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Wo die Trauben für Portwein wachsen

Die Trauben für echten Portwein dürfen nur aus einer ganz bestimmten Gegend stammen, dem Dourotal. Die Region ist geprägt von Trauben- und Olivenanbau - und von einem sanften, sehr persönlichen Tourismus.

Von Nina Gruntkowski | 25.10.2009
    Träge fließt der dunkelgrüne Douro in seinem breiten Flussbett dahin. Im kleinen Örtchen Pinhão – mitten im Herzen des Portwein-Anbaugebietes – macht er eine sanfte Biegung und verschwindet zwischen den gewaltigen, terrassierten Weinbergen. Nahe dem Bootsanleger in Pinhão stehen zwei riesige, begehbare alte Weinfässer.

    "Die Flasche ist ja leer", ruft ein Kind überrascht. An den leeren Ausstellungstücken vorbei geht es neugierig in das große Weinfass. Viele Flaschen – gefüllt mit Port- oder Tafelweinen – reihen sich dort in Regalen nebeneinander. Manuela Perreira, die Ladenbesitzerin, will gerade anfangen, die Unterschiede der verschiedenen Portweinsorten zu erklären, da rufen die Mütter ihre Kinder. Sie wollen weiter.

    "Juliana!"

    Draußen an der Theke gönnen sich ein paar Männer in Arbeitskleidung ein Gläschen zum Feierabend. João Santos, ein untersetzter Mann mit rot-kariertem Hemd steckt sich genüsslich eine Zigarette an. Dann nimmt er einen Schluck aus seinem mit Portwein gefüllten Glas, dessen Inhalt dunkelrot im Abendlicht schimmert.

    "Wir arbeiten alle in den Weinbergen und trinken das, was wir produzieren. Ich komme jeden Tag nach der Arbeit hier her und trinke ein, zwei Gläschen."

    Manuela Perreira serviert noch eine Runde Getränke. Die 43-Jährige mit dem pinkfarbenen Pullover und den zum Pferdeschwanz zusammengebunden Haaren scherzt gerne mit ihren Stammgästen und den Besuchern aus dem In- und Ausland. Sie selbst kommt von den Azoren. Vor 23 Jahren folgte sie ihrem Mann ins Dourotal, wo sie zunächst in einem kunsthandwerklichen Betrieb arbeitete. Als dieser zumachen musste, eröffnete die dynamische Frau kurzerhand den Weinladen. Der geschäftige Herbst im Dourotal gefällt ihr besonders gut – denn dann läuft nicht nur die Weinlese auf Hochtouren, sondern auch ihr Geschäft.

    "Das ist wie bei den Ameisen. Die arbeiten auch im Sommer für den Winter, nicht wahr? Im Tourismus ist das eben so. Der Sommer und vor allem der Herbst bringen gutes Geld; im Winter kommt eben weniger rein. Was man hier braucht, ist Geduld."

    Doch bevor das Dourotal in einen regelrechten Winterschlaf fällt, herrscht Hochbetrieb: Erntehelfer aus dem ganzen Norden Portugals packen bei der Weinlese mit an und Weinliebhaber aus der ganzen Welt sind im Dourotal unterwegs. Viele reisen mit den Kreuzfahrtschiffen an, die direkt neben den großen Weinfässern von Manuela Perreira anlegen.

    "Hierher kommen Leute aus der ganzen Welt. Engländer, Portugiesen, Deutsche, sogar Chinesen waren schon hier. Besonders beeindruckt bin ich von den Deutschen und Engländern. Die trinken alles durcheinander – Bier, Milchkaffee, Portwein, in den wildesten Mischungen. Keine Ahnung, wie die das wegstecken. Die scheinen wirklich viel zu vertragen, denn ich sehe ja, dass sie trotz allem immer noch geradeaus gehen können."

    So manch einer sucht dann aber doch ein bisschen Halt, wenn er auf eines der schwankenden Ausflugsboote steigt.

    Unter dem Sonnendach nehmen die Gäste auf den Bänken mit den rot-weißen Kissen Platz.

    "Oh Paulo, traz a chave!"

    Der Kapitän, António Reis, lässt den Motor an. Dann geht es los.

    "Der Douro ist wie ein Überraschungs-Ei. Seit drei Jahren fahre ich jede Woche mehrmals den Douro rauf und wieder runter und immer sehe ich was Neues. Denn die Flusslandschaft sieht zu jeder Jahres- und Tageszeit anders aus."

    Souverän steuert António Reis das kleine Boot zwischen den grün-weißen Stangen hindurch, die die Fahrrinne markieren. An beiden Flussufern erheben sich sanft geschwungene Hügel. Die runden, dunkelgrünen Kronen der Olivenbäume bilden einen starken Kontrast zu den hellgrünen Weinreben, die sich wie an Perlenschnüren auf horizontalen Terrassen aneinanderreihen. Ab und zu taucht hinter einer Flussbiegung ein schwarz-weißes Schild mit dem Schriftzug namhafter Portweinmarken auf.

    Dann deutet der Kapitän auf eine versteckte Bucht am linken Flussufer. Unterhalb einer alten Olivenbaumterrasse glitzert das grüne Wasser verlockend im Sonnenlicht. Der 38-Jährige ist hier in der Gegend geboren – nach dem Studium in Porto hielt ihn nichts mehr in der Stadt und er kehrte in seine Heimatgemeinde am Douro zurück.

    "Ich liebe diesen Ort. Das ganze Wasser hier ist für mich der Quell des Lebens. Wenn mir warm ist, springe ich einfach in die kühlen Fluten des Douro. Von der Stadt Régua bis rauf nach Spanien bereut man ein Erfrischungsbad ganz sicher nicht, denn das Wasser ist absolut sauber. Aufpassen sollte man natürlich schon, denn Rettungsschwimmer gibt es hier nicht an diesen friedlichen, versteckten Stränden des Douro."
    An Deck verrenken sich António Perreira aus Lissabon und seine Frau Maria da Silva aus Rio de Janeiro die Köpfe. Sie können sich kaum entscheiden, welche Flussseite sie genauer betrachten sollen und machen ein Foto nach dem anderen. Der Brasilianerin, die das Dourotal zum ersten Mal sieht, steht die Begeisterung ins Gesicht geschrieben: Sie ist überzeugt, dass eine solch schöne Landschaft nur gute Weine hervorbringen kann.

    "Außer zum Frühstück trinken wir eigentlich den ganzen Tag Wein","

    witzelt António Perreira, der die Douro-Weine für die besten seines Landes hält. Seit einigen Jahren machen auch die Tafelweine immer mehr von sich reden, doch das Spezielle sind nach wie vor die Portweine, deren Trauben nur aus dem Dourotal stammen dürfen.

    ""Überall stößt man hier auf die Geschichte des Weins. Vor 250 Jahren erklärte Marques Pombal die Region zur weltweit ersten namentlich erwähnten Herkunftsregion. Am Douro hat das alles angefangen. Und wir sehen hier, wie wichtig das Hinterland ist. Die Weine, die wir in der Stadt konsumieren, die wurden hier in mühsamer Arbeit angebaut und gekeltert."

    Gelagert werden die Portweine seit jeher in Vila Nova de Gaia, am gegenüberliegenden Flussufer der Küstenstadt Porto, wo es um einiges kühler ist als im 120 Kilometer landeinwärts liegenden Dourotal. Früher wurden die Portweinfässer auf flachen, traditionellen Holzbooten an die Küste transportiert; heute rattern große Tanklastwagen über die Straßen von Vila Nova de Gaia. An den Außenmauern der riesigen Lagerhallen aus grau-braunen Granitquadern findet man noch heute viele englische Firmennamen. Denn der Portwein ist, anders als der Name vermuten lässt, eine britische Erfindung.

    Ende des 17. Jahrhunderts war Großbritannien durch eine Handelskrise mit Frankreich gezwungen, sich nach Alternativen im Weinhandel umzuschauen. Nach der langen Schiffsreise kamen die Rotweine jedoch meist als Essig in Großbritannien an. Um sie haltbarer zu machen, fingen die Briten an, ihnen Branntwein beizumischen.

    Der fruchtige, starke Wein aus Portugal traf den Geschmack der Briten und das Geschäft wurde immer lukrativer. Um die Menge zu erhöhen, begannen die Portugiesen, den eigentlich edlen Tropfen mit billigeren Weinen und sogar Zusatzstoffen wie Zucker und Pfeffer zu versetzen. Die Nachfrage sank und der Weinhandel geriet in eine Krise – bis der portugiesische Staat vor 250 Jahren das weltweit erste System zur Herkunftskontrolle und Lageklassifizierung einführte. Seitdem kommt Portwein ausschließlich aus der Região demarcada do Douro.

    In einer Kellerei in Vale Mendiz, einer der besten Portwein-Lagen am Douro, stehen zehn Männer und Frauen Arm in Arm in einem der großen Granitsteinbecken. Im Takt treten sie die Trauben, deren dunkelroter Saft ihnen bis über die Knie reicht. Zwei Stunden wird streng nach Kommando marschiert, danach dürfen sich die Erntehelfer frei im Lagar bewegen, erklärt Senhor Sebastiao. Der rüstige 82-Jährige hat in seinem Leben unzählige Weinlesen begleitet und immer ein wachsames Auge auf die Weintrauben stampfenden Mitarbeiter.

    "Damit das alles wirklich wie am Schnürchen läuft, stampfen wir nach demselben Kommando wie beim Militär. Erst Links dann rechts, sonst geht einfach alles durcheinander. Manche waren nicht beim Militär und wissen nicht, wie das Marschieren geht. Das sieht man sofort. Denen müssen wir das erst beibringen. Links, eins, zwei und so weiter, damit das am Ende auch wirklich klappt."

    Der fruchtige Duft gärenden Weins liegt in der Luft und sorgt trotz der harten Arbeit für eine heitere Stimmung. Die menschlichen Füße gelten – natürlich nur nach einer Fußwaschung – als die sanfteste und effektivste Methode, um in kurzer Zeit das Maximum an Farbe und Geschmack aus den Trauben zu holen. Denn im Gegensatz zum Tafelwein gärt der Portwein nur sehr kurz. Nach drei bis vier Tagen, wenn ein bestimmter Alkoholgehalt erreicht ist, wird die Gärung mit Branntwein gestoppt.

    Routiniert bewegt sich die 20-jährige Diana in kurzen Hosen durch das Lagar. Sie mag die Weinlese und ist bereits das dritte Mal in Vale Mendiz dabei, auch wenn es ihr morgens früh manchmal schwerfällt, in den noch kalten Traubenbrei zu steigen. Wenn es geht, steht sie dann lieber am Band und sortiert die ankommenden Weintrauben, erklärt sie grinsend.

    Diana kommt, wie viele andere, jedes Jahr aus dem etwa 80 Kilometer entfernt liegenden Viseu angereist. Zur Weinlese unterbricht sie ihre eigentliche Arbeit in der Landwirtschaft, um für etwa sechs Wochen in Vale Mendiz mit anzupacken. Denn die Weinlese ist nach wie vor recht lukrativ: Die Erntehelfer arbeiten sieben Tage die Woche acht Stunden; das Traubenstampfen abends im Lagar wird extra bezahlt. So kommt mit der Zeit eine beachtliche Summe zusammen, erklärt Senhor Sebastiao. Dafür gibt es in dieser Zeit so gut wie kein Privatleben.

    "Dort drüben, in dem Haus, da schlafen wir alle. Die meisten habe ich aus meinem Dorf mitgebracht. Im Moment arbeiten und leben hier 14 Leute. Wir verstehen uns ganz gut, denn wenn jemand nicht spurt, dann ziehe ich ihm ein, zwei Tage vom Lohn ab. Das wissen alle und deswegen herrscht meist Ruhe. Wenn ich nicht aufpassen würde, hätten wir hier schnell einen Krieg wie im Irak."

    Für heute ist die Arbeit im Lagar beendet. Erleichtert steigen die Frauen und Männer aus dem Granitsteinbecken, waschen sich die lilafarbenen Füße und gehen rüber zu ihren Schlafstätten im Wohnhaus.

    An einem malerisch geschwungenen Seitenfluss des Douro liegt die Quinta de Nápoles. Im Gegensatz zu den Erntehelfern leben Manoel Rodrigues und seine Frau Maria José das ganze Jahr auf dem Weingut. Der Gutsverwalter kümmert sich seit 20 Jahren um die Weinberge und die Kellerei, sie kocht für die Mitarbeiter und bewirtet die Gäste. Obwohl der 61-Jährige in seinem Leben viele andere Arbeitsangebote hatte, kehrte er doch immer wieder zur Arbeit in den Weinbergen am Douro zurück.

    "Ich war zum Äpfelpflücken in Frankreich und kam wieder zu den Weinbergen zurück. In der Schweiz habe ich auf dem Bau gearbeitet und kam wieder zurück. Nirgendwo habe ich es länger als ein, zwei Monate ausgehalten. Ich hatte immer Sehnsucht nach Portugal und der landwirtschaftlichen Arbeit. Es hat mir woanders einfach nicht gefallen."

    Beide kommen aus dem Dourotal und sind seit ihrer Kindheit an die glühend heißen Sommer und klirrend kalten Winter gewöhnt. Ihr Leben passt sich dem Rhythmus der Jahreszeiten an. Jedes Jahr kommt nach der sommerlichen Lethargie die geschäftige Zeit der Weinlese – dann ist sowohl in der Kellerei als auch in der Küche viel los. Nach den Trauben werden die Oliven gepflückt, die traditionell um die Weinparzellen herum gepflanzt sind. Mit der Ernte endet der Jahreszyklus und der Kreislauf fängt von neuem an.

    "Ich mag die Natur und diese schöne Landschaft. Ich arbeite einfach gerne an der frischen Luft."

    "Das Leben hier ist hart, aber sehr gesund. Man ist viel draußen unterwegs und nicht in einer kleinen Wohnung eingesperrt. Deswegen mag ich auch gar nicht in die Ferien fahren."

    "Wir sind so an das Leben und den Rhythmus hier gewöhnt. Woanders schnappen wir wie Fische an Land nach Luft."

    "Ich mag diesen Rhythmus. Deswegen bleiben wir auch praktisch immer hier."

    Oberhalb des Douros liegt an einem steilen Hang der kleine Ort Chanceleiros. Direkt am Dorfplatz steht ein prächtiges Herrenhaus, das Besucher aus dem In- und Ausland beherbergt. In ganz Portugal haben Privatpersonen mit staatlicher Unterstützung alte Herrenhäuser zu Unterkünften mit Bewirtung ausgebaut. Die Besitzer heißen ihre Gäste in den oft sehr individuell und liebevoll gestalteten Unterkünften persönlich willkommen. Viele nehmen, wie die Deutsche Ursula Böcking in der "Casa do Visconde", das Abendessen gemeinsam mit ihren Gästen ein.

    "Das ist ja auch eine ganz andere Art zu reisen, weil man glaube ich schon das Land und die Menschen ganz gut kennenlernt. Man wird dann zwar auch mal in den kalten Regen gestellt und hat was auf dem Teller, was man nicht kennt. Aber das gehört ja auch dazu, solche Erfahrungen."

    Ursula Böcking lebt seit 14 Jahren in Chanceleiros, doch ihre Verbundenheit mit Portugal reicht viel weiter in die Vergangenheit zurück. Denn vor 38 Jahren kam die Portugiesin Adlaide Texeira Lopes nach Deutschland, um der damals 23-jährigen Mutter von Zwillingen zur Hand zu gehen. Mit den Jahren entstand eine enge Freundschaft zwischen den beiden Frauen und das Ehepaar Böcking fuhr öfter zu Adlaides Familie ins Dourotal. Als ihr Mann jedoch eines Tages kurzerhand das alte, damals ziemlich heruntergekommene Herrenhaus in Chanceleiros kaufte, war Ursula Böcking alles andere als begeistert. Schließlich hatte sie Portugal noch zu Zeiten kennengelernt, als Frauen in Hosen schräg angeschaut wurden. Letztlich ließ sie sich aber doch davon überzeugen, im Dourotal ein kleines Hotel aufzumachen – natürlich mit Hilfe von Adlaide.

    "Uschi, die Orangen sind so schlecht im Moment. Was machen wir? Bestellen wir welche oder nehmen wir Packung?"

    "Hat den der Mario welche?"

    "Die von Martha sind fast alle kaputt, die von Mario sind weich wie eine Feige, da kommt auch nichts raus. "

    Die kleine, rundliche Portugiesin und die große, blonde Deutsche sind ein eingeschworenes Team – Verständigungsschwierigkeiten gibt es nach all den Jahren keine mehr. Die beiden Frauen reden, was ihnen gerade auf die Zunge kommt: Deutsch, Portugiesisch und sogar Englisch und Französisch mischen sich bunt durcheinander. Das schafft eine heitere Atmosphäre, in der sich auch internationale Gäste schnell zu Hause fühlen.

    Auf der Terrasse sitzt ein britisches Rentnerpaar beim Abendessen und lässt den Blick über das Dourotal schweifen. Der Mann legt das Besteck zur Seite und lehnt sich genüsslich im Korbstuhl zurück.

    "Wir haben viel mehr Boote und Werbeschilder für Hotels erwartet. Und schließlich sind wir hier gelandet. Eigentlich wollten wir nur eine Nacht bleiben, dann wurden es zwei und drei und nun sind es schon sechs Nächte. Und wir werden bestimmt wiederkommen."