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Wirtschaftsweise
Kritik am Kurs der Bundesregierung

Die sogenannten Wirtschaftsweisen haben der Bundesregierung eine Mitschuld an der Abkühlung der Wirtschaftsleistung gegeben. In der Arbeitsmarkt-, Renten- und Sozialpolitik seien die Weichen falsch gestellt worden. Die Kosten machten sich schon heute bemerkbar. Die Bundesregierung weist die Kritik zurück.

    Kleintransporter von Volkswagen stehen zur Auslieferung auf einem Zug im Rangierbahnhof Seelze in der Region Hannover.
    Die Wirtschaftsweisen kritisieren den Kurs der Bundesregierung und geben ihr eine Mitschuld für die Abkühlung der Wirtschaftsleistung. (dpa / Julian Stratenschulte)
    Am Vormittag haben die Sachverständigen ihren Bericht erst der Bundesregierung vorlegt und später der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Wirtschaftsfachleute sind noch etwas pessimistischer als die Große Koalition selbst. Die Berater haben ihre Prognose für das laufende Jahr von 1,9 auf 1,2 Prozent gesenkt. Union und SPD rechnen immerhin noch mit 1,3 Prozent. Auch die Bundesregierung hatte ihre Prognose kürzlich nach unten korrigiert.
    Noch schlechter dürfte es nach Einschätzung der Wirtschaftsweisen im nächsten Jahr laufen. Dann gehen sie nur noch von einem einprozentigen Wachstum aus. Das habe mehrere Ursachen:
    • die verschiedenen Krisen weltweit, etwa in der Ukraine und im Nahen Osten,
    • die schwächelnde Wirtschaft im Euroraum insgesamt,
    • die Politik der Bundesregierung.
    Entscheidungen in der Energie-, Arbeits- und Sozialpolitik machten sich negativ bemerkbar. Damit meinen die Experten Mütterrente, Rente mit 63 und den Mindestlohn, der im nächsten Jahr mit wenigen Ausnahmen flächendeckend eingeführt wird. "Eine wirkliche Aufbruchsstimmung hat die große Koalition jedenfalls bislang nicht erzeugt", heißt es in dem Gutachten, das den Titel "Mehr Vertrauen in Marktprozesse" trägt. "Vielmehr zeichnet sich bereits heute deutlich ab, dass die aktuellen Maßnahmen den künftigen Reformbedarf erhöht haben." So seien die öffentlichen Finanzen angesichts der alternden Bevölkerung langfristig nicht tragfähig. Die Regierung müsse dringend gegensteuern. Eine höhere Arbeitslosigkeit erwarten die Wirtschaftsexperten im kommenden Jahr allerdings nicht.
    Merkel hält Kritik für unberechtigt
    Die Bundesregierung hat die Kritik in Teilen zurückgewiesen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wehrte sich gegen die Darstellung, die Politik von Union und SPD sei eine Ursache für die aktuelle Konjunkturflaute. "Wir sehen hierfür vor allen Dingen geopolitische Herausforderungen, die Deutschland zum Teil auch sehr stark treffen", sagte Merkel bei der Übergabe des Gutachtens. Sie irritierte, dass der ab 2015 geltende Mindestlohn sich schon heute auf die Wirtschaft auswirkt. "Es ist nicht ganz trivial zu verstehen, wie ein Beschluss, der noch nicht in Kraft ist, jetzt schon die konjunkturelle Dämpfung hervorrufen kann", sagte Merkel. Ihre Regierung werde sich dennoch konstruktiv mit dem Gutachten auseinandersetzen.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel erhält den Jahresbericht der Wirtschaftsweisen, hier mit den Professoren Peter Bofinger (l.) und Christoph Schmidt.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel erhält den Jahresbericht der Wirtschaftsweisen, hier mit den Professoren Peter Bofinger (l.) und Christoph Schmidt. (dpa / Rainer Jensen)
    In der SPD wurden Zweifel an der Kompetenz der Wirtschaftsweisen laut: Das Gutachten der Ökonomen zeige erneut, "dass die Mehrheit der Sachverständigen nicht willens ist, sich von ihrer marktradikalen Ideologie zu lösen", sagte der SPD-Finanzpolitiker Joachim Poß. Solche Berichte "helfen weder der Politik noch den Menschen in diesem Land".
    Dagegen teilt der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, überwiegend die Einschätzung der Wirtschaftsweisen. "Ich teile ja den Großteil dessen, was die Wirtschaftsweisen sagen", sagte Linnemann im Deutschlandfunk, "dass wir die Spielräume jetzt nicht nutzen für die Zukunft, sondern nur für die Gegenwart und dass wir uns nicht mit den wirklich wichtigen Fragen beschäftigen, wie wir in fünf, zehn oder 15 Jahren noch Wohlstand erreichen können."
    Die Kosten eines "sozialpolitisches Experiments"
    Die Wirtschaftsweisen erklärten in ihrem Bericht, die Bundesregierung habe mit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ein "sozialpolitisches Experiment mit unbekanntem Ausgang gestartet". Die Experten gehen davon aus, dass deshalb im nächsten Jahr rund 100.000 Minijobs und etwa 40.000 sozialversicherungspflichtige Stellen weniger entstehen als ohne den Mindestlohn.
    Blick auf das Gelände des Stahlkonzerns Salzgitter AG in Salzgitter
    Die Wirtschaftsentwicklung trübt sich laut einem Gutachten der Wirtschaftsweisen ein. (dpa / Julian Stratenschulte)
    Seit 1963 beurteilen die fünf Ökonomen für die Regierung die gesamtwirtschaftliche Lage und machen Vorschläge zur Wirtschaftspolitik. In den vergangenen Jahren hat die Politik die Empfehlungen der Professoren weitgehend ignoriert. Die Ökonomen werden vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung in den Sachverständigenrat berufen.
    (pr/sdö/swe)