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Wissenschaftler fordern Änderung des Stammzellgesetzes

Forschungspolitik. - Das deutsche Stammzellgesetz ist bei den betroffenen Wissenschaftlern unbeliebt. Viele halten das Gesetz inzwischen für veraltet. Deshalb hat der Bundestag heute zu einer Anhörung geladen. Wissenschaftler und Ethiker sollen die Parlamentarier auf den neuesten Stand in der Stammzellenforschung bringen. Der Wissenschaftsjournalist Michael Lange bewertet die Situation im Gespräch mit Marieke Degen.

09.05.2007
    Marieke Degen: Mein Kollege Michael Lange ist in Berlin vor Ort. Herr Lange, worum geht es den Wissenschaftlern denn genau?

    Michael Lange: Ja, die Wissenschaftler haben drei Hauptwünsche vorgetragen, das hat hier im Namen der Wissenschaft Jörg Hinrich Hacker von der Universität Würzburg gemacht. Er ist der Vizepräsident der DFG. Die erste Änderung, die sich die Wissenschaftler wünschen, ist eine Abschaffung des Stichtages. Bisher ist es so, dass nur solche Stammzellen nach Deutschland importiert werden dürfen, die vor dem 1. Januar 2002 erzeugt wurden. Die Wissenschaftler hätten aber gerne neuere Stammzellen. Der zweite Punkt ist das Nutzungsrecht für Stammzellen. Bisher dürfen nur Stammzellen importiert werden für hochrangige Forschungsziele. Die Wissenschaftler wünschen sich aber, dass auch bestimmte Fälle der Anwendung von Stammzellen in Zukunft genehmigt werden dürfen, also auch dafür sollen Stammzellen importiert werden dürfen. Und der dritte Punkt ist die Strafandrohung: Die Wissenschaftler fühlen sich nicht wohl, wenn sie mit ausländischen Kollegen kooperieren, die mit Stammzellen arbeiten, die in Deutschland verboten sind. Sie fürchten, dass das strafbar ist. Sie sind sich zumindest nicht sicher und wünschen sich hier eine Klarstellung.

    Degen: Sie hatten gerade die neuen Stammzellen erwähnt: Was hat sich den jetzt in den letzten fünf Jahren alles getan in der Stammzellforschung?

    Lange: Es wurden sehr viele neue so genannte Stammzelllinien etabliert. Linien, das sind Stammzellen, die sich immer weiter vermehren - über 500 weltweit, keine natürlich in Deutschland, hier ist es verboten. Aber diese neuen Stammzelllinien, das ist das entscheidende und das haben Oliver Brüstle und Hans Schöler hier in Berlin deutlich gemacht, diese neuen Stammzelllinien sind besser, weil sie sich nicht so stark verändern. Die alten Stammzelllinien wurden unter nicht optimalen Bedingungen vermehrt und deshalb haben sie viele Mutationen, das heißt, da sind genetische Veränderungen in diesen Stammzellen. Und deshalb weiß man nicht, wenn irgendein Versuch nicht funktioniert, sind es jetzt die schlechten Stammzellen oder funktioniert der Versuch aus anderen Gründen nicht. Man hat einfach kein optimales Material, und wenn man weltweit vorne mitforschen will, dann braucht man eben die besten Stammzellen, und das sind halt die neuen, einige von diesen 500 neuen Stammzelllinien.

    Degen: Und wo könnte man diese neuen Stammzellen denn konkret einsetzen?

    Lange: Hauptsächlich geht es da natürlich auch wieder um Forschung. Man will zum Beispiel verschiedene Krankheiten verstehen. Zum Beispiel geht es auch darum, dass man Stammzelllinien verwendet, die selbst bestimmte Krankheiten in sich drin tragen, zum Beispiel die Duchenne-Muskeldystrophie. Das sind Zellen, die sich immer weiter vermehren, die diese Krankheit in ihrem Erbgut tragen. Und damit kann man ausprobieren, welche Mittel wirken gegen diese Krankheit, und das kann man an diesen Zellen ausprobieren. Und darauf haben die Wissenschaftler sehr große Hoffnung, dass sich da in den nächsten Jahren viel tut, viel mehr übrigens als im Bereich klinische Anwendung. Die Abgeordneten fragten immer wieder: Ja, wann kommt denn die klinische Anwendung, wann können denn Patienten geheilt werden? Und da muss man sagen, sind die Antworten der Wissenschaft doch eher enttäuschen ausgefallen. Also in den nächsten Jahren tut sich da wenig: Man kann es eigentlich noch nicht riskieren, Zellen, die aus embryonalen Stammzellen entstanden sind, auch auf die Patienten loszulassen. Die Hoffnungen sind da nicht so groß. Da war durchaus von zehn oder zwanzig Jahren die Rede, und einige Wissenschaftler sagen: Ja, das ist vielleicht auch gar nicht die Zukunft der embryonalen Stammzellen. Die bleiben doch eher in der Forschung.

    Degen: In Deutschland wird ja auch sehr viel an adulten Stammzellen geforscht, also an Stammzellen, die aus dem Körper der Patienten gewonnen worden sind. Was halten den die Forscher, die mit adulten Stammzellen hauptsächlich forschen, von den Forderungen ihrer Kollegen?

    Lange: Die Forscher, die mit adulten Stammzellen forschen, sehen da natürlich eher die klinische Zukunft. Die sagen: Körpereigene Stammzellen, das sind die, die wir in Zukunft verändern müssen, damit sie den Patienten heilen. Aber sie sagen auch: Wir brauchen auch neue embryonale Stammzellen gewissermaßen als Goldstandard. Wir wollen von den embryonalen Stammzellen lernen, wie Zellen sich anpassen, die Zellen sich verändern. Und wenn wir das bei den embryonalen, und zwar bei den neuesten Stammzelllinien erforschen, dann können wir dieses Wissen auf die adulten Stammzellen anwenden, und deshalb haben sie heute hier die embryonalen Stammzellforscher unterstützt.

    Degen: Was haben Sie denn heute für einen Eindruck gewonnen: Werden sich die Wissenschaftler durchsetzen mit ihren Forderungen?

    Lange: Die Abgeordneten haben erst mal interessiert zugehört. Sie haben diskutiert, aber sie sagen: Wir wollen und erst noch eine Meinung bilden. Wir wollen noch die Ethiker hören - die hören sie im Moment -, und wollen dann beraten ob wirklich eine Änderung des Gesetzes notwendig ist. Das heißt, es ist noch nicht klar, ob das Gesetz geändert werden wird. Die Abgeordneten treten jetzt zusammen im Ausschuss und in den Fraktionen, und dann wird sich entscheiden, ob das Stammzellengesetz geändert wird.