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Witten wartet

Vor zehn Monaten wurde die Privatuniversität Witten/Herdecke im Kern erschüttert. Im Boxsport würde man das wohl einen rechten Haken nennen. Die Uni taumelte und ihr drohte das K.O., weil der Wissenschaftsrat der Medizinerausbildung schlechte Noten gab. Sie bekam eine letzte Chance, und zwar eine knapp einjährige Frist zur Nachbesserung. Die läuft in der nächsten Woche ab, denn dann entscheidet der Wissenschaftsrat erneut über die Zukunft von Witten/Herdecke.

Von Britta Mersch |
    Für den neuen Medizindekan Matthias Schrappe war diese Frist die erste Bewährungsprobe in seinem Amt:

    " Die Verhandlungen, die Überlegung auch meinerseits, ob ich nach Witten/Herdecke ging, fielen überein mit der Wissenschaftsratsbegutachtung. Ich bin häufig schon gefragt worden, ob mich das abgeschreckt hat. Das war nicht so, sondern ich habe mir die Chancen, die es da in Witten gibt, angeschaut und bin zu der Überzeugung gekommen, dass man das gut schaffen kann."

    Vor acht Monaten wurde Matthias Schrappe Dekan der medizinischen Fakultät der Privatuniversität Witten/Herdecke. Kurz vorher hatten die Wittener Mediziner einen herben Schlag einstecken müssen: Der Wissenschaftsrat, das einflussreichste Beratungsgremium in der deutschen Hochschullandschaft, hatte ihnen mangelhafte Noten ausgestellt. Karl Max Einhäupl, damaliger Vorsitzender des Wissenschaftsrates:

    " Wir hatten eine Universität zu akkreditieren. Eine Akkreditierung einer Universität heißt, dass sie dem Mindeststandard - so ist das definiert - der Universitäten in Deutschland standhalten muss. Und hier, in dieser Frage, waren wir der Meinung, dass sie das nicht tut."

    Der Hauptvorwurf: Die Mediziner in Witten forschen zu wenig. Der Wissenschaftsrat forderte deshalb eine grundlegende Reform des Medizin-Studiengangs - oder gleich die komplette Schließung. Nur dreieinhalb Monate Zeit hatten Matthias Schrappe und seine Kollegen, um ein neues Konzept auf die Beine zu stellen. Dieses Konzept stellt die Forschungsleistungen der Hochschule stärker in den Vordergrund, so Schrappe:

    " Wir haben ein Forschungskonzept entworfen, was sich um Schwerpunkte auf der einen Seite ganz klassisch Forschung bei Schwerverletzen und Traumapatienten und Herz-Kreislauf-Bereich und dann im Rahmen der Versorgungsforschung besonders Fragen wie z.B. chronische Erkrankungen im Alter, eins der schwerwiegendsten Gesundheitsprobleme, was wir in den nächsten Jahren haben werden."

    Bei der Forschung gehen die Wittener Mediziner also auf die Vorgaben des Wissenschaftsrates ein. In punkto Lehre halten sie jedoch an ihrem ursprünglichen Konzept fes, obwohl es auch hier Kritik gegeben hatte. Das hatte die Hochschule besonders hart getroffen. Schließlich war sie 1982 eigens gegründet worden, um die Medizinerausbildung zu reformieren. Sie sollte nicht vom Lehrbuch ausgehen, sondern vom konkreten Krankheitsbild des Patienten.

    " Wir sind auf jeden Fall der Meinung, dass die Wittener Ausbildung hervorragend ist. Das ist kein Grund dafür, sozusagen in Selbstgefälligkeit zu verfallen. Wir werden weiter an innovativen Methoden arbeiten. Wir haben auch uns im Ausland angeschaut sehr experimentelle, wieder sehr innovative Methoden, z.B. Studierenden früh unter ärztlicher Anleitung mehr Verantwortung zu geben, so eine Art Studentenstation aufzubauen, z.B. das hat in Deutschland noch niemand gemacht und wir werden uns da weiter intensiv drum bemühen neue Formate, neue Möglichkeiten in die studentische Lehre einzuführen."

    Das über dreihundert Seiten lange Konzept liegt dem Wissenschaftsrat seit Ende Januar vor. Ende der nächsten Woche gibt er sein endgültiges Urteil ab. Danach entscheidet das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium darüber, ob der Medizinstudiengang in Witten eine Zukunft hat. Matthias Schrappe:

    " Das schlimmste wäre, wenn der Wissenschaftsrat überraschenderweise zu der Einsicht käme, die Akkreditierung sei nicht zu empfehlen. In dem Moment hätten wir ein Problem in Witten, weil die Universität ins Mark getroffen wäre. Wir hätten auch ein politisches Problem, weil die erste und größte private Universität in Deutschland in ihrer Existenz gefährdet wäre, äußerst gefährdet werde."