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Wissenschaft schlägt Ethik

Die Richtlinie 2001/20/EG regelt in der EU die ethischen Grundsätze für klinische Studien am Menschen. Die Europäische Kommission möchte diese Richtlinie gerne abschwächen - zugunsten einer schnelleren Arzneimittelforschung. Professor Kurt Racké von der Universität Bonn betrachtet das kritisch.

    Arndt Reuning: Die Deklaration von Helsinki beschreibt die ethischen Grundsätzen für die medizinische Forschung am Menschen, also für klinische Studien. In der EU hat sie Niederschlag gefunden in der Richtlinie 2001/20/EG. Von der Europäischen Kommission kommt nun ein Vorschlag, diese Richtlinie neu zu regeln – um die Arzneimittelforschung schneller, einfacher und kostengünstiger zu machen. Morgen nun berät der Gesundheitsausschuss des Bundestages über diesen Vorschlag. Aber: Es haben sich auch schon einige Kritiker zu Wort gemeldet, darunter auch der Arbeitskreis medizinischer Ethik-Kommissionen. Mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins habe ich kurz vor der Sendung telefoniert, mit Professor Kurt Racké von der Universität Bonn. Ich wollte wissen: Welches sind denn die Hauptkritikpunkte an der Neugestaltung dieser EU-Richtlinie?

    Kurt Racké: Gegen den Verordnungsentwurf muss man ganz grundsätzliche Kritik vortragen: dass er grundlegende vom ... Ethos getragene Prinzipien der Forschung am und mit Menschen, wie sie unter anderem vom Weltärztebund in der Deklaration von Helsinki festgehalten sind, ausgehöhlt werden.

    Reuning: Zum Beispiel?

    Racké: Bisher muss vor Beginn einer klinischen Prüfung eine unabhängige Ethikkommission eine zustimmende Bewertung erteilen. Zentrale Aufgabe einer Ethikkommission ist hierbei, den Schutz der Rechte, das Wohlergehen und die Sicherheit von Studienteilnehmern sicherzustellen - auf der einen Seite. Und damit auf der anderen Seite auch für Vertrauen in der Öffentlichkeit zu sorgen, an einer möglichen Studie teilzunehmen. Nun, der vorliegende Verordnungsentwurf sieht dies nicht mehr vor. In den Erwägungsgründen zur Verordnung wird zwar angeführt, dass die Ausgestaltung einer ethischen Bewertung einer Studie den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen sei, die konkreten Vorgaben für ein zentrales Bewertungsverfahren, das federführend durch einen Bericht erstattenden Mitgliedsstaat für den ganzen EU-Raum vorgenommen werden soll, lassen dies aber keineswegs mehr zu. Aber gerade die multidisziplinären Beratungen mit ärztlichen Mitgliedern verschiedener Fachrichtungen, die in der täglichen Versorgung der Patienten aktiv sind, von Laien und Juristen, sind für die besondere Qualität der ethischen Beratungen unerlässlich.

    Reuning: Das heißt, es könnte in Zukunft sein, dass es überhaupt keine Ethikkommission mehr gibt?

    Racké: Das ist zumindest eine Option, die in dem Verordnungsentwurf möglich ist - ja.

    Reuning: In der Deklaration von Helsinki steht auch, einige Forschungspopulationen sind besonders vulnerabel, also verletzlich, und benötigen besonderen Schutz. Wer ist damit gemeint und wie sieht das in diesem neuen Vorschlag aus?

    Racké: Das ist ein anderer, besonderer Kritikpunkt. Betroffen wären hier minderjährige Patienten oder Patienten, die aufgrund ihres geistigen Zustands vorübergehend oder auch Dauerhaft nicht einlieferungsfähig sind. Bisher gilt, dass diese im Rahmen von Studien maximal minimalen Risiken und minimalen Belastungen ausgesetzt werden dürfen. Jetzt sollen die Risiken und Belastungen nur noch so gering wie möglich sein - also eine Absolutgrenze wird nicht mehr vorgegeben. Dies birgt nach unserer Einschätzung die Gefahr einer Instrumentalisierung dieser Patienten.

    Reuning: Zu viele Vorschriften und Auflagen könnten aber doch auch dazu führen, dass die Industrie gar nicht mehr diese teure Erforschung neuer Arzneimittel investiert. Wie sehen Sie das denn?

    Racké: Sicherlich kann man bestehende Verfahren immer hinterfragen und prüfen, ob eine Vereinfachung möglich ist. Klinische Prüfungen erfordern aber aber im Interesse der Studienteilnehmer eine sorgfältige Prüfung. Dies kann man straff organisieren, denke ich. Und wir haben mit den aktuell geltenden Regeln in Deutschland mit dem Arzneimittelgesetz durchaus ein straffes Regelwerk. Und soweit ich die Bewertung durch die industriellen Sponsoren kenne, waren diese mit den gegenwärtigen Abläufen durchaus nicht unzufrieden.

    Reuning: Welche Motivation sehen Sie also hinter dieser Neugestaltung dieser Richtlinie?

    Racké: Da kann man ja in den Erwägungsgründen der EU-Kommission einen besonderen sicherlich herausarbeiten: Eine wesentliche Motivation, die die EU selbst anführt, oder die EU-Kommission selbst anführt, ist, dass sie durch eine Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens einen wesentlichen Standortvorteil für Europa für klinische Studien zu erzielen glaubt. Sicherlich ist Zeit Geld, aber man muss davon ausgehen, dass mit einem überstürzten Genehmigungsverfahren sicherlich auch die Risiken wieder erhöht würden.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.