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WM 2022
FIFA und Amnesty im Infight

WM-Gastgeber Katar erfährt wieder einmal heftige Kritik wegen des Sponsorensystems Kafala und der damit verbundenen schlechten Arbeitsbedingungen für die Stadionerbauer. Zu recht. Die Kritik muss aber konstruktiver werden, um echte Fortschritte zu erzielen.

Von Tom Mustroph | 02.04.2016
    Bauarbeiter im Khalifa Stadion, Katar.
    Bauarbeiter im Khalifa Stadion, Katar. (Deutschlandradio.de/Tom Mustroph )
    Die WM 2022 scheint an zwei sehr unterschiedlichen Orten stattzufinden. Beide liegen in Katar – und sind trotzdem Lichtjahre voneinander entfernt. Der eine WM-Ort wirkt wie ein Paradies.
    "Wir sind überzeugt, dass diese WM eine der erfolgreichsten Weltmeisterschaften in der Geschichte dieses Sports sein wird. Gerade auch deshalb, weil es die erste WM im Nahen Osten ist und die zweite in Asien. Und eines der wichtigsten Elemente für uns ist, eine Brücke zwischen Ost und West zu bauen."
    So schwärmt Hassan Al-Thawadi, Chef des Organisationskomitees. Das Bild vom WM-Turnier als einer Brücke zwischen der arabischen Welt und dem Westen fasziniert. Gerade jetzt, in diesen turbulenten Zeiten.
    Bei den Erbauern dieser Brücke, das ist die zweite Seite der Medaille, herrschen aber Not, Ausbeutung und Elend. Das macht auch der jüngste Report der Menschenrechtsorganisation Amnesty International deutlich. Alle darin befragten 234 Arbeiter mussten Rekrutierungsgebühren zahlen, oft mit Hilfe von Krediten. Fast allen wurden die Pässe abgenommen. Arbeitern aus Nepal wurde gar verwehrt, nach dem verheerenden Erdbeben in ihrer Heimat schnell nach Hause zu fliegen und sich um die Familien kümmern zu können. Hinzu kommt Lohnbetrug. Regina Spöttl, Katarexpertin von Amnesty Germany:
    "Sie kriegen dann oft andere und schlechtere Verträge. Das heißt, wenn man ihnen 800 Dollar im Monat versprochen hat, dann lautet der Vertrag plötzlich auf 400 Dollar und er muss ganz woanders arbeiten als er eigentlich gesagt bekommen hat."
    Selbst diese willkürlich nach unten gedrückten Löhne werden nicht immer pünktlich ausgezahlt. Mit teils dramatischen Folgen, wie Spöttl schildert.
    "Die verspätete Lohnzahlungen bringen die Menschen sehr sehr stark in Verdrückung, weil sie ja die Kredite bedienen müssen. Ohne die Zahlungen könnte es sein, dass die Familien zu Hause aus dem Haus raus müssen. Und das ist auch schon passiert."
    Sich einfach einen neuen Job besorgen oder nach Hause fliegen können die Arbeiter nicht. Jedem Arbeitsplatzwechsel muss der alte Arbeitgeber zustimmen. Ohne Pass kein Heimflug. Nicht nur die Arbeitsbedingungen sind schlecht. Auch die Unterkünfte sind dürftig. Und die Freizeitangebote eher karg. Elisar, Baggerfahrer für den Stadionerbauer Midmac, verbringt sein Wochenende so:
    "Ich bleibe einfach im Wohnheim. Ein paar Freunde laden zu einem Besäufnis ein. Wenn das nicht passiert, dann schlafe ich. Es gibt nichts anderes zu tun. Wir können zwar ins Stadtzentrum. Aber wir haben kein Geld. Und so ist es besser, hierzubleiben."
    Sein Kumpel Gulliver hat immerhin noch eine Alternative.
    "Ich will morgen in die Kirche. Dann kehre ich zurück und bleibe hier. Und wenn es eine Saufrunde gibt, mache ich mit."
    Saufen und beten, saufen ohne beten – das bleibt mangels Freizeitinfrastruktur den Männern übrig, die die Bühne errichten für den Fußball-Event. Dabei haben sie eigentlich ganz andere Ziele und Motivationen. Elisar zum Beispiel kam nach Katar, um seinen Familienmitgliedern zu besseren Zukunftschancen zu verhelfen.
    "Ich unterstütze auch meine Schwester. Sie ist auf dem College. Sie studiert Informatik. Ich unterstütze sie bei den Studiengebühren. Jeden Monat gebe ich dafür etwas."
    Arbeiterstädte für 30.000, 50.000, 100.000 Bewohner werden aus dem Wüstensand gestampft. Da gibt es Cafés, Restaurants, ein Kino mit Bollywood-Blockbustern und ein Cricketstadion für 17.000 Zuschauer.
    Warum Elisar und Gulliver von der Prestigebaustelle Khalifa Stadion dann aber immer noch in einem schäbigen Wohnheim hausen müssen und sich das Zimmer mit sechs anderen teilen, bleibt unverständlich. Auch die im Amnesty-Report befragten Arbeiter vom Khalifa Stadion wohnten größtenteils noch in Wohnheimen, die nicht den Standards des Supreme Committees entsprechen.
    Mehr als fünf Jahre nach der Vergabe der WM an Katar ist das eine schwache Performance der Organisatoren. Auch die FIFA macht nicht den Eindruck, als wolle sie den Problemen entschlossen begegnen.
    "Uns sind die Risiken bezüglich der Bauarbeiter in Katar vollkommen bewusst. Wir sind überzeugt, dass die Maßnahmen des Supreme Committees die richtigen sind. Sie haben bereits die Situation der Arbeiter auf den Baustellen der WM-Stadien verbessert",
    lautete die laue Antwort von FIFA-Direktor für Nachhaltigkeit Federico Addiechi auf die scharfen Vorwürfe von Amnesty International. Das klingt nach: Weiter so. Und nicht nach: Kurswechsel.
    Aber auch die Menschenrechtsorganisation muss ihre Strategie überprüfen. Sie sah in der Fußball-WM zu Recht einen Hebel für Verbesserungen. Sie setzte dabei aber vor allem auf Reformen von oben.
    Ein Fehler, wie Landeskenner meinen. Denn auch autokratische Herrscher müssen Rücksichten nehmen. Zahra Babar, Politikwissenschaftlerin am Center for International and Regional Studies der Georgetown University in Doha mit dem Schwerpunkt Arbeit und Migration, sieht als wichtiges Reformhindernis Ängste in der Bevölkerung:
    "Fragt man die einheimische Bevölkerung, dann sagt sie: Niemand kümmert sich um unsere Ängste. Wir haben all diese Ausländer hier. Wenn wir das Sponsorensystem abschaffen, dann werden wir Kontrolle über die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt verlieren. Die kümmern sich nur um die Bedingungen für die Gastarbeiter , aber nicht um unsere Befürchtung, überwältigt zu werden. Wir sind nur 10%, und 90% sind Ausländer."
    Selbst wenn die Zivilgesellschaft in Katar wenig entwickelt ist: Ohne Dialog mit der Bevölkerung wird es kaum große Fortschritte für die vielen Arbeitsmigranten geben.