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Wo guter Rat teuer ist

Die Eidgenössisch-Technische Hochschule Zürich gilt als eine Art akademische Kaderschmeide des ingeneur- und naturwissenschaftlichen Nachwuchses. Derzeit kämpfen Hochschulleitung und Professoren intensiv darum, dass das hohe Niveau der ETH gehalten werden kann. Sicher ist das nicht: Denn der übergeordnete ETH-Rat, eine Art Aufsichts- und Kontrollgremium, ist fürs Budget verantwortlich - und das fiel eher mager aus.

Von Thomas Wagner |
    Die mächtige Pausenklingel hallt unüberhörbar durch den großen Kuppelbau mit seinen hohen Gängen. Hier, im Hauptgebäude der ETH-Zürich, bestaunen Studierende und Dozenten eine Ausstellung zur Geschichte der Publizistik. "Gleiche Rechte, gleiche Chancen!" steht auf einem Plakat. Und fast scheint es so, als ob sich ETH-Präsident Professor Konrad Osterwalder diesen Slogan besonders zu Herzen genommen hat.

    "Man braucht nur die Entwicklung der letzten acht Jahre anzuschauen. Dann sieht man, das von 2000 bis 2008 das Budget der ETH im Ganzen um etwa acht Prozent gestiegen ist und das Budget der EPF, der ETH Lausanne, um 27 Prozent gestiegen ist."

    Und das habe mit gleichen Rechten und Chancen nicht mehr viel zu tun: 27 Prozent Budgeterhöhung für die ETH im französischsprachigen Lausanne und nur 8 Prozent für die ETH Zürich - diese Entscheidung sei kaum nachvollziehbar, sagt deren Präsident Konrad Osterwalder. Getroffen hat sie nicht etwa die Schweizer Regierung, sondern der so genannte "ETH-Rat" - eine Besonderheit im Schweizerischen Hochschulsystem.

    "Der ETH-Rat ist das Zwischenglied zwischen dem ETH-Bereich, bestehend aus den beiden Hochschulen ETH-Zürich und ETH-Lausanne und vier Forschungsanstalten."

    Damit hat dieses Gremium mit Hochschulräten in Deutschland nur wenig gemeinsam: Während in Deutschland ein Hochschulrat in der Regel aus unabhängigen Experten besteht und nur für eine einzige Hochschule zuständig ist, steht der ETH-Rat der Schweiz als verbindliches Aufsichts- und Entscheidungsorgan über den beiden konkurrierenden Eidgenössischen Hochschulen in Lausanne und Zürich und über den vier nationalen Forschungsinstituten. Wie viel Lausanne, wie viel Zürich vom großen Kuchen abbekommt, wie viel darüber hinaus an die vier Institute überwiesen wird, entscheidet einzig und alleine der ETH-Rat. Dass Lausanne in den vergangenen Jahren stets bevorzugt wurde, wurmt die Züricher. Denn der gute Ruf der Hochschule ist in Gefahr. ETH-Präsident Professor Konrad Osterwalder:

    "Die Hochschulleitung wird grundsätzlich entscheiden müssen, ob sie gewisse Bereiche einschränkt oder sogar schließt oder ob sie irgendwo Abstriche an den Qualitätsansprüchen machen wird. Ich kann Ihnen schon jetzt sagen: Die Hochschulleitung hat ganz klar entschieden, dass Qualitätsniveau aufrecht zu halten und womöglich zu verbessern. Und das heisst: Wenn große Einsparungen nötig sind, fallen gewisse Projekte eben raus."

    Aus formalen Gründen hat Osterwalder Beschwerde gegen die jüngste Budgetentscheidung beim Schweizer Bundesrat eingelegt - und damit eine Diskussion ausgelöst, die dieser Tage in der Forderung nach der Abschaffung des ETH-Rates gipfelt,

    "...weil er keinen Rat beisteuert. Er berät nicht die Hochschulen, er kontrolliert sie: Für mich ist es eine Polizei-Institution, die versucht, Schwächen zu finden, Fehler auszumerzen, aber nicht eigentlich zu helfen, beizustehen. Für mich ist das kein Rat."

    Kein Geringerer als Professor Richard Ernst, der 1991 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde, hat sich zum Wortführer all jener aufgeschwungen, die eine Streichung des ETH-Rates fordern. Der nämlich untergrabe durch sein Mitspracherecht beim Budget sowie bei Struktur- und Personalfragen die Autonomie der Hochschulen.

    "Für mich ist eine Universität eine autonome Institution, die Verantwortung für sich selbst tragen muss. Natürlich muss ihr gewisse Randbedingungen gesetzt werden durch die Politik. Und dann, in diesem politisch gesetzten Rahmen, sollten die Universitäten frei sein."

    Was die beiden ETH's der Schweiz aber nicht sind - im Gegensatz zu den deutschen Hochschulen, aber auch im Gegensatz zu den kantonalen Universitäten der Schweiz, die von den Kantonen finanziert werden und dem ETH-Rat nicht unterstellt sind. Die rebellierenden Züricher Forscher wittern Ungleichbehandlung. Wie einst der Schweizer Freiheitskämpfer Wilhelm Tell fordern sie daher die Freiheit ihrer Hochschule vom Joch des ungeliebten Aufsichtsgremiums. Und sie führen ein gewichtiges Argument ins Feld: Der Forschungsstandort Zürich, wo bislang Dutzende von Nobelpreisträgern tätig waren, sei in Gefahr.

    "Sobald man etwas Innovatives tun möchte, wenn man ein neues Institut gründen möchte, eine neue Richtung einführen, dann klemmt es. Es braucht eben auch die Innovation im Großen. Und die wird auf diese Art und Weise verhindert. Und das führt dann zu einer Stagnation."

    Der ETH-Rat, der aus unabhängigen Experten, Hochschulangehörigen und Politikern besteht, hält sich in der derzeitigen Debatte zurück. Da bei der Schweizer Regierung eine Beschwerde gegen die jüngste Mittelverteilung einging, wolle man sich als Betroffener in einem schwebenden Verfahren nicht äußern. Und so bleibt auch im Dunkeln, weshalb die ETH-Lausanne in den vergangenen Jahren gegenüber Zürich überproportional unterstützt wurde. Nobelpreisträger Richard Ernst glaubt den Grund zu kennen: Dahinter verberge sich der Ur-Schweizerische Dauerzwist zwischen der französischsprachigen Westschweiz und der deutschsprachigen Ostschweiz.

    "De Rösti-Graben, genau - und Zürich wird so als Schweizerischer Wasserkopf betrachtet, wo alles Geld hin fließt. Aber ich glaube, das könnte man dadurch lösen, dass man die beiden Hochschulen besser voneinander trennt. Dass sie wenigstens im Materiellen nicht so direkt aufeinander stoßen."

    Trennung bedeutet: Abkopplung der ETH's Zürich und Lausanne vom ETH-Rat und eigene Budgethoheit, eigene Autonomie auch in Personalfragen. Die politische Diskussion dazu ist angestoßen. Was dabei herauskommt, wird sich aber erst in ein paar Monaten zeigen.