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"Wissenschaftler müssen zusammenarbeiten"

Die Indienforschung in Deutschland sei noch ausbaufähig, sagt Ravi Ahuja, Leiter des Zentrums für Moderne Indienforschung, an der Uni Göttingen. Wichtig sei es, Wissenschaftler miteinander in Kontakt "und zu gemeinsamen Projekten zu bringen".

Ravi Ahuja im Gespräch mit Kate Maleike |
    Kate Maleike: Deutschland und Indien unterhalten seit Jahren schon eine Vielzahl an Hochschulkooperationen, darüber werden Kontakte gepflegt und es fließen viele Informationen. Doch wie zeitgemäß ist das, was man da über oder von dem anderen lernt? Und sind die deutsch-indischen Wissenschaftsbeziehungen ausgewogen genug oder dominieren Naturwissenschaften und Technik?
    Prof. Ravi Ahuja hat darauf klare Antworten gefunden in unserem Gespräch, das wir vor der Sendung geführt haben. Prof Ahudscha ist Historiker, der sich auf Indien spezialisiert hat, er hat in Heidelberg und London studiert, und er leitet nun das Zentrum für Moderne Indienforschung, das derzeit an der Uni Göttingen seine Arbeit aufnimmt….wie also beurteilt er die aktuellen Wissenschaftsbeziehungen zwischen Indien und Deutschland?

    Ravi Ahuja: Ich glaube, dass es da eine sehr große Veränderung gibt, ich glaube, dass es eine sehr viel größere Offenheit gibt, also auf deutscher Seite gegenüber den Wissenschaftsentwicklungen in Indien, wenngleich ich es trotzdem so sehe, dass das in den Naturwissenschaften sehr viel stärker ausgeprägt ist als in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Um es sozusagen mal plastisch zu machen: In der Zeit, in der ich studiert habe, war es doch oft so, dass sich selbst hochgebildete Professoren eigentlich nicht vorstellen konnten, was man in Pune anders machen könnte, als in den Aschram zu gehen und religiöse Erleuchtung zu holen. Inzwischen fährt Herr McAllister und Herr Winterkorn auch nach Pune, und ganz offensichtlich mit anderen Vorhaben. Also von daher gibt es da eine größere Offenheit und eine größere Aufmerksamkeit. Aber bei den Sozial- und den Geisteswissenschaften ist, glaube ich, die Atmosphäre nach wie vor doch so, dass man inzwischen sieht, es ist irgendwie wichtig, dass man auch was über Indien weiß und da mehr mitbekommt, aber dass man nicht unbedingt sieht, dass das für die eigene Arbeit unmittelbar interessant wäre und dass man nun selbst da etwas auch hineininvestieren will. Also da muss es eine weitere Öffnung geben, damit man eine Normalität erreichen kann, wie es sie in angelsächsischen Ländern bereits gibt.

    Maleike: Ist das der Grund für die Eröffnung Ihres Zentrums in Göttingen?

    Ahuja: Ich glaube, dass das vielleicht nicht unbedingt der Grund ist, aber dass das Zentrum dazu beitragen kann, in einer solchen Normalisierung da etwas voranzukommen. Das Heidelberger Südasieninstitut war schon ein wesentlicher Fortschritt in dieser Richtung, also eine Anlaufstelle zu haben, hier in Göttingen arbeiten wir auch aus den Mutterdisziplinen heraus und werden natürlich starke Anstrengungen unternehmen, nun auch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Mutterdisziplinen eng zu kooperieren, in der Lehre, aber auch in der Forschung.

    Maleike: Jetzt haben Sie Heidelberg schon genannt, nehmen wir Göttingen noch dazu. Und ansonsten? Die Indienforschung in Deutschland noch ausbaufähig?

    Ahuja: Die ist sicherlich noch ausbaufähig. Also Sie müssen sich ja nun auch vorstellen, dass es sich um ein sehr großes und sehr differenziertes Land, um einen Subkontinent handelt, kulturell ungefähr so vielfältig wie Europa, sehr komplex. Wenn wir mehr machen wollen als sozusagen ein, sagen wir, ein oberflächliches Angebot, in dem Deutsche sich informieren können darüber, was in Indien läuft, und wenn wir tatsächlich international in der Forschung mithalten wollen, dann brauchen wir mehr Spezialisten und auch mehr Standorte, an denen Indienforschung betrieben wird. Auf dem Hintergrund würde ich trotzdem sagen, dass die Entwicklung insgesamt sehr gut ist, also dass wir inzwischen neben Heidelberg und Göttingen auch noch eine große Konzentration von Indienwissenschaftlern in Berlin haben, also dass wir sozusagen drei Schwerpunkte der Indienforschung inzwischen haben in Deutschland. Das ist eine große Verbesserung gegenüber vor 10, 15 Jahren etwa.

    Maleike: Jetzt haben wir viel über Deutschland und Indien gesprochen aus der deutschen Perspektive. Andersrum, was wissen Sie aus Indien, wie attraktiv ist Deutschland eigentlich zum Beispiel für Wissenschaftler, hierherzukommen?

    Ahuja: Ich würde denken, wenn ich hier wieder einmal einen Schwerpunkt setze auf die Sozial- und Geisteswissenschaften, in denen ich mich auch am besten auskenne, ist glaube ich eigentlich die Offenheit in Indien prinzipiell relativ groß. Also man möchte gerne mehr darüber wissen, was in Deutschland auch in der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung läuft. Man rezipiert, denke ich, auch mehr, als das umgekehrt der Fall ist. Aber es gibt natürlich auch immer noch Begrenzungen, das zeigt sich besonders auf der Ebene des Studierendenaustauschs. Wir brauchen, damit wir attraktiver werden für indische junge Wissenschaftler, für indische Doktoranden, für indische Masterstudenten, brauchen wir ein stärker englischsprachiges Angebot an deutschen Universitäten. Also da kommen wir alleine mit Deutsch nicht wirklich rein. Wenn wir ein solches Angebot machen können – und das versuchen wir etwa auch in Göttingen mit einem englischsprachigen ME-Kurs und mit strukturierter englischsprachiger Doktorandenausbildung –, dann wird glaube ich Deutschland sehr viel interessanter werden für indische Studierende und jüngere Wissenschaftler, als das bisher der Fall gewesen ist, auch auf dem Hintergrund der Krise, ja der finanziellen Krise insbesondere der Bildungssysteme in der englischsprachigen akademischen Welt.

    Maleike: Es soll ja ein Wissenschaftshaus in Neu-Delhi entstehen, unter dessen Dach quasi alle ja großen Player in der Wissenschaft und in der Bildung zusammen sind, um erkennbar zu werden auch für Inder, die interessiert sind an uns, an Deutschland. Was halten Sie davon?

    Ahuja: Ich glaube, dass das im Grunde eine gute Initiative ist, also auch solche institutionellen Strukturen zu schaffen, die Zusammenarbeit erleichtern. Ich denke nur, der Kern des Problems liegt noch etwas woanders, also man kann, was ein inhaltliches Problem im Kern ist, nicht alleine durch Geld und institutionelle Lösungen in den Griff bekommen. Ich glaube, was wir vor allen Dingen schaffen müssen, ist, Wissenschaftler miteinander in Kontakt zu bringen und zu gemeinsamen Projekten zu bringen. Wissenschaftler müssen zusammenarbeiten, das ist die Grundlage auch für effektive institutionelle Beziehungen.

    Maleike: Ich höre da so ein bisschen raus, dass Sie da auch noch einen Mangel sehen?

    Ahuja: Also es gibt von vielen – das ist nicht nur ein deutsches Problem, das ist international so –, es gibt im Moment einen Run auf indische Universitäten, insbesondere auf die sehr guten, Spitzenuniversitäten in Indien, von amerikanischen, europäischen Universitäten, die überall Austauschvereinbarungen abschließen wollen. Dann werden diese Memorandums auf einem Standing abgeschlossen, und danach passiert in der Regel nicht mehr sehr viel. Also es ist ein bisschen so, wie wenn Kinder Abzeichen sammeln. Was fehlt, relativ oft, sind sehr konkrete Vorstellungen, wie man gemeinsam arbeitet, also wie man einen Studentenaustausch – also wirklich auch einen Austausch, der in beide Richtungen geht – organisieren kann, der den unterschiedlichen Bedürfnissen europäischer Studierender und indischer Studierender und den unterschiedlichen auch materiellen Voraussetzungen gerecht wird, und ganz konkrete wissenschaftliche Projekte, die gemeinsam verfolgt werden. Für die Geistes- und Sozialwissenschaften ist dabei besonders wichtig, nicht alleine auf Mammutprojekte zu setzen, sondern kleine, bewegliche Möglichkeiten der Kooperation zwischen indischen und deutschen Wissenschaftlern stärker auf den Weg zu bringen und stärker zu befördern.

    Maleike: Was wünschen Sie sich für die deutsch-indischen Beziehungen?

    Ahuja: Ich wünsche mir vor allen Dingen von der deutschen Seite her, dass wir es schaffen, die Indienwissenschaften aus einem orientalischen Getto herauszuholen, also dass wir Indienforschung innerhalb der deutschen Universitäten normalisieren, dass es in Soziologie, in Geschichtsabteilungen, in Politikwissenschaftsabteilungen normaler wird, dass dort Wissenschaftler arbeiten, die eben nicht nur über den nordatlantischen Raum forschen, sondern Wissenschaftler dabei sind, die über Indien arbeiten. – Aber auch nicht nur über Indien, sondern über China, über Afrika, über Lateinamerika, und dass wir dort in eine Situation des offenen Dialogs kommen. Wenn wir das in Deutschland schaffen, an den Universitäten, dann müssen wir uns glaube ich auch weniger Sorgen machen über den Austausch zwischen indischen und deutschen Sozial- und Geisteswissenschaftlern.