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Wo Separatismus zum guten Ton gehört

Vor knapp einem Jahr wurde in Belgien gewählt. Doch eine neue Regierung ist immer noch nicht in Sicht. Vor allem in Antwerpen sind es längst nicht mehr nur die rechten flämischen Nationalisten, die von einem unabhängigen Flandern träumen.

Von Alois Berger | 08.04.2011
    Vor knapp einem Jahr wurde in Belgien gewählt. Doch eine neue Regierung ist immer noch nicht in Sicht. Vor allem in Antwerpen sind es längst nicht mehr nur die rechten flämischen Nationalisten, die von einem unabhängigen Flandern träumen.

    Antwerpen, am Ufer der Schelde. Zu jeder vollen Stunde weht der Wind die Klänge des Carillons von der Liebfrauenkirche herüber. Antwerpen ist die zweitgrößte Stadt Belgiens und die Hochburg der flämischen Separatisten. In den 60er-Jahren feierte hier die Volksunie ihre großen Erfolge, in den 90ern war es der rechtsextreme Vlaams Blok, später Vlaams Belang, der hier zeitweise 30 Prozent der Stimmen holte. Und jetzt ist es die Neu-Flämische Allianz mit ihrem Frontmann Bart De Wever, die alle Rekorde schlägt. In Antwerpen gehört der Separatismus schon fast zum guten Ton. Selbst ausgewiesene Linke wie der Philosophieprofessor Ludo Abicht hoffen auf ein freies Flandern, ein linkes Flandern natürlich.

    "Wir möchten einfach sagen, dass Links ein wichtiger Bestandteil sein soll dieses neuen Flanderns. Denn sonst wird Flandern tatsächlich ein bisschen konservativ und borniert."

    Ludo Abicht hat viele Jahre in Deutschland, in Kanada und in den USA gelebt. Ein Kosmopolit und Nationalist, der morgens an der Uni Philosophie lehrt und abends Manifeste für die Spaltung Belgiens schreibt. Abicht erinnert daran, dass der flämische Nationalismus ursprünglich eine Emanzipationsbewegung der einfachen Leute war. Als sich Belgien vor 180 Jahren von den Niederlanden abspaltete, setzte die kleine französischsprachige Oberschicht ihre Sprache in Schulen, Universitäten und im Justizwesen durch und ignorierte damit die Mehrheit der Belgier, die nur niederländisch sprach.

    Erst nach jahrzehntelangen Kämpfen wurde die niederländische Sprache und Kultur schrittweise der französischen gleichgestellt. Das wirkt bis heute nach. Zwar geben die Flamen in Belgiens Politik und Wirtschaft längst den Ton an, doch die Sehnsucht nach einem unabhängigen Flandern ist vielen geblieben. Zuletzt wurde sie vor allem von Parteien am rechten Rand genährt, zum Ärger von flämischgesinnten Intellektuellen wie Ludo Abicht:

    "Leider Gottes haben sie die ganze Symbolik der Bewegung mitgenommen, sodass viele meiner Kollegen und Freunde sagen, wenn man jetzt für mehr flämische Unabhängigkeit ist, spielt man das Spiel der extremen Rechten. Deswegen habe ich mich wieder interessiert für die Bewegung, weil ich das nicht glaube und nicht will."

    Einer von Abichts Freunden ist der Schriftsteller Tom Lanoye. Ihm geht das Reden über flämische Unabhängigkeit ziemlich auf die Nerven. Die Unterdrückung der flämischen Sprache und Kultur habe es gegeben, bestätigt der Schriftsteller, aber das sei vorbei. Lanoye glaubt, der Verweis auf die Unterdrückung von damals diene vielen Flamen als Vorwand, um sich des ärmeren französischsprachigen Teils Belgiens zu entledigen:

    "Die Geschichte Flanderns ist auch die Geschichte eines Landes, das schnell reich und wohlhabend geworden ist und wo die Verletzungen von früher ritualisiert werden. Diese Verletzungen müssen nun dafür herhalten, dass die Teilung Belgiens in Gang gesetzt wird. Es geht darum, eine Struktur aufzubrechen, in der man nur Nachteile und keine Vorteile erkennt."

    Dabei fürchtet der Schriftsteller Lanoye, dass vielen seiner flämischen Landsleute gar nicht bewusst ist, was Flanderns populärster Politiker Bart de Wever und seine Neu-Flämische Allianz eigentlich vorhaben:

    "Ich kenne Leute, die sagen: Ich stimme für Bart De Wever, aber das mit der Teilung Belgiens, das will ich nicht, Belgien muss bleiben. Aber die die Französischsprachigen sollen mehr Zugeständnisse machen. Dass aber im Parteiprogramm der N-VA steht: Belgien muss verschwinden, das verdrängen diese Leute. Die schwören mir gegenüber, nein, das steht nicht im Parteiprogramm drin. Obwohl es sehr wohl dort steht."


    Programmtipp

    Mit dem belgischen Dilemma befasst sich auch die Sendung Gesichter Europas im Deutschlandfunk am Samstag, 9.4.2011, von 11:05 bis 12:00 Uhr.