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Wo politische Morde an der Tagesordnung sind

Auf den Philippinen wird am 14. Mai gewählt. Das Abgeordnetenhaus, die Hälfte der Senatorenposten und Tausende lokale Mandate werden neu besetzt. Eine Schicksalswahl möglicherweise für Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo, die beschuldigt wird, ihre Wiederwahl 2004 manipuliert zu haben.

Von Thomas Kruchem |
    Die Präsidentin muss, wenn die Opposition genügend Sitze erringt, mit einem "impeachment" rechnen - einem Amtsenthebungsverfahren, das schon ihren Vorgänger Estrada vom Präsidentensessel ins Gefängnis beförderte. Auf Arroyo zurückschlagen könnten überdies zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, mittels derer sie in den letzten Jahren ihre Macht zu stabilisieren versuchte.

    " Es geschah vor fünf Monaten. Mehrere Männer in Kampfuniform traten eines Abends die Tür unseres Hauses ein. Sie bedrohten uns mit Schnellfeuergewehren, fragten meinen Sohn Raymond nach seinem Namen, schlugen ihn ins Gesicht und in den Bauch. Als sie Raymond gerade abführen wollten, kam dessen Bruder Reynaldo zur Tür herein. Auch ihn packten die Männer und verschwanden dann mit den beiden. - Ich grüble nun, warum nur Raymond und Reynaldo festgenommen wurden. Vielleicht wegen ihres Bruders Bistre. Der hat vor Jahren mal für die kommunistischen Rebellen gekämpft und ist seitdem untergetaucht. "

    Eine kleine Frau mit rotgeweinten Augen, ein zerschlissenes Kleid über dem vom Lastentragen gebeugten Körper. Verzweifelt klammert sich Ester Manolo an den Schreibtisch der Verschwundenen-Hilfsorganisation "FIND" in Manila. - Vergangene Nacht nicht geschlafen hat Butch Olano, Mitarbeiter der Bauernorganisation "Parfund". Zwei Männer in einem Auto warteten vor seinem Haus. Attentäter, glaubt Butch - wie die, die kürzlich seinen Kollegen Rico ermordeten.

    " Im April wurde auf der Zuckerinsel Negros Rico Adeva erschossen, der dort Arbeiter beriet bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche aus der Landreform von 1986. Rico und seine Frau überquerten - auf ihrem Weg nach Hause - gerade einen Fluss, als drei Männer aus einem Zuckerrohrfeld auftauchten und Rico mit Kugeln geradezu durchlöcherten. Er war einer unserer besten Berater. Unzähligen Bauern hat er geholfen, Land, das ihnen gerichtlich zugesprochen war, tatsächlich in Besitz zu nehmen. "

    Die Philippinen - südostasiatische Republik der 7.000 Inseln mit knapp der Landfläche Deutschlands; mit 90 Millionen, meist katholischen, Einwohnern. Nach 330 Jahren spanischer und 50 Jahren amerikanischer Kolonialherrschaft waren die Philippinen bis Ende der 60er Jahre hinter Japan zweite Wirtschaftsnation Asiens; heute gelten sie als Armenhaus. Florencio Abad, bis 2005 Erziehungsminister der Philippinen, zu den Ursachen der Misere:

    " Sehr wenige Familien kontrollieren Politik und Wirtschaft in diesem Land. Ein jesuitischer Wissenschaftler hat in den 80er Jahren mal die Verbindungen zwischen den großen Unternehmen hier durchleuchtet. Sein Ergebnis: Gerade 60 Familien kontrollierten alle wirtschaftlichen Schlüsselsektoren. Heute dürften es noch weniger sein. - Andererseits leben 60 Prozent der philippinischen Bevölkerung in absoluter Armut sowie, großenteils, in Abhängigkeit von den reichen Familien. Es handelt sich dabei um teils über Jahrhunderte gewachsene Strukturen wirtschaftlicher, kultureller und politischer Patronage - um Strukturen, die den Armen, als Gegenleistung für Hilfe in der Not, bedingungslose Loyalität abverlangen. Da liegt es natürlich im Interesse der Reichen, diese Strukturen zu bewahren und die vielen Armen ungebildet zu halten. "

    Das mangelhafte Bildungswesen, die Erstarrung weiter Teile der Gesellschaft im Althergebrachten - all das behindert seit langem die Entwicklung der Philippinen: Bis heute produzieren 40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Zucker, Kopra und Reis; die Arbeiter der international drittrangigen Industrie erzeugen wenig mehr als Elektronik und Kleider ...

    ... derweil die katholische Kirche konsequent wirksame Familienplanung unterbindet und so beiträgt zum höchsten Bevölkerungswachstum Asiens, das immer mehr arme Landarbeiter und Slumbewohner produziert.

    Seit mehr als 30 Jahren werden auf den Philippinen Konflikte um Landbesitz ausgetragen, die eine zaghafte Landreform nur begrenzt zu entschärfen vermochte; über 30 Jahre schon schwelt auf den großen Inseln eine maoistische Rebellion, kommt es im muslimischen Süden zu sezessionistischen Aufständen.

    Seit dem Sturz des Diktators Ferdinand Marcos 1986 herrscht zwar formal Demokratie. Tatsächlich jedoch sind, vom Militär abgesehen, die Institutionen schwach, Regierungskoalitionen instabil, viele Amtsträger korrupt.

    Ein Klima der Gewalt bestimmt das politische Leben: Die Mächtigen entledigen sich ihrer Kritiker und Gegner immer häufiger auf die gleiche Weise wie einst Diktator Marcos: Mehr als 1.000 Personen wurden seit 2001, als Gloria Macapagal-Arroyo Präsidentin wurde, erschossen oder verschwanden.

    Morde sind an der Tagesordnung, begangen oder zumindest befürwortet durch hohe Träger der öffentlichen Gewalt auf den Philippinen. Die Opfer: zum Teil maoistische Guerilleros in den Bergen der großen Inseln und muslimisch-sezessionistische Terroristen im Süden, die selbst rücksichtslos auch gegen Zivilisten vorgehen.

    Opfer sind, zum größeren Teil jedoch, gewaltlos agierende Mitglieder der legalen Opposition, die auch im Parlament vertreten ist - Sozialisten zum Beispiel, Förderer einer tatsächlichen Landreform und, neuerdings, Gegner einer massiven Ausweitung des auf den Philippinen höchst problematischen Bergbaus.

    Gold, Kupfer und Zink werden seit zwei Jahren beispielsweise auf Rapu-Rapu gefördert - einem gerade mal 5.000 Hektar großen Eiland vor der Südküste der Insel Luzon. Bedingt durch in diesem Gebiet sehr häufige Taifune, wurden bereits mehrfach hoch gelegene Becken voller Giftabfälle überflutet - berichtet empört Arturo Bastes, katholischer Bischof der lokalen Diözese.

    " Um den Damm des Abfallbeckens zu retten, bohrten Arbeiter der Mine ein Loch hinein und leiteten dadurch die giftige Brühe in die Bäche der Insel, über die Felder, ins Meer. All die giftigen Abwässer leiteten sie die Hänge hinab - weil sonst ihr Damm gebrochen wäre. Sie hätten erleben sollen, wie sich das Land verfärbte - und den Gestank. "

    Tausende Kubikmeter Zyanid- und Schwermetallbrühe ergossen sich in die Bäche der Insel. Auf Rapu-Rapu darf dessen ungeachtet die australische Firma Lafayette weiter Gold, Kupfer und Zink fördern. Daran änderten auch ein Erdrutsch am 30. November 2006, der 22 Menschenleben forderte, und energische Proteste der lokalen Bevölkerung nichts. Juristische Konsequenzen der Unfälle hat die Firma Lafayette derzeit nicht zu befürchten.

    " Es gab eine Sammelklage, die der unabhängige Rechtsanwalt Gil Gojol angestrengt hatte. Leider jedoch wurde Rechtsanwalt Gojol vor wenigen Monaten von Unbekannten erschossen. "

    Ein politisch motiviertes Attentat, wie es auf den Philippinen zur Zeit fast jede Woche verübt werde - betont Alfonso Cinco, Vertreter der Menschenrechtsorganisation "Karapatan" in Manila. Das Ziel sei, einerseits Schlüsselfiguren des Widerstands zu eliminieren und andererseits Angst zu verbreiten.

    " Seit 2001 steigt die Zahl der politischen Morde auf den Philippinen - von denen die meisten einem bestimmten Muster folgen. Sowohl die Art der Hinrichtung als auch das Profil der Opfer sind fast immer gleich. Umgebracht, das heißt in der Regel von Motorrädern aus erschossen, werden Führer und Mitglieder legaler, linksorientierter Organisationen - Mitglieder zum Beispiel von "Karapatan" oder der Partei "Bayaan Muna". Die Opfer sind stets unbewaffnete Zivilisten, keine Rebellen. "

    Laut "Karapatan" wurden seit dem Amtsantritt von Präsidentin Macapagal-Arroyo 2001 rund 800 Oppositionelle ermordet; weitere 200 Oppositionelle sind verschwunden.

    Um die Angehörigen von Verschwundenen kümmert sich die Organisation "FIND" in Manila. Gemeinsam mit den Angehörigen suchen "FIND"-Mitarbeiter nach den Verschwundenen - in Gefängnissen, Leichenhallen und anonymen Gräbern; unterstützt von "Misereor". "FIND"-Mitarbeiter Joey Faustino, dessen Bruder unter Diktator Marcos verschwand, kann nachempfinden, was die Angehörigen durchmachen.

    " Anfangs mischt sich in den Schmerz, einen geliebten Menschen verloren zu haben, blanke Wut - weil Du weißt: Es war das Militär, das diesen Menschen entführt hat, die Mächtigen; und Du selbst bist machtlos; Du kannst absolut nichts tun. - Es folgt eine Phase der Hoffnung: Über Jahre versuchst Du Dir einzureden, dass Dein Angehöriger irgendwann wieder vor der Tür steht. Und wenn Du bei Exhumierungen unbekannter Leichen dabei bist, hoffst Du einerseits, endlich Sicherheit zu finden; andererseits betest Du, dass der geliebte Mensch nicht in diesem Grab liegt. - Irgendwann dann schwindet die Hoffnung; es bleibt die offene Wunde quälender Ungewissheit - die möglicherweise nie aufgehoben wird durch die letztlich beruhigende Nachricht vom Tod des Angehörigen. - Mein Vater sagte immer: "Bevor ich sterbe, möchte ich unbedingt wissen, was mit meinem Sohn Jerry geschah." Inzwischen ist der Vater tot; er hat nie eine Antwort auf die Fragen erhalten. "

    Regierung, Militär und ihnen nahe stehende Kreise geben einerseits politische Morde und Entführungen nicht offen zu; andererseits versuchen sie, die Vorfälle zu rechtfertigen. Man befinde sich im Krieg, ist immer wieder zu hören; seit 30 Jahren im Krieg mit der kommunistischen Guerilla-Organisation "Neue Volksarmee", der NPA.

    In diesem Sinne argumentiert auch Marit Remonde, geborene Dänin, überaus fröhlich wirkende Leiterin einer privaten Radiostation und Frau des Chefs der staatlichen Massenmedien.

    " Wer seine journalistischen Hausaufgaben macht, wird bemerken, dass alle Getöteten Frontorganisationen der kommunistischen NPA, der "Neuen Volksarmee", angehören. Die NPA jedoch führt einen Krieg gegen die Regierung; und in jedem Krieg wird getötet. - Ich will damit nichts rechtfertigen; aber wir können die Tötung all dieser Aktivisten nicht einfach trennen von dem Krieg, den die NPA gegen die Regierung führt. "

    Zuständig für die so genannte "Neutralisierung" von Staatsfeinden ist auf den Philippinen traditionell das Militär - ein Militär, das sich allerdings, wie Menschenrechtsaktivist Alfonso Cinco bemerkt, zusehends gespalten zeige: auf der einen Seite loyale Helfer der Herrschenden, auf der anderen kritische Demokraten.

    " Bestimmte Offiziere der philippinischen Armee haben uns Memoranden aus 2004 und 2005 übergeben, die ein so genanntes "Zielerfassungskonzept" dokumentieren. Nach diesem Konzept im Rahmen des "Anti-Rebellen-Programms" der Regierung werden Vertreter mehrerer legaler politischer Organisationen zu Kombattanten hochgestuft. Das heißt, sie gelten für die Sicherheitskräfte jetzt als legitime Ziele. Ein Memorandum begrenzt, darüber hinaus, den Zeitraum, in dem eine als Ziel erfasste Person zu neutralisieren ist, auf drei Monate. Die Mittel, jemanden zu neutralisieren, reichen dabei von Einschüchterungsversuchen und Drohungen über Bestechung und körperliche Angriffe bis hin zur Eliminierung der Zielperson. Wer auf anderem Wege nicht zu neutralisieren ist, wird umgebracht. "

    Über lange Zeit, erklärt Cinco, habe die Regierung im Untergrund wirkende Menschenrechtler, Arbeiter- und Bauernführer gedrängt, am legalen politischen Leben teilzunehmen, bei Wahlen anzutreten und in öffentlichen Institutionen mitzuarbeiten. Vor wenigen Jahren schließlich hätten sich etliche Politiker der Linken dazu entschieden, das Angebot anzunehmen - mit dem Ergebnis, dass der Staat jetzt Mordanschläge auf sie verübe.

    Einblick in den Hintergrund solcher Anschläge hat die langjährige Ministerin Corazon Juliano. Noch vor einigen Jahren habe sich Präsidentin Arroyo durchaus engagiert für Menschenrechte, inneren Frieden und die Stärkung öffentlicher Institutionen. Als die Präsidentin jedoch wegen der Manipulation ihrer Wiederwahl 2004 unter Druck geriet, habe sie, um davon abzulenken, so genannte innere Sicherheit zum Schwerpunkt ihrer Politik gemacht, den Kampf gegen den Kommunismus. Corazon Juliano:

    " Bei einer Kabinettssitzung am 5. Juli 2005 sagte die Präsidentin apodiktisch, im Zentrum der Regierungspolitik stehe ab sofort die nationale Sicherheit. Der Staat müsse eine gewisse Angst im Volk erzeugen und seine Muskeln zeigen. Zugleich müsse man den ärmeren Teil der Bevölkerung mittels einiger sozialer Wohltaten auf die Seite der Regierung ziehen. Sie werde deshalb das Budget des Sozialministeriums für kurze Zeit erhöhen. "

    Eine Politik, die das staatliche Sozialbudget zur Manövriermasse der Parteipolitik mache, so Corazon Juliano, habe sie nicht länger mittragen können. Gemeinsam mit dem damaligen Erziehungsminister Florencio Abad und weiteren, eher reformorientierten Kollegen zog sie sich aus dem Kabinett zurück.

    Von einem Hochhaus in Manilas Stadtteil Pasig City aus betreiben die ehemaligen Minister jetzt den Sturz von Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo. Als deren gefährlichsten Verbündeten bezeichnet Corazon Juliano Generalmajor Jovito Palparan, einen drahtigen Offizier, an dessen Händen das Blut Hunderter Oppositioneller klebe.

    Inzwischen, meint Corazon Juliano, sitze Präsidentin Arroyo einer Quasi-Militärregierung vor - einer Regierung, die mit allen Mitteln versuche, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern.

    Bislang würden viele Bürger zu den von staatlichen Institutionen begangenen Morden schweigen - beklagt in Cebu City Leo Lastimosa, Moderator eines lokalen Fernsehsenders. Selbst die einflussreiche katholische Kirche habe nur Hirtenbriefe gegen die Morde veröffentlicht; sie habe jedoch nicht - wie einst gegen die Marcos-Diktatur - Kampagnen organisiert und Gemeinden mobilisiert. Die meisten Medien würden über politische Morde so distanziert und oberflächlich wie über einen Autounfall berichten.

    " Wer hierzulande als Journalist Menschenrechtsverletzungen kritisiert, wird sofort als so genannter "Linker" gebrandmarkt. Deshalb fassen unsere Medien solche Themen nur mit spitzen Fingern an - ganz anders als in den 70er und frühen 80er Jahren, als viele Journalisten Menschenrechtsverletzungen vehement anprangerten. Heute behandeln wir sogar politische Morde so distanziert, als seien wir gar nicht Teil jener Gesellschaft, die durch derlei Machtmissbrauch vergewaltigt wird. - Wir Journalisten sind denn auch mitverantwortlich zum Beispiel dafür, dass bis heute Vigilanten morden in unseren Städten. Wir haben es versäumt, die Bürgermeister unter Druck zu setzen, sie und die Polizei zur Verantwortung zu ziehen dafür, dass sie mit den Gesetzen spielen, anstatt sie durchzusetzen. Wir als - eigentlich zur Kritik verpflichtete - Journalisten tolerieren praktisch einen Zustand der Gesetzlosigkeit - aus purer Angst, als Terroristen, Linke oder Staatsfeinde gebrandmarkt zu werden. "

    Allmählich jedoch, so scheint es, kommt Bewegung in die kampferprobte Zivilgesellschaft der Philippinen. Immer mehr Bürger und auch prominente Politiker empören sich über politische Morde, fordern, das Schicksal von Verschwundenen aufzuklären. Und: das Repräsentantenhaus hat kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das staatliches Verschwindenlassen von Menschen explizit verbietet.

    Ein kleiner Erfolg der Menschenrechtsorganisation "FIND", die unterstützt wird vom deutschen katholischen Hilfswerk "Misereor". "FIND" hat auch an einer UN-Konvention mitgearbeitet, die das Verschwindenlassen international ächtet.

    Durch die Altstadt von Manila zieht an diesem Sonntag eine Prozession zu Ehren des Jesuskindes. Mit dabei: Ester Manolo, Mutter der verschwundenen Raymond und Reynaldo Manolo. Inbrünstig hält die kleine Frau eine hölzerne Christusfigur in den Armen und bittet Gott, ihr die Söhne lebend zurückzugeben.