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Wissen für Spezialisten

Als der Physiker Tim Berners-Lee 1990 den heute gängigen Internetstandard world wide web erfand, ging es ihm zunächst nur um die Wissenschaft. Überall auf der Welt verstreut saßen seine Kollegen, die an ähnlichen Themen arbeiteten wie er. Mit Hilfe des Internets konnten sie zwar schon damals kommunizieren. Aber der Vorgang war langwierig und kompliziert. Für jeden Datenaustausch, und sei es nur, um eine simple e-mail zu verschicken, musste sich ein Wissenschaftler noch auf den anderen Rechner einwählen und jedes Mal einen langen Code eingeben. Das Grundproblem war: Die Wissenschaftler und ihre Institute hatten ihre Computer schon vernetzt, aber noch in unterschiedlichen Formaten. Jeder Computer sprach also eine andere Sprache, und ohne die als Übersetzer fungierenden Zahlencodes, hätte man sich nicht verstanden. Tim Berners-Lee vereinfachte diesen Prozess nun radikal, indem er einen einheitlichen Standard für die Daten festlegte. Alles, was im world wide web übertragen wurde, konnte nun von jedem Computer entschlüsselt werden ohne dass die Wissenschaftler ihn jedes Mal neu programmieren mussten.

Barbara Minderjahn |
    Die Kommunikation war einfacher geworden, aber dennoch nutzten in den Anfangsjahren auch weiterhin nur Computerfreaks das Netz, denn es gab dort weder Spiele, noch bunte Bilder oder aufwendige Homepages. Schwarz-weiße Benutzeroberflächen spuckten Datenkolonnen aus. Doch die Insider hatten das Potenzial dieses Mediums bereits erkannt. Der Mitbegründer der Firma Netscape Communications, Marc Adreessen, entwickelte als Student den ersten Internetbrowser und hauchte dem world wide web so neues Leben ein. Auch der technisch unversierte Nutzer konnte plötzlich per Mausklick durch das Internet surfen. Die Daten verwandelten sich in graphische Welten. Am 30. April 1993 gaben die Direktoren des Cern Instituts für Teilchenphysik in Genf, wo das world wide web erfunden worden war, den www Standard frei. Die Kommerzialisierung des Mediums begann.

    Vor allem Marketingstrategen befassten sich nun mit der Frage, wie sie das Netz für wirtschaftliche Zwecke nutzen konnten. Dabei stießen sie auf nahezu paradiesische Verhältnisse: world wide web – das bedeutete, dass sich Menschen weltweit ohne großes technischen Wissen und von zu Hause aus in das neue elektronische Netz einklinken konnten. Wenn Firmen dieses Potenzial nutzen würden, so die Strategen, bräuchten sie ihren Kunden nicht mehr mit Werbung und teuren Auslagen in ihre Geschäftsräume zu locken, sondern konnten umgekehrt per Homepage in das Wohnzimmer der Nutzer gelangen. Kreditverträge, Pauschalreisen, Bücher, Kaffeemaschinen, Videofilme oder Musikstücke – alles sollte per Internet verkauft werden können. Und zwar viel einfacher, preisgünstiger und auch für den Kunden bequemer als bisher.

    Eine Branche, die sehr gespalten auf diese Verheißungen reagierte, war und ist bis heute die Informations- und Verlagsbranche. Und das hängt mit einer Besonderheit zusammen: Informationen, Daten, Texte, Bilder und Graphiken können im Computer direkt verschickt werden. Das heißt: Man muss nicht erst ein Buch oder eine Zeitung drucken, um die Information zu verbreiten. Das Internet dient also nicht, wie bei den meisten anderen Branchen, als Katalog für den Versandhandel. In der Informations- und Wissensbranche ist der Computer ein neues Trägermedium. Das elektronische Wort ersetzt das gedruckte.

    Vor allem große Firmen und einige, die es ohne viel Aufwand werden wollten, glaubten gerne an das revolutionäre Potenzial des Internets und investierten viel in den Aufbau von neuen Informationsplattformen. Viele kleine Firmen aber, allen voran kleine und mittelständische Fachverlage, zögerten. So beschrieb eine Verlagsangestellte die Situation folgendermaßen:

    Das Internet ist ein Begriff und wird zum Teil strategisch erkannt, aber nicht mit allen Möglichkeiten. Wie wird es angewendet? Welche Menschen benutzen das Internet? Es ist eine ganz andere Generation, die eben vor 50 Jahren noch mit den Büchern umgegangen ist. Die, die heute das Internet gestalten und nutzen, das ist die junge Generation. Gerade wenn es um Wirtschaftsinformationen geht. Also muss da von der Anwendung her ganz anderes Denken Platz finden, was eben zum Teil nicht geschieht. Und das heißt, das in diesen Verlagen auch eben nicht entsprechend investiert wird, was das Geld angeht. Da muss man aufpassen, dass man bestimmte Entwicklungen nicht auch verschläft.

    In der Tat dachten und entschieden die Manager in vielen kleinen eigentümergeleiteten Betrieben eher traditionell. Gerade zu Beginn des elektronischen Zeitalters trauten sie sich nicht, viel zu investieren, weil sie nicht einschätzen konnten, welchen Erfolg das neue Medium haben würde. Darüber hinaus lieben Verleger Gedrucktes. Helker Pflug ist Eigentümer des kleinen Fachverlages "Wissenschaft und Politik":

    Wenn man sich überlegt, dass ich ein Buch herstelle und sehr viel Sorgfalt darauf lege, dass der Text auf sprachlicher und inhaltlicher Ebene ausgefeilt ist, dann ist es vollkommen ausreichend, wenn es als Buch vorhanden ist. Wenn ich diesen Text ins Internet stellen würde, den man sich dann runterladen könnte, würde mich das zu Dingen zwingen, die ich nicht leisten kann oder nur mit einem sehr hohen finanziellen Aufwand. Da gibt es alleine schon ein technisches Problem. Und zwar, dass Sie bestimmte Formate, die Sie im Buch herstellen können im Internet nicht 1.1 umsetzen können. Ein gutes Beispiel sind die diakritischen Sonderzeichen für die osteuropäischen Sprachen. Versuchen Sie mal einen Hatschek ins Internet zu stellen, was da für ein lustiges Zeichen rauskommt. Und diese Dinge alle so technisch zu generieren, dass sie 1:1 beim potentiellen Leser auch ausgedruckt vorhanden sind, das kriegen Sie nicht hin. Oder zumindest nicht mit einem Aufwand, der noch in überschaubarer Größenordnung bleibt.

    Ende der 90er Jahre erreichte das Internet allerdings eine Eigendynamik, gegen die sich auch die kleinen Betriebe nicht mehr länger wehren konnten. Vor allem die großen Verlagskonzerne wie Bertelsmann oder Springer, aber auch einige visionäre Kleinverleger hatten begonnen, Bücher, Daten und Texte über das Internet zu vertreiben. Die anderen Verlage mussten befürchten, den Anschluss zu verlieren. Eine Verlagsangestellte beschreibt die Reaktion:

    Also man glaubt, man könne dieser Entwicklung hinterherlaufen, sie irgendwo auch einholen. Wenn man jetzt nur entsprechend was anbietet, was entsprechend auch benutzerfreundlich, kundenfreundlich genug ist. Das sind dann Modelle, die zum Teil aus den anderen Produkten übernommen werden. Das heißt, das man versucht eine Internetplattform zu bauen, die sich an Printmedien orientiert. Wenn man das macht, dann hat man verloren.

    Die weitere Entwicklung verlief dann jedoch anders als vorausgesagt, und das war es, was die Traditionsunternehmen rettete: Der Internetboom brach zusammen. Betroffen davon waren vor allem die Großen. So musste die Internettochter von Bertelsmann "Pixelpark" allein im Jahr 2001 nach eigenen Angaben insgesamt 86 Millionen Euro Verlust verbuchen. Der Aktienkurs des Dienstleisters rutschte ab. Das einstige Aushängeschild der new economy musste Zweigstellen im europäischen Ausland schließen und Mitarbeiter entlassen. Ende 2002 reduzierte Bertelsmann seine 60prozentige Beteiligung auf 20 Prozent. Anderen großen weborientierten Unternehmen erging es ähnlich. Der Verleger Ernst Munzinger, der vor allem Biographien und Länderprofile vertreibt, erinnert sich:

    In Internetzeiten sind einige Angebote aufgetaucht, die wir als wirkliche Konkurrenz gesehen haben und die uns haben befürchten lassen, dass wir in bestimmten Bereichen, beispielsweise Sportinformationen, Probleme bekommen würden. Überall da, wo diese Informationen zu 100 Prozent über Werbung finanziert wurden oder werden sollte, ging, soweit wir das beobachten konnten, der Schuss nach hinten raus. Es gibt viele dieser Angebote einfach nicht mehr. Weil diese Methode des Finanzierens über Werbung eben nicht funktioniert. Oder nur zum Teil funktioniert und nur bei ganz bestimmten Informationen funktioniert.

    Auch die zweite Einnahmequelle, der Verkauf von Informationsinhalten per Computer, sprudelte nicht so schnell und stark, wie es für die großen Investoren am Markt nötig gewesen wäre. Zwar mochte es für den Kunden bequemer sein, Informationen und Texte direkt vom Computer runterzuladen, statt in Archive, Bibliotheken oder in einen Buchladen zu gehen. Aber bezahlen wollte der Privatmann dafür nicht, selbst wenn er die Information woanders auch nicht kostenfrei bekommen konnte. Das elektronische Buch, von dem sich die Internetbranche hohe Gewinne versprochen hatte, weil es genauso viel kosten sollte wie ein gedrucktes Werk, aber günstiger herzustellen gewesen wäre, setzte sich bis auf wenige Ausnahmen nicht durch. So gibt es heute zwar die so genannte Gutenberg Bibliothek im Internet. Aber das sind alte literarische Werke, die von Lesefreunden abgeschrieben und unentgeltlich ins Netz gestellt wurden. Der Verleger Helker Pflug erklärt, warum kostenpflichtige elektronische Bücher aus seiner Sicht keinen Sinn machen:

    Entscheidend ist: Die ganze Internetbranche ist ja dominiert von jungen Leuten, die noch im Vollbesitz ihrer Kräfte sind und vor allen Dingen, deren Augen noch funktionieren. Es gibt keinen 50jährigen, der acht Stunden am Bildschirm sitzt, ohne davon Kopfschmerzen zu kriegen. Wenn ich mir jetzt zum Beispiel einen wissenschaftlichen Sammelband mit 10-15 Aufsätzen überlege. Dann ist er ja dazu da, dass er gelesen wird. Und so etwas liest man in der Regel nicht am Bildschirm, sondern im Buch, weil es leserfreundlicher ist, weil man viel länger lesen kann am Buch als am Bildschirm. Abgesehen davon, dass man mit dem Text arbeiten kann. Und wenn man das ganze sich aber ausdruckt, das führt in der Regel dazu, dass man Tausende von Zettelbergen hat und das ist in der Regel nicht angenehmer als ein Buch zu lesen.

    Auch für die Autoren selbst sei das elektronische Buch nicht genauso viel wert wie ein gedrucktes, glaubt Helker Pflug:

    Fragen Sie mal einen Historiker, ob er ausschließlich, wenn er noch weiter wissenschaftlich arbeiten will, bereit wäre, auf seine Buchpublikation zu verzichten. Ich glaube, da finden Sie niemanden. Sie werden die Bereitschaft finden, Aufsätze zu veröffentlichen. Weil das eben eine zusätzliche Möglichkeit ist. Aber wenn man dann seine große Abhandlung schreibt, dann werden sie immer auch den Stolz des Autors finden, das dreidimensionale Buch in Händen zu halten und Tante Paula oder einem Kollegen zu geben. Bücher herzustellen hat auch immer eine sinnliche Komponente. Oder zumindest eine Komponente, die nicht ausschließlich auf der Informationsvergabe beruht. Mit Büchern werden noch ganz andere Dinge zusätzlich transportiert. Das Internet hat bestimmte Vorteile, aber hat auch ganz gravierende Nachteile. Bücher zum Beispiel als Geschenk. Was nutzt es ihnen, wenn Sie es im Internet haben? Ein Geschenk ist ein Geschenk, das verpackt man schön.

    Das Internet hat also die hohen Erwartungen nicht erfüllt, aber es hat die Branche trotzdem verändert. So begannen laut einer Umfrage des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels die meisten Verlage im Jahr 2000, elektronisch zu publizieren. 2001 handelten insgesamt 2584 Firmen online mit Büchern, 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Zwar machte der Umsatz mit elektronischen Medien bei mehr als der Hälfte von ihnen noch weniger als 1 Prozent des Gesamtumsatzes aus, und für die meisten war das Geschäft noch ein Verlust. Aber es gibt auch positive Beispiele. Eines davon ist der Munzinger Verlag. Bis 1997 vertrieb der mittelständische Betrieb seine Informationen, vor allem Portraits wichtiger Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben und Länderdarstellungen, als Loseblattsammlung. 1997 führte er die CD-Publikation und eine Online-Version ein. Für beide muss der Käufer bezahlen. Da seine Kunden, das sind vor allem Journalisten, Bibliotheken und große Archive, die Informationen jedoch brauchen und professionell nutzen, scheint die Kostenpflicht kein Problem zu sein. Hätte der Munzinger Verlag seine Datensammlung nicht auf den elektronischen Vertriebsweg umgestellt, hätte er die nächsten Jahre vielleicht nicht überlebt - glaubt zumindest der Verleger. Ernst Munzinger:

    Das Internet ist für uns zu einer ganz normalen Vertriebsschiene oder Technikschiene geworden. Ich halte wenig davon, dass Internet als eine eigene Branche zu betrachten, sondern es ist eine andere Art, Informationen zu verbreiten. Und es lag auf der Hand diesen Weg zu beschreiten. Anfangs ist natürlich einiges investiert worden. Inzwischen machen wir etwa 35 Prozent unseres Umsatzes über diesen Weg. Und die Aufwendungen sind im Rahmen geblieben.

    Der Munzingerverlag ist ein gutes Beispiel dafür, welche Geschäftsmodelle im Internet funktioniert haben. Dabei ging es nicht um möglichst hohe Investitionen und ein völlig neues Denken, sondern darum, das Internet dort zu integrieren, wo es zur publizistischen Marke passte. Gerade bei Datenbanken, aber auch bei Wörterbüchern oder Archivmaterial bietet das Netz große Vorteile. Der Verleger kann zum Beispiel Texte und Daten laufend aktualisieren, wodurch der Wert des Produktes für professionelle Nutzer steigt. In diesem Marktsegment war der Onlinehandel daher bisher auch am erfolgreichsten.

    Ich denke, das sind sehr unterschiedliche Ansätze, ob man eine Dienstleistung verkauft, die man später selbst nutzt und für die der Bestellweg nur das Internet ist oder ob es sich um kostenpflichtige Information handelt, die man für irgendeinen Zweck braucht. Wenn dieser Zweck ein beruflicher ist, wenn es sich also lohnt, diese Information zu kaufen, wenn man es schwerer hätte, ohne sie auszukommen, dann wird man diesen Weg auch bei der Information gehen, aber das betrifft nur einen kleinen Teil der Internetnutzer.

    Und noch ein weiterer Aspekt war wichtig: Verlage, die sich an einen bestehenden Kundenstamm gehalten haben, waren weitaus erfolgreicher als die, die versuchten ein völlig neues Publikum zu schaffen. So hat Ernst Munzinger von Loseblattsammlungen auf die elektronischen Datenbanken umgesattelt, als auch die Nutzer selbst immer mehr auf interne Datenverwaltung umstellten. Dadurch hat er seine Kunden behalten. Ob ihm das auch zukünftig gelingt, weiß er nicht:

    Wir haben Veränderungen. Im Moment sieht es so aus, dass wir nicht die großen Sprünge machen, die es auch schon mal gegeben hat. Aber man muss in dieser Zeit zufrieden sein wenn man ohne große Probleme durchkommt. Bisher haben wir keine Probleme. Das mag sich vielleicht noch ändern. Aber wer weiß das schon vorher.

    Die größten Sorgen macht sich die Branche derzeit über das grundsätzliche Verhältnis unserer Gesellschaft zu bezahlten Informationen. Je länger es auf dem Internet eine regelrechte Flut kostenloser Angebote gibt, desto weniger könnten die Nutzer bereit sein, für Medienprodukte zu zahlen. Ernst Munzinger:

    Eine gewisse Art von Information oder auch eine Qualität kostet einfach ihr Geld. Jetzt ist die Frage, wer bringt das Geld auf? Bringt das eine Masse auf, weil sie denkt, sie braucht das täglich. Oder bringt das eine spezielle Kundschaft auf, die das auch tatsächlich braucht. Oder anders herum: Ich glaube, wenn bestimmte Informationen nicht kostenpflichtig wären, dann würde es diese Information gar nicht geben, weil sie dann nicht hergestellt werden könnte.

    Neuen Studien zufolge steigt die Chance, Inhalte über das Internet zu verkaufen, denn auch andere Anbieter lassen sich ihre Qualitätsprodukte immer häufiger bezahlen. Anderseits warnen Kommunikations- und Medienwissenschaftler schon lange davor, dass sich die Gesellschaft mit immer leichterer Informationskost begnügt. Meldungen müssen vor allem schnell sein, Seriösität und gute Recherche bleiben dabei oft auf der Strecke. Hintergrundwissen interessiert nur noch den Spezialisten. Und das würde bedeuten: Der Wert von Fachwissen wird nicht mehr erkannt und honoriert.

    Auch die jüngst vom Bundestag verabschiedete Gesetzesnovelle zum Urheberrecht scheint die Befürchtungen der Verleger zu bestätigen. Der Gesetzentwurf soll das aktuelle Recht an die Gegebenheiten des Online-Zeitalters anpassen. Doch Kritiker werfen den Initiatoren den Ausverkauf geistigen Eigentums vor. Gestritten wird vor allem über den Paragraphen 52a. Er legt fest, dass Schulen und Forschungsstätten Teile von Fachpublikationen digitalisieren und kostenlos über ihr internes Netz verbreiten dürfen. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries:

    Wir tragen dem Rechnung, dass heute Unterricht in Schulen auch häufiger mit Computern stattfindet. Dass Kommunikation im Wissenschaftsbereich per Intranet stattfindet, und sagen: Das ist richtig. So ist es auch. Und das wollen wir jetzt gerne auch regeln, wollen also quasi den Lehrer insoweit absichern, als wir sagen: Da können Texte in ein Intranet, zum Zwecke der Unterrichtung einer Schulklasse gestellt werden.

    Wissenschaftsverleger Georg Siebeck jedoch sagt:

    Wenn ich nun dran denke, was der Gesetzgeber im Augenblick vorhat, nämlich den freien Zugang auf alle Dokumente zu gestatten, und sei es nur zu Forschungszwecken, ohne dass das in irgendeiner Weise lizenziert werden muss, dann sind wir mit den Publikationen praktisch im Reich der Plünderei.

    In der Tat erlaubte es der ursprüngliche Entwurf den Schulen noch, ganze Bücher und zwar auch Lehrbücher ins Intranet zu stellen. Doch dann hätte womöglich niemand mehr ein Lehrbuch gekauft. Der gesamten Schulbuchmarkt wäre weggebrochen. Helker Pflug:

    Ich denke schon, dass die westlichen Wissenschaftsgesellschaften gut damit gefahren sind, dass im 19. Jahrhundert mit sehr viel Aufwand copyright eingefordert und gesetzlich verankert wurde, weil es ja auch Arbeit ist von jemandem anders. Das ist ja genauso, wenn Sie ihr Auto in die Werkstatt bringen, sich anschließend herzlich bedanken, dass jemand gearbeitet hat und Ihnen ihr Auto wieder in Ordnung gebracht hat, und mit dem warmen feuchten Händedruck lassen Sie es dann bewenden und geben kein Geld. Da würde ja auch jeder erst mal sagen: ne, ne, das geht nicht. Der muss ja von irgendwas leben. Ja, aber das ist mit geistiger Arbeit ja genau der selbe Effekt. Nur dass er vielleicht nicht ganz so konkret ist und man nicht anschließend ölverschmierte Hände hat.

    In der Fassung, die der Bundestag Mitte April mit Mehrheit verabschiedet hat, ist der kritische Passus verändert worden. Demnach dürfen Schulen und Forschungseinrichtungen nun keine ganzen Bücher mehr ins interne Netz stellen, sondern lediglich einzelne Kapitel von Fachbüchern und Zeitschriften. Schulbücher dürfen sie gar nicht digitalisieren. Die Intranettexte sollen lediglich die bisher üblichen Kopien ablösen. Dafür erhalten die Verlage und Autoren eine Vergütung.

    Zumindest diejenigen, die ihre Bücher nach wie vor in Papierform vertreiben, hat diese Änderung versöhnlicher gestimmt. Auch jetzt schon bekommen Verlage und Autoren für jede kopierte Seite ihrer Werke zwischen einem und zwei ein halb Cent. Das Geld wird über die Verwertungsgesellschaften, wie zum Beispiel die VG Wort verwaltet. Helker Pflug:

    Für mich ist das zum Beispiel ein finanzieller Aspekt. Ich kriege einen nicht zu vernachlässigenden Betrag jedes Jahr von der VG Wort ausgeschüttet, weil man davon ausgeht, dass wissenschaftliche Bücher viel kopiert werden. Und genauso ist es sinnvoll dann auch Regelungen zu schaffen, wie mit copyright im Internet umgegangen wird.

    Für die Verlage, die in den letzten drei Jahren in das elektronische Publizieren investiert haben, wird eine solche Vergütung jedoch kaum reichen. Denn Bücher und Zeitungen online oder über CD-Rom zu vertreiben ist gerade in der Anfangsphase teuer. Und das Geschäft beginnt sich für viele erst jetzt zu rentieren.

    Der Streit um das neue Urheberrecht hat darüber hinaus aber noch einen weiteren Hintergrund. Wenn Schulen und Forschungseinrichtungen demnächst nun ein Intranet mit selbst digitalisierten Fachtexten entwickeln dürfen, ist das ein großer Schritt in Richtung elektronisches Lernen. Darunter versteht die Branche den Einsatz von elektronischen Medien beim Lernprozess. Bis jetzt bieten erst wenige Fachverlage virtuelle Wörterbücher oder interaktive Trainingskurse und Simulatoren an. Aber der Bereich gilt als wichtiger Wachstumsmarkt, und den wollen die Fachverlage gerne an den Schulen bedienen. Ansonsten müssten die Verlage fürchten, das neue Urheberrecht könnte erledigen, was der Internetboom nicht geschafft hat: Die Verlagsbranche den Anschluss an das elektronische Zeitalter und die Wissensgesellschaft verpassen zu lassen.