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Wirtschaftskrise durch Klimawandel

In Großbritannien sorgt eine Studie des ehemaligen Weltbankökonomen Nicholas Stern für politischen Wirbel. Als Folge der Erderwärmung prognostiziert er eine Erschütterung der Finanzmärkte. Schnelles Handeln sei dringend geboten.

Von Martin Zagatta | 30.10.2006
    Auf 700 Seiten werden zwar auch die Umweltschäden beschrieben, der Bericht beleuchtet vor allem aber die finanziellen Folgen der Erderwärmung. Das Ergebnis: Nicholas Stern, der frühere Weltbankökonom, sagt eine Erschütterung der Finanzmärkte voraus. Werde nicht schnellstens gegengelenkt, könne dies zu einer Weltwirtschaftskrise wie in den Jahren um 1930 führen, heißt es in der Studie, die die britische Regierung in Auftrag gegeben hat. Diese Untersuchung zeige, dass man auch wirtschaftlich gesehen nur über einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren verfügt, um entsprechende Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, erläutert der britische Umweltminister David Milliband.

    Schnell zu handeln - so der Bericht - sei nicht nur im Interesse der Umwelt, sondern auch am wirtschaftlichsten. Geschieht das nicht, kalkuliert die Stern-Studie mit einer Rezession durch Belastungen, die sich bis auf ein Fünftel des weltweiten Bruttosozialproduktes belaufen könnten. Die Summe, die genannt wird: umgerechnet mehr als fünf Billionen Euro. An Sofortmaßnahmen dagegen müsste nur etwa ein Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung in den Klimaschutz investiert werden - immerhin aber auch noch mehr als 270 Milliarden Euro jährlich, eine Summe allerdings, so wird argumentiert, die den derzeitigen Aufwand für Werbung nicht übersteige. Es sei weit billiger, jetzt in Maßnahmen gegen die Erderwärmung zu investieren als später für die Folgen aufzukommen.

    Bei Untätigkeit müsse mit Überflutungen wie mit einer Verringerung der Wasserreserven gerechnet werden mit schwerwiegenden Folgen für ein Sechstel der Erdbevölkerung, vor allem auf dem indischen Subkontinent, in Teilen Chinas, in der Andenregion und in Afrika. Bis zu 200 Millionen Menschen könnten so gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen, die größte Flüchtlingsbewegung der Moderne. Die Welt habe längst nicht mehr die Wahl, sich zwischen mehr Aufwendungen für Umweltschutz oder mehr Wirtschaftswachstum zu entscheiden. Ohne den Ausstoß von Treibhausgasen einzudämmen, werde es mittelfristig auch kein Wachstum mehr geben. Deshalb, so der britische Umweltminister, seien jetzt auch die Staaten gefragt, die sich einem weiter reichenden Klimaschutz bisher widersetzen.

    ""Es ist unabdingbar, dass die größten Erzeuger von Treibhausgasen wie die USA und die wirtschaftlich boomenden Staaten wie China und Indien sich ebenfalls an einer Lösung beteiligen. Das ist nicht nur eine Zeitbombe für uns, sondern auch für diese Länder","

    argumentiert David Milliband. Die britische Regierung will den Empfehlungen der Studie entsprechend nun darauf drängen, mit einer Nachfolgevereinbarung für das 2012 auslaufende Kyoto-Abkommen nicht länger zu warten und möglichst im nächsten Jahr schon zu Ergebnissen zu kommen, also noch in der Amtszeit von US-Präsident George Bush. Das voranzubringen, so heißt es heute in London, liege auch an den Deutschen, wenn sie demnächst den EU- und den G8-Vorsitz übernehmen - eine heikle Aufgabe für die frühere Umweltministerin Angela Merkel.