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Wirtschaftskrise
Spanische Medien unter Druck

Die spanische Presse steckt in einer tiefen Krise. Während die Auflagen stetig sinken, ist der Einfluss von Wirtschaft und Politik umso größer geworden. Dabei scheinen manche Unternehmen vor wenig zurückzuschrecken.

Von Hans-Günter Kellner | 08.07.2019
Die Titelseite einer Ausgabe der "El Pais" neben einer Tasse Milchkaffee
Auch die spanische Tageszeitung "El País" steht unter wirtschaftlichem Druck (PA/dpa/RICARDO CEPPI)
Als David Jiménez 2015 Chefredakteur der zweitgrößten spanischen Tageszeitung "El Mundo" wurde, war er zuvor lange Jahre ihr Asienkorrespondent. Ein kompletter Outsider in der Medienwelt der spanischen Hauptstadt also. Doch er erfuhr schnell, was von ihm erwartet wurde.
"Vom ersten Tag an habe ich mich gewundert. Da sagte mir der damalige Innenminister bei einem Treffen. 'Es ist jetzt nicht die Zeit, sich neutral zu verhalten.' Er verlangte von mir, die Zeitung in den Dienst der Regierung zu stellen. Da wurde mir schnell klar, dass Pedro J. Ramírez, langjähriger Chefredakteur und Gründer der Zeitung, 2014 tatsächlich auf Druck der Regierung entlassen worden war. Da wurde eine Zeitung kaputt gemacht, die trotz aller Fehler die streitbarste in der spanischen Demokratie war", sagt Jiménez.
Wirtschaftskrise traf Medien schwer
Immerhin hatte "El Mundo" schon seit seiner Gründung 1989 mit den Recherchen über die Korruption erheblich zum Niedergang der damaligen Regierung des Sozialisten Felipe González beigetragen. Doch die jüngste tiefgreifende Krise, die in Spanien zwischen 2008 und 2015 gewütet hat, hat die spanischen Medien enorm geschwächt, sagt Jiménez.
"Mit der Krise verloren wir die Leser, die verkaufte Auflage brach um 70 Prozent ein. Die Konzerne und die Politik haben unsere Schwäche förmlich gerochen. Die großen Unternehmen haben weiter in uns investiert, die Anzeigen aufrechterhalten, trotz der brutalen Einbrüche bei der verkauften Auflage. Aber wer macht Dir schon einen Gefallen in Höhe von mehreren Millionen von Euro ohne Gegenleistung?", sagt Jiménez.
Er selbst verlor nach nur einem Jahr seinen Job als Chefredakteur von "El Mundo". Weil er Politikern und Wirtschaftsbossen zu unbequem war, ist er überzeugt.
"Einmal wollte ich etwas über César Alierta bringen. Er war damals noch Präsident von Telefónica, einer der wichtigsten Wirtschaftskapitäne Spaniens. Da sagte mir der Verlagschef: 'Es gibt Entscheidungen, die Arbeitsplätze kosten.' Offenbar war ihm klar, dass ich unsere journalistische Unabhängigkeit nicht opfern würde, um meinen Sessel zu retten. Seine Botschaft bedeutete: 'Vielleicht ist Dir Dein eigener Arbeitsplatz egal. Aber der Deiner Kollegen auch?'"
Viele Stellen gestrichen
Aber auch ohne den streitbaren Journalisten sind die Arbeitsplätze bei "El Mundo" und den übrigen Veröffentlichungen des Verlags Unidad Editorial nicht sicherer geworden. Seit 2009 hat sich die Zahl der Arbeitsplätze dort auf knapp 1.300 halbiert. Doch nicht nur "El Mundo" steht im Fokus des Drucks von Politik und Wirtschaft. Íñigo Barón, Wirtschaftsredakteur von "El País", wurde sogar Opfer eines Lauschangriffs. Er hatte über den Machtkampf innerhalb der Führungsriege der Großbank BBVA berichtet.
"Als Journalist fühlt man sich völlig angreifbar, wenn man erfährt, dass die Polizei auf illegale Weise die Verbindungsdaten des Telefons ermittelt haben soll, mutmaßlich im Auftrag einer Bank. Man fühlt sich den Mächtigen völlig ausgeliefert. Ich habe mich gefragt: Seit wann geht das schon so? Mich interessiert auch weniger, welcher Beamte da konkret involviert war. Mich interessiert vor allem: Wer hat den Auftrag erteilt?"
Starker Einfluss von Unternehmen
Was Barón tröstet: Der Skandal ist aufgeflogen, die Justiz ermittelt. Ein Untersuchungsgericht hat in dem Fall inzwischen acht ehemalige Führungskräfte der Großbank BBVA als Beschuldigte vorgeladen: Allerdings gab es bei "El Pais" immer wieder den Verdacht, dass die Wirtschaft auf ganz andere Weise Einfluss nimmt. Investmentfonds, Banken und auch der Telefónica-Konzern gehören zu den wichtigsten Aktionären.
Doch Baron wehrt sich: "Es gab Medien, die sich pflegeleichter gezeigt haben und andere, die dem Druck auch etwas entgegengesetzt haben. Und es gab Journalisten, die sich manipulieren ließen. Nicht alle haben sich gleich verhalten. Ich informiere seit 20 Jahren über Banken. Nie habe ich eine bevorzugte Behandlung akzeptiert. Aber es stimmt, wir haben uns in eine zu große Nähe zu den Mächtigen begeben, auch zu Unternehmen und Banken."
Journalisten sollten stattdessen um ihre Unabhängigkeit kämpfen, meint Barón. Darum vergibt die spanische Vereinigung der Wirtschaftsjournalisten, der er selbst vorsteht, jedes Jahr einen Preis. Damit werden Vertreter aus Wirtschaft und Politik ausgezeichnet, die sich kritischen Medien besonders heftig wiedersetzen. Zu den jüngsten Preisträgern gehören auch Vertreter der Bank, die im Verdacht steht, Auftraggeber der Überwachung von Journalisten wie Barón zu sein.