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"Wirtschaft und Vertrauen"

Burkhard Müller-Ullrich: Zwischen Berlin und polnischer Grenze liegt Schloss Neuhardenberg, dort wird vom deutschen Sparkassen und Giroverband finanziert, eine große sechsteilige Serie "Vertrauen - eine Chiffre im Zenrtum der zeitgenössischen Verlegenheiten", die im Übrigen unter der ideellen Anleitung des Berliner Politikwissenschaftlers, Historikers und Soziologen Bernd Guggenberger steht, angeboten. Thema der zweiten Konferenz war "Wirtschaft und Vertrauen ". Geborgenheit - das ist, falls Sie es noch wissen wollen, das zweitschönste deutsche Wort. Das hat auch etwas mit Vertrauen zu tun, nicht wahr, Herr Orzessek

Moderation: Burkhard Müller-Ullrich |
    Arno Orzessek: Das ist die Frage. Hier ist vorgeschlagen worden, dass es mehr mit Glaubwürdigkeit und Konsistenz zu tun hat, ich glaube aber, dass man sicherlich sagen kann, dass Vertrauen in erster Linie einen positiven und zwar emotionalen Zustand abbildet, vielleicht sogar jenseits oder diesseits der Vernunft, das zeigte sich ja am deutlichsten hier auf der Tagung im Schloss Neuhardenberg. Man kann sagen, dass Schloss Neuhardenberg jetzt versucht, so eine Art Typologie des Vertrauens, den Durchgang durch alle Phänomene zu versuchen. Beim Thema Wirtschaft ist natürlich der Generalverdacht nicht ganz anders als bei Religion und Politik, nämlich Vertrauen ist unstrittig eine lebensnotwendige und im Übrigen eher System stabilisierende Ressource. Wenn das Vertrauen in die Krisenbewältigungskompetenz der Opelbosse verschwindet, dann stehen die Bänder still, wenn die Kunden glauben, sie werden für ihren Karstadtföhn keine Garantieleistungen mehr einfordern können, gehen sie womöglich in die Kaufhalle. Das heißt, es gab hier die Diagnose einer Vertrauenskrise, es soll sie geben, ja, es gibt sie, ist gesagt worden, und im Mittelpunkt dieses Misstrauens standen allerdings aufs Ganze gesehen eher die Großen, das heißt also die börsen- und shareholder-value-orientierten Unternehmen. Denn auch in Neuhardenberg wurde der deutsche Mittelstand wie meistens gehätschelt, der gilt ja als ein wahrer Ausbund des Gemeinsinns und sogar der Verantwortlichkeit. Und Bernhard Schlink, das ist eigentlich ein Jurist, aber bekannter als Autor von "Der Vorleser", nannte die global player feudalistische Einheiten, in denen sich die Herren bekriegen und wieder aufhelfen, aber ihre Kumpanei eben nur unter ihresgleichen ausüben und wegen dieses Neofeudalismus gehe das Systemvertrauen (nicht das Vertrauen unter Menschen) verloren. Er glaubt, dass Recht, Moral und damit Vertrauen erst wieder dann in die Institutionen gegeben wird, wenn es auch eingebaut ist und zwar rechtlich und durch Organisationsformen.

    Müller-Ullrich: Aber Systemvertrauen ist doch jetzt schon eine politische Kategorie, wir wollen vielleicht zunächst mal wirklich nur übers Wirtschaften sprechen. Im Wirtschaftsleben selbst gibt es ja wohl zwei Weisen des Vertrauens oder überhupt Verhaltensweisen. Das eine ist "take the money and run"; sofort, kein Vertrauen nötig. Oder eben die langfristige Kundenbeziehungspflege, Sie hatten schon angedeutet, dass es eine zeitliche Dimension, eine Psychoressource der Nachhaltigkeit gibt.

    Orzessek: Ja, man könnte generell behaupten, wenn es denn stimmt, dass also Vertrauen letztlich und endlich ein Verkaufs- und Erfolgsprinzip ist. Das gilt aber nur so lange, wie es nicht einige Leute gibt, die relativ erfolgreich sind mit kurzfristigen Bereicherungsmaßnahmen. Deshalb stand natürlich dann irgendwann einmal auch diese Gegenüberstellung von Vertrauen und Kontrolle im Mittelpunkt und dabei ist dann insbesondere Götz Werner, der Chef von dm, davon gibt es mittlerweile 1500 Filialen und vor 30 Jahren gab es nur eine, aufgetreten und hat irgendwie den Eindruck erweckt, als sei Unternehmensführung eine wahrhaft sozial-künstlerische Veranstaltung und der Einzelhandel speziell eine Kulturveranstaltung. Dass es bei dm gar nicht um Menschenführung ginge, sondern um Bewusstseinsführung und überhaupt, wer das Wort in den Mund nimmt "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" - das ist ja ein alter Topos zu diesem Thema -, der haben kein Menschen-, sondern sogar ein Tierbild. Diese Verhübschung des dm-Geschäftsprinzips (ich kenne es nicht im Einzelnen) ist dann hier gleich als humanrhetorische Sprechblase unter anderem vom ideellen Stichwortgeber Guggenberger verunglimpft worden, ohne dass er allerdings beweisen konnte, warum das nicht tatsächlich dort stimmt, während dann auf der anderen Seite Klaus Lang, das ist der Personalchef der Stahlwerke Georgsmarienhütte bei Osnabrück, gesagt hat, das sei gerade das Problem, dass diese Kontrolle in den Institutionen nicht seriös durchgeführt würde, und deshalb gibt es die Krise zumal in den Großkonzernen.

    Müller-Ullrich: Also schwindendes Vertrauen auf der einen Seite und großes Lamento deswegen, aber auf der anderen Seite gibt es doch auch neue Formen des Vertrauens, ich denke etwa an die größte Handelsplattform, die jetzt im Internet agiert, nämlich ebay, das doch vollkommen auf völlig neuen Formen des Vertrauens basiert.

    Orzessek: So ist es auch hier behauptet worden, da war unter anderem Christiane Sommer eine Wortführerin dieses Standpunktes, die beim Wirtschaftsmagazin gearbeitet hat oder sogar zu den Gründungsmitgliedern gehört. Ich glaube, dass das stimmt. Es ist auch eine ganz neuartige Verquickung von dem Vertrauen in wirtschaftliche Prozesse und diesem personalen Vertrauen, aber andererseits ist es natürlich auch nichts ganz Neues, denn Netzwerkstrukturen sind eine Erfindung, die dem Kapitalismus möglicherweise vorausgehen, wie man an der arabischen Welt sehen kann. Ich denke, nur weil das jetzt digitalisiert wird und damit Leute, die nicht unmittelbar als Geschäftsleute auftreten, gleichwohl Geschäfte machen, könnte man sagen, es ist eher das Wiederaufgreifen von vorstaatlichen Wirtschaftsstrukturen.