Donnerstag, 28. März 2024

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Wo Himmel und Erde sich berühren

"Wo sind wir, wenn wir Musik hören?" fragt der Philosoph Peter Sloterdijk. Und verweist darauf, dass Musik wie kaum ein anderes Medium als Eintrittskarte in eine Welt jenseits von Zeit und Raum dienen kann. Es scheint durch alle Kulturräume und Kontinente hindurch ein gemeinsames musikalisches Hintergrundrauschen zu geben. Von den archaischen Klangritualen der Frühzeit, der religiös gefärbten Musik des Mittelalters, der Gipfelmusik westlicher Klassik bis zu den Improvisationen des Jazz. Musik als klingende Spur einer unsichtbaren Ewigkeit.

Von Burkhard Reinartz | 24.03.2007
    Viele epocheprägenden Musiker verstanden sich mehr als Medium für transzendente Klänge denn als eigenständige Produzenten. So bezeichnete sich Gustav Mahler als "ein Instrument, auf dem das Universum spielt" und Bach sagte, er spiele zwar die Noten, mache aber nicht selbst die Musik. Die Lange Nacht macht hörbar, dass die spirituelle Dimension der Musik auch in der säkularisierten Moderne die Unterströmung vieler Gegenwartskünstler bildet. Musiker, Dichter, Philosophen und vor allem die Musik selbst geben in der langen Nacht dem Klang der Ewigkeit quer durch alle Genres ihren Ausdruck.

    Auszüge aus dem Manuskript:

    In the beginning, was the drum - am Anfang war der Rhythmus, heißt es.
    Oder vielleicht doch eher eine Vorform der Melodie als Warnruf, Wehklage oder Freudenschrei? Was war zuerst da: die Sprache oder die gezielte musikalische Äußerung? Vereint der Schamane, der unter beschwörenden Trommelklängen versucht, summend und tanzend die bösen Geister zu bannen, Musik und sprachlichen Ausdruck?
    Einer der bekanntesten Gegenwartsmusiker Indiens, Hariprasad Chaurasia, Meister der Bambusflöte Bansuri, beschreibt die gemeinsame Tonsubstanz von Himmel und Erde so: "Der Klang ist immer da. Wenn du still bist, kommt der Klang von innen und das gibt dir dieses hingebungsvolle, göttliche Gefühl. Überall wirst du Klang finden. Selbst wenn du draußen neben einem Baum stehst, hörst du die Bäume rauschen und die Winde fliegen in dein Ohr und das schenkt dir einen wunderschönen Klang".
    Homepage von Hariprasad Chaurasia
    Tag und Nacht Musik
    ein helles, ruhiges Lied des Schilfrohres.
    Wenn es verblasst, verblassen wir
    Jellaludin Rumi
    Musik ist mehr als die Summe von Melos, Rhythmus, Harmonie und Dynamik.
    Sie übersteigt ihre Parameter, die sozusagen ihr inneres Skelett bilden. In diesem Sinne schrieb Beethoven" "dass Musik höhere Offenbarung ist als alle Weisheit und Philosophie".

    Musik ist von höchster Bedeutsamkeit und gleichzeitig im strengen Sinne des Wortes "sinnlos". Sie demonstriert Zwecklosigkeit in einer zweckbeherrschten Welt. Und gerade weil Musik keinen zweckrationalen Sinn hat, trägt sie die Möglichkeit eines existentiellen, empirisch nicht fassbaren Sinns in sich. Sie verweist ins letztlich Unsagbare - ins Geheimnis.
    "In der Musik gibt es keine intellektuelle Logik. Die gibt es sehr wohl in allem, was nicht Musik ist. Wenn jemand sagt: zu schnell, zu kräftig, der weiß gar nichts.
    Das Wesentliche der Musik, also die Musik selbst, ist nicht einmal in den Tönen: sie ist nirgends. Außerzeitlich. Sie wird in der Transzendenz".
    Sergiu Celibidache
    Der vordergründig entzauberten Welt entspricht ein gebrochenes Musikerleben, das sich den Zugang zur spirituellen Dimension der Musik erst wieder neu erschließen muss. Jeder wird sich selbst beantworten müssen, ob er Mozarts unvollendetes Requiem als Sturz ins Nichts erlebt oder als Tür zur Ewigkeit. Doch gerade im Angesicht von Brüchigkeit und Paradoxie menschlicher Existenz scheint im momenthaften Erleben von Musik die Erfahrung einer geglückten Existenz möglich - und sei es nur für Augenblicke.
    "Wir alle sind Musik, die von unserem Schicksal vorgetragen wird.
    Jeder trägt einen Schlüssel in sich, den er zu entziffern versteht oder auch nicht;
    das Glück erlangt man nur über den Einklang seines Wesens mit dem Ton, den es ausdrückt."
    Helène Grimaud
    Das Erlebnis einer überirdischen Ergriffenheit durch musikalische Klänge ist nicht willentlich herstellbar und auch nicht jedem Menschen in gleicher Weise zugänglich. Doch setzt es immer ein existentielles Berührt sein voraus. Wenn Mozarts Zauberflöte die Macht der Liebe beschwört, eine Symphonie Mahlers den alles verbindenden Kreislauf des Lebens durchmisst oder ein Lied Schuberts den Abschiedsschmerz besingt, werden uns Augenblicke geschenkt, in denen wir uns mit allem in Einklang setzten können, was Leben ausmacht. Vielleicht zeigt Musik immer dann eine überirdische Qualität, wenn sie ein Ringen um die letzten Geheimnisse des Daseins wiederspiegelt oder die Schönheit und Tiefe der Welt feiert. Besonders dann, wenn es um die großen Lebensthemen geht wie Schicksal, Liebe, Tod oder der Sinn des Lebens. Für all diese Fragen gibt es letztlich keine sprachlichen Antworten. Es sind die in Töne und Melodien eingewobenen musikalischen Botschaften, die uns Antworten ahnen lassen.
    Besonders der Augenblick, wenn die Musik schweigt, aber der Klang noch im Raum ist und in uns selbst weitertönt, kann die Seele für die Ewigkeit öffnen. Gewandelt wird dann die Zeit selbst. Von einer in Minuten und Sekunden messbaren Zeit in eine Zeit jenseits des linearen Zeitstroms.
    "Jedes mal wenn ich höre, wie ein Orchester vor Konzertbeginn sich einstimmt, erlebe ich die Augenblicke vor dem Einsetzen der Musik bereits als Musik. Das Klangchaos enthält die Musik. In der Pause der Stille ist schon die Musik anwesend. Die Musik ist schon "da", ehe jemand sie hört. Das Göttliche ist im Kommen, und schon wieder im Gehen. Gegönnt ist es uns nur für kurze Zeit, für eine zeitlose Zeit.
    Luise Rinser
    Es geht darum, die Seele wieder auf ihren eigenen Ton einzustimmen, durch den sie das Unendliche erfahren kann".
    Hazrat Inyat Khan
    "Was wir brauchen ist Stille........
    Wir brauchen diese Stille nicht zu fürchten........
    Wir könnten sie lieben......."
    John Cage
    Literatur:
    Ein Hauch der Gottheit ist Musik
    Gedanken großer Musiker
    Ausgewählt und herausgegeben von Meinrad Walter
    Patmos-Verlag 2006 Düsseldorf ISBN 3-491-40577-2
    Was wäre das leben ohne Musik?
    Gedanken und Gedichte
    herausgegeben von Michael Fischer
    Benziger im Patmos-Verlag Düsseldorf 3.Auflage 2000 ISBN 3-545-20 167-8
    Otto Zsok: Musik und Tranzendenz
    Ein philosophischer Beitrag zur Eruierung der geistig-spirituellen Inhalte der großen abendländischen Musik
    (Gregorianik, Bach, Beethoven und Mozart)
    EOS Verlag 1998 ISBN 3-88096-927-2
    Hazrat Inayat Khan
    Musik und kosmische Harmonie aus mystischer Sicht
    Verlag Heilbronn, Heilbronn 1990, Übers. Inge von Wedemeyer ISBN 3-923000-49-9