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Wissenschaftler fordert kritische Edition von "Mein Kampf"

Der Berliner Kommunikationswissenschaftler Bernd Sösemann hat sich für die Herausgabe einer wissenschaftlich-kritischen Edition von Adolf Hitlers "Mein Kampf" ausgesprochen. Die Wissenschaft brauche dringend eine quellenkritische und jeder Untersuchung standhaltende Ausgabe von "Mein Kampf", sagte Sösemann im Deutschlandfunk vor dem Hintergrund der jüngst bekannt gewordenen Konzeptpapiere aus der Entstehungszeit des Buches in der Festungshaftanstalt Landsberg.

    "Wenn auf der einen Seite 30 Bände Dienstaufzeichnungen von Goebbels ohne jeglichen Kommentar und wissenschaftlich völlig unbefriedigend für wenig Geld auf den Markt geworfen werden, und andererseits so ein zentrales Manuskript wie Hitlers 'Mein Kampf' bis heute nicht kommentiert und in einer kritischen Ausgabe erscheinen darf, dann versteht man die Situation in der Bundesrepublik nicht", kritisierte der Spezialist für Publizistik der NS-Zeit.

    Falls die heute auf einer Tagung der Gesellschaft für Forensische Schriftuntersuchung vorgestellten Gutachten die Authentizität der Konzeptpapiere bestätigten, dann käme diesem Material große Bedeutung zu, äußerte Sösemann. Er sei allerdings skeptisch: "Was bisher aber darüber bekannt geworden ist, lässt mich sehr zurückhaltend sein." Er finde es kurios, wenn gesagt werde, dass Hitler einen Schreibmaschinentext offensichtlich eigenhändig geschrieben habe; dies sei nachträglich überhaupt nicht festzustellen. Ebenso kurios sei es, die in den Papieren vorhandenen orthographischen Mängel und Tippfehler als Beleg für die Autorenschaft Hitlers heranzuziehen: "Ja, was will man denn daraus schließen. Will man sagen, Hitler war in der Orthographie schwach und hat schlecht getippt?" Wenn jemand Texte fälschen wolle, plane er solche Fehler bewusst ein, sagte Sösemann.