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Wissenschaft statt Gott

Der Biologe und Oxford-Professor Richard Dawkins hat bereits in den 70ern mit seiner Weiterentwicklung der darwinschen Evolutionstheorie für Aufsehen gesorgt. Jetzt löste der streitbare Wissenschaftler mit seinem neuen Buch "The God Delusion" heftige Diskussionen aus. Darin zieht Dawkins gegen den religiösen Glauben vehement zu Felde und gibt einem neuen Atheismus Nahrung.

Moderation: Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: "Die höchste, die gottähnlichste Macht auf Erden ist die Macht der Wissenschaft", so schrieb der Philosoph Ludwig Feuerbach. Dabei sah er in Gott allerdings nichts anderes als die Projektion aller menschlichen Wünsche und bestritt seine Existenz. Auch Marx, Freud und Nietzsche versuchten, Gott zu widerlegen. Doch neben solchen Vorkämpfern des Atheismus gab es auch immer wieder Naturwissenschaftler, die sich zu ihrem Glauben bekannten. Nun hat der Oxforder Biologe Richard Dawkins ein Buch geschrieben, in dem er religiösen Glauben zum Hirngespinst erklärt. The God Delusion, also die "Wahnvorstellung von Gott", so lautet der Titel. Und er setzt sich damit an die Spitze einer atheistischen Bewegung, die in Großbritannien zurzeit viele Anhänger findet. Frage an Jürgen Krönig: Wie begründet denn Richard Dawkins seine These?

    Jürgen Krönig: Na ja, Richard Dawkins gehört zu dieser neuen Gruppe von scharf formulierenden Atheisten, die fast triumphalistisch zu Werk gehen. Die sagen, wer an Gott glaubt, erliegt einer gefährlichen Selbsttäuschung, sie sei letztendlich verantwortlich für die schlimmsten Gräueltaten der Menschheitsgeschichte, und Richard Dawkins ist ein hochintelligenter, elegant formulierender Wissenschaftler mit der beneidenswerten Fähigkeit, wissenschaftliche Bestseller zu schreiben. Er steht damit an der Spitze einer Kampagne gegen die Religion schlechthin. Er ist nicht alleine damit, er ist vielleicht nur der beredetste Sprecher dieser Richtung, die sagen, die Wissenschaft sei der einzige Weg zur Wahrheit und zum Licht und man brauche die Religion nicht.

    Schäfer-Noske: Herr Krönig, das Buch hat auf Anhieb die Bestsellerlisten in Großbritannien, Kanada und den USA gestürmt. Wie kommt es denn, dass Richard Dawkins mit solchen Thesen zur Zeit so viele Anhänger findet?

    Krönig: Im Augenblick ergibt sich fast wieder eine Re-Religösisierung der westlichen Gesellschaften, auch erkenntlich beispielsweise in einem erstmals seit Jahrzehnten wieder wachsenden Kirchenbesuch, in einer Einordnung der Bevölkerung beispielsweise in Großbritannien selbst, die sich zu fast 80 Prozent christlich nennt, obwohl sie nicht religiös ist, und das hat natürlich wiederum zu tun mit dem Erstarken des islamischen Fundamentalismus. Insofern fühlt sich Dawkins, fühlen sich diese modernen säkularen Atheisten bemüht, jetzt zu rufen, geht nicht den Pfad der Religion wieder zurück, sondern bewegt euch zum Licht, zur Weisheit, zur Rationalität, zur Wissenschaft. Das wiederum hat allerdings den Vorwurf von anderer Seite hervorgebracht, dass diese neuen Atheisten eigentlich sich benehmen, argumentieren wie religiöse Fundamentalisten. Sie sind ebenso fanatisch, sie sind ebenso unduldsam, es ist ein aggressiver, intoleranter Atheismus, der sich da manifestiert, der vor allem in Dawkins' polemisch formulierten Werk immer wieder durchschlägt. Im Übrigen gibt es sehr viele Schwächen und offenkundige Fehler in der Argumentation.

    Schäfer-Noske: Können Sie da mal einige aufzählen?

    Krönig: Beispielsweise ist es so, dass - Sie kennen das Bild des Urknalls, des Big Bang, der am Anfang stand. Da wird gesagt von den atheistischen Wissenschaftlern, die Frage, was sei denn vor dem Urknall gewesen, sei nicht stellbar, die dürfe man gar nicht stellen. Das hat vielleicht damit zu tun, dass der Urknall selbst eigentlich ein atheistischer Schöpfungsmythos ist, ein Moment, aus dem alles heraus entsteht. Das ist eigentlich ein Wunder, nur dass man eben Gott bei dem Wunder nicht braucht. Aber das ist so ein Beispiel, und auch die heiligen Schriften, die dieser Atheismus kennt, die haben die Gurus, die haben ihre Tempel, die haben ihre heiligen Schriften, und zu den heiligen Schriften gehört ganz klar "The Origin of Species", "Der Ursprung der Spezies" von Darwin, auf den sich Dawkins beruft und der sozusagen die Wahrheit schlechthin in seinem Buch geliefert hat.

    Schäfer-Noske: Gegen wen wenden sich denn diese Atheisten, sind das mehr die gemäßigten christlichen Positionen oder ist das dieser radikale Kreationismus in den USA oder der Islamismus?

    Krönig: Nein, sie wenden sich eigentlich gegen Religion schlechthin, und sie argumentieren, dass Religion in der Geschichte der Menschheit zu den schlimmsten Gräueltaten geführt hat. Aber auch dieses Argument hält natürlich einer näheren Prüfung nicht stand, denn die größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte sind verursacht worden im Namen von Diesseitsreligionen, im Namen von atheistischen Religionen, die bewusst Gott entfernen wollten aus dem menschlichen Dasein, also Kommunismus, Faschismus, Stalinismus, Maoismus, Pol Pot, und insofern hält dieses Argument einer Prüfung wirklich nicht stand.

    Schäfer-Noske: Wie kommt es denn nun, dass sich ausgerechnet in Großbritannien, das ja für seine Liberalität bekannt ist, ein solcher fundamentalistischer Atheismus entwickelt?

    Krönig: Ja, das ist ja nicht nur Großbritannien, das hat ja über Großbritannien Wirkung hinaus in den englischen Sprachraum nach Amerika, aber auch auf den Kontinent. Ich glaube nur, dass diese Diskussion besonders offen und scharf geführt wird, weil das intellektuelle Klima in Großbritannien eben sehr frei ist und man sehr frei und klar und hart denkt oder zu denken versucht. Also ich glaube, das ist einfach ein Ausdruck des Reichtums der intellektuellen Diskussion.