Friedbert Meurer: Letzten Montag war Tag der Deutschen Einheit. 21 Jahre sind vergangen nach der Wiedervereinigung 1990. Eine lange Zeit, eine ganze Generationsspanne. Trotzdem hängen die neuen Bundesländer noch am Tropf staatlicher Subventionen und Hilfen. Im Vorfeld eines Treffens der ostdeutschen Ministerpräsidenten in Leipzig hat jetzt der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Christoph Bergner, etwas bemerkenswertes gesagt. Zitat: "Die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West sei in vielerlei Hinsicht geschafft. Die ostdeutschen Länder werden bis 2019 wirtschaftlich zu den westdeutschen Ländern aufschließen." Soweit das Zitat. Das klingt überraschend optimistisch. Und am Telefon begrüße ich Professor Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle. Guten Tag, Herr Ludwig.
Udo Ludwig: Guten Tag, Herr Meurer!
Meurer: Ist das korrekt, dass die ostdeutschen Länder fast aufgeschlossen haben zum Westen.
Ludwig: Nein, also das kann man auf gar keinen Fall sagen, ich meine hier die Aussage, bezogen auf die Angleichung der Lebensverhältnisse. Wir schauen natürlich in erster Linie auf die Produktionsverhältnisse. Und hier sind die Abstände gegenüber dem Westen doch immer noch beträchtlich. Schaut man auf die Produktivität zum Beispiel je Stunde, dann liegen wir bei 75 Prozent. Schaut man auf das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, da liegen wir bei knapp 70 Prozent. Also daran, an diesen Zahlen erkennt man schon, dass da noch eine ganze Menge zu tun ist, um zum Westen aufzuschließen.
Meurer: Ihre Studie haben Sie ja selbst Herrn Christoph Bergner geschickt, dem ehemaligen Ministerpräsidenten. Liest er das vielleicht nicht?
Ludwig: Ja, also seine Referenten haben es mit Sicherheit gelesen. Das wissen wir. Und umso mehr sind wir überrascht, dass er so eine superoptimistische Aussage fällt, auch noch, dass im Jahre 2019 das im Prinzip alles geschafft sein soll.
Meurer: Wie werden Sie das denn formulieren mit der Angleichung zwischen West und Ost.
Ludwig: Wir gehen davon aus, dass es sicher noch mal einige Jahrzehnte dauern wird, bis eine Angleichung erfolgt ist, und zwar bei den wichtigen ökonomischen Parametern ist damit natürlich gemeint, und wir geben aber auch zu bedenken, ob man weiter mit solchen Durchschnittsgrößen - pro Kopf Ost gegenüber pro Kopf West -, ob das Sinn macht, weiter so zu rechnen, ob man nicht lieber auf die regionale Ebene gehen soll und dort schaut, wie eben die Angleichung ist zwischen großen Städten oder zwischen dem flachen Land. Denn es gibt wesentliche Unterschiede in der Siedlungsstruktur in Ostdeutschland und in Westdeutschland, und das wirkt sich natürlich aus auf solche Pro-Kopf-Größen.
Meurer: Also würden Sie sagen, der Osten hinkt auch deswegen hinterher, weil er ländlicher strukturiert ist, oder was meinen Sie?
Ludwig: Das ist ein Grund. Das ist natürlich nicht der alleinige Grund, aber das ist ein Grund, der eigentlich dauerhaft wirkt, und insofern ist er ein ganz wichtiger Grund. Aber es spielt natürlich auch eine Rolle dabei, was in den 20 Jahren hier im Osten passiert ist, vor allen Dingen, was in den ersten Jahren passiert ist, was über die Privatisierung gelaufen ist und so weiter, da sind natürlich Wirtschaftsstrukturen entstanden, die zu einem gewissen Teil auch nicht so leistungsfähig sind, wie das im Westen der Fall ist.
Meurer: Eigentlich sollte doch diese ganze Operation dazu dienen, für moderne Strukturen zu sorgen. Was ist denn schiefgelaufen?
Ludwig: Es sind schon moderne Strukturen entstanden. Wir haben im Osten ja Ableger von großen Unternehmen aus dem Westen, wenn man zum Beispiel an die Automobilbranche denkt, und da werden natürlich auch hohe Produktivitäten erwirtschaftet. Aber in der Breite, also was die kleinen und die Kleinstunternehmen anbetrifft: Die sind hier dominant, viel dominanter, als das im Westen der Fall ist, und die können natürlich nicht solche Effizienzvorteile schaffen, wie das eben bei den großen Unternehmen der Fall ist. Und wir haben auch kaum Konzernzentralen, in denen faktisch die Wertschöpfung letztendlich stattfindet und dann zu einem entsprechend hohen Ausweis der wirtschaftlichen Leistung der Region führt.
Meurer: Die ostdeutschen Ministerpräsidenten wollen in Leipzig heute bei ihrer Konferenz auch über die demografischen Entwicklungen in den neuen Bundesländern reden, dann wären wir wieder bei Bevölkerungsverteilung, ländliche Strukturen. Hält das immer noch an, dass viele aus den neuen Ländern in die alten Bundesländer gehen und abwandern?
Ludwig: Ja, es sind ja zwei Faktoren, die hier wirken. Das ist zum einen wirklich die Abwanderung, und die hat sich fortgesetzt. Und es ist der andere, der zweite Faktor, das ist das Geburtenverhalten der jungen Generation. Nach der Halbierung der Geburtenraten Anfang der 90er-Jahre hat sich die Situation zwar stabilisiert, aber eben durch die geringere Zahl der Geburten in diesen 20 Jahren und dazu noch die Abwanderung der jungen Leute gibt es einen Echoeffekt nach 20 Jahren und mehr, wo sich faktisch dieser demografische Faktor noch mal potenziert und eben zu einer rückläufigen Bevölkerungsentwicklung im Osten faktisch führt. Im Westen ist das noch nicht so weit, aber auch da ...
Meurer: Wie verheerend kann sich das auswirken im Osten?
Ludwig: Na, das wirkt sich so aus, dass eben bestimmte ländliche Gebiete, die werden entleert, was die Bevölkerungszahlen anbetrifft. Da wird es schwierig, die Infrastruktur zu unterhalten, da wird es schwierig, die Bevölkerung zu versorgen - denken Sie an Gesundheitsleistungen, also Krankenhäuser, Arztpraxen und so weiter -, also das geht dann schon in die Substanz.
Meurer: Eine Blutauffrischung aus Westdeutschland gibt es nicht, durch Studenten beispielsweise, die an die Unis in Ostdeutschland gehen?
Ludwig: Na, da gehen sehr viele dann nach dem Studium auch zurück in den Westen. Es studiert sich ja halt etwas komfortabler im Osten, weil da eben die Hörsäle nicht ganz so überlastet sind wie im Westen. Aber natürlich gibt es Blutauffrischung in dieser Art. Man hofft ja auch darauf, dass es solche Auffrischung gibt durch die Zuwanderung gerade im Bereich der Pflege- und Gesundheitsdienste aus Mittel-Osteuropa. Nur leider sieht man davon noch nicht allzu viel.
Meurer: Das war Professor Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle aus Anlass einer Ministerpräsidentenkonferenz heute in Leipzig. Herr Ludwig, schönen Dank und auf Wiederhören!
Ludwig: Gern geschehen, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Udo Ludwig: Guten Tag, Herr Meurer!
Meurer: Ist das korrekt, dass die ostdeutschen Länder fast aufgeschlossen haben zum Westen.
Ludwig: Nein, also das kann man auf gar keinen Fall sagen, ich meine hier die Aussage, bezogen auf die Angleichung der Lebensverhältnisse. Wir schauen natürlich in erster Linie auf die Produktionsverhältnisse. Und hier sind die Abstände gegenüber dem Westen doch immer noch beträchtlich. Schaut man auf die Produktivität zum Beispiel je Stunde, dann liegen wir bei 75 Prozent. Schaut man auf das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, da liegen wir bei knapp 70 Prozent. Also daran, an diesen Zahlen erkennt man schon, dass da noch eine ganze Menge zu tun ist, um zum Westen aufzuschließen.
Meurer: Ihre Studie haben Sie ja selbst Herrn Christoph Bergner geschickt, dem ehemaligen Ministerpräsidenten. Liest er das vielleicht nicht?
Ludwig: Ja, also seine Referenten haben es mit Sicherheit gelesen. Das wissen wir. Und umso mehr sind wir überrascht, dass er so eine superoptimistische Aussage fällt, auch noch, dass im Jahre 2019 das im Prinzip alles geschafft sein soll.
Meurer: Wie werden Sie das denn formulieren mit der Angleichung zwischen West und Ost.
Ludwig: Wir gehen davon aus, dass es sicher noch mal einige Jahrzehnte dauern wird, bis eine Angleichung erfolgt ist, und zwar bei den wichtigen ökonomischen Parametern ist damit natürlich gemeint, und wir geben aber auch zu bedenken, ob man weiter mit solchen Durchschnittsgrößen - pro Kopf Ost gegenüber pro Kopf West -, ob das Sinn macht, weiter so zu rechnen, ob man nicht lieber auf die regionale Ebene gehen soll und dort schaut, wie eben die Angleichung ist zwischen großen Städten oder zwischen dem flachen Land. Denn es gibt wesentliche Unterschiede in der Siedlungsstruktur in Ostdeutschland und in Westdeutschland, und das wirkt sich natürlich aus auf solche Pro-Kopf-Größen.
Meurer: Also würden Sie sagen, der Osten hinkt auch deswegen hinterher, weil er ländlicher strukturiert ist, oder was meinen Sie?
Ludwig: Das ist ein Grund. Das ist natürlich nicht der alleinige Grund, aber das ist ein Grund, der eigentlich dauerhaft wirkt, und insofern ist er ein ganz wichtiger Grund. Aber es spielt natürlich auch eine Rolle dabei, was in den 20 Jahren hier im Osten passiert ist, vor allen Dingen, was in den ersten Jahren passiert ist, was über die Privatisierung gelaufen ist und so weiter, da sind natürlich Wirtschaftsstrukturen entstanden, die zu einem gewissen Teil auch nicht so leistungsfähig sind, wie das im Westen der Fall ist.
Meurer: Eigentlich sollte doch diese ganze Operation dazu dienen, für moderne Strukturen zu sorgen. Was ist denn schiefgelaufen?
Ludwig: Es sind schon moderne Strukturen entstanden. Wir haben im Osten ja Ableger von großen Unternehmen aus dem Westen, wenn man zum Beispiel an die Automobilbranche denkt, und da werden natürlich auch hohe Produktivitäten erwirtschaftet. Aber in der Breite, also was die kleinen und die Kleinstunternehmen anbetrifft: Die sind hier dominant, viel dominanter, als das im Westen der Fall ist, und die können natürlich nicht solche Effizienzvorteile schaffen, wie das eben bei den großen Unternehmen der Fall ist. Und wir haben auch kaum Konzernzentralen, in denen faktisch die Wertschöpfung letztendlich stattfindet und dann zu einem entsprechend hohen Ausweis der wirtschaftlichen Leistung der Region führt.
Meurer: Die ostdeutschen Ministerpräsidenten wollen in Leipzig heute bei ihrer Konferenz auch über die demografischen Entwicklungen in den neuen Bundesländern reden, dann wären wir wieder bei Bevölkerungsverteilung, ländliche Strukturen. Hält das immer noch an, dass viele aus den neuen Ländern in die alten Bundesländer gehen und abwandern?
Ludwig: Ja, es sind ja zwei Faktoren, die hier wirken. Das ist zum einen wirklich die Abwanderung, und die hat sich fortgesetzt. Und es ist der andere, der zweite Faktor, das ist das Geburtenverhalten der jungen Generation. Nach der Halbierung der Geburtenraten Anfang der 90er-Jahre hat sich die Situation zwar stabilisiert, aber eben durch die geringere Zahl der Geburten in diesen 20 Jahren und dazu noch die Abwanderung der jungen Leute gibt es einen Echoeffekt nach 20 Jahren und mehr, wo sich faktisch dieser demografische Faktor noch mal potenziert und eben zu einer rückläufigen Bevölkerungsentwicklung im Osten faktisch führt. Im Westen ist das noch nicht so weit, aber auch da ...
Meurer: Wie verheerend kann sich das auswirken im Osten?
Ludwig: Na, das wirkt sich so aus, dass eben bestimmte ländliche Gebiete, die werden entleert, was die Bevölkerungszahlen anbetrifft. Da wird es schwierig, die Infrastruktur zu unterhalten, da wird es schwierig, die Bevölkerung zu versorgen - denken Sie an Gesundheitsleistungen, also Krankenhäuser, Arztpraxen und so weiter -, also das geht dann schon in die Substanz.
Meurer: Eine Blutauffrischung aus Westdeutschland gibt es nicht, durch Studenten beispielsweise, die an die Unis in Ostdeutschland gehen?
Ludwig: Na, da gehen sehr viele dann nach dem Studium auch zurück in den Westen. Es studiert sich ja halt etwas komfortabler im Osten, weil da eben die Hörsäle nicht ganz so überlastet sind wie im Westen. Aber natürlich gibt es Blutauffrischung in dieser Art. Man hofft ja auch darauf, dass es solche Auffrischung gibt durch die Zuwanderung gerade im Bereich der Pflege- und Gesundheitsdienste aus Mittel-Osteuropa. Nur leider sieht man davon noch nicht allzu viel.
Meurer: Das war Professor Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle aus Anlass einer Ministerpräsidentenkonferenz heute in Leipzig. Herr Ludwig, schönen Dank und auf Wiederhören!
Ludwig: Gern geschehen, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.