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Wo sich die Geister scheiden

Zum letzten Mal steht Gerhard Schröder, der scheidende Kanzler, in Hampton Court auf der europäischen Bühne. Und das ist ein ganz besonderer Ort. Für ausgewiesene Gespenster-Forscher gilt das Tudor-Schloss im Süden Londons als besonderes Exempel der britischen Spukgeschichte. Martin Zagatta berichtet.

    Die schwere Holztür hört sich an als seien ihre Scharniere Jahrhunderte lang nicht mehr geölt worden. Und so soll sie offenbar auch klingen. Denn zumindest ein Teil der jährlich rund 500 000 Besucher kommt nach Hampton Court nicht weil der Palast einer der prächtigsten der englischen Königsfamilie ist, sondern der gruseligste.

    Das ist die Tür, an die Catherine Howard geklopft haben soll – aber Heinrich VIII. habe nicht mehr auf das Flehen seiner Frau gehört, so schildert Ian Franklin, einer der Palastführer, Besuchern das tragische Ereignis. Catherine Howard, die fünfte der sechs Ehefrauen des berüchtigten Königs hat 1542 hier um ihr Leben gebeten, in völliger Verzweiflung, aber vergeblich. Heinrich VIII. hat sich nicht mehr erweichen lassen. Seine 20-jährige Gemahlin, die er des Ehebruchs verdächtigte, wurde hingerichtet. Der König ließ sie enthaupten. Seither, so heißt es, wandelt die Unglückliche kopflos und vorzugsweise nachts hin zu der Tür - immer wieder durch den Gang, durch die "Spukgalerie" des Palastes.

    Die markerschütternde Schreie, die der Geist von Catherine Howard hin- und wieder ausstoßen soll, die hat der Gespensterforscher Richard Wiseman nicht aufzeichnen können. Aber viele der Versuchspersonen hätten höchst seltsame Erlebnisse gehabt, so sagt der Psychologie-Professor der Universität von Hertfordshire. Elisabeth II. hat ihm erlaubt, dem jenseitigen Treiben in den königlichen Gemäuern auf den Grund zu gehen. Schließlich haben die Palastwachen schon mehr als 100 Erscheinungen der hingerichteten Königin protokolliert, mal mit, mal ohne Kopf. Und neben ihr sollen noch rund 25 weitere Geister ihr Unwesen treiben in dem Schloss südwestlich von London - und keineswegs nur in der Spukgalerie.

    In einem Zimmer nahe den Küchenräumen, so der Palastführer Franklin , habe ihn einmal eine unsichtbare Gestalt berührt, von den Fingerspitzen bis zum Ellbogen – da seien ihm die Haare zu Berge gestanden.

    Kein Wunder auch, schließlich gilt Hampton Court Palace als einer der schaurigsten Orte auf der Insel, die – aufgrund ihrer blutigen Geschichte und ihrer vielen alten Bauwerke – ohnehin ein bevorzugter Aufenthaltsort für Geister ist. "Geschätzte fünf Gespenster pro Quadratmeile" hat die Internetseite "Haunted Britain" verzeichnet. Fast die Hälfte der Briten soll an Geister glauben. Und jeder siebte behauptet demnach, schon einmal jemandem aus dem Jenseits begegnet zu sein.

    Selbst in der Bank von England spukt Zeugen zufolge ein ehemaliger Angestellter spuken. In Newmarket, in Osten der Insel, reitet der Geist von Fred Archer, ein legendärer Jockey, noch immer um die Rennbahn, seit seinem Selbstmord 1886. Und als besonders Furcht einflößend gelten die alten Brückengewölbe im schottischen Edinburgh, die Professor Wisemann, der Gespensterforscher genauso untersucht hat wie den Palast von Hampton Court.

    Luftzug, plötzliche Temperaturabfälle und elektromagnetische Besonderheiten hat der Wissenschaftler in der Spukgalerie gemessen, aber keinen Geist aufgespürt. Ausschließen, so Wiseman in seinem Gutachten, ausschließen könne er aber nicht, dass es tatsächlich spukt in Hampton Court, in dem Palast, in dem Gerhard Schröder heute von der europäischen Bühne abtritt.