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WM 2014
Trainer-Duell - verbaler Art

Beim Fußballspiel zwischen Deutschland und den USA treffen zwei alte bekannte aufeinander, zwei deutsche Trainer: Jogi Löw und Jürgen Klinsmann. Letzterer wirkt allerdings amerikanisiert. Das ist ein Clash der Kulturen nicht auf dem Rasen - sondern in der Sprache.

Von Arno Orzessek |
    Joachim Löw und Jürgen Klinsmann bei der WM-Gruppenauslosung.
    Joachim Löw und Jürgen Klinsmann bei der WM-Gruppenauslosung. (picture alliance / dpa / Marcus Brandt)
    Sprechen wir nicht über Fußball! Sprechen wir über Sprache - und zwar über die von Jürgen Klinsmann und Joachim Löw vor dem Spiel USA-Deutschland, bei dem ein freundliches Unentschieden beiden hülfe.
    Klinsmann sagt: "Hey, we're the US! Wir sind nicht gemacht für Unentschieden." Und er sagt weiter: "Jetzt ist keine Zeit für Freundschaftsanrufe. Jetzt ist Business-Time!"
    Klinsmann redet also wie immer, seit er drüben Nationaltrainer wurde: Als hätte er eine US-Flagge und dicke Motivations-Handbücher verputzt. Hinter fast jedem seiner Sätze könnte in diesen Tagen ein muskulöses Ausrufezeichen stehen.
    Löw hingegen säuselt im aussagereduzierten Angela Merkel-Slang: "Jetzt wissen wir beide, es geht für unsere Mannschaften um sehr viel." Analytisch zwar korrekt, klingt das im Vergleich geradezu schlapp, wirkt andererseits aber so gepflegt wie Jogis Frisur.
    Wohlerzogen gegen aggressiv-kompetitiv
    Der Unterschied ist offenkundig: Löw redet als wohlerzogener Repräsentant eines Landes, in dem Fußball, bitte schön, nichts Kriegerisches haben soll. Klinsmann dagegen kommt rhetorisch rüber wie ein typischer Konvertit, der das neue Bekenntnis - hier: den aggressiv-kompetitiven american way of sports - besonders eifernd vertritt.
    Wozu er gute Gründe hat. Als Klinsmann vor der WM einmal leise anzumerken wagte, sein Team könne realistischerweise nicht Weltmeister werden, gab's von den US-Medien Senge für diesen Regelverstoß. Tenor: So zu reden widerspreche der amerikanischen Mentalität; es sei schlicht unamerikanisch.
    Und das wiederum ist ziemlich amerikanisch, wie der Vergleich zeigt. Egal, was Löw auch sagt - dass es "undeutsch" sei, wird er hierzulande nie zu hören bekommen. Derartige Substanz-Behauptungen über den Nationalcharakter sind bei uns aus guten Gründen out.
    Michel Foucault
    Nicht nur, weil heute sein 30. Todestag ist, erinnert das alles an Michel Foucault, der einst konstatierte, "dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird".
    Laut Foucault geschieht das, um eine bestimmte Weltsicht... noch mehr sogar: um eine bestimmte Konstruktion der Realität durchzusetzen und aufrechtzuhalten. Tatsächlich haben viele US-Sportler dieselbe schneidige Doktrin verinnerlicht: Unser Wille zum Kampf ist unbeugsam; unsere Winner-Mentalität ist die Ursache unserer Siege - und umgekehrt.
    Grober Motivator Klinsmann
    Zweifel? Skepsis? Ziemlich verboten. Konsequenterweise hat Klinsmann längst alle negativen Begriffe aus seinem Munde getilgt. Ja, es stimmt: Klinsmann war auch schon als Bundestrainer beim Sommermärchen 2006 ein grober Motivator, der in der Kabine den Gegner zum nationalen Feind stilisierte. Mit Kampfschreien wie: "Dann schlagen wir zu - und zwar brutal". Oder: "Heute sind sie fällig, absolut fällig".
    Doch genau dieser Furor hat in Deutschland, wo ein strammer Schuss schon seit Jahrzehnten keine "Granate" mehr ist, stets verdächtig gewirkt. Beim FC Bayern München ist der Eiferer schmählich gescheitert. Insofern ist Klinsmann kein Konvertit. Viel eher sind der US-Sport und dessen Mentalität die wahre Heimat des ewigen Ehrgeizlings. Was - wie sein pseudo-freundliches Kampfgrinsen - hierzulande unauthentisch wirken könnte, ist Klinsmanns authentischer Stil.
    Hilfreiche Rhetorik - von Klinsi oder Jogi?
    Fragt sich nur, welche Rhetorik im Falle des Ausscheidens hilfreicher ist. Jogi Löw würde vermutlich das Wort 'Scheitern' aussprechen und leise abdanken. Klinsmann würde wohl sagen: Diese Niederlage war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur nächsten WM.
    Doch das könnte sogar das positive Denken der Amerikaner überfordern. Und dann würden sie, frei nach Foucault, den Diskursproduzenten Klinsmann kurzerhand selektieren.