Engels: Ist Siemens ein Einzelfall oder das Zukunftskonzept? Müssen wir alle wieder länger arbeiten?
Clement: Weder noch! Es ist ein wichtiger Fall, der Gott sei Dank zu einem guten Ergebnis gebracht worden ist und zwar Gott sei Dank, weil es dort Standortprobleme gibt und Verlagerungssorgen, berechtigte Verlagerungssorgen. Deshalb zeigt dieser Fall sehr wohl und sehr deutlich, dass wir differenzierte Antworten brauchen auf die sehr differenzierte Wettbewerbslage und Standortlage, die wir in Deutschland wie weltweit übrigens haben. Das heißt, wir werden uns in den Unternehmen in den Branchen in den Regionen einstellen müssen auf differenzierte Lösungen und die können sowohl in einer längeren Arbeitszeit als auch in einer kürzeren liegen. Wir haben Unternehmen, die können zur Zeit nur 30 Stunden pro Woche produzieren, wenn sie nicht Arbeitsplätze abbauen sollen und wir haben eben andere, die müssen aus Kostengründen, des Standortes wegen, das ist ja bei Siemens der Fall, die müssen deshalb mehr arbeiten und haben Gott sei Dank auch eine solche Verständigung erzielt. So differenziert muss man es sehen und so differenziert richtig ist auch die Antwort.
Engels: Die Arbeitszeit ist generell in die Diskussion geraten. Am Wochenende hat der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbandes Börner gefordert, die Zahl der Urlaubstage um ungefähr eine Woche zu reduzieren, um die Kosten für die Unternehmen zu reduzieren. Was halten Sie von solchen Vorschlägen?
Clement: Ja, da gilt das gleiche. Ich glaube, dass diese pauschalen Forderungen nicht viel bringen. Es hat auch sehr unterschiedliche Auswirkungen, wenn man das tut. Natürlich kann dies auch dazu führen, dass die Zahl der Arbeitsplätze verringert wird. Deshalb gilt auch hier die gleiche Antwort, es muss auf differenzierte Wettbewerbssituationen, auf differenzierte Standortsituationen differenziert geantwortet werden. Und wie gesagt, unternehmens- und branchenspezifisch und nicht flächendeckend. Das ist der Unterschied zu Herrn Börner und zu den Forderungen, so etwas flächendeckend in Deutschland einzuführen.
Engels: Sie sagen differenziert, nun gibt es manchen Gewerkschafter, der Ihnen vorwirft, damit den Arbeitgerbinteressen in die Hände zu spielen.
Clement: Ja diese Vorwürfe sind ja alle so pauschal, dass man damit relativ wenig anfangen kann. Die Betriebsräte wissen sehr wohl in den Unternehmen worauf es ankommt. Und letztlich hat das ja auch gezeigt, übrigens mit Zustimmung der IG-Metall, dass es bei Siemens hier auf eine solche Antwort ankam. Da nutzt kein Vorwurf gegen mich, sondern da nutzt nur, sich mit der konkreten Situation zu beschäftigen. Die Arbeitnehmer in den Betrieben wissen um die Wettbewerbslage ihres Unternehmens. Sie wissen um die Probleme von Standortverlagerungen, die drohen ja auch nicht überall aber in spezifischen Fällen wie hier bei der Siemensproduktion bei den Mobiltelefonen, da gibt es diese Situation und sie reagieren darauf und sie reagieren ja so, dass es mit ihrem Anspruch mit dem berechtigten Anspruch der Arbeitnehmer, ihre Lebenshaltung, ihren Lebensstandard einigermaßen halten zu können, dass es damit übereinstimmt. Das ist ja der Versuch um den es geht und das Spannungsfeld, in dem sich solche Abmachungen bewegen.
Engels: Heute Abend trifft sich der Gewerkschaftsrat, also ein Gremium zwischen SPD und Gewerkschaften. Werden denn hier die Konflikte, die in den letzten Tagen wild von sich Reden machten, beizulegen sein, vor allen Dingen rund um die Arbeitsmarktreform.
Clement: Ich glaube nicht, dass man sie so einfach beilegen kann. Es gibt dort sehr unterschiedliche Einschätzungen und sehr unterschiedliche Meinungen, in der SPD ja auch, in anderen Parteien auch und übrigens in den Gewerkschaften auch. Es ist ja in den Gewerkschaften nicht flächendeckend eine Ablehnung dessen was wir tun, sondern da gibt es mindestens drei große Meinungsströme, die sich ausdrücken. Auf der Bundesebene ist es mehr die ablehnende, kritische, teilweise schroff kritische Position, in den Betrieben sieht das ganz anders aus und bei den Betriebsräten und auch in einzelnen Gewerkschaften. Und deshalb werden wir auch da eine sehr konkrete Diskussion führen müssen. Ich glaube, dass wir mit der Arbeitsmarktreformen, die haben wir jetzt alle in Gesetzeskraft, es ist jetzt alles unterwegs, wir haben jetzt alle Voraussetzungen, um die Beschäftigungspolitik in Deutschland zu enden, zu ändern. Kein Gewerkschafter, niemand kann mir sagen, könnte guten Gewissens verantworten die Arbeitsmarktpolitik, wie wir sie bisher betrieben haben, fortzusetzen. Wir wissen alle, dass wir da gewaltige Summen investiert haben ohne Erfolge zu erzielen. Es kann kein Zweifel sein, dass hier eine Veränderung stattfinden muss, die ist jetzt vollzogen. Jetzt kommt es darauf an, dass wir so etwas wie einen new deal, einen neuen Aufbruch zu Wege bringen in der Arbeitsmarktpolitik und dazu gehört natürlich auch, dass Arbeitsplätze angeboten werden. Sehen Sie mal, wir haben 70.000 arbeitslose Ingenieure zur Zeit in Deutschland aber in den Berufsschulen in Deutschland haben wir zu wenig Lehrer für Technik und Naturwissenschaften. Wir haben 30.000 arbeitslose Erzieherinnen in Deutschland aber wir haben zu wenig Erzieherinnen und Kindergartenplätze und Kindertagesstättenplätze und brauchen dort unbedingt Erzieherinnen. Wir haben 60.000 Zivildienstplätze in Deutschland nicht besetzt, die können wir besetzen mit den Menschen, die jetzt aus der Sozialhilfe endlich in die Arbeitsvermittlung kommen. All diese Dinge und noch viel mehr könnte ich aufzählen. Auf diesen Feldern brauchen wir jetzt Bewegung und da brauchen wir einen neuen Aufbruch mit neuen Instrumenten, die wir haben. Wir brauchen dazu die Eigeninitiative des Arbeitssuchenden aber auch die Bereitschaft von Arbeitgebern und Institutionen und Schulen und Hochschulen und Ländern, Arbeitsplätze auch zur Verfügung zu stellen, die dringend benötigt werden.
Engels: Aber auch der Gewerkschaften, Sie haben es angesprochen, dass man auf betrieblicher Ebene schon viel weiter sei, heißt auf Bundesebene müsste man die starken Gewerkschaften IG-Metall und ver.di stärker entmachten?
Clement: Ich habe ja niemanden zu entmachten. Sondern ich gehe davon aus, dass die notwendige Erneuerung, die Modernisierung, die wir in ganz Europa brauchen. Wir liegen ja in Europa im Weltmaßstab im Vergleich zu den USA, im Vergleich zu Japan, ganz zu schweigen von den aufziehenden Weltwirtschaftsmächten China oder Indien, wir liegen doch deutlich zurück. Wir wissen doch alle, dass wir hier etwas ändern müssen. Das ist übrigens in allen Staaten der Europäischen Union der Fall. Und nicht nur in den Beitrittsländern. Und ich gehe davon aus, dass das auch die Gewerkschaften und zwar alle Gewerkschaften bis in die Spitzen hinein zu irgendeinem Zeitpunkt akzeptieren werden und akzeptieren müssen. Sie sind zur Zeit eben von dieser Einsicht, die aus meiner Sicht eine notwendige ist noch ein Stück entfernt. Aber auch da muss man eben offensichtlich Geduld haben, bis dies akzeptiert werden kann.
Engels: Der Bundeskanzler hat ja am Wochenende nicht an Kritik an ver.di-Chef Bsirske gespart. Er wirft ihm vor, inhaltlich nichts anzubieten zu haben. Trennen sich die Wege zwischen SPD und Gewerkschaft auf Dauer?
Clement: Nein, deshalb trennen sich nicht die Wege, wir sind ja sehr eng miteinander verbunden. Wir sind ununterbrochen im Gespräch, ich selbst auch mit allen Gewerkschaftsführern, das heißt ja nicht, dass man nicht miteinander spricht, das heißt nicht, dass man miteinander ringt um den richtigen Weg. Nur es muss auch genauso klar gesagt werden, das tut der Bundeskanzler, das tue ich auch, das tun Franz Müntefering und andere, genauso klar muss gesagt werden, was geht und was nicht geht. Und eine Fortsetzung des bisherigen ist völlig ausgeschlossen. Das muss man wissen und jeder von uns in Deutschland weiß das, wenn man mit einem Blick auf den Arbeitsmarkt tut , dann weiß man es, dass es so wie bisher nicht weitergeht und dass das, was jetzt beschlossen worden ist, Gott sei Dank jetzt beschlossen worden ist, dass wir das dringend benötigen und dass das jetzt auch ins Werk gesetzt werden muss. Und zwar von den einzelnen sowohl in der Arbeitsvermittlung, aber das ist doch nicht das einzige Problem, sondern auch bei denen, die zusagen müssen und zugesagt haben, dass sie Berufsausbildungsplätze zur Verfügung stellen und dass eben mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze benötigt werden und zur Verfügung gestellt werden und mobilisiert werden als wir es bisher in Deutschland zu Wege gebracht haben.
Engels: Sie sprechen über die Chancen, nun gibt es aber auch ganz klare Gebiete, die da nicht profitieren werden. Gerade im Osten Deutschlands wo es viele Langzeitarbeitslose gibt, erleben wir ja mit dem kommenden Jahr durch die Harzreformen den deutlichsten Einschnitt ins soziale Netz und dort fehlen einfach Arbeitsplätze.
Clement: Es tut mir leid Frau Engels, aber das ist falsch, das wird zwar überall verbreitet, das ist aber wirklich falsch. Es wird in Ostdeutschland keinen Einschnitt geben sondern es wird auch dort eine Verbesserung der Situation geben, selbstverständlich. Und natürlich werden wir einiges tun und werden auch andere einiges tun müssen. Ich spreche ja darüber, dass wir einen neuen Aufbruch brauchen, eine neue Mobilisierung von Arbeitsplätzen. Deshalb spreche ich beispielsweise auch darüber, dass in den Städten und Gemeinden in Ostdeutschland kommunale Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden müssen. Da sind viele vorhanden und wir brauchen dort mehr, wir brauchen Beschäftigungsmöglichkeiten, die die Wohlfahrtsverbände zur Verfügung stellen können und wir brauchen Arbeitsplätze für die Arbeitssuchenden, die ich vorhin erwähnt habe. Ich könnte noch 250.000 Akademiker dazu erwähnen und viele mehr, die eingesetzt werden können, und die wir auch für bestimmte Jobs qualifizieren können über die Bundesagentur, die vorbereitet werden können auf solche Beschäftigungsmöglichkeiten. Es wird dort keinen Einbruch geben, übrigens auch keinen Einbruch in der Kaufkraft, wenn wir es, wenn es von allen gemeinsam angepackt wird. Nur diese Nörgelei, nur die Beschreibung von kritischen Situationen hilft niemandem, ganz abgesehen davon, dass auch die Situation in Ostdeutschland in den einzelnen Regionen ja sehr unterschiedlich ist.
Engels: Kritik kam ja am Wochenende auch daran hoch, dass Arbeitslose nach Plänen der Bundesagentur für Arbeit künftig mit Kontrollbesuch zu Hause rechnen müssen, ist das Teil des Förderns und Forderns?
Clement: Frau Engels, das ist Praxis schon seit Jahrhunderten, das ist jetzt etwas übertrieben, sondern seit eh, seit es Sozialhilfe in Deutschland gibt. Darüber hat nur niemand gesprochen. Die Sozialhilfeempfänger haben wir völlig außen vor gelassen. Auch wenn ich jetzt auch immer lese über den Absturz, auch bei Ihnen im Sender höre über den Absturz, der da stattfinden soll, dass die Sozialhilfeempfänger, die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger nicht etwa abstürzen, sondern aufsteigen, sondern dass sie in Zukunft rentenversichert sind, dass sie versichert sind gegen Arbeitslosigkeit, dass sie kranken- und pflegeversichert werden, darüber spricht niemand. Die werden, das sind eine Million Menschen, die in eine bessere Situation kommen als bisher. Also da gibt es schon mal keinen Absturz. Und bei denen hat es auch immer in Extremfällen, so hat der Alt vom Vorstand der Bundesagentur gesagt, in den Extremfällen gibt es dort Kontrollen. Nämlich wenn der dringende Verdacht aufkommt, da wird ja richtig gemauschelt. Das gibt es, wie wir wissen, im Leben und dann muss dem im Extremfall, das heißt im Ausnahmefall wird dem auch nachgegangen. Ja das ist das selbstverständlichste von der Welt ,finde ich, und ich glaube nicht, dass da irgendetwas vorwerfbares daran ist.
Engels: Kommen wir noch auf die Stimmung im Land zu sprechen und auch für die Stimmung, mit der sich die SPD konfrontiert sieht. Ihr Parteichef Franz Müntefering sorgt sich wegen der schwindenden Zustimmung zur SPD und der Gründung eines neuen Linksbündnisses, Sie auch?
Clement: Ich sorge mich wegen der zur Zeit nicht ausreichend vorhandenen Zustimmung zur SPD. Das, was sich dort auf der linken Linkesten tut, das ist nicht mein Problem und das hat auch keinerlei Chance, das wissen wir doch alle, darüber haben wir viel Erfahrung. Das beschäftigt mich nicht. Mich beschäftigt die nicht ausreichende Zustimmung zu meiner Partei, zur SPD, das wird sich ändern, wenn sich zeigt, das der Weg, den wir eingeschlagen haben, Erfolg verspricht und ich gehe davon aus, dass wir mit dem, was wir jetzt auf den Weg gebracht haben, gerade im Arbeitsmarktbereich, dass wir dort in überschaubarer Zeit auch entsprechende Veränderungen erkennbar machen können, zuallererst bei den Jugendlichen, bei der Jugendarbeitslosigkeit, und zwar in Ostdeutschland wie in Westdeutschland, wenn jeder junge Mann und jede junge Frau ohne Ausbildung und Arbeitsplatz zur Zeit unter 25 Jahren auf jeden Fall ein Angebot bekommt, allerdings auch von einem solchen Angebot dann Gebrauch machen muss. Wenn das kommt, glaube ich, dass die Stimmungslage sich verändert. Jawohl, der neue Aufbruch, von dem ich spreche, den ich vor Augen habe, der wird hoffentlich dann auch irgendwann meiner Partei zugute kommen. Da werden Sie verstehen, dass ich diese Hoffnung nicht aufgeben werde.
Engels: Irgendwann, heißt das schon im kommenden Jahr bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, weil zu den Kommunalwahlen, die im Herbst anstehen, wird es ja wohl nicht mehr kommen.
Clement: Das weiß ich nicht das wird sich zeigen. Jedenfalls die nordrhein-westfälischen Landtagswahlen, und ich kenne ja Nordrheinwestfalen ganz gut, die nordrhein-westfälischen Landtagswahlen habe ich für die SPD noch lange nicht abgeschrieben. Das werden wir sehen. Und natürlich habe ich die Hoffnung, dass hier auch bis dahin schon deutlich wird an Positivem, was wir jetzt auf den Weg gebracht haben.
Engels: Wirtschaftsminister und Arbeitsminister Wolfgang Clement von der SPD, ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.
Clement: Ich danke Ihnen schön, Frau Engels.
