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Wissenschaftssprache Deutsch

Immer noch zu selten schaffen es Kinder von Zuwanderern an Universitäten. Viele Hochschulen wollen sich allmählich dem Problem stellen. An der Uni Bremen zum Beispiel vermittelt das Seminar "Wissenschaftssprache Deutsch" Lese- und Schreibstrategien für Lehramtsstudierende mit nicht deutscher Muttersprache.

Von Christina Selzer |
    In einem Seminarraum der Uni Bremen sitzen acht Studierende an einem Tisch. Vor ihnen liegen Texte, die sie gemeinsam lesen und besprechen. Heute geht es um korrektes wissenschaftliche Arbeiten. Die Teilnehmer des Seminars "Wissenschaftssprache Deutsch" sind in Deutschland aufgewachsen oder erst zum Studieren nach Deutschland gekommen.

    Einer von ihnen ist der 27-jährige Ibrahim Gönöl, der schon seit über 20 Jahren in Deutschland lebt. Sein Deutsch ist zwar sicher, aber nicht seine Muttersprache. Ibrahim möchte Lehrer werden und studiert Englisch und das Fach "Arbeit und Wirtschaft". Wie viele Kinder aus Einwandererfamilien wurde der Kurde zu Hause nicht besonders unterstützt.

    "Ich habe Unterstützung nur durch die Schule bekommen. Meine Eltern sprechen immer noch kaum Deutsch. Ich wurde in der Schule stark gefördert. Ich hatte einen Englischlehrer, der hat mir sinnvolle Tipps gegeben, dass ich zum Beispiel Zeitung lesen soll. Das hat eine Menge gebracht. Irgendwann konnte ich besser schreiben und habe bessere Noten erzielt."

    Victor Groß, ein anderer Teilnehmer des Seminars, kam als Elfjähriger aus Russland nach Deutschland. Heute studiert der inzwischen 26-Jährige Geografie. Auch Viktor hat in der Schule gute Erfahrungen gemacht. Sein Lehrer habe ihn zum Studieren motiviert.

    "Von zu Hause war das weniger, die Eltern mussten arbeiten oder waren auf Arbeitssuche, sie hatten andere Probleme. Das meiste passierte in der Schule. Auch mit den Mitschülern."

    Ibrahim Gönöl und Viktor Groß wollen Lehrer werden. Dafür müssen sie nicht nur flüssig, sondern auch elegant deutsch sprechen. Und genau das sollen sie in dem Seminar lernen. Auch Grammatik steht auf dem Plan. Geleitet wird das Seminar von Katrin Dorow.

    "Die Studierenden werden nicht Deutschlehrer werden, aber ich denke, die können gute Vorbilder sein. Gerade an Schulen, wo man einen hohen Migrantenanteil hat."

    Ibrahim und Viktor sind Beispiele dafür, dass es im deutschen Bildungssystem durchaus gut laufen kann: Wenn persönlicher Ehrgeiz und die Unterstützung in der Schule zusammenkommen. Doch das ist längst nicht der Normalfall in Deutschland. Laut Integrationsbericht der Bundesregierung, der in der vergangenen Woche vorgelegt wurde, hat die Zahl der Schulabbrecher mit Migrationshintergrund zwar abgenommen, dennoch sind es immer noch doppelt so viele wie bei den deutschen Schülern. Immer mehr Jugendliche mit ausländischen Wurzeln haben Hochschulreife. Nach einer Untersuchung des Hochschulinformationssystems brechen aber 41 Prozent von ihnen ihr Studium ab. Woran liegt das? Yasemin Karakasoglu sieht darin zwei Hauptgründe: Die Professorin für Interkulturelle Bildung an der Universität Bremen glaubt, dass zu den üblichen Problemen von Studienanfängern noch Sprachprobleme hinzu kommen.

    "Wenn man aus einem familiären Milieu kommt, wo Sprache nicht wichtig ist, dann ist der Wortschatz eingeschränkter, man nennt das Register, also die Möglichkeit, sich in unterschiedlichen Kontexten mit unterschiedlichen Begriffen ausdrücken zu können. Ich spreche anders mit einem Kind, mit einer Freundin, wieder anders mit einem Vorgesetzten, und anders in der Schule als Lehrerin. Diese Register zu kennen, damit spielen zu können, das erfordert eine hohe Sensibilität mit der Sprache."

    Wer nicht mit Deutsch als erster Sprache aufwächst, mag in der Schule zurechtkommen, an der Uni hat er dann aber oft große Probleme, wenn es darum geht, eine Hausarbeit zu schreiben oder ein Referat zu halten. Das Seminar "Wissenschaftssprache Deutsch" richtet sich vor allem an Lehramtsstudierende. Yasemin Karakasoglu ist überzeugt: Sie werden an den Schulen dringend gebraucht.

    "Wir wollen, dass sie frühzeitig sich so gut ausbilden lassen, dass sie hinterher in der Schule nicht scheitern oder Probleme bekommen mit der Akzeptanz, was sehr stark über die Sprache läuft, weil sie mehr als andere unter die Lupe genommen werden vom Kollegium und von den Eltern, inwiefern sie den sprachlichen Anforderungen gewachsen sind."

    Ibrahim Gönöl ist ehrgeizig. Er findet nicht, dass Studierende oder auch Schüler mit Migrationshintergrund benachteiligt werden.

    "Ich höre das immer wieder. Aber das hängt immer von jedem Schüler selbst ab. Wer lernen will, kommt auch voran."

    Bleibt am Ende die Frage, warum so viele ihr Abitur schaffen, dann aber an den Universitäten scheitern, weil sie zu schlecht deutsch sprechen. Für das Schulsystem ist das kein gutes Zeichen. Denn die Hochschulen müssen aufholen, was zuvor versäumt wurde.