Gesellschaft, die Freiheit der Menschheit, sich entscheiden zu können, auch gegen die Kirche entscheiden zu können, ihre persönliche Lebenswahl zu treffen.
Das ist natürlich sehr anspruchsvoll, eine anspruchsvolle Gesellschaft setzt viel an Eigenverantwortung auch voraus. Das war vielleicht früher in festgelegten Gehäusen des Lebenssinns anders, aber keiner von uns will ja, dass wir dahin zurückkehren, dass uns andere sagen, was wir zu denken und zu tun haben. Und das ist eine absolut für Europa oder für Deutschland neue Situation für die Kirche. Die ist nicht so ganz neu, aber sie kommt jetzt überall Schritt für Schritt an.
Aber ich kann doch als Bischof nicht sagen, das ist etwas Gefährliches und Schlimmes. Das ist doch etwas Positives. Was das bedeutet für uns ist natürlich: Jetzt müssen wir auch neu sagen können, jedenfalls deutlicher machen können, warum es - wie ich oft sage - ein Qualitätssprung ist, Christ zu sein. Also die Frage, warum bin ich überhaupt Christ, kann nicht mehr beantwortet werden mit Blick auf die Vergangenheit: Na, wir sind doch hier ein christliches Land.
Das wird nicht ausreichen. Und wenn ich ganz ehrlich bin, halte ich das vom Evangelium her eigentlich für die normalere Situation als zu sagen, wir sind in festen, klaren, christlichen Milieus, wo das eigentlich vorgegeben ist. Und deswegen zitiere ich ab und zu den etwas gefährlichen Satz von Kardinal Lustiger, dem verstorbenen Kardinal von Paris: Das Christentum in Europa steckt noch in den Kinderschuhen, seine große Zeit liegt noch vor uns.
Dann denken natürlich viele, der Erzbischof ist irgendwo nicht ganz in der Realität angekommen. Wir kommen doch aus der großen Vergangenheit. Ja, aber die Vergangenheit ist nur eine Seite, wir müssen ja in die Zukunft hineinschauen. Und nur mit Blick in die Vergangenheit gewinne ich ja die Zukunft auch nicht.
Wenn man die Kirchengeschichte anschaut: Natürlich gab es immer wieder Krisen, auch existenziell gefährdende Situationen - denken wir an die Säkularisierung, denken wir an den Kulturkampf, an Nationalsozialismus. Also da gab es schon Herausforderungen, wo auf einmal die Kirche in einer bedrohlichen Situation war.
Jetzt ist eine andere, eine offene Gesellschaft. Ob das und wie das funktioniert über Jahrhunderte, eine solche offene Gesellschaft weltanschaulich offen und neutral zu leben mit verschiedenen Sinnangeboten - und wie das überhaupt geht, das ist noch ganz offen. Das machen wir ja zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte. Also, da sind ja viele Staatstheoretiker der Meinung, dass das für eine moderne Gesellschaft absolut notwendig und gut ist. Aber kein Zwang! Es gibt keinen Zwang mehr. Und das ist eine neue Situation, der wir uns zu stellen haben.