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Wo die wilden Tiere wohnen

Sambias Luangwa-Tal bietet Besuchern viel: angriffslustige Büffel, hochgiftige Schlangen, Krokodile, die einen fressen wollen und ... eine unheimlich atemberaubende Landschaft.

Von Jörn Klare |
    Nachts im Luangwa-Tal in Sambias Ostprovinz. Im nahen Fluss gut hundert mitteilungsfreudige Nilpferde.

    Ein paar Meter weiter erregt sich eine Gruppe Paviane - vermutlich über einen umherstreichenden Leoparden.

    Etwas später, einen guten Steinwurf weiter flussaufwärts am Ufer: eine Elefantenfamilie.

    Und das im Morgengrauen, ja das muss ein Löwe sein.

    Es ist nicht leicht, nachts im Zelt oder Bungalow eines der Wildlife-Camps am oder im South-Luangwa Nationalpark in den Schlaf zu finden. Es ist einfach zu viel los da draußen.

    Sieben Uhr am hellen Morgen auf einer kleinen Lichtung. Ein junger Mann – er heißt Biko - begrüßt uns - eine Handvoll Neugieriger aus den USA, Italien, Australien und Deutschland. Biko - unser Führer - freut sich, dass alle "richtig" angezogen sind. "Richtig" bedeutet festes Schuhwerk und unauffällige Kleidung. Neben Biko steht ein zweiter junger Mann, der in beiden Händen einen recht betagten Karabiner hält.

    Philemon ist der bewaffnete Begleiter von ZAWA, der sambianischen Wildschutzbehörde. Er wird auf uns aufpassen, wenn wir gleich in die Wildnis, das heißt zu einer Wanderung durch die Savanne mit ihren vereinzelten, hohen Laubbäumen aufbrechen.

    "Wenn wir auf ein Tier treffen, zum Beispiel auf einen der Elefanten, die gern mal einen Angriff antäuschen, dann bleibt bitte, wo ihr seid. Bloß nicht rennen, einfach stehen bleiben und hören, was ich sage. Ich werde euch dann ganz klar mitteilen, was zu tun ist und wo ihr hin müsst."

    Wir schauen in Bikos Augen, schauen in Philemons Augen, dann schauen wir uns in die Augen. Wir nicken zögerlich und rücken entschieden zusammen. Das Gras, in das wir gleich aufbrechen, ist dicht und sehr hoch, so hoch wie ein ausgewachsener Elefant. Im Hintergrund fließt breit und träge der schlammige Luangwa, der dem ganzen weiten Tal seinen Namen gegeben hat. Luangwa bedeutet so viel wie "mit dem Korb fischen". Im Fluss ruht gerade eine Nilpferdfamilie, am gegenüberliegenden Ufer döst ein Haufen bis zu sieben Meter langer Krokodile.

    Philemon – der Mann mit dem Gewehr ist wie Biko auch in einem Dorf ein paar Stunden Fußmarsch von hier aufgewachsen. Er schwärmt von "seinem" Tal, erklärt, dass es unberührt und vor allem so sei, wie die Natur es geschaffen habe.

    Es gibt ein paar Arten, die es nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Und die Chancen auf einen Leoparden zu treffen sind exzellent. Angeblich gibt es hier jeweils einen pro Quadratkilometer.

    Der South-Luangwa-National-Park erstreckt sich auf über 9000 Quadratkilometer. Bereits 1938 als Wildreservat gegründet, wurde er 1972 zum Nationalpark erklärt. Dazu kommen im Tal – das eigentlich eine Grabensenke ist - auch noch der North-Luangwa- der Luambe- und der Lukusuzi- Nationalpark. Im Vergleich zu Parks etwa in Kenia oder Südafrika ist hier wenig los, keine asphaltierten Straßen, keine Massenabfertigung. Für Besucher gibt es ein paar zum Teil recht luxuriöse Camps, die Tierbeobachtungen mit dem Geländewagen am frühen Morgen oder in die Abenddämmerung hinein anbieten. Das besondere Erlebnis aber sind die Wanderungen mitten in die Wildnis. Die Fauna bietet das fast schon klassische Safari-Repertoire Afrikas – Elefanten, Löwen, Leoparden, Giraffen, Antilopen, Krokodile, Zebras, Büffel, Nilpferde – wobei die größte Gefahr nicht unbedingt von den Tieren mit den größten und schärfsten Zähnen ausgeht.

    "Hier im afrikanischen Busch gelten zum Beispiel Büffel und Nilpferde als sehr gefährlich. Warum? Die machen keine Scheinangriffe. Wenn ein Büffel zum Angriff ansetzt und du ihm nicht aus dem Weg gehst, dann hast du garantiert ein Problem. Bei Löwen oder Elefanten ist das anders. Wenn ein Löwe auf dich zukommt, und du richtig Theater machst, schreist und mit Dreck nach ihm wirfst, dann bleibt er erst mal stehen. Ein Elefant würde auf dich losgehen, ein paar Meter vor dir stoppen, zurückweichen und wieder auf dich losgehen. Man merkt dann, dass das ein Scheinangriff ist. Wenn aber ein Büffel loslegt, dann richtig. Nilpferde genauso. Deswegen sind die so gefährlich. Und wenn du runter zum Fluss gehst, gibt es da wahnsinnig viele Krokodile."

    Philemon hat ein fröhliches Gemüt. Hin und wieder kommt es vor, dass im Magen eines erlegten Krokodils Kleidungsreste gefunden werden. Gefährdet ist in erster Linie die einheimische Bevölkerung. Männer, die am Fluss fischen oder Frauen, die dort Wäsche waschen. Philemon erinnert an einen Unfall vor zwei Wochen.

    "Ein paar Diebe wurden bei einem Einbruch in eines der Safari-Camps erwischt. Als sie von den Wachmännern verfolgt wurden, liefen sie zum Fluss. Die umzingelten Diebe sahen keine andere Möglichkeit, als ins Wasser zu gehen. Die Leute versuchten noch, sie zu warnen. 'Nein, macht das nicht. Kommt zurück. Lasst uns darüber reden. Ihr habt doch gar nichts gestohlen. Bis der Richter was anderes sagt, seid ihr doch unschuldig.'"

    Doch die Männer rannten weiter in den Fluss hinein.

    Und weil sie so viel Lärm machten, wurden die Krokodile auf sie aufmerksam und griffen an. Die Männer wurden vor den Augen der Wachleute gefressen. Das war natürlich sehr unglücklich. Aber die Lehre ist, dass du nicht einfach in ein fremdes Territorium eindringst, ohne dafür zu bezahlen.

    An imposanten Affenbrotbäumen vorbei ist Biko mit uns an einem tief ausgelaufenen Pfad angelangt. Eine Nilpferdautobahn, ein Route, welche die massigen bis zu 3000 Kilogramm schweren Tiere nutzen, um bei Sonnenuntergang vom Fluss aus aufs Festland zu gelangen, wo sie die Nacht über grasen. Bis zu 30 Kilometer legen sie dabei zurück.

    Dabei markieren sie ihren Weg zur eigenen Orientierung, in dem sie sich etwa an einem Busch reiben. Einem Nilpferd, dem es nicht gelingt, rechtzeitig zurück ins Wasser zu gelangen, droht ein qualvoller Tod durch Austrocknung.

    Biko bleibt unvermittelt stehen, hebt stumm den Arm. Philemon nimmt den Karabiner von den Schultern fest in beide Hände. Beide und so auch wir starren in dieselbe Richtung.

    Ein knappes Dutzend Elefanten, die wiederum uns anstarren. Entfernung: ein paar Dutzend Meter.

    Der Sicherheitsabstand - sagt Biko - liegt abhängig vom Wind bei etwa 100 Metern. Bei Gegenwind können es auch mal nur 50 Meter sein. Elefanten riechen besser, als dass sie sehen. Besonders wenn sie Jungtiere haben, greifen sie ohne Zögern an.

    Doch die Gruppe hat keine Jungtiere. Sie drehen ab, und Biko sucht zu unserer Erleichterung einen Weg in die entgegengesetzte Richtung. Philemon geht am Ende der Gruppe, schaut sich immer wieder um.

    "Das ist das Wichtigste. Wenn du ein Tier siehst: Sofort stehen bleiben und beobachten! Wenn es näher kommt, zurückziehen! Wenn es angreift – rennen! Allerdings sind Menschen verglichen mit Tieren sehr langsam."

    Er grinst. Schwer vorstellbar, was ihm eigentlich die gute Laune verderben könnte.

    "Wenn du vor einen Elefanten wegrennst, der dich verfolgt, hast du keine Chance. Du musst ein Versteck suchen. Einen Termitenhügel, einen Baum oder einen Busch, etwas, wohinter du verschwinden kannst. Dann hast du eine Überlebenschance. Aber du musst wissen, was du tust. Du kannst nicht einfach geradeaus losstarten und hoffen, dass du ihn abhängst."

    Das ist eine gute Gelegenheit sich noch einmal die Schuhbänder ein wenig fester zu binden und verstärkt auf Büsche, Bäume und Termitenhügel zu achten. Biko hat derweil wieder etwas Neues entdeckt. An einer Stelle ist das Gras platt gedrückt und der Boden aufgewühlt.

    Mittendrin ein Fetzen Antilopenfell und ein paar Knochen. Der verlassene Picknickplatz eines Löwenrudels. Ihre letzte Mahlzeit – ein Impala. Philemon gibt den erwarteten Was-tun-wenn-ein-Löwe-vor-dir-steht-Ratschlag.

    "Das kostet Nerven. Die Idee ist: Stehenbleiben und das Tier beobachten. Wenn es nicht auf dich zukommt, langsam zurückziehen. Ihm niemals den Rücken zuwenden! Wenn du dich umdrehst und einfach gehst, wirst du angegriffen. Also langsam rückwärtsgehen und Augenkontakt halten. Dann kannst du seine Bewegungen kontrollieren. Sie greifen nur an, wenn sie sich bedroht fühlen. Und sie fühlen sich bedroht, wenn du ihnen zu nahe kommst."

    Wir schwitzen. Das liegt nicht nur an der Sonne, die jetzt über uns steht. Keiner von uns hat ein Interesse daran, einen Löwen zu bedrohen. Philemon versucht zu beruhigen.

    "Wenn Löwen sprechen könnten, würden sie erzählen, dass Menschen nicht schmecken. Wenn es anders wäre, dann stünden die ja auf ihrem Speiseplan und die Gegend wäre unbewohnt, weil Menschen nun mal langsam und nicht sehr intelligent sind. Wir können ja kaum noch riechen. Deswegen wären wir eine leichte Beute. Die Löwen würden einfach in die Dörfer gehen, um die Leute zu jagen. Die wissen ja, dass da Menschen leben. Warum sollten sie also ihre Zeit verschwenden und hinter einer schnellen Antilope her hetzen."

    Wir grinsen – ein wenig schief, bis Philemon eher nebenbei noch von der Schwarzen Mamba erzählt. Die schnellste und wohl gefährlichste Giftschlange überhaupt, die bis zu viereinhalb Meter lang wird, wobei sie bis zu zwei Metern ihres Körpers in der Luft aufrichten kann, bevor sie zu ihrem Biss ansetzt, der innerhalb von 20 Minuten zu einem qualvollen Tod führt. Er selbst, sagt Philemon, ist aber noch nie einer Schwarzen Mamba begegnet.

    "Es gibt hier 34 verschiedene Schlangenarten. Es ist sehr wichtig, dass man sich mit denen ein bisschen auskennt. Als wir klein waren, glaubten wir, dass nur eine tote Schlange eine gute Schlange sein kann. Aber jetzt weiß ich, dass etwa dreiviertel dieser Schlangen hier harmlos sind."

    Wieder in der Nacht, wieder die debattierenden Nilpferde, wieder kein Schlaf, dafür aber eine Menge Bilder im Kopf – Elefanten beim Scheinangriff, Löwen, die man am besten mit Dreck bewirft und Giftschlangen, die plötzlich vor einem stehen: alles sehr, sehr beeindruckend und verdammt aufregend.