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Wirtschaftsethik in der deutschen Hochschullandschaft

Auf den ersten Blick wirkt das Angebot riesengroß. Die Begriffe Wirtschafts- und Unternehmensethik tauchen in zahlreichen Studienbeschreibungen auf. Und auch rund ums Studium herum werden sie diskutiert, die ethischen Fragen, etwa im Studium Generale der Universität Hohenheim oder bei einer Podiumsdiskussion an der Hochschule Reutlingen.

Von Markus Rimmele |
    Die Omnipräsenz des Themas aber täuscht. Von den ordentlichen Studierenden der Wirtschaftswissenschaften kommen weniger als 10 Prozent im Laufe des Studiums mit der Wirtschaftsethik in Kontakt. So die Schätzung von Alexander Brink, Juniorprofessor für Angewandte Ethik an der Universität Bayreuth und Mitherausgeber der Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik:
    "Die Wirtschafts-, Unternehmensethik wird noch nicht turnusmäßig an den Universitäten gelehrt. Es gibt Wahlmöglichkeiten im Bereich der Verzahnung Volkswirtschaftslehre und Philosophie. Im Bereich der Betriebswirtschaftslehre ist das sehr sehr gering. Also wir müssen die Unternehmensethik in das curriculare Modell der Betriebswirtschaftslehre einbauen."

    so wie es in den USA seit langer Zeit ganz üblich ist. Im deutschsprachigen Raum wurde der erste Lehrstuhl für Wirtschaftsethik erst Ende der 80er Jahre im schweizerischen St. Gallen eingerichtet. Vom US-amerikanischen Niveau ist Deutschland immer noch weit entfernt. Doch es hat sich etwas getan. Die Universität Bayreuth bietet zum Beispiel den Bachelor- und Master-Studiengang "Philosophy and Economics" an, der vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft ausgezeichnet wurde und sich – da ist er einzigartig – vor allem wirtschafts- und unternehmensethischen Fragestellungen widmet. An mehreren Universitäten existieren mittlerweile zumindest Lehrstühle in dem Bereich, so auch an der Universität München. Lehrstuhlinhaber ist Karl Homann. Er gehört formal zur Philosophischen Fakultät, hat aber auch die Prüfungsberechtigung für die Wirtschaftswissenschaftler. In seinen Klausuren, sagt er, sitzen immer rund 30 Ökonomen:

    "Es ist ein Wahlpflichtfach. Die müssen im Examen, im Diplom-Examen fünf Fächer nehmen. Zwei sind vorgeschrieben, bei weiteren zwei haben sie eine eingeschränkte Wahlmöglichkeit, und dann haben sie ein fünftes Fach, das ist das so genannte Wahlpflichtfach, das sie aus einem Kanon von 12 oder 15 Fächern wählen können. Und darunter ist auch die WIrtschaftsethik. "

    In München gibt es Pläne, einen berufsbegleitenden Aufbaustudiengang in dem Themenfeld einzurichten. Die Wirtschaft unterstützt das Projekt finanziell, der Bedarf scheint groß zu sein. Aufbau- und Weiterbildungsangebote halten derzeit noch vor allem private Hochschulen bereit, etwa die Steinbeis-Hochschule in Berlin. Im neuen MBA-Studiengang "Risk and Fraud Management" geht es um den Umgang mit und die Eindämmung von Wirtschaftskriminalität. Ein wichtiger Bestandteil der Lehre ist dabei die Wirtschaftsethik, so Henning Herzog, einer der Direktoren des Instituts:

    "Wir werden das im Studium sehr konzentriert anhand von Fallstudien machen und dann über gewisse Business Cases gehen und daran dann feststellen, dass wir also einmal über Wertevorstellungen, ethische Vorstellungen der Gesellschaft kommen, aber auch – und das ist sehr wichtig – dann über die Unternehmensleitlinien und das Thema der Unternehmenskultur. "

    Fallstudien statt theoretischer Philosophie. Dieses Konzept ähnelt den angelsächsischen Vorbildern. Alexander Brink von der Universität Bayreuth bestätigt, dass die Wirtschaftsethik an deutschen Hochschulen lange Zeit stark theoretisch ausgerichtet war:

    "Wir haben uns die Fragen gestellt: Gehört Moral gewissermaßen in die Rahmenordnung, oder müssen wir ehrbare, tugendhafte Kaufleute werden. In den USA ist der Diskurs stärker praktisch orientiert. Die Amerikaner gucken sich die Felder an, die moralsensibel sind und versuchen mit konkreten Fällen diese Probleme anzugehen. In Deutschland wurde lange Zeit ein sehr theoretischer Diskurs geführt. Mittlerweile gibt es eine Entwicklung auch hin zu praktischen Tendenzen. Es gibt aber auch eine ganz andere Richtung, die sich stärker mit spieltheoretischen oder ökonometrischen Modellen befasst. "

    Zusammenfassend: Wer sich in Deutschland für Wirtschaftsethik interessiert, muss sehr genau prüfen, an welchen Hochschulen das Thema überhaupt angeboten wird. Die Auswahl ist noch recht klein, die inhaltlichen Ausrichtungen sehr unterschiedlich. Wer sein Erststudium schon hinter sich hat und vor allem Praxisbezug will, kann mittlerweile auf mehrere private Anbieter zurückgreifen. Generell gilt: Die Wirtschaftsethik wächst – wenn auch langsam - in die deutsche Hochschullandschaft hinein.