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Wo Rilke und Kraus residierten

Schloss Janowitz, 60 Kilometer südöstlich von Prag, beherbergte hohe literarische Gäste: Karl Kraus und Rainer Maria Rilke zählten zu ihnen. 1999 hatte der damalige Kulturstaatsminister Michael Naumann - ein ausgewiesener Karl-Kraus-Kenner - die Idee, das Schloss zu einer deutsch-tschechischen Begegnungsstätte zu machen. Nach langen Jahren des Umbaus ist es endlich soweit.

Von Kilian Kirchgeßner |
    Als sie zum ersten Mal das Schloss gesehen hat, auf dem sie künftig leben sollte, ist Ludmila Fiedlerova kräftig erschrocken. Kastallanin ist sie, und man hatte sie zum Dienst auf Schloss Janowitz eingeteilt.

    "Als ich hier zum ersten Mal hingekommen war, im Januar 1983, also vor mehr als einem Vierteljahrhundert - da hatte ich den Eindruck, das Schloss liege im Dornröschenschlaf. Zugewachsen war es nicht, aber in allen freien Winkeln häuften sich Abfall und Bauschutt, überall liefen Arbeiter herum und etwas abseits gelegen hatte man einen Raum geweißelt, da sollte ich einziehen."

    Seit Jahrzehnten schon ziehen sich die Renovierungsarbeiten auf Schloss Janowitz hin. Im Südböhmischen liegt es, irgendwo zwischen Prag und Passau. Das tschechische Nationalmuseum kümmert sich um die Liegenschaft, und weil das Geld notorisch knapp ist, wurde immer nur so viel renoviert, wie gerade Finanzen vorhanden waren. Jetzt endlich sind die Arbeiten abgeschlossen, das Nationalmuseum hat die Räume öffentlich zugänglich gemacht. Kastallanin Ludmila Fiedlerova:

    "Unsere kleine Ausstellung hier heißt Rilke, Kraus und das Schloss Janowitz. Sie ist der letzten Bewohnerin des Schlosses gewidmet, der Baronin Sidonie Nadherny von Borutin. Sie hatte das Schloss zu einem Treffpunkt für die Geistesgrößen ihrer Zeit ausgebaut, die berühmtesten Gäste waren Rainer Maria Rilke und der österreichische Schriftsteller Karl Kraus."

    Diese Glanzzeiten von Schloss Janowitz liegen inzwischen weit mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Sie endeten mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in der damaligen Tschechoslowakei - die Soldaten nutzten das Schloss als Kaserne, später diente es der Roten Armee als Reparatur-Werkstatt für Panzer und schließlich der tschechoslowakischen Textilindustrie als Auslieferungslager. Erst in den 60-er Jahren hat das Nationalmuseum im Schloss Janowitz die Regie übernommen. Kastallanin Ludmila Fiedlerova:

    "Das Nationalmuseum ist gerade im letzten Moment hier aufgetaucht, sagt Kastallanin Ludmila Fiedlerova. Als das Textillager aus dem Schloss ausgezogen ist, war der Park hoffnungslos zugewuchert und das Gebäude selbst in grauenhaftem Zustand. Die Mauern haben sich schon gebogen und alles stand kurz davor, komplett einzustürzen."

    Millionenschwer war der Aufwand, das Schloss wieder in guten Zustand zu bringen. In drei Etappen haben diese Rettungsaktionen stattgefunden, die letzte geht gerade zu Ende. Erst jetzt können die Besucher wieder nachvollziehen, warum Janowitz seinerzeit eine solche magische Wirkung auf die großen Künstler hatte. Mit dem großen Landschaftspark sei das Schloss eine abgelegene Oase der Inspiration gewesen, sagt Kastallanin Ludmila Fiedlerova.

    "Karl Kraus saß häufig an dem steinernen Tisch im Schlosspark. Ringsum tobte der Erste Weltkrieg, nur Janowitz war eine ruhige Insel. Kraus arbeitete verbittert an seinem Werk "Die letzten Tage der Menschheit" - und dann plötzlich setzte sich ein Schmetterling auf den Tisch. Da legte er die Arbeit zur Seite und schrieb Poesie - mitten im Krieg entstand hier zum Beispiel das Gedicht "Wiese im Park"."

    Mehrere Bände füllen die Werke, die im Schloss Janowitz entstanden sind. Sie alle stehen heute in der dunkel vertäfelten Bibliothek - und sie erinnern an die Baronin Sidonie Nadherny von Borutin, die Schlossherrin. Sie war eine enthusiastische Liebhaberin der schönen Künste und eine großzügige Mäzenin.

    "Sidonie war eine gebildete, begabte Frau mit großem persönlichem Zauber. Für die Literatur, besonders für Poesie, hat sie sich seit ihrer Kindheit interessiert. Sie hat sich für bildende Kunst begeistert, für Musik, auf ihren Reisen hat sie fast ganz Europa kennengelernt. Und überall hat sie spannende Leute getroffen. Deshalb zählten viele Literaten und Künstler aus den unterschiedlichsten Genres zu ihrem Freundeskreis."

    Für Karl Kraus war die Bekanntschaft mit Sidonie Nadherny mehr als pure Freundschaft. Eine unerfüllte Liebe war es, die ihn und die Baronin verband. Er war ihr verfallen, er wollte für sie sogar seine Zeitschrift "Die Fackel" aufgeben, als sie in der Blüte ihres Erfolges stand, aber die Baronin schreckte stets vor einer festen Verbindung zurück. Die Briefe von Karl Kraus an Sidonie Nadherny sind inzwischen als Buch erschienen - auch diese beiden Bände sind jetzt in der Bibliothek von Schloss Janowitz zu sehen, in der neuen Ausstellung.