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Wissenschaftlich gesehen ist die Türkei längst auf Augenhöhe

In der Diskussion, ob die Europäische Union mit der Türkei Beitrittsgespräche aufnehmen soll, werden immer wieder Punkte wie Menschenrechte oder die Situation von Frauen angesprochen, die als Argumente gegen eine zukünftige Mitgliedschaft der Türkei sprechen. In wissenschaftlicher Hinsicht ist die Türkei jedoch alles andere als ein "Bildungs-Entwicklungsland". Randolf Oberschmidt ist Türkei-Referatsleiter beim DAAD in Ankara. Ihn stört es, dass die Bereiche, zu denen die Türkei schon seit einiger Zeit dazu gehört, einfach ausblendet.

    Oberschmidt: Wenn Sie sich den Bologna-Prozess anschauen, der ja auch in Deutschland die Einführung zweistufiger Ausbildungssysteme vorsieht, dann muss man einfach konstatieren, dass die Türkei nicht nur Mitglied in diesem Prozess ist, sondern in vielen Bereichen auch schon viel weiter als Deutschland ist. Wenn man sich die globale Zielstellung des Bologna-Prozesses vergegenwärtigt, dann muss man das Ziel eines europäischen Forschungs- und Hochschulraums sehen und da gehört die Türkei schon voll mit dazu.

    Maleike: Warum wird das dann nicht wahrgenommen? Ist es schlicht Unwissenheit?

    Oberschmidt: Ich habe den Eindruck, dass die Türkeiperzeption in Deutschland ein bisschen zu stark von dem geprägt ist, was wir anhand unserer türkischen Mitbürger sehen. Der ganze Prozess ist zu sehr auf die Arbeitsmigranten fokussiert. In Deutschland wird oftmals gar nicht wahrgenommen, dass es in der Türkei eine Reihe von Elite-Universitäten gibt, die sich in der Spitze bewegen. Zum Beispiel in Istanbul die Bosporus-Universität oder die Istanbul Technical University. Sie verfügen über ausgezeichnete Kontakte besonders in den anglo-amerikanischen Raum, und das wird in Deutschland nicht ausreichend wahrgenommen.

    Maleike: Gibt es viele Deutsche, die in der Türkei studieren wollen?

    Oberschmidt: Leider nein. Hier gibt es noch ein Potential, was es noch zu entdecken gibt. Mein Eindruck ist, dass sich dieses aber in Zukunft etwas ausgleichen wird. Denn rückwirkend zum 1. April 2004 ist die Türkei Vollmitglied bei den europäischen Mobilitätsprogrammen - Sokrates, Erasmus aber auch Leonardo - und hier ist durchaus ein großes Potential.