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Wirtschaft im Nordirak
Wie ein Flussbett ohne Wasser

In der autonomen Region Kurdistan im Nordirak hatten sich seit 2003 internationale Konsulate, Investoren und Firmen aus dem Ausland angesiedelt. Erbil, die kurdische Hauptstadt, boomte. Doch seit dem Vorrücken der IS-Miliz und dem Fall des Ölpreises herrscht Stagnation.

Von Martin Gerner | 06.10.2016
    Stadtansicht von Erbil, Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan Irak, aufgenommen am 23.09.2016 in Erbil im Irak.
    Erbil - die Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan Irak, ist eine moderne Großstadt mit mehr als einer Million Einwohnern. (dpa / Michael Kappeler)
    Die Mazi-Mall ist Duhoks größtes Einkaufs-Paradies im US-amerikanischen Stil. Drei Stockwerke. Ausladende Rolltreppen. Der Geruch von Zuckerwatte, der sich mit Bratfett und süßlichem Parfum mischt. Schrille Schlagermusik. Dazu die üblichen Trendsetter-Boutiquen: Prada, Lacoste, Chanel. Spielhöllen für Kinder unter 18, unten Supermärkte mit viel türkischen und iranischen Waren. Auch drei Kinos sind hier. Kino-Karten kosten in diesen Tagen nur ein Drittel des sonstigen Preises, rund zwei Euro. Der Grund: die Wirtschaftskrise, in der Kurdistan tief steckt. Ayad ist Chef der Handelskammer Duhok:
    Nach der irakischen Verfassung stehen Kurdistan 17 Prozent des Staatsbudgets zu. Aber seit zwei Jahren zahlt Bagdad nicht an Erbil, beklagt Ayad. Hinzu kommt der enorme Fall des Ölpreises. Aus beiden Gründen kann die kurdische Autonomie-Regierung die Gehälter für seine 1,4 Million Beamten nicht zahlen. Der Bau neuer Straßen stockt.
    Kampf gegen IS hat alles zum Erliegen gebracht
    "Wir bräuchten eigentlich 3.000 neue Schulen, aber es fehlt das Geld."
    Stolz erzählt Ayad von den 23 ausländischen Konsulaten und vielen ausländischen Investoren, die nach 2003 in Kurdistan investiert und sich angesiedelt haben, darunter zahlreiche deutsche Firmen in Duhok, das eine halbe Million Einwohner zählt.
    "Es gibt einen Masterplan für Duhok von einer deutschen Firma. Vössing. Eine Firma aus Hannover, die hier versucht hat, neue Standards zu setzen. Aber der Krieg gegen den IS hat alles zum Erliegen gebracht."
    Eine Mischung aus Misstrauen und Vorsicht herrscht seitdem vor. Zu sehen ist das auch im Stadtbild von Erbil. An unzähligen Kreuzungen ragen Bauruinen in den Himmel: Bis zu 20 Stockwerk hohe Wolkenkratzer als Sinnbild der Krise.
    2007 gab es viele Jobs in Erbil
    Als ich hier 2007 hergekommen bin, konnte ich unter 10 bis 20 Jobangeboten aussuchen, so Mohammad. Jeder, der Arbeit suchte, bekam welche. "Ich bin von Firma zu Firma gewechselt, habe mein Gehalt so ständig verbessert. Jetzt hat sich alles gewandelt. Auf ein, zwei Jobs, die es gibt, bewerben sich manchmal 1.000 Leute."
    In den Wolkenkratzer-Ruinen schlafen jetzt Gruppen von Obdachlosen in Erbil. Depression und Drogenkonsum steigen, erzählt ein Sozialarbeiter. Mohammad Al-Qalamji vertritt in Erbil das deutsche Unternehmen Grohe:
    "Ich bin Koordinator für Grohe hier. Wir verkaufen Bad-Armaturen als eine der führenden Firmen weltweit. Ich vertrete die Firma alleine hier jetzt, vorher waren wir zwei. Wir glauben, dass der Markt sich wieder erholen wird. Wir sind zufrieden, wenn wir 40 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahr erreichen."
    Viele Indikatoren zeigen allerdings, dass die Wirtschaftskrise in Kurdistan strukturell und nicht vorübergehend ist. Der Konsum kaschiert nur unschwer eine Ökonomie, die weitestgehend vom Import lebt.
    Erschließung von Erdöl erst möglich, wenn Terror besiegt ist
    "Auch die mehr als 2.000 türkischen Unternehmen, die für das Bau- und Konsum-Klima der letzten 15 Jahre mitverantwortlich waren, sind von der Krise nicht verschont. Mohammad sieht Wettbewerbsvorteile bei ihnen:
    "Die türkische Regierung unterstützt ihre Firmen mit erheblichen Steuererleichterungen. Sie haben ein eindrucksvolles Banking-System. Die türkischen Unternehmen bekommen Garantien in Millionen-Höhe. Vergleichbares gibt es auf Seiten der kurdischen Wirtschaft nicht. Begrenzte Kredite stehen hohe Zinsraten gegenüber. Das macht die Türkei stark hier."
    Im Moment fühle sich das Klima an wie ein Flussbett ohne Wasser. Auch neue Erdöl-Vorkommen werden absehbar erst dann wieder besser erforscht, international verkauft und ausgebeutet, wenn die Terror-Gefahr des Islamischen Staats abgewendet ist.
    Ayad tröstet die Tatsache, dass neben Hunderttausenden an Flüchtlingen, die in mehr einem Dutzend Lagern um Duhok herum in erbärmlichen Zuständen leben, im Spätsommer jetzt viele zahlungskräftige arabische Touristen aus Bagdad und dem Rest-Irak in die Stadt kommen.
    "Duhok ist beliebt wegen seiner Bergluft und den Wasserquellen. Es sind jetzt rund 20.000 Reisende und Besucher hier. Das ist gut für unsere Taxifahrer, für die Hotels und die Geschäfte."