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Wirtschaftsforum in Hamburg
Alle fälligen Steuern auch wirklich einsammeln

Wie kann das Vertrauen in die Wirtschaft gestärkt werden? Und was kann Europa tun, um ökonomisch sein volles Potenzial zu entfalten? Das sind die zentralen Fragen auf dem Wirtschaftsforum in Hamburg. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz rief die Staaten auf, ihre Steuereinnahmen zu verbessern, aber nicht über Steuererhöhungen.

Von Axel Schröder |
    In seiner Eröffnungsrede skizzierte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz seine Ideen für einen europaweiten Aufschwung. Und warnte zu allererst vor den Folgen allzu harter Sparprogramme. Die hätten in den Krisenländern der Euro-Zone vor allem die Sozialsysteme ausgehöhlt und die wirtschaftliche Entwicklung ausgebremst, statt angetrieben. Schuldentilgung sei auf diese Weise jedenfalls nicht möglich, so Martin Schulz und plädierte für massive staatliche Investitionen:
    "Ich glaube, Geld wäre genug da, wenn wir uns von der einseitigen Fixierung auf die Ausgabenseite lösen und uns vermehrt darum kümmern, die Einnahmeseite der Staaten zu verbessern. Manch einer ist dann schnell dabei, nach Steuererhöhungen zu rufen. Ich aber meine, wir sollten erst einmal - bevor wir über Steuererhöhungen diskutieren - alle fälligen Steuern auch wirklich einsammeln."
    Die jüngsten Nachrichten über die allzu kreativen Luxemburger Steuersparmodelle seien der Beleg dafür, welche Summen die Staaten einnehmen könnten, wenn gegen diese Praktiken effektiv vorgegangen würde. 1.000 Milliarden Euro entgingen den europäischen Staaten durch Steuervermeidung und -hinterziehung, zitierte Schulz eine Schätzung der Bertelsmann-Stiftung. Ein Sparkurs mit Augenmaß kombiniert mit massiven Investitionen könnte den Wohlstand in Europa mehren. Und so den Zulauf zu nationalistischen, EU-kritischen Parteien bremsen:
    "Wirtschaftswachstum und die damit verbundene soziale Stabilisierung ist zwingend erforderlich, um die Zentrifugalkräfte, die es in Europa gibt, wieder unter Kontrolle zu bringen. Und die längste Periode von Frieden und Wohlstand, die wir in Europa haben nicht zu beenden, sondern sie zu verlängern."
    Nach Schulz Eröffnungsrede nahm der Investigativ-Journalist Günther Wallraff nicht das große Ganze, sondern die Missstände und Ausbeutungsverhältnisse vor allem im Versandhandel ins Visier. Bei Amazon oder Zalando, so Wallraff, würden die Menschen auch nach etlichen Undercover-Recherchen immer noch gegängelt und unter Druck gesetzt:
    "Die sind von Arbeitsagenturen dahin verpflichtet. Manche freuen sich, wenn sie übernommen werden und andere wiederum, für die ist es wie, man kann fast sagen, wie in einem Straflager."
    Allerdings, so Günther Wallraff, gibt es auch gute Nachrichten: Mittlerweile fragen ihn Manager, ab und zu auch Unternehmenschefs um Rat, wie sie Missstände am besten abstellen können. Vielleicht aus Angst vor allzu negativen Schlagzeilen durch Wallraffs Reporter-Team. Demnächst treffe er den Deutschland-Chef des Logistik-Dienstleisters UPS zum Gespräch, so Wallraff:
    "Der hat das bereits zugesagt. Den treffe ich jetzt, um ihn unter Druck zu setzen, damit diese gewerkschaftliche Behinderung dort aufhört. Und da sehe ich eine gewisse Chance!"
    Die Konferenz wird am Nachmittag fortgesetzt. Zu Gast sind unter anderem der Co-Vorsitzende der Deutschen Bank Anshu Jain, BDI-Präsident Ulrich Grillo, die Linke Sahra Wagenknecht und der Bundespräsident a.D. Christian Wulff.