Montag, 29. April 2024

Archiv


Wo die Uhren richtig ticken

Die Präzision von Schweizer Uhren ist sprichwörtlich. Warum aber entstand gerade in der Schweiz eine so legendäre Uhrenindustrie? Die ersten renommierten Taschenuhren wurden in England hergestellt. Aber als durch Glaubenskonflikte in Frankreich viele gut ausgebildete Protestanten und Juden im 17. Jahrhundert in die Schweiz flohen, entwickelte sich in den Schweizer Bergdörfern in der Nähe von Genf bald eine unvergleichliche Handwerkstradition der Feinmechanik. Schweizer Uhren wurden zum Markenzeichen. In den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts stand die Uhrenindustrie der Eidgenossen dann trotzdem kurz vor dem Kollaps. Billiguhren aus Fernost schienen die Zukunft. Tatsächlich werden heute nur noch etwa zwei Prozent aller Uhren in der Schweiz hergestellt. Dafür aber mit umso größerem Gewinn. Mit diesen wenigen maschinellen Wunderwerken der Technik erwirtschaften die exklusiven meist kleinen Firmen heute weit über 50 Prozent des weltweiten Umsatzes. Dieter Wulf hat für uns in der Westschweiz das so genannte Tal der Uhren besucht und sich über die jahrhundertealte Handwerkertradition der Zeitmessung erzählen lassen.

Von Dieter Wulf | 24.05.2009
    "Jetzt sind wir im ersten Stock und sehen sie da auch vergittert also es war überall auch hier. Das ist auch Doppeltür Metall. Hier wurden die Gäste empfangen, also die Kunden empfangen. Hier wurde besprochen. Das war der Chefstuhl. Das sind Metallläden. Also es wurde alles sehr gut abgesichert."

    Helga Kraussler DuBois führt durch ihr Haus. Überall finden sich Details einer beeindruckenden Handwerkstradition. Und dazu gehört manches, verrät sie, dass man auf den ersten Blick gar nicht erkennt.

    "Den Schrank kann man wegziehen und dahinter ist ne Wendeltreppe die geht hoch in die Küche und so dass wenn ein Chef sich heimlich still und leise verschleichen wollte, ist er dann die Wendeltreppe hoch und konnte dann oben in sein Schlafzimmer gehen. Ein Geheimgang. Geheimgang ja gibt es mehrere Geheimsächelchen hier. In diesem Haus? Ja. Verraten sie mir noch mehr? Nein, das ist schon ganz viel."

    Wir sind im Maison DuBois, der ältesten Uhrenfabrik der Schweiz. Aber eine Fabrik im heutigen Sinne, dürfe man sich darunter natürlich nicht vorstellen, meint Helga Kraussler DuBois.

    "Das kann man nicht so sehen wie heutzutage. Ne Fabrik ist dass alles im Haus gemacht wird. Hier waren unten acht bis zehn Uhrmacher, aber es wurden trotzdem viele Sachen Details kleine Rädchen Spiralen bis in den Jura gemacht auch hier in der Gegend. Und eben das blieb viel, viel Kleinarbeit, Handarbeit."

    1684 war das Haus von der Familie in Le Locle gebaut worden. Damals allerdings handelte die Familie noch mit Stoffen.

    "Die Familie DuBois fuhr damals Brüssel, London Frankfurt mit Kutschen und Pferden und 1785 hat Philippe DuBois mit seinem Sohn festgestellt dass hier angefangen wird Uhren zu bauen, auszuprobieren und man wusste nicht ob das kommerzialisiert werden kann. Und da die DuBois sowieso auf reisen waren haben sie gesagt och wir nehmen die mal mit, wir probieren, ob man die verkaufen kann. Und so fing die Sache an."

    Bereits Mitte des 16. Jahrhunderts hatte man in Genf begonnen Uhren zu bauen. Damals hatte der protestantische Reformator Calvin das tragen von Schmuck verboten. Das Volk predigte er, sollte sich "kleiden ohne alles läppische Gepränge". Gegen Uhren aber hatte der Reformator nichts einzuwenden, denn wer eine tragbare Uhr besaß hatte natürlich dann auch keine Ausrede mehr, wenn er zu spät zum Gottesdienst erschien. Aus den damals schon international renommierten Genfer Juwelieren wurden Uhrmacher. Und das Uhrmachergewerbe entwickelte sich dann besonders in den bergigen Regionen östlich von Genf, erklärt mir Helga Kraussler DuBois.

    "Man sagt das Klima hier sei sehr trocken, so dass die Hände auch trocken sind. Das ist sehr wichtig für die Uhrenindustrie. Weil sie die kleinen Rädchen, das ist ja alles Metall und wenn das anläuft oder wenn Finger schwitzen, also es kann kein Uhrmacher werden der feuchte Hände hat, das geht nicht. Und deshalb ist auch im Jura besonders, das Klima sehr trocken und man nimmt an dass auch deswegen sich das hier entwickelt hat."

    Und hier in den kleinen hochgelegenen Orten im Juragebirge war man im Winter monatelang von der Außenwelt abgeschnitten. So begannen immer mehr Bauern für die Uhrmacher in Heimarbeit die nötigen Einzelteile zu fertigen, die dann in Ateliers wie dem der Familie DuBois verarbeitet wurden.

    Als ihr Mann vor einigen Jahren starb, erklärt Helga Kraussler DuBois, endete damit auch die jahrhundertelange Uhrentradition hier im Haus. Aus dem lichtdurchfluteten Atelier im Erdgeschoss wurde ein stilvoll eingerichteter Frühstücksraum, denn aus der ältesten Uhrenmanufaktur der Schweiz wurde vor einigen Jahren eine Pension. Für Uhrenliebhaber ein wirklicher Geheimtipp, ein Ort, an dem die Zeit im positivsten Sinne stehen geblieben ist.

    "Heute sie hören ja Geräusche im Hintergrund, heute ist es ein Tearoom geworden, ein Bed-and-Breakfast und ein Tearoom und die Leute kommen sehr gerne hierher, denn es ist bisschen Uhrmacheratmosphäre und es ist nicht so groß, ist intim und ist mitten in der Stad."

    Um zu erleben, wie das Uhrmacherhandwerk heute praktiziert wird, bin ich nur einige Kilometer entfernt, in La Chaux-de-Fonds, bei der Uhrenmanufaktur Girard-Perregaux mit Willy Schweizer verabredet. Girard-Perregaux ist alles andere als eine Billigmarke. Preise von mehren tausend Schweizer Franken für eine Uhr sind hier nichts Besonderes. Aber auch Kunden, denen das längst nicht exklusiv genug ist werden hier fündig. Im Allerheiligsten der Firma, einem lichtdurchfluteten Raum im Untergeschoss entstehen wahre Wunderwerke der Zeitmessung.

    "Das ist hier die Werkstatt. Wir beschäftigen hier 20 Leute. Die Produktion beträgt 300 Uhren pro Jahr mehr nicht und ... die Preislage geht von 40.000 bis mehr als 600.000."

    Bevor wir den Raum betreten müssen wir auch hier erst mal durch eine große Doppeltür. Jedes Staubkorn und erst recht jeder Windhauch könnte hier mit einem Schlag die Arbeit von Monaten zerstören.

    "Also Arbeitsprinzip ist alle Komponenten zu fertigen und das wird wie sie sehen mit ganz einfachen Werkzeugen gemacht. Meistens von Holz oder Stein in Kombination mit Diamantpaste."

    <im_51169>Uhren in Handarbeit aus der Westschweiz</im_51169> Die Uhrmacher sitzen ruhig und konzentriert nebeneinander. Die einzelnen Teile sind zum Teil so klein, dass man sie nur mit großen Lupen erkennen kann. Willy Schweizer erklärt, was an einem der Arbeitsplätze gerade passiert.

    "Zum Beispiel hier ist es eben die Montage von dieser 1 Zentimeter im Durchmesser und da ist er daran hier ein Schrauben sehen sie die? Das ist eben eine von diesen 72 Elementen, die in der Zusammenbau von Turbillon kommen. Und das hat in etwa sagen wir 15 Tage gedauert. Jetzt ist er daran das Käfig von Turbillon zu montieren und dazu wird er zwei Tage brauchen."

    Mark, der Uhrmacher dem wir gerade zusehen, ist Mitte 20 und kommt hier aus der französisch sprechenden Schweiz, so wie die meisten Schweizer Uhrmacher. Fast alle großen und renommierten Uhrenhersteller waren schon immer in der französischen, der Westschweiz zu Hause. Mark sitzt konzentriert über seinem Werkstück. Äußerlich aber widerlegt er jedes Klischee, wie man sich einen ruhig bedächtigen Schweizer Uhrmacher wohl vorstellt. Auf seinem Kopf prangt ein Irokesenschnitt. Und wie sonst auch gerne von Punks getragen, hat er sein hochtoupiertes Haar dunkelrot gefärbt. Etwas ungewöhnlich sei das schon, meint er schmunzelnd.

    "Na ja etwas Paradox ist das klar, ein bisschen Provokation. Aber Genauigkeit und Präzision ist nun mal was ich liebe."

    Doch die außergewöhnliche Frisur stört hier niemanden. Im Gegenteil, erklärt mir Willy Schweizer. Wenn die Firma international ihre Produkte präsentiert, dann nehme er gerade ihn besonders gerne mit.

    "Letztes mal waren wir in Taipeh. Natürlich, wenn das Publikum einen Kerl wie Mark sieht dann fangen sie an zu schauen was er macht. Das ist eben ein Gegensatz zu der relativ staubigen Image von der Schweizer Uhrmacherei."

    Er selber stamme auch aus einer Uhrmacherdynastie, erzählt Willy Schweizer. Fünf Generationen vor ihm, Vater, Großvater, Urgroßvater, alle waren sie Uhrmacher. Als auch er dann die Ausbildung machen sollte, in den 70er Jahren, steckte die Schweizer Uhrenindustrie gerade in einer dramatischen Krise. Billig produzierte Quarzuhren aus Fernost überschwemmten den Markt. Schweizer Uhren schienen ein Auslaufmodell. Statt Uhrmacher wurde Willy Schweizer Historiker. Nach ein paar Jahren war die Krise überstanden. Die Uhr als Massenware wird zwar heute fast komplett in Asien produziert. Die Heimat der hochwertigen Feinmechanik aber ist bis heute im Schweizer Jura. So wurde der verhinderte Uhrmacher zum Historiker der Firma Girard-Perregaux.

    "Ich wollte eigentlich kein Lehrer werden, das hat mich nicht interessiert. Deswegen habe ich mit Marketing angefangen und als ich hier bei JP gekommen bin hat man mir das Koffer der alten Uhren gegeben."

    Entstanden ist daraus ein eigenes Museum in einer repräsentativen Villa ganz in der Nähe. Uhren aus über zweihundert Jahren Firmengeschichte sind hier zu sehen. Daneben erzählen alte Maschinen die Geschichte höchster Handwerkstradition, erklärt Willy Schweizer.

    "Das ist das Ort wo ich mein Museum für Maschine und Werkzeuge eingerichtet habe. Warum, einfach zu zeigen dass es immer Maschinen gegeben hat in der Uhrmacherei. Nur natürlich damals hatte man keine öffentliche Energie. Also somit musste man die Maschinen mit der Hand antrieben. Und besonders in La Chaux-de-Fonds haben wir sehr lange keine Energie gehabt nämlich es gibt keinen Fluss hier also keine Möglichkeit die Kraft vom Fluss als Antriebswelle zu verwenden und Elektrizität kam nach La Chaux-de-Fonds in 1908 also spät an und für sich. Aber wie gesagt Maschinen gibt es seit dem aller Anfang hier ist es die älteste. Sie ist vom Anfang des 18. Jahrhunderts. Das ist eine Maschine, um einen gewissen Dekor zu machen, nämlich was wir giochet nennen. Die ist noch funktionsfähig."

    Heute sind die computergesteuerten Maschinen so genau, dass sie kleine Zahnräder oder andere Teile bis auf ein zehntausendstel eines Millimeters exakt bearbeiten können. Eine fast nicht mehr vorstellbare Genauigkeit. Das war früher natürlich noch ganz anders, erklärt mir Willy Schweizer, während wir vor einer anderen Maschine stehen bleiben.

    "Man wusste dass die Maschinen nicht genau waren. Also man hat auch andere Maschinen erfunden, um die Ungenauigkeit der ersten Maschinen zu kompensieren. Das heißt diese Maschine wurde verwendet als man sein Räderwerk gemacht hat und man versucht das Räderwerk zu drehen. Normalerweise zum ersten Mal ging's nie. Man musste die Räder etwas anders versetzen bis es schlussendlich ging. Die Maschine war dazu eine Maschine um die Dummheit der anderen Maschinen zu kompensieren."

    Vom Privatmuseum der Firma Girard Perregaux, das normalerweise nur ganz ausgesuchten Besuchergruppen offen steht, mache ich mich auf den Weg zum großen öffentlichen Uhrenmuseum der Stadt. Den Weg zu finden ist nicht allzu schwer. Die Strassen im ganzen Tal sind wie auf einem Schachbrettmuster angelegt. Alles hier, die gesamte Architektur ist seit 1794, als ein Großbrand die gesamte Stadt zerstört hatte, komplett auf die Uhrmacherwerkstätten ausgerichtet. So war sicher gestellt, dass jedem Atelier, und in fast jedem Haus war ein Atelier, genügend Tageslicht zur Verfügung stand.

    Ganz im Gegensatz zum internationalen Uhrenmuseum, mit seiner vermutlich weltweit vielseitigsten Sammlung historischer Zeitmesser. Weil man einen historischen Park mitten im Ort für den Museumsbau nicht opfern wollte, baute man das Museum im Untergrund. Das ganze Museum ist daher quasi ein riesiger Tresor. Zwar ohne Tageslicht, aber dafür umso sicherer, erwartet einen dort eine ungewöhnlich Museumslandschaft mit dutzenden futuristisch geformter Vitrinen, erklärt mir Ludwig Oechslin, der Direktor des Museums.

    "Diese Vitrinen sehen zuerst mal so etwas futuristisch aus, so wie ein Saturn mit seinem Ring, und das sieht man und merkt man relativ schnell, wenn man sich den Vitrinen nähert und die Objekte darin anguckt. Es ist fast die einzige Möglichkeit die Objekte durch Glas zu schützen und gleichzeitig nahe angucken zu können, denn man kann rund um die Vitrinen herumgehen, ohne gestört zu sein und kann sich sehr stark dem Objekt nähern das klein ist."

    Etwa dreitausend Zeitmesser aus vielen Jahrhunderten sind hier versammelt. Glücklicherweise meist sehr geräuscharm. Nicht auszudenken, wenn all diese Uhren gleichzeitig ticken, klackern, rasseln oder summen würden. Eine Ausnahme macht ein klobiges Uhrwerk aus Stangen und Zahnrädern, dass der Museumsdirektor für mich erklingen lässt.

    "Die meisten Uhren die hier gehen haben keinen Glockenschlag außer dieser vor der wir hier stehen, von Joachim Lierchti 1619 und das ist eine Turmuhr."

    So wie Willy Schweizer bei Girard Perregaux ist auch Ludwig Oechslin weit mehr als ein Uhrenfachmann. Griechisch, Latein, Geschichte und Archäologie studierte er genauso wie theoretische Physik, bevor er dann auch noch das Uhrmacherhandwerk lernte. Wenn er über Zeit redet, hört sich das eher an, wie eine philosophische Betrachtung über die Menschen hier in der Gegend.

    "Uhren machen und diese Konzentration die es braucht um diese feinen Teile herzustellen das ist ein ausgesprochen meditativer Vorgang wenn es gut gemacht ist. Es braucht Meditation. Wenn man sich wirklich extrem stark darauf konzentriert wirklich die Stunden vorbei fliegen lässt das ist Kraft oder. Ich denke das braucht die eigentlichen Leute dazu selbstverständlich. Leute die sozusagen hyperaktiv sind das dürfte etwas schwieriger werden."

    Und wenn man auf Suche nach Geruhsamkeit schon immer in der Schweiz eher fündig wurde als anderswo, ist die Gegend hier im Jura vielleicht sogar die Welthauptstadt ruhiger Gelassenheit, die offenbar nötig ist, um der Zeit den immer gleichen Rhythmus geben zu können.