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Wo Glocken und Kanonen gegossen wurden

900 Jahre Glockengeschichte sind auf Burg Greifenstein aufgereiht. Seit 1984 lockt die befestigte Burganlage, samt ihrem Verließ, unzählige große wie kleine Besucher an. Fast 50 Glocken werden hier ausgestellt. Besucher können sich außerdem über das Gewerbe des Glockengießens informieren, das bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht.

Von Gerd Michalak |
    Deutsches Glockenmuseum
    Deutsches Glockenmuseum (Dt. Glockenmuseum)
    "Als Glockengießer hat man grundsätzlich schon mal besondere Gefühle, wenn man einen Kirchturm betritt und sieht in dem Kirchturm Glocken von Vorfahren. Man weiß, da sind deine Vorfahren schon vor hunderten von Jahren gewesen und haben dort beraten und letztlich dann auch Glocken aufgehängt. "

    Hanns Martin Rincker ist Glockengießer mit Leib und Seele. Der 47jährige mit dem gezwirbelten schwarzen Schnauzbart ist Spross einer Glockengießerdynastie. Er und sein Bruder Fritz sind die 13. Generation des Gewerbes, das seit 1590 besteht - Europas ältester Familienbetrieb. Die kleine Fabrik steht in Sinn – zwischen den Städten Herborn und Wetzlar in Mittelhessen und erinnert an das frühe Industriezeitalter: mit Lehmformen, Glocken-Skizzen, die nur vom Vater an den Sohn weitergegeben werden, und vielerlei Werkzeug.

    "Wir befinden uns hier in der Glockengießerei …ein rauch-geschwärzter Raum. (…) Gemeinden sind ganz besonders fasziniert von dem fließenden Metall, von den Gerüchen, von den vom Staub geschwärzten Hallen. Sie erleben eine Glocke hinterher, die sie lange im persönlichen Leben begleitet."

    Viele Geläute, die die Rinckers über die Jahrhunderte gegossen haben, wurden inzwischen dem Deutschen Glockenmuseum gestiftet.

    Das Museum liegt rund sechs Kilometer entfernt - gut 200 Meter über der Talsohle – in einem Wahrzeichen des Dill-Tales: der Burgruine Greifenstein. Schon von weitem sieht man ihre beiden stolzen Türme. Erbaut wurde die Burg um 1380 von den Grafen zu Solms, um die so genannte "Hohe Straße" - den Handelsweg zwischen Antwerpen, Köln und Frankfurt - zu sichern. Im 17. Jahrhundert ließ Graf Wilhelm Moritz sie zu einem schmucken Barock-Schloss ausbauen. Damals galt sie als eine der stärksten Befestigungsanlagen im Westen des alten Deutschen Reiches.

    Auch im Dreißigjährigen Krieg wurde die Burg nicht eingenommen. Doch der Zahn der Zeit hat mächtig am Gemäuer genagt: Seit 1694 verfiel die imposante Burg allmählich, nachdem die Solmser Grafen in ihre Stammburg nach Braunfels zogen. Burg Greifenstein im Dornröschenschlaf – unzugänglich hinter verwilderten Hecken. Bis zum Jahr 1969.

    "1969 wurde der Verein gegründet, und zwar deswegen, der Graf Oppersdorf (…) wollte die Türme sprengen, weil die ausbrök-kelten, die wären umgefallen. Und wenn unsere Leute hier durchgingen über den Schuttberg, waren die durch Steinschlag gefährdet. Er musste den Weg sicher machen zur Kirche, da gründeten wir den Verein. Für eine Mark bekamen wir den Berg. "

    Paul Lorenzen, 82jähriger Burgführer in Greifenstein, war damals Mann der ersten Stunde im "Greifenstein-Verein". In den folgenden 30 Jahren wurden mit kommunalen und Landesmitteln sowie Spenden rund sieben Millionen Euro verbaut, um die Burgtürme und Ruinenmauern zu erhalten. Der Einsatz hat sich gelohnt. Nicht nur wegen der herrlich Aussicht auf unzählige Ortschaften des Dill-Tales, und - im Hintergrund - den 880 Meter hohen Großen Feldberg im Taunus!

    Seit 1984 lockt die befestigte Burganlage, samt ihrem Verließ, unzählige große wie kleine Besucher an.

    ""Das war schreckliger als heute!”"

    Ein Schmückstück ist ihre Schlosskirche, eine der wenigen Doppelkirchen Deutschlands – unterteilt in die reich verzierte Barockkirche und die darunter liegende ältere und sehr schlichte Katharinenkapelle mit Wehranlagen. Hauptattraktion ist jedoch die Rossmühle, Sitz des Glockenmuseums, die man vom Burghof auf einer engen Steintreppe abwärts erreicht. Etwa 50 Glocken hängen in diesem dezent beleuchteten glockenförmigen Raum:
    Neunhundert Jahre Glockengeschichte sind hier aufgereiht.
    Die fertigen Glocken lassen kaum erahnen, wie spannend es bei ihrer Produktion zuging: Damals wurde flüssige Bronze – aus rund 80 Prozent Kupfer und 20 Prozent Zinn - in eine Lehmform gegossen. Wie heute noch!

    "Zu warten, bis die Glocke dann ausgegraben ist, zu warten, bis sie dann so bereitet ist, das wir ihr den – sagen wir - Klaps auf den Popo geben können, um zu sehen, dass sie so gelungen ist, wie wir sie geplant haben, im Detail auch, auf 16tel Halbton Genauigkeit, da steckt schon ne Spannung drin. "

    Im Museum schwingen vor allem Kinder gerne den Gummihammer und erfreuen sich an den unterschiedlichen Tönen. Auch sonst haben die alten Stücke ihren Reiz. Wer sich die Inschriften genauer anschaut, entdeckt eigenartige Fehler.

    "Das liegt nicht nur daran, dass es früher keinen DUDEN gab und keine Schulpflicht, sondern dass Glockengießer damals wandernd waren und in der Regel Analphabeten. Es gab den Zwang, sich von einem Magister oder Priester, der lesen und schreiben konnte, die Inschrift vorschreiben zu lassen. Und wenn er einen Fehler vorgegeben bekam, hat er den blind übernommen. "

    Bis zum 30jährigen Krieg hatten die Glockengießer noch andere Auftraggeber als Kirchengemeinden. Das hinterließ auch Spuren im Museum:

    "Die Idee meines Vaters war, in diese ehemaligen Schieß-scharten, in denen nachweislich Kanonen gestanden haben, Glocken zu hängen, weil die Verbindung Glocke und Kanone allein technisch eine ganz besondere ist. Denn Glockengießer waren in der Regel auch Kanonengießer. (…) Bis dann irgendwann Friedrich Krupp begann, Stahlgeschütze zu gießen und den Glockengießern ihr wichtiges und angesehenes Zubrot weggenommen hat. Indem er Stahlgeschütze erfand, die sehr viel weiter schossen als Bronzegeschütze."

    Heute - in weniger kriegerischen Zeiten - trauert Hanns Martin Rincker weder dem Kanonenzeitalter noch dem alt-ehrwürdigen Handwerksrecht hinterher.

    "In früherer Zeit war es so gewesen, dass es absolut lebensnotwendig war, dass ein Junge geboren wurde. Es gab nach deutschem Handwerksrecht absolut keine Chance für ne Frau, ne Gießerei zu führen. Starb der Glockengießer-Inhaber hatte die Witwe gefälligst einen anderen Glockengießer-Meisters oder einen Gesellen zu heiraten! "

    Das ist heute Gott sei Dank anders: Wenn Hans Martin Rincker irgendwann einmal seine Glocken dem Museum vermachen sollte, kommt die 14. Generation der Rinckers ans Ruder - womöglich mit einer Tochter als Chefin!