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Wissen, woher der Braten kommt

Wildfleisch gilt als besonders gesund, schließlich bewegen sich die Tiere in freier Natur, wo sie wenig Fett ansetzen können und sich abwechselungsreich ernähren. Angaben, ob das Fleisch tatsächlich von Tieren aus der freien Wildbahn stammt oder aus landwirtschaftlicher Wildhaltung, sucht man auf dem Etikett aber vergebens.

Von Axel Flemming |
    Hartmut Staar steht auf einer Wiese und ruft die Hirsche. Dass er Kastanien in seinem Eimer hat, wissen die Tiere längst und nähern sich, ein großer Hirsch kommt sogar so nah, dass er gestreichelt werden kann. Staar hat das Unternehmen "Gut Hirschaue" in Rietz-Neuendorf bei Beeskow aufgebaut, nach der Wende, da war er 40 Jahre. Davor war der gelernte Landwirt LPG-Vorsitzender, arbeitete zuletzt in der staatlichen Verwaltung der DDR-Landwirtschaft und wurde über Nacht arbeitslos:

    "So nach dem Motto: Euch hatten wir über 40 Jahre, jetzt wollen wir erst einmal die andern kennenlernen. Das war bitter, aber es war damals auch eine Zeit der Besinnung und der Selbstprüfung. Und da habe ich mir gesagt, dann bleibt nur eins übrig, nicht die Verwaltung, sondern vielleicht sogar eine Chance: wieder primär die Landwirtschaft zu haben, und wenn es dann wieder zurückgeht zur Produktion, dann auch mal eine andere Art, nämlich nicht nur die Chemisierung, sondern auch diesen Weg zum ökologischen Landbau."

    Im Verbund mit den Landwirtschaftsbetrieben seiner Söhne Michael und Henrik bewirtschaftet die Familie jetzt 572 Hektar Ackerland. Zu DDR-Zeiten war das eine große Ackerfläche, die Staars zogen Hecken, pflanzten Bäume und Sträucher, stellten den Anbau von Getreide auf ein Modell mit sechsjähriger Fruchtfolge um. So kann der Speiseplan der Tiere im Gut Hirschaue abwechslungsreich gestaltet werden, von den wechselnden Futterkulturen zur Beweidung profitiert Damwild, Rotwild und Muffelwild; insgesamt inzwischen fast 1000 Wildtiere.

    Und im vierten Jahr der Fruchtfolge kommen nicht die Trecker, dann werden die Weideflächen von "Märkischen Sattelschweinen" umgebrochen, einer Kreuzung aus deutschem Sattelschwein mit einem Wildschwein. Inzwischen nehmen die Gehege eine Fläche von 185 Hektar ein. Viel für Brandenburg, wenig im weltweiten Maßstab. 'Aber so ist der Markt', sagt Henrik Staar, der im Kremser sitzt, den zwei Pferde durch die Landschaft ziehen:

    "45 Prozent des Wildfleischbedarfes, den es in Deutschland gibt, kann eben nur aus heimischer Jagd gedeckt werden, knapp drei bis vier Prozent kommt aus landwirtschaftlicher Wildhaltung und der ganze Rest ist Importware, die eben aus Neuseeland kommt und dort herkömmlicherweise im Schlachthof zubereitet wird."

    Die landwirtschaftliche Wildtierhaltung in Brandenburg nimmt weiter zu. Landesweit werden rund 5.800 Muttertiere auf einer Gesamtfläche von 1.350 Hektar gehalten. Die meisten Betriebe verfügen über eine eigene Direktvermarktung. 1997 eröffneten die Staars neben der Gastwirtschaft eine eigene Fleischerei mit Hofladen. Ob die Tiere aus dem Gatter kommen oder tatsächlich wilde Wildtiere sind, muss nicht ausgewiesen werden. Es reicht die Aufschrift "Wild" auf dem Etikett.

    Henrik Staar:

    "Die Produkte, die ausschließlich mit Tieren aus unserer Wildhaltung verarbeitet sind, das sind natürlich Biolandprodukte, komplett nach den Richtlinien des Verbandes hergestellt ohne Nitritpökelsalz, die sind auch entsprechend deklariert, und alle anderen Produkte, die wir hier erzeugen, wo eben auch Wild aus der freien Wildbahn drin sind, die sind eben ohne Hinweis."
    Rund um die Gehege von Gut Hirschaue gibt es Wanderwege. Jeden Sonntag um 10:00 Uhr startet im Gut eine anderthalbstündige Betriebsbesichtigung unter dem Motto "Wissen, woher der Braten kommt".

    Einer der Führer: Henrik Staar: "Das machen wir auch selbst. Die sonntäglichen Führungen machen ausschließlich Mitarbeiter aus dem Betrieb oder eben wir direkt: mein Vater, mein Bruder oder ich."