Dina Netz: Lévi-Strauss begann 1941 im amerikanischen Exil an der New Yorker New School zu lehren. Im Vorlesungsverzeichnis wurde sein Name als Claude L. Strauss aufgeführt, denn man hatte Sorge, dass die Studenten sich allzu sehr über die Namensähnlichkeit mit dem Jeanshersteller amüsieren würden. 40 Jahre später fragte der Kellner eines kalifornischen Restaurants, als er den Namen Lévi-Strauss in seine Gästeliste eintragen sollte: "Die Hosen oder die Bücher?" Gleichberechtigt stand da also der berühmte Ethnologe neben den schon lange vor ihm um die Welt gereisten Jeans. Frage an den Ethnologen Thomas Hauschild: Wie konnte das passieren? Ein Ethnologe wird so berühmt wie die Hosen, die alle tragen. Was war die außergewöhnliche Leistung von Claude Lévi-Strauss?
Thomas Hauschild: Das Außergewöhnliche ist die Breite, er hat die ganze Humanwissenschaft des 20. Jahrhunderts auf den Prüfstand der Ethnografie gestellt. Und die Ethnografie ist eben eine seltsame, am Rand der Wissenschaft stehende Disziplin, die versucht, durch Empirie - durch Kulturvergleich, durch direkt Hinfahren, Gucken, wie ist es denn da, Ausprobieren, Mitleben - Kulturtheorien zu überprüfen, Aussagen, die generell gemacht werden über den Menschen oder auch Aussagen, die über die Menschen bestimmter Gebiete gemacht werden. Und da ist Lévi-Strauss einer der Größten, das hat er immer und immer wieder getan, und selber hat er dabei eine große Synthese der Kulturtheorie entwickelt, die uns heute leider oft in einer nur sehr mickrigen Form verkauft wird. Und er hat dabei erkannt, dass diese Territorien, dieses Nationale, diese Lokale, dieses Ethnische, dass das in einen ganz interessanten Auflösungsprozess geraten ist. Vielleicht hat er das als einer der Ersten in unserem Fach sehr klar erkannt und ausgesprochen mit seinem Buch über die Traurigen Tropen. Trotzdem hat er nie losgelassen in dem Versuch, Menschen in ihrem Ambiente, in ihrer Umgebung zu betrachten, mit ihnen Dialog zu haben oder sich mit ihren kulturellen Äußerungen auseinanderzusetzen. Und das ist das Wichtige, was wir heute von ihm lernen können. Wir sind jetzt 30 Jahre lang zugedeckt worden mit Kulturtheorien, die alles als Medium, alles als menschlich vermittelt, alles als Ausdruck von Wille und Absicht interpretieren. Das war eine ganz schöne Anmaßung, in die wir da geraten sind als Kulturtheorie, und wenn man Lévi-Strauss liest, kann man das lesen wie so ein sanftes, kluges Gegenmittel.
Netz: Lévi-Strauss war ja ein tiefer Skeptiker, was globale Strukturen betrifft. Er ist davon ausgegangen, dass eine globale Zivilisation immer eine pathologische sein müsse oder zumindest pathologische Züge haben müsse. Darin ist er ja auch sehr aktuell.
Hauschild: Absolut. Das ist das, was wir heute entdecken. Wenn wir diese Finanzkrise erleben als eine Krise von Derivaten, also Ableitungen, immer schlimmeren, immer verrückteren Abstraktionen, die auf der Basis von Immobilien, dem Unbeweglichen, dem Lokalen, dem richtig real Vorhandenen, gemacht werden, dann ist es Zeit, wieder Lévi-Strauss zu lesen und zwar richtig zu lesen, ihn nicht nur zu lesen als irgendeinen verrückten Typen, der Linguistik und Psychoanalyse zu einer neuen Erkenntnistheorie verbunden hat, sondern als jemanden, der in Begriffen wie Ökologie, soziale Struktur, Landschaft gedacht hat.
Netz: Er hat ja auch schon nachgedacht über Kulturvergleich, Vergleich von menschlichen Gemeinschaften, Gesellschaften. Ist Lévi-Strauss auch wieder zu lesen im Hinblick auf unsere aktuelle Diskussion zum Kampf der Kulturen?
Hauschild: Absolut, da ist das auch ein wunderbares, sanftes Gegenmittel. Wenn man Lévi-Strauss liest, erkennt man, dass Kulturen keine abgeschlossenen Ganzheiten sind, sondern dass sie an den Rändern ständig ausfransen, in was anderes übergehen, dass sie eine ewige Bastelei sind, wie Lévi-Strauss das schon vor 50, 60 Jahren immer behauptet hat. Da ist er heutigen Kulturtheoretikern - von Sarrazin, wenn man den als Theoretiker bezeichnen will, bis Huntington - vollkommen überlegen. Und das ist eben auf der breiten Basis, auf der er argumentiert, auf der Basis des ethnologischen Wissens und des ethnologischen Kulturvergleichs, der in Deutschland irgendwie sich im akademischen Betrieb nie so hat richtig durchsetzen können und heute, jetzt, sehr, sehr stark beachtet und gefördert wird, ... und das ist genau der Moment, jetzt Lévi-Strauss lesen, jetzt wirklich verstehen, was er uns da für ein Erbe hinterlassen hat.
Thomas Hauschild: Das Außergewöhnliche ist die Breite, er hat die ganze Humanwissenschaft des 20. Jahrhunderts auf den Prüfstand der Ethnografie gestellt. Und die Ethnografie ist eben eine seltsame, am Rand der Wissenschaft stehende Disziplin, die versucht, durch Empirie - durch Kulturvergleich, durch direkt Hinfahren, Gucken, wie ist es denn da, Ausprobieren, Mitleben - Kulturtheorien zu überprüfen, Aussagen, die generell gemacht werden über den Menschen oder auch Aussagen, die über die Menschen bestimmter Gebiete gemacht werden. Und da ist Lévi-Strauss einer der Größten, das hat er immer und immer wieder getan, und selber hat er dabei eine große Synthese der Kulturtheorie entwickelt, die uns heute leider oft in einer nur sehr mickrigen Form verkauft wird. Und er hat dabei erkannt, dass diese Territorien, dieses Nationale, diese Lokale, dieses Ethnische, dass das in einen ganz interessanten Auflösungsprozess geraten ist. Vielleicht hat er das als einer der Ersten in unserem Fach sehr klar erkannt und ausgesprochen mit seinem Buch über die Traurigen Tropen. Trotzdem hat er nie losgelassen in dem Versuch, Menschen in ihrem Ambiente, in ihrer Umgebung zu betrachten, mit ihnen Dialog zu haben oder sich mit ihren kulturellen Äußerungen auseinanderzusetzen. Und das ist das Wichtige, was wir heute von ihm lernen können. Wir sind jetzt 30 Jahre lang zugedeckt worden mit Kulturtheorien, die alles als Medium, alles als menschlich vermittelt, alles als Ausdruck von Wille und Absicht interpretieren. Das war eine ganz schöne Anmaßung, in die wir da geraten sind als Kulturtheorie, und wenn man Lévi-Strauss liest, kann man das lesen wie so ein sanftes, kluges Gegenmittel.
Netz: Lévi-Strauss war ja ein tiefer Skeptiker, was globale Strukturen betrifft. Er ist davon ausgegangen, dass eine globale Zivilisation immer eine pathologische sein müsse oder zumindest pathologische Züge haben müsse. Darin ist er ja auch sehr aktuell.
Hauschild: Absolut. Das ist das, was wir heute entdecken. Wenn wir diese Finanzkrise erleben als eine Krise von Derivaten, also Ableitungen, immer schlimmeren, immer verrückteren Abstraktionen, die auf der Basis von Immobilien, dem Unbeweglichen, dem Lokalen, dem richtig real Vorhandenen, gemacht werden, dann ist es Zeit, wieder Lévi-Strauss zu lesen und zwar richtig zu lesen, ihn nicht nur zu lesen als irgendeinen verrückten Typen, der Linguistik und Psychoanalyse zu einer neuen Erkenntnistheorie verbunden hat, sondern als jemanden, der in Begriffen wie Ökologie, soziale Struktur, Landschaft gedacht hat.
Netz: Er hat ja auch schon nachgedacht über Kulturvergleich, Vergleich von menschlichen Gemeinschaften, Gesellschaften. Ist Lévi-Strauss auch wieder zu lesen im Hinblick auf unsere aktuelle Diskussion zum Kampf der Kulturen?
Hauschild: Absolut, da ist das auch ein wunderbares, sanftes Gegenmittel. Wenn man Lévi-Strauss liest, erkennt man, dass Kulturen keine abgeschlossenen Ganzheiten sind, sondern dass sie an den Rändern ständig ausfransen, in was anderes übergehen, dass sie eine ewige Bastelei sind, wie Lévi-Strauss das schon vor 50, 60 Jahren immer behauptet hat. Da ist er heutigen Kulturtheoretikern - von Sarrazin, wenn man den als Theoretiker bezeichnen will, bis Huntington - vollkommen überlegen. Und das ist eben auf der breiten Basis, auf der er argumentiert, auf der Basis des ethnologischen Wissens und des ethnologischen Kulturvergleichs, der in Deutschland irgendwie sich im akademischen Betrieb nie so hat richtig durchsetzen können und heute, jetzt, sehr, sehr stark beachtet und gefördert wird, ... und das ist genau der Moment, jetzt Lévi-Strauss lesen, jetzt wirklich verstehen, was er uns da für ein Erbe hinterlassen hat.