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Wo gehobelt wird, da staubt es

Beim Schleifen, beim Fräsen, beim Schneiden; bei der Herstellung von Pigmenten, Farben und Feinstchemikalien; im Bergbau, im Steinbruch, auf Äckern und Baustellen: es gibt unzählige Arbeitsplätze in Deutschland, an denen Beschäftigte permanent Staub einatmen: unsichtbare Stoffe, die so klein sind, dass sie bis tief in die Lunge vordringen.

Volker Mrasek |
    Um diese Arbeitnehmer vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren, gibt es den Allgemeinen Staub-Grenzwert. Erst vor zwei Jahren wurde er festgesetzt. Und schreibt seitdem vor, wie viel Feinstaub am Arbeitsplatz höchstens vorhanden sein darf. Angenommen wird dabei, dass Stäube aus Kohle, Toner oder Talk zwar das Lungengewebe reizen, nicht aber giftig oder gar krebserregend sind.

    Doch diese Annahme könnte grundlegend falsch sein. Das lässt eine tierexperimentelle Studie an der Universität Düsseldorf vermuten. Sie ist noch nicht komplett ausgewertet. Wegen ihrer Brisanz wurde jetzt aber eine erste Kurzfassung ins Internet gestellt, von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Die Behörde sieht einen "Anlass zur Besorgnis":

    Als Ergebnis wurde festgestellt, dass deutliche Hinweise auf ein Krebs-Risiko auch bei Einhaltung des Allgemeinen Staub-Grenzwertes bestehen.

    Die Wissenschaftler testeten eine ganze Reihe von Stäuben, darunter Kohle, Toner und das beliebte Weißpigment Titandioxid. Es wird häufig in Farben und Sonnenschutzmitteln eingesetzt.

    Versuchsratten atmeten die Feinstäube in Konzentrationen ein, wie sie auch an Arbeitsplätzen vorkommen. Die Autoren über das Resultat ihrer Experimente:

    Alle Stäube erzeugten Lungentumoren, meistens dosisabhängig und viel häufiger als erwartet. Der gegenwärtige Kenntnisstand erfüllt die Kriterien für eine Einstufung dieser Stäube in die Kategorie der krebserzeugenden Stoffe nach EU-Richtlinien.

    Damit stellt die Studie das ganze Konzept des Allgemeinen Staub-Grenzwertes in Frage. Es geht davon aus, dass Feinstäube am Arbeitsplatz erst ab einer gewissen Konzentration gefährlich werden - dass es also eine Wirkungsschwelle gibt. Dagegen urteilen die Autoren der Düsseldorfer Studie:

    Für die postulierten Wirkungs-Schwellen fehlt der wissenschaftliche Beweis. Dementsprechend können die gegenwärtigen Allgemeinen Staub-Grenzwerte nicht als gesundheitsbasiert gelten. Denn die Krebs-Giftigkeit wurde bei der Festsetzung nicht auf dem aktuellen Stand diskutiert.

    Das holt man jetzt nach. Auf Druck der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird die Düsseldorfer Studie inzwischen erörtert - in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bundeswirtschaftsministeriums und der Deutschen Forschungsgemeinschaft: Es ist derselbe Experten-Kreis, der vor zwei Jahren den Staub-Grenzwert formulierte.

    Ergebnisse der Studie hätten schon damals vorliegen können. Fünf Millionen D-Mark flossen in das Forschungsprojekt. Es sollte die bisher gründlichste Studie zu Feinstäuben und Krebsrisiko werden. Die Wissenschaftler schlossen ihre Experimente schon vor fünf Jahren ab - doch, so beklagen sie heute rückblickend:

    Es gab ein klares Interesse, die Studie für ihre Auswertung, wie wir sie gerne durchgeführt hätten, unbrauchbar zu machen.

    Die Forscher arbeiten schon seit Jahren nicht mehr an der Düsseldorfer Uni. Nach ihren Angaben gingen die Rechte an dem Experiment an Vorgesetzte in ihrem früheren Institut über. Die aber hätten für die Auswertung wichtige Gewebe-Proben bis heute nicht vollständig rausgerückt. Weil die Studienbefunde zu brisant für die Industrie seien, vermuten jedenfalls die Autoren.

    Das Weißpigment Titandioxid etwa wird in großer Menge in Deutschland erzeugt. hergestellt. Trüge es plötzlich das Etikett "krebserregend", könnte es kaum mehr in Wandfarben und Sonnenschutzmitteln eingesetzt werden.