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"Wo ein Wille, da ein Weg"

CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer geht davon aus, dass die Gesundheitsreform wie geplant im April in Kraft treten kann. Zugleich kritisierte er erneut Formulierungen im Gesetzentwurf über die privaten Krankenversicherungen.

Moderation: Michael Groth |
    Michael Groth: Als wir vor einem Jahr miteinander sprachen, Herr Ramsauer, nach der Klausur in Kreuth, da antworteten Sie auf die Frage, welche Rolle die CSU in der Großen Koalition zu spielen gedenke, die Partei funktioniere wie ein Scharnier, das die Sache zusammenhalte. Wenn man nun den Streit über die Gesundheitsreform hört, der ja täglich lauter wird und nicht zuletzt durch bayerische Töne, ist die CSU da nicht eher ein Lösungsmittel?

    Peter Ramsauer: Nein, in keinster Weise, denn wir versuchen ja mit unseren Positionen ganz wichtige unterschiedliche Interessenlagen zusammenzubringen. Und wenn ich hier nur zwei Beispiele nennen darf, wo es darauf ankommt, eben ein solches nicht Lösungsmittel sondern Bindemittel, ein Zusammenhalt-Mittel zu haben, dann sind es beispielsweise die Interessen von großen Flächenländern und Wirtschaftsstaatenländern, was einen möglichen neuen größeren oder kleineren Finanzausgleich anbelangt, der durch den Gesundheitsfond ausgelöst wird, und ein weiteres Beispiel, dass die Interessen auch des sogenannten kleinen Mannes gewahrt werden müssen, indem wir die privaten Krankenversicherungen als Vollversicherung unbedingt aufrecht erhalten wollen. Das sind zwei Punkte, das wollen wir gewährleisten, das ist auch unsere – wenn Sie so wollen und anknüpfen wollen an das letzte Jahr – Scharnieraufgabe.

    Groth: Was erwarten Sie denn konkret in Berlin von der Gesundheitsministerin, bevor die CSU der Reform im Bundestag zustimmt?

    Ramsauer: Wir werden heute ab Spätnachmittag in der CSU-Spitze in München noch einmal zusammenkommen und die, ich sage jetzt mal Kasus-Knacktus-Punkte in der Gesundheitspolitik für die CSU festlegen. Am Montag, Dienstag, Mittwoch wird in Berlin weiter verhandelt. Wir werden in Wildbad Kreuth uns natürlich in der Klausur mit diesen Dingen befassen. Unser Interesse liegt selbstverständlich an dieser Reform, denn wir wollen diese Reform, weil wir sie brauchen, aber unter Wahrung von elementaren Interessenlagen, und das sind nicht nur, wie es manchmal hingestellt wird, bayerische oder CSU-Widerspenstigkeiten, sondern es sind Interessenlagen, die weit über Bayern hinausreichen und Interessenlagen, mit denen wir auch viele Unionswähler außerhalb Bayerns vertreten.

    Groth: Die Streitpunkte sind ja bekannt, Herr Ramsauer. Im Gesetzentwurf steht, jeder, der sich versicherungsfrei mache, habe zum Billigtarif Anspruch auf Aufnahme in einer privaten Versicherung. Sie sagen, nur der soll aufgenommen werden, der schon früher privat versichert war und jetzt ohne Versicherung sei. Was wurde denn eigentlich in der entscheidenden Koalitionsrunde im Oktober vereinbart?

    Ramsauer: Es wurde in den entscheidenden Spitzenrunden in der Koalition bei diesen Eckpunkten – und Edmund Stoiber und ich saßen ja dabei – verabredet, dass die privaten Krankenkassen sich für einen gewissen Ausnahmebereich, den Sie gerade beschrieben haben, mit einem Grundtarif, Basistarif öffnen müssen, eine Aufnahmeverpflichtung haben. Das ist klar vereinbart. Dazu stehen wir, aber nicht, so wie es jetzt aus dem Entwurf hervor geht, dass quasi jeder, auch, wie Sie gesagt haben, wer sich auch vorsätzlich versicherungsfrei macht, dann sozusagen auf billige Art und Weise als Trittbrettfahrer hineinmogeln, hineinschleichen, sich einen billigen Versicherungsschutz erschleichen kann, das würde die privaten Krankenversicherungen restlos ausfüllen. Auf Dauer wäre das ihr schleichender Tod, und das kann man nicht wollen.

    Groth: Es ist ja nicht nur ein Streit zwischen der CSU und Ulla Schmidt. Neben Stoiber haben die CDU-Ministerpräsidenten in Stuttgart, Wiesbaden, Hannover und Düsseldorf Einspruch angemeldet. Ist die Gesundheitsreform für diese Länderfürsten eine willkommene Gelegenheit, einer ungeliebten Vorsitzenden und Kanzlerin am Zeug zu flicken?

    Ramsauer: Ich sehe da überhaupt keinen Zusammenhang. Ich kann mich sehr wohl in die Lage der Ministerpräsidenten hineinversetzen, und es ist ihr selbstverständliches Recht, danach zu fragen, wie sich irgendein Gesetzesvorhaben auf ihre eigenen Länder auswirkt. Das gleiche Recht hat etwa ein Bürgermeister, wenn es darum geht, wenn er fragt, wie wirkt sich denn das eine oder andere Gesetz auf meine Gemeinde, auf die Kommunalfinanzen aus. Wir haben ja seit Donnerstag ein neues Gutachten. Das müssen wir hinsichtlich des Zahlenmaterials nochmals ganz, ganz genau prüfen. Wenn diese Zahlen zutreffen sollten, dann wäre die Problematik etwas entschärft. Aber was noch nicht beantwortet ist, ist die Frage, mit welchem Mechanismus ganz konkret kann man denn solche unverdaulichen oder schwer verdaulichen zusätzlichen Belastungen einzelner Länder dann ausregulieren. Wenn wir das noch schaffen, dann sind wir in der Gesundheitsreform ein ganzes Stück weiter.

    Groth: Sie haben die Antwort auf meine nächste Frage gleichsam vorweg genommen. Aber trotzdem noch mal nachgefragt: Sollten die Zahlen von Rürup und Wille stimmen, das heißt für den Freistaat Bayern entstehen Mehrkosten in Höhe von 97,8 Millionen Euro, also unterhalb der sogenannten Schmerzgrenze von 100 Millionen. Dann können Sie auch mit diesen Zahlen beziehungsweise mit diesen Kosten leben?

    Ramsauer: Die Zahlen, die Rürup jetzt erbracht hat – basierend auf zugegebenermaßen altem Zahlenmaterial, aber neueres hat er ja noch nicht, aus de Jahren 2002 und 2003 – wenn das die Richtung weist, okay, das ist ein wichtiger Teil der Miete. Wir haben einen weiteren wichtigen Sicherheitsanker, der liegt im Gesetzentwurf verankert, nämlich in einer Bestimmung, dass vor in Kraft treten des Fonds am 1. Januar 2009 in zwei voneinander unabhängigen weiteren Gutachten möglichst aktuell die Auswirkungen auf die Finanzströme geklärt werden, und dann kann man immer noch ganz zeitnah und aktuell reagieren.

    Groth: Nun gibt es ja auch verfassungsrechtliche Bedenken und es gibt Stimmen, nicht zuletzt aus Bayern, auf den Fonds vielleicht ganz zu verzichten. Halten Sie das für denkbar?

    Ramsauer: Ich kann mir das, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, obwohl ich von Anfang an kein Freund des Fonds war. Es gibt sicherlich große Vorteile des Fonds, darauf stellen wir jetzt ab. Es ist quasi vielleicht sogar eine einfachere Erweiterung dessen, was wir bisher schon hatten, nämlich eines sehr umfassenden Risikostrukturausgleiches. Wenn man das auf einfachere Art und Weise gewährleisten kann, dann soll es mir recht sein, wenn es sich damit auch vielleicht etwas kostensparender verwalten lässt. Schauen Sie, wir haben im Augenblick beim jetzigen Risikostrukturausgleich und zusammen mit dem gesamten Beitragseinzugswesen bei den deutschen Krankenkassen etwa 30.000 Beschäftigte. Ich halte das ehrlich gesagt für sehr, sehr viel im Hinblick darauf, dass man mit den Beitragsmitteln von den Arbeitnehmern und Arbeitgebern ja sorgfältig umzugehen hat.

    Groth: Am Mittwoch trifft sich in Berlin der Koalitionsausschuss. Erwarten Sie eine neue Nachtsitzung zum Thema Gesundheit?

    Ramsauer: Wenn wir am Mittwochabend zusammenkommen, werden wir uns zunächst mal mit dem befassen, was unsere Fachkollegen, die Gesundheitspolitiker, Montag, Dienstag und Mittwoch erarbeitet haben. Das wäre vielleicht zu ehrgeizig, zu meinen, wir könnten alle Probleme Mittwochabend schon beseitigen. Aber wir werden ein gutes Stück weiter kommen. Wir werden vielleicht noch mal zusammen kommen müssen. Aber was uns alle eint ist die Einsicht, dass wir diese Reform brauchen, denn wir haben ja alle ein großes Ziel, dass wir allen Menschen in Deutschland ohne Ansehen des Geldbeutels und ohne Ansehen des Alters eine Weltspitzenmedizin gewährleisten wollen. Das geht ohne Änderungen und mithin ohne Reform nicht.

    Groth: Ist es denn Ihrer Ansicht nach zeitgerecht, soll heißen zum 1. April, da soll die Reform in Kraft treten, zu schaffen?

    Ramsauer: Ich glaube schon. Ich habe hinreichend Erfahrung im parlamentarischen Bereich. Wo ein Wille, da ein Weg.

    Groth: Der Streit über die Gesundheitsreform überschattet derzeit alles, was noch auf der Regierungsagenda des neuen Jahres steht. Wo liegen für Sie andere Schwerpunkte?

    Ramsauer: Ich nenne hier die Umsetzung der Rentenänderungen, also die Hinaufsetzung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67, eine umfassende Unternehmenssteuerreform, die den Mittelstand erheblich entlasten wird. Wir werden uns mit der Pflegeversicherung befassen müssen, denn wir wollen ja auch eine hohe, anspruchsvolle Pflegequalität in unserem Land zu erschwinglichen Beiträgen unter Wahrung auch der Eigenverantwortlichkeit gewährleisten. Wir stehen vor einer großen Herausforderung, nämlich das, was wir als Teil 2 der Föderalismusreform bezeichnen, also die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen den Ländern einerseits und dem Bund andererseits, oder auch der Länder untereinander, denn so wie die Ländergliederung in Deutschland ist, ist sie nicht mehr unbedingt zeitgemäß. Und dann noch einige andere Dinge, die sich zum Teil auch gar nicht an Fraktionsgrenzen oder Parteigrenzen festmachen lassen, beispielsweise die Frage, wie gehen wir in Zukunft mit dem Skandal der hohen Zahl an Spätabtreibungen um oder wie regeln wir das ganze Feld der Patientenverfügung, was ja immer virulenter wird, je älter Menschen werden und je mehr die Medizin vermag.

    Und dann ein anderes Thema, das wieder etwas materieller seiner Natur nach ist: Die Privatisierung der Deutschen Bahn. Hier müssen wir klar machen, dass wir mit der Bahn nicht umspringen wie mit einem x-beliebigen Wirtschaftsgut, denn die Bahn hat für die Deutschen nicht nur den Charakter eines Wirtschaftsgutes, sondern sie hat eine erhebliche patriotische Bedeutung. Und die Leute müssen sicher sein, dass wir damit verantwortungsvoll umgehen.

    Groth: Jetzt habe ich das Stichwort Arbeitsmarkt gar nicht gehört, Herr Ramsauer.

    Ramsauer: Ja, das mag vielleicht symptomatisch sein. Sie haben auch gar nicht danach gefragt.

    Groth: Ich habe nach Projekten der Regierung gefragt.

    Ramsauer: Dann antworte ich ganz klar, dass der Arbeitsmarkt ein Dauerprojekt für uns ist. Aber es ist irgendwie typisch, auch für die Politik, kaum zeigt sich an einer bestimmten Ecke eine Entspannung, schon hakt man es irgendwo gedanklich ab. Nein, das bleibt natürlich die zentrale Herausforderung unserer künftigen Regierungsarbeit, denn auch vier Millionen oder unter vier Millionen Arbeitslose in Deutschland sind zu viel.

    Groth: Auf der Liste der Sozialdemokraten steht dann noch der Mindestlohn. Glauben Sie, dass die Union sich darauf einlassen kann?

    Ramsauer: Das wird die Union genau so wenig können wie die SPD im Augenblick dazu bereit ist, etwa den Vorstellungen im Bereich des Kündigungsschutzes zu folgen, die von unserer Seite artikuliert werden. Aber schauen Sie, das sind Themen im Bereich des Arbeits- und Tarifrechts des Arbeitsmarktes, die ich einmal einordnen würde im Bereich Reparaturbetrieb. Ich glaube, wenn wir in der Lage sind, da etwas hinzukriegen, wobei ich ein strikter Gegner von Mindestlöhnen bin, weil es Arbeitslosen eher schadet als es ihnen nutzt, wenn wir die Kräfte darüber hinaus konzentrieren, dass wir Arbeitsplätze schaffen, ich glaube, in dem Maße erübrigen sich alle anderen Reparaturmaßnahmen.

    Groth: Der SPD-Vorsitzende Beck spricht bereits vom Ende der Reform. Hat er Recht? Ist den Menschen nicht mehr allzu viel zuzumuten, oder stehen wir erst am Anfang?

    Ramsauer: Ich möchte ganz fair zu dieser Frage sagen, dass der Kollege Beck ja nicht gesagt hat, jetzt machen wir gerade noch die Gesundheitsreform und dann schließen wir den Laden, sondern er hat gesagt, wir haben noch eine ganze Menge zu tun eingedenk aller Punkte, die wir gerade im Laufe dieses Gesprächs auch angesprochen haben. Aber der Denkansatz ist schon interessant und gibt mir zu Denken, denn das, was im Interesse des Landes zu tun ist, als Zumutungen zu bezeichnen, das wäre vollkommen falsch. Wir wollen unser Land nach vorne bringen. Da mag einiges erforderlich sein, was Beck als Zumutungen bezeichnet, aber so darf man es natürlich nicht rüber bringen. Das erinnert mich an das Gleichnis in der Bibel von dem einen, der seine Talente vergraben hat, weil er es auch als Zumutung empfunden hätte, mit den Talenten verantwortungsvoll und aktiv umzugehen. Und das Ergebnis in diesem Gleichnis ist bekannt.

    Groth: Sie stehen kurz vor der Klausur der Landesgruppe in Wildbad Kreuth. Am Montag wird dort Ihr Parteivorsitzender, der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, seinen politischen Bericht abgeben. Erwarten Sie angesichts der Turbulenzen um Stoiber eine kritische Debatte?

    Ramsauer: Wir haben in Kreuth immer kritisch diskutiert. Das ist ja eine alte Stärke der CSU, dass wir, wenn wir Probleme auch intern hatten, die offensiv angegangen sind und immer wieder gut gemeistert haben. Wie oft ist uns schon das Scheitern prognostiziert worden und es ging dann immer anders. Das war in der Geschichte der CSU immer so, der Kulturkampf in den 50er Jahren, die Probleme, die schnell gelöst waren und reibungslos nach dem Tod von Franz Josef Strauß, dann der Übergang im Parteivorsitz von Theo Waigel auf Edmund Stoiber. Wildbad Kreuth war auch immer ein Zeichen der legendären Geschlossenheit der CSU am Ende, und so wird es diesmal auch wieder sein.

    Groth: Kritik kommt ja nicht nur von der fränkischen Landrätin Pauli. Nach jüngsten Umfragen schätzt eine Mehrheit der Bayern zwar nach wie vor die CSU als Partei, einen Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Stoiber lehnt sie aber ab. Muss die CSU nicht Konsequenzen ziehen, wenn die Bindungskraft ihres ersten Mannes so offenkundig nachlässt?

    Ramsauer: Bitte sehen Sie sich immer die Art der Umfragen an. In diese demoskopische Suppe, die angeblich nur in Bayern gekocht worden ist, ist zum großen Teil von außerhalb Bayerns hineingespuckt worden. Die Bayern wissen immer noch selbst, wen sie gut als Ministerpräsidenten brauchen. Immerhin wissen die Leute, das zeigen die Umfragen auch, auch außerhalb Bayerns, dass Bayern das bestregierte oder zumindest eines der bestregierten Bundesländer ist, dass Bayern an den ganzen wichtigen politischen Herausforderungen die besten Daten vorzuweisen hat. Und es gibt ja den Grundsatz: Never change a winning team. Ich will das mal runterbrechen auf unsere Situation. Man soll die bestmöglichen Zugkräfte nicht auswechseln. Und deswegen steht auch die CSU-Landesgruppe geschlossen hinter Edmund Stoiber als Ministerpräsident und als Parteivorsitzender.

    Groth: Bringt der bayerische Streit eigentlich die Berliner Landesgruppe in eine schwierige Lage gegenüber den beiden anderen Koalitionspartnern?

    Ramsauer: Ich habe mich zurückgehalten und es intern natürlich sehr deutlich formuliert, dass ich die Nase voll habe damit, dass, aus welchen Gründen auch immer, von einigen Leuten innerhalb der Partei der CSU in ihrer bundespolitischen Dimension Schwierigkeiten bereitet werden. In dem Maße, wie hier quer getrieben wird – und in den letzten Tagen hat das natürlich vom inhaltlichen Niveau her wirklich den absoluten Tiefpunkt erreicht –, wird das Ansehen der CSU natürlich beeinträchtigt. Und wer dies tut, der muss wissen, der versündigt sich ganz massiv an den bundespolitischen Interessen der CSU, wenn es in den nächsten Wochen darum geht, in schwierigen Verhandlungen wichtige Anliegen der CSU Bayerns und auch vieler CSU-Anhänger außerhalb Bayerns durchzusetzen.

    Groth: Themen auf der morgen beginnenden Klausur der Landesgruppe sind auch die Europa- und die Sicherheitspolitik. Zunächst einmal zu Europa. Sind Sie, Herr Ramsauer, eigentlich zufrieden damit, dass vor Jahresende acht der mehr als 30 Verhandlungskapitel auf Eis gelegt wurden, die den EU-Beitritt der Türkei regeln sollen?

    Ramsauer: Das war das mindeste, was bei diesem Außenministertreffen erfolgen musste, nachdem die Türkei sich beharrlich geweigert hat, das einzuhalten oder bis Jahresende umzusetzen, was als Vorbedingung zur Aufnahme von Verhandlungen überhaupt gesetzt worden ist. Man muss sich das mal umgekehrt vorstellen, zum Beispiel, wenn Deutschland noch nicht Mitglied der Europäischen Union wäre, mit 80 Millionen – die Türkei hat jetzt ungefähr 70 Millionen – rein will und sagen würde, ja, wir gehen schon rein, aber die Franzosen, die passen uns nicht, die müssen da erst mal raus oder die müssen einen anderen Status bekommen, da würde sich die Welt die Augen reiben und sagen: Seid ihr durchgeknallt? Also, man muss hier schon erwarten, dass auch von einem, der beitrittswillig ist, genau so die Bedingungen erfüllt werden, wie alle anderen Beitrittskandidaten es geschafft haben. Jetzt will ich das aber von dieser negativen Sichtweise herunter holen. Wir werden in Wildbad Kreuth auch besprechen, dass wir die deutsche Präsidentschaft auch dazu nutzen, unsere Hände auszustrecken gegenüber unseren türkischen Freunden und sagen: Passt mal auf, überlegen wir doch mal gemeinsam, ob eine Vollmitgliedschaft überhaupt das richtige Modell auch für euch in der Türkei sein kann. Es gibt ja dort innere Widerstände, und es ist auch verständlich. Ich verstehe alle inneren Kritiker einer Vollmitgliedschaft in der Türkei, die sagen: Die Vollmitgliedschaft würde uns gesellschaftspolitisch und rechtlich, kulturell auch in der Türkei Bedingungen unterwerfen, die wir als Türkei gar nicht wollen können. Und deswegen geht es darum, gemeinschaftlich einen optimalen anderen Weg zu beschreiten, der sowohl der Türkei in ihrer Größe und Besonderheit gerecht wird als auch der Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union.

    Groth: Am Mittwoch erwarten Sie den Verteidigungsminister in Kreuth. Die Landesgruppe gilt als eher zurückhaltend, wenn es um Auslandseinsätze deutscher Soldaten geht. Was werden Sie Herrn Jung ins Stammbuch schreiben?

    Ramsauer: Er schreibt uns nichts ins Stammbuch, wir schreiben ihm nichts ins Stammbuch, weil wir gute Freunde untereinander sind. Aber wir müssen einiges klar stellen. In den letzten Monaten oder Jahren ist die Art und Weise, wie wir deutsche Soldaten ins Ausland geschickt haben, immer weniger transparent geworden. Ich gehe davon aus, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr in der Zukunft nicht weniger werden, sondern vielleicht sogar eher mehr, und dass die Einsatzerfordernisse eher robuster werden und auch gefährlicher werden. Und deswegen müssen wir gerade als Parlament, da lege ich großen Wert darauf, auch gerade stehen können gegenüber nicht nur den Soldaten und Soldatinnen, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit. Das heißt, die Qualität der Begründung solcher Einsätze muss besser werden. Es darf keinen Automatismus geben nach dem Motto, irgendwo in der Welt brennt es und jetzt werden die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gleich losgeschickt. Nein, da muss eine sorgfältige, transparente, überschaubare Abwägung dazwischen stehen. Und das wollen wir in Wildbad Kreuth zusammen mit dem Bundesverteidigungsminister erarbeiten, welche politischen, rechtlichen, völkerrechtlichen, militärischen Erfordernisse erfüllt werden müssen, bevor wir so etwas tun. Jeder einzelne Abgeordnete ist gefragt. Sie sprechen hier mit einem, der in seinem Wahlkreis demnächst 3500 Gebirgsjäger haben wird, die in solche gefährlichen Einsätze gehen. Also, ich bin auch einer, der hier buchstäblich auch persönlich gerade zu stehen hat.

    Groth: Machen wir es doch einmal konkret, Herr Ramsauer. Brauchen wir zum Beispiel für Afghanistan einen Kriterienkatalog, der die Ziele des Einsatzes beschreibt und der vor allem festhält, wann und unter welchen Bedingungen wir das Land wieder verlassen?

    Ramsauer: So in etwa. Einen ganz wichtigen Punkt haben Sie schon genannt, nämlich die Frage, wann verlassen wir ein Land wieder. Das hat hervorragend funktioniert beim Kongo. Da sind wir wieder raus. Aber gerade bei Afghanistan ist eine solche Exit-Strategie, wie es neudeutsch heißt, leider Gottes nicht erkennbar. Das müssen wir uns alles vorher sehr genau überlegen, auch wenn es schwierig ist. Auch wenn es schwierig ist, unterstreiche ich hier ganz deutlich, denn ein solcher Kriterienkatalog ist ja keine Checkliste, die ein Pilot vor dem Start nacheinander abhakt, sondern es kann nur eine insgesamt Entscheidungsgrundlage für die politischen Gremien sein, an denen man sich entlang hangelt.

    Groth: Halten Sie es für richtig, dass die Bundeswehr wegschaut, wenn es um den Anbau, die Verarbeitung und den Schmuggel von Opium geht?

    Ramsauer: Das ist eine so zentrale Frage, ich sage auch bewusst ungelöste Frage, aber ich sage auch, dass wir hier das rein militärische eng verzahnen müssen mit anderen Fragen des Aufbaus einer anderen Wirtschaft in einem solchen Land. Das ist ganz typisch in Afghanistan zu beobachten, denn es ist natürlich für die betroffenen Bauern dort, dass wir denen auch Alternativen geben müssen. Das macht das Ganze ja so ungeheuer schwer, weil es nicht nur eine rein militärische Auseinandersetzung ist, sondern die Frage, wie bringt man ein solches Land sicherheitsmäßig, wirtschaftsmäßig, kulturell wieder nach vorne.

    Groth: Im Dezember hat sich der Bundespräsident geweigert, das Verbraucherinformationsgesetz zu unterzeichnen, nachdem er zuvor auch Teile eines Gesetzes zur Privatisierung der Flugsicherheit an den Bundestag zurück verwiesen hatte. Geht Horst Köhler mit seinem Amtsverständnis über seine verfassungsrechtlichen Befugnisse hinaus?

    Ramsauer: Nein, überhaupt nicht. Ich bin im Denken sehr, sehr nah bei ihm, um nicht zu sagen, er ist Ökonom, ich bin Ökonom, fast übereinstimmend. Was er tut, was er getan hat, das steht ihm voll und ganz zu und es kann nur eine Ermahnung an den Gesetzgeber sein oder solche, die in den Ministerien Gesetzentwürfe schreiben – wir nennen das Formulierungshilfen geben –, sich gefälligst daran zu halten, was in dem Land möglich ist. Und der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Papier hat ja neulich einmal gesagt, das, was an Gesetzgebung oder Normsetzung im allgemeinen wir uns in Deutschland leisten, das wird immer unvollziehbarer. Und drum bin ich über jedes Gesetz, das wir abschaffen können, eigentlich dankbarer als für ein Gesetz, das wir neu schaffen.

    Groth: Nach dem Vorschlag Wolfgang Schäubles, die Verfassung dahingehend zu ändern, dass ein Quasiverteidigungsfall eintritt, wenn Terroristen eine Passagiermaschine entführen und diese somit von der Luftwaffe abgeschossen werden dürfte, gibt es wieder Streit in der Koalition. Sehen Sie hier auch Handlungsbedarf?

    Ramsauer: Ja, wir haben einen akuten Handlungsbedarf, selbstverständlich, weil wir das neu regeln müssen. Nur wäre ich ganz vorsichtig, denen zu folgen, die sagen, dann ändern wir einfach die Verfassung. Die Verfassung, das Grundgesetz ist ein zu hohes Gut, als dass man es, dieses Grundgesetz, an tagespolitische Erfordernisse anpasst. Man muss umgekehrt reagieren und sagen, wie können wir denn bei gegebener Verfassungslage die Regelungen hinbekommen, die wir zu regeln haben.

    Groth: Zu Beginn unseres Gespräches habe ich unser Interview vor einem Jahr zitiert. Es ging damals um die Rolle der CSU in der Koalition mit CDU und SPD. Über die Konflikte haben wir jetzt ausreichend gesprochen. Wo steht die Landesgruppe nach 14 Monaten Großer Koalition?

    Ramsauer: Ich glaube, wir haben viel nach vorne gebracht, was wir unserer Politik schuldig sind. Das heißt, eine politische Kraft, die sich einer bürgerlichen Grundausrichtung der Politik verschrieben hat, einem wertkonservativen Denkansatz mit gesundem Patriotismus, einem Politikansatz, der sich bewegt zwischen Marktwirtschaft auf der einen Seite und den Grundsätzen der christlichen Soziallehre auf der anderen Seite. Wir haben dies an vielen Beispielen ausführen können, Elterngeld, in sozialpolitischen Dingen, in vielen wirtschaftspolitischen Dingen, in der Steuerpolitik, wir tun es gegenwärtig in der Gesundheitspolitik. Eines ist wichtig, dass die Bundeskanzlerin sich darauf verlassen kann, dass die CSU ein konstruktiver Partner in dieser Großen Koalition ist, dass wir aber trotz aller Erfordernis zum Kompromiss in dieser Großen Koalition uns deswegen nicht von unseren Grundüberzeugungen verabschieden. Diese bleiben Richtschur unserer Politik. Und darauf können sich die Menschen in Deutschland auch verlassen.