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Wirtschaftslage in Spanien
"Die Leute sparen schon so lange"

22 Prozent Arbeitslose im Madrider Stadtviertel Puente de Vallecas - das hat Auswirkungen auf das tägliche Leben. Vor dem Weihnachtsfest merken die Markthändler, dass die Menschen wieder etwas mehr Geld ausgeben als im Vorjahr. Doch bedeutet das den langersehnten Umschwung?

Von Hans-Günter Kellner |
    Die Händler in der Markthalle in Puente de Vallecas im Madrider Südosten putzen ihre Stände für das Weihnachtsgeschäft heraus. Die stählernen Rollläden werden nach oben geschoben, Obst, Fisch oder Fleisch auf den Ladentheken für den Verkauf fertiggemacht. Die Händler hier sind besonders sensibel für die Veränderungen im Stadtteil, in dem die Arbeitslosenquote bei 22 Prozent liegt und damit so hoch wie nirgendwo sonst in Madrid. Esteban handelt mit Käse und Wurst und hängt gerade neue Schinken auf:
    "Die Leute sparen schon so lange. Die Kaufkraft geht schon seit Jahren zurück. Aber jetzt sind viele das Sparen auch leid. Mit dem Weihnachtsgeld geben manche jetzt plötzlich aus wie die Verrückten. Die Leute achten auf den Preis, suchen Sonderangebote, aber sie geben wieder Geld aus."
    So sehr, dass sein bester Schinken zeitweise ausverkauft war. Dabei kostet so ein komplettes Bein - 32 Monate luftgetrocknet gereift, eine echte Delikatesse - 160 Euro. Estebans Beobachtung passt zu einer Marktstudie, der zufolge die Spanier dieses Jahr zum Fest erstmals wieder ein bisschen mehr ausgeben wollen als im Vorjahr. Aber dann, so Esteban, komme der Januar, und niemand habe auch nur einen Cent in der Tasche.
    Sich den traditionellen Schinken an Weihnachten nicht mehr leisten zu können, das wollten sich viele nicht eingestehen. Da werde schon eher am Obst und Gemüse gespart, meint Tamara vor ihren prächtigen Orangen, dunkelroten Granatäpfeln und saftigen Mangoldstauden. Sie spürt die Krise immer noch deutlich:
    "Es lässt sich nur noch schwer abschätzen, wie viel die Leute kaufen. Früher wusste man, was man so täglich loswird. Jetzt kann es sein, dass ich am Ende des Tages viel zu viele Tomaten übrig habe. Immer mehr Leute kommen am Abend und fragen, ob ich nicht noch überreifes Obst oder Gemüse habe. Ich verschenke solche Sachen, aber das ist natürlich ein Verlust, den ich mir bei den immer niedrigeren Gewinnspannen kaum mehr leisten kann. Man muss wirklich gut planen, um hinterher nichts wegwerfen zu müssen."
    Am besten geht es noch den Rentnern
    Andere Kunden kauften nur noch eine einzige Kartoffel, eine Zitrone, berichtet die 18-Jährige, während sie vorsichtig frische Birnen in die Auslage legt. Schon ihre Großeltern hatten diesen Stand, dann übernahmen ihn ihre Eltern. Die treuesten Kunden seien die Rentner, erzählt Tamara. Ihnen gehe es im Viertel wirtschaftlich sogar am besten:
    "Die leben ja von ihrer Rente. Das ist wenigstens noch ein sicheres Einkommen. Viele junge Familien bekommen hingegen nicht einmal mehr Arbeitslosengeld. Viele Rentner kaufen darum jetzt auch für ihre Kinder oder Enkel ein. Die Großeltern haben ja wenigstens noch die Rente."
    Während die Hälfte der Arbeitslosen im Viertel keine staatliche Unterstützung mehr erhält. Das spürt auch Geflügelhändler Pedro. Gerade hat ein älteres Ehepaar drei Kilo Hühnchen-Keulen gekauft. Truthähne laufen in diesem Jahr hingegen überhaupt nicht gut. Gerade einmal 15 Vorbestellungen hat er bekommen, in den guten Jahren waren es mindestens doppelt so viele. Und weil immer mehr Kunden anschreiben lassen, steckt die Kasse auch noch voller unbezahlter Kassenbons.
    "Ich kenne diese Kunden seit Jahren. Manche geben ganz offen zu, dass sie kein Geld haben. Andere schämen sich und sagen, dass der Geldautomat kaputt ist. Natürlich weiß ich, was da los ist. Aber da kauft eine Frau schon ihr halbes Leben lang bei mir ein. Ich weiß, es geht ihr schlecht. Da kann ich doch nicht Nein sagen. Wie soll ich das machen, wenn ich doch weiß, dass es ihr schlecht geht? Auch wenn ich manchmal weiß, dass ich das Geld nie sehen werde. Na ja."
    Auch bei ihm zu Hause werde die Stimmung an Weihnachten wohl gedrückt sein, meint er. Zwei seiner Schwager sind arbeitslos; ihnen hilft er manchmal, damit sie wenigstens ihre Wohnung bezahlen können. An die Versprechen der Regierung für ein besseres 2014 glaubt er nicht.
    "Die Regierung sagt, es wird besser. Aber es wird nur für die Regierenden besser. Welcher Regierungspolitiker hat schon einen arbeitslosen Familienangehörigen? Das möchte ich mal sehen. Die bringen doch alle ihre Leute irgendwo unter. Für die Kreise, in denen die sich bewegen, mag sich die wirtschaftliche Situation bessern. Aber bis das hier unten ankommt..."