Er hat keine neuen Quellen entdeckt, keinen neuen Zugang zum Thema entwickelt und auch keine neuen Thesen aufgestellt. Er hat ganz einfach aus dem bereits bestehenden, "schier unübersehbaren Berg an Fachliteratur" geschöpft. Wenn sich Wlodzimierz Borodziejs zusammenfassende Darstellung über den Warschauer Aufstand dennoch durch etwas Neues auszeichnet, so ist es der Stil. Wohl kein polnischer Historiker vor ihm hat so kühl, so distanziert, so unparteilich über das bis heute in Polen höchst kontrovers und emotional diskutierte Geschehen im Spätsommer 1944 geschrieben. Und wohl kaum einer vor ihm hat die Fakten so säuberlich von ihrer Interpretation getrennt.
Das ist die Stärke des Buches, das ist aber auch seine Schwäche. Denn kein anderes zeitgeschichtliches Ereignis symbolisiert so stark die Bereitschaft des polnischen Volkes, für die Freiheit und Unabhängigkeit notfalls das Leben zu opfern, wie der Warschauer Aufstand. Sogar der Militärhistoriker Jerzy Kirchmayer, obwohl ein Gegner des Aufstands, räumte bereits in den 50er Jahren ein, dass...
...das Heldentum, die Opferbereitschaft und die Ausdauer der Aufständischen in unserer Geschichte das bedeutendste Beispiel des Freiheitskampfes ist – eines Werts, der mehr wiegt als das menschliche Leben und alle materiellen Güter. Und es wäre ein großer Fehler, diese geistigen Werte nicht zu würdigen oder – schlimmer noch – sich von ihnen loszusagen.
In der Darstellung und Beurteilung dieser moralisch-psychologischen Dimension des Aufstands von 1944, den viele in Deutschland noch immer mit dem Ghetto-Aufstand des Jahres 1943 verwechseln, hält sich Borodziej also außerordentlich zurück. Was hingegen die außen- und innenpolitischen Umstände sowie den militärischen Verlauf der Kämpfe betrifft, dürfte er ein allgemeinverständliches Nachschlagewerk geschaffen haben.
Der Warschauer Aufstand war der zunächst nicht vorgesehene Höhe- und Endpunkt des Planes "burza" (das heißt Gewitter), den die polnische Exilregierung in London gemeinsam mit der Untergrundarmee im Land bereits im Jahre 1940 entwickelt hatte. Borodziej schreibt:
Völlig einig waren sich London und Warschau bei der genauen Trennung für "heute" und "morgen": Das Land sollte schon jetzt Spionagearbeit für die Alliierten leisten, durch Sabotageakte die deutsche Rüstung und das Transportwesen schädigen und zu Vergeltungsschlägen gegen besonders brutale Aktionen des Besatzers bereit sein; das eigentliche Ziel – der Aufstand – blieb jedoch in unabsehbarer Ferne liegen.
Er war für jene Endphase des Krieges vorgesehen, in der die Deutschen bereits fast am Boden liegen würden, die Sowjets aber noch nicht völlig gesiegt hätten. In dieser kurzen Zeitspanne – so die Überlegung – könnten die Polen selbst als militärisch schwacher Akteur an der Seite der Alliierten in die Kämpfe eingreifen, damit die Position des Landes bei den Gesprächen zwischen Stalin, Churchill und Roosevelt verbessern und gegenüber Moskau den polnischen Anspruch auf die polnischen Ostprovinzen behaupten. Als die Sowjets am 4. Januar 1944 die alte polnische Ostgrenze überschritten, hatte die Führung der polnischen Untergrundarmee allerdings den Plan einer zentralen Erhebung zugunsten von mehreren lokalen Aufständen aufgegeben.
Der erste Aufstand wurde für den Februar 1944 für das ostpolnische Wolhynien beschlossen. Obwohl die Zusammenarbeit zwischen polnischen Untergrundkämpfern und sowjetischen Einheiten zunächst überraschend gut funktionierte, besaßen die Polen anschließend weder die Zeit noch die Kraft, sich gegenüber den Sowjets zu behaupten und erneut einen Verwaltungsapparat in den umstrittenen Ostgebieten einzurichten. Ähnlich erfolglos endeten die anschließenden Operationen in Wilna, Lublin und Lemberg. Im Kampf gegen den deutschen Gegner zwar noch von den Sowjets geduldet, wurden die Untergrundkämpfer seit Mitte Juli 1944 aufgefordert, sich entweder den kommunistischen polnischen Verbänden anzuschließen oder die Waffen abzuliefern. Die Sowjets, so schreibt Borodziej,
bezichtigten den polnischen Widerstand ... immer offener der Kollaboration; offensichtlich waren sie bereit, auch auf eine militärische Zusammenarbeit mit dem regierungstreuen Untergrund zu verzichten... Der polnische Widerstand befand sich damit Anfang des Sommers 1944 in einer Situation, in der die Risiken und Folgen dieser oder jener Lösung unkalkulierbar geworden waren.
Obwohl sich die Sowjetunion also wie schon zwischen 1939 und 1941 immer stärker als zweiter Feind erwies und obwohl von den westlichen Alliierten keinerlei Versprechen vorlagen, polnische Aufständische in ihrem Kampf gegen die im Rückzug befindliche deutsche Wehrmacht zu unterstützen, entschloss sich die Untergrundführung in den letzten Julitagen dazu, auch in Warschau einen Aufstand zu organisieren. Wegen der militärischen Unterlegenheit war das Unternehmen von Anfang an äußerst umstritten.
Den Aufständischen in einer Soll-Stärke von etwa 40.000 Soldaten, faktisch vermutlich nur 20.000, standen ... nur minimale Waffen- und Munitionsbestände zur Verfügung....Die größte Einheit in der Altstadt, in der 901 Mann zusammenkamen, verfügte gerade über 103 Granaten, 48 Pistolen, acht Maschinenpistolen, neun Gewehre, zwei leichte und ein schweres Maschinengewehr sowie etwa 1000 Molotowcocktails... Den Aufständischen gegenüber stand eine deutsche Truppe von 13.000 bis 20.000 Mann mit regulärer, teils polizeilicher, teils militärischer Ausrüstung und Ausbildung.
Was als "eher polizeiartige Aktion" für wenige Tagen geplant war, entwickelte sich zu einem 63 Tage langen blutigen Kampf, bei dem sich die Deutschen erst mit zwei weiteren Einheiten mühsam von Keller zu Keller, von Haus zu Haus, von Straße zu Straße vorschieben konnten. Die Polen kämpften noch mit einer selbstvergessenen Entschlossenheit, als alle Hoffnungen auf Hilfe von außen zerbrochen waren. So war der Untergrundstaat davon ausgegangen, der heroische Kampf würde die westlichen Alliierten zu größeren Hilfslieferungen bewegen. Aber erstens gab es keinen entschiedenen politischen Willen dazu und zweitens war das Unternehmen extrem gefährlich, da die Flugzeuge mit den Munitionslieferungen von Italien starten mussten.
Von 93 Maschinen im Zeitraum zwischen dem 12. und 17 August kehrten 17 nicht zurück, drei zerschellten bei der Landung. Von Mitte August bis Ende des Monats gelang kein Abwurf über Warschau, dafür gingen 14 Flugzeuge und 13 Besatzungen verloren.
Als die Amerikaner schließlich die Erlaubnis erhielten, auf sowjetischen Flughäfen zwischenzulanden, war die Freude unter der Bevölkerung zwar groß, als am 18. September über 100 B-17-Bomber am Himmel über Warschau erschienen. Aber die von den Polen gehaltenen Gebiete waren inzwischen so klein und die Windverhältnisse so ungünstig, dass von den 1284 abgeworfenen Behältern nur 228 in die Hände der Aufständischen gerieten.
Falsch kalkuliert hatten die Untergrundführer auch das Verhalten der Sowjets. Zwar hatte Stalin dem polnischen Ministerpräsidenten Mikolajczyk Anfang August doch noch Hilfe beim "gemeinsamen Kampf gegen die Deutschen" versprochen. Doch es blieb bei einigen Abwürfen von Munition ab 9. September und beim Übersetzen einiger weniger kommunistisch-polnischer Einheiten vom Ost- auf das Westufer der Weichsel.
In dem Augenblick, in dem die Rote Armee auf einen schnellen Angriff auf Warschau verzichtete ... war die Vorentscheidung über das Schicksal der Aufständischen eigentlich gefallen... Nur die Sowjets konnten Warschau entsetzen. Sie hatten aber spätestens zwischen dem 9. und dem 12. August entschieden, dass eine solche Aktion nicht in ihrem Interesse lag.
Denn Stalin wollte den bürgerlichen Untergrund als politischen Akteur ausschalten und das bereits in Ostpolen agierende pro-kommunistische Lubliner Komitee als neue Regierung durchsetzen. So war die Niederlage des Aufstands unvermeidlich. Am Abend des 2. Oktober wurde die Kapitulation unterzeichnet. Etwa 200.000 Einwohner waren umgekommen, 18.000 Aufständische wurden gefangen genommen, etwa 350.000 Zivilisten aus der Stadt vertrieben. Schon während des Aufstands waren 30 Prozent der Bausubstanz zerstört worden, weitere 30 Prozent schleiften die Deutschen bis Mitte Januar, als die Sowjets die Weichsel schließlich überschritten und die leere Stadt einnahmen.
Helga Hirsch über Wlodzimierz Borodziej, Der Warschauer Aufstand. Der Band ist im Frankfurter Fischer Verlag erschienen, hat 251 Seiten und kostet 43,03 DM.
Das ist die Stärke des Buches, das ist aber auch seine Schwäche. Denn kein anderes zeitgeschichtliches Ereignis symbolisiert so stark die Bereitschaft des polnischen Volkes, für die Freiheit und Unabhängigkeit notfalls das Leben zu opfern, wie der Warschauer Aufstand. Sogar der Militärhistoriker Jerzy Kirchmayer, obwohl ein Gegner des Aufstands, räumte bereits in den 50er Jahren ein, dass...
...das Heldentum, die Opferbereitschaft und die Ausdauer der Aufständischen in unserer Geschichte das bedeutendste Beispiel des Freiheitskampfes ist – eines Werts, der mehr wiegt als das menschliche Leben und alle materiellen Güter. Und es wäre ein großer Fehler, diese geistigen Werte nicht zu würdigen oder – schlimmer noch – sich von ihnen loszusagen.
In der Darstellung und Beurteilung dieser moralisch-psychologischen Dimension des Aufstands von 1944, den viele in Deutschland noch immer mit dem Ghetto-Aufstand des Jahres 1943 verwechseln, hält sich Borodziej also außerordentlich zurück. Was hingegen die außen- und innenpolitischen Umstände sowie den militärischen Verlauf der Kämpfe betrifft, dürfte er ein allgemeinverständliches Nachschlagewerk geschaffen haben.
Der Warschauer Aufstand war der zunächst nicht vorgesehene Höhe- und Endpunkt des Planes "burza" (das heißt Gewitter), den die polnische Exilregierung in London gemeinsam mit der Untergrundarmee im Land bereits im Jahre 1940 entwickelt hatte. Borodziej schreibt:
Völlig einig waren sich London und Warschau bei der genauen Trennung für "heute" und "morgen": Das Land sollte schon jetzt Spionagearbeit für die Alliierten leisten, durch Sabotageakte die deutsche Rüstung und das Transportwesen schädigen und zu Vergeltungsschlägen gegen besonders brutale Aktionen des Besatzers bereit sein; das eigentliche Ziel – der Aufstand – blieb jedoch in unabsehbarer Ferne liegen.
Er war für jene Endphase des Krieges vorgesehen, in der die Deutschen bereits fast am Boden liegen würden, die Sowjets aber noch nicht völlig gesiegt hätten. In dieser kurzen Zeitspanne – so die Überlegung – könnten die Polen selbst als militärisch schwacher Akteur an der Seite der Alliierten in die Kämpfe eingreifen, damit die Position des Landes bei den Gesprächen zwischen Stalin, Churchill und Roosevelt verbessern und gegenüber Moskau den polnischen Anspruch auf die polnischen Ostprovinzen behaupten. Als die Sowjets am 4. Januar 1944 die alte polnische Ostgrenze überschritten, hatte die Führung der polnischen Untergrundarmee allerdings den Plan einer zentralen Erhebung zugunsten von mehreren lokalen Aufständen aufgegeben.
Der erste Aufstand wurde für den Februar 1944 für das ostpolnische Wolhynien beschlossen. Obwohl die Zusammenarbeit zwischen polnischen Untergrundkämpfern und sowjetischen Einheiten zunächst überraschend gut funktionierte, besaßen die Polen anschließend weder die Zeit noch die Kraft, sich gegenüber den Sowjets zu behaupten und erneut einen Verwaltungsapparat in den umstrittenen Ostgebieten einzurichten. Ähnlich erfolglos endeten die anschließenden Operationen in Wilna, Lublin und Lemberg. Im Kampf gegen den deutschen Gegner zwar noch von den Sowjets geduldet, wurden die Untergrundkämpfer seit Mitte Juli 1944 aufgefordert, sich entweder den kommunistischen polnischen Verbänden anzuschließen oder die Waffen abzuliefern. Die Sowjets, so schreibt Borodziej,
bezichtigten den polnischen Widerstand ... immer offener der Kollaboration; offensichtlich waren sie bereit, auch auf eine militärische Zusammenarbeit mit dem regierungstreuen Untergrund zu verzichten... Der polnische Widerstand befand sich damit Anfang des Sommers 1944 in einer Situation, in der die Risiken und Folgen dieser oder jener Lösung unkalkulierbar geworden waren.
Obwohl sich die Sowjetunion also wie schon zwischen 1939 und 1941 immer stärker als zweiter Feind erwies und obwohl von den westlichen Alliierten keinerlei Versprechen vorlagen, polnische Aufständische in ihrem Kampf gegen die im Rückzug befindliche deutsche Wehrmacht zu unterstützen, entschloss sich die Untergrundführung in den letzten Julitagen dazu, auch in Warschau einen Aufstand zu organisieren. Wegen der militärischen Unterlegenheit war das Unternehmen von Anfang an äußerst umstritten.
Den Aufständischen in einer Soll-Stärke von etwa 40.000 Soldaten, faktisch vermutlich nur 20.000, standen ... nur minimale Waffen- und Munitionsbestände zur Verfügung....Die größte Einheit in der Altstadt, in der 901 Mann zusammenkamen, verfügte gerade über 103 Granaten, 48 Pistolen, acht Maschinenpistolen, neun Gewehre, zwei leichte und ein schweres Maschinengewehr sowie etwa 1000 Molotowcocktails... Den Aufständischen gegenüber stand eine deutsche Truppe von 13.000 bis 20.000 Mann mit regulärer, teils polizeilicher, teils militärischer Ausrüstung und Ausbildung.
Was als "eher polizeiartige Aktion" für wenige Tagen geplant war, entwickelte sich zu einem 63 Tage langen blutigen Kampf, bei dem sich die Deutschen erst mit zwei weiteren Einheiten mühsam von Keller zu Keller, von Haus zu Haus, von Straße zu Straße vorschieben konnten. Die Polen kämpften noch mit einer selbstvergessenen Entschlossenheit, als alle Hoffnungen auf Hilfe von außen zerbrochen waren. So war der Untergrundstaat davon ausgegangen, der heroische Kampf würde die westlichen Alliierten zu größeren Hilfslieferungen bewegen. Aber erstens gab es keinen entschiedenen politischen Willen dazu und zweitens war das Unternehmen extrem gefährlich, da die Flugzeuge mit den Munitionslieferungen von Italien starten mussten.
Von 93 Maschinen im Zeitraum zwischen dem 12. und 17 August kehrten 17 nicht zurück, drei zerschellten bei der Landung. Von Mitte August bis Ende des Monats gelang kein Abwurf über Warschau, dafür gingen 14 Flugzeuge und 13 Besatzungen verloren.
Als die Amerikaner schließlich die Erlaubnis erhielten, auf sowjetischen Flughäfen zwischenzulanden, war die Freude unter der Bevölkerung zwar groß, als am 18. September über 100 B-17-Bomber am Himmel über Warschau erschienen. Aber die von den Polen gehaltenen Gebiete waren inzwischen so klein und die Windverhältnisse so ungünstig, dass von den 1284 abgeworfenen Behältern nur 228 in die Hände der Aufständischen gerieten.
Falsch kalkuliert hatten die Untergrundführer auch das Verhalten der Sowjets. Zwar hatte Stalin dem polnischen Ministerpräsidenten Mikolajczyk Anfang August doch noch Hilfe beim "gemeinsamen Kampf gegen die Deutschen" versprochen. Doch es blieb bei einigen Abwürfen von Munition ab 9. September und beim Übersetzen einiger weniger kommunistisch-polnischer Einheiten vom Ost- auf das Westufer der Weichsel.
In dem Augenblick, in dem die Rote Armee auf einen schnellen Angriff auf Warschau verzichtete ... war die Vorentscheidung über das Schicksal der Aufständischen eigentlich gefallen... Nur die Sowjets konnten Warschau entsetzen. Sie hatten aber spätestens zwischen dem 9. und dem 12. August entschieden, dass eine solche Aktion nicht in ihrem Interesse lag.
Denn Stalin wollte den bürgerlichen Untergrund als politischen Akteur ausschalten und das bereits in Ostpolen agierende pro-kommunistische Lubliner Komitee als neue Regierung durchsetzen. So war die Niederlage des Aufstands unvermeidlich. Am Abend des 2. Oktober wurde die Kapitulation unterzeichnet. Etwa 200.000 Einwohner waren umgekommen, 18.000 Aufständische wurden gefangen genommen, etwa 350.000 Zivilisten aus der Stadt vertrieben. Schon während des Aufstands waren 30 Prozent der Bausubstanz zerstört worden, weitere 30 Prozent schleiften die Deutschen bis Mitte Januar, als die Sowjets die Weichsel schließlich überschritten und die leere Stadt einnahmen.
Helga Hirsch über Wlodzimierz Borodziej, Der Warschauer Aufstand. Der Band ist im Frankfurter Fischer Verlag erschienen, hat 251 Seiten und kostet 43,03 DM.