Kaiser Barbarossa gründete 1136 ein Kloster an dem mittelalterlichen Handelsweg von Halle nach Prag, an der Salzstraße. Aus dem Kloster sollte später ein Schloss werden, deshalb heißt das Areal Schlossberg. Den Salzweg gibt es noch und die große Klosterkirche. Doch Freiberg und Zwickau überholten den kleinen Ort.
Erst um 1850 mit der Industrialisierung begann Chemnitz` kometenhafter Aufstieg.
Und gerade in diesem Jahr fällt immer wieder der Name Richard Hartmann. Sein 200. Geburtstag wird gefeiert. Er kam mit angeblich nur zwei Talern in der Tasche aus dem Elsass und wurde zu einem der größten Industrieellen. Sein Fabrikgelände war damals vor der Stadt. Das, was noch da ist, liegt nun mittendrin. Karin Meisel:
"Um 1800 herum ist Chemnitz noch eine relativ stark befestigte Stadt gewesen mit zwei Stadtmauern, Wehrgängen und Türmen. Hartmann hat ja eigentlich vor der Stadt gebaut. Er war der größte dann mit der Zeit, diese Stadt in der Stadt. Und entlang der Hartmannstraße, Limbacher Straße hat sich eine Firma an der anderen befunden. Wenn wir jetzt so über Chemnitz gucken, sehen wir gelegentlich einen Schornstein. Zur damaligen Zeit waren es auf dem Gelände von Chemnitz zwischen 300 und 400 Schornsteine, die geraucht haben."
Die Hartmann-Werke bauten Webstühle, Spinnereimaschinen und stiegen bald ein in den Lokomotivbau, selbst als noch gar kein Gleis nach Chemnitz führte. Da wurden eben die frisch gebauten Lokomotiven wieder auseinandergenommen, mit Pferdefuhrwerken nach Leipzig gebracht und dort wieder montiert.
"Später hat dann zwar Chemnitz einen Gleisanschluss gekriegt, 1852. Aber die Sächsische Lokomotivfabrik in Chemnitz hat keinen Gleisanschluss gekriegt. So entstand das Kuriosum, dass die über 60 Jahre lang ihre Lokomotiven zu Pferde zum Bahnhof schaffen musste."
Sven Liebold vom Eisenbahnmuseum. Hartmann wollte dem Nachbar-Fabrikanten Schönherr ein Stück von dessen Grundstück abkaufen für den Gleisbau. Doch der wollte nicht. Das lange Hin und Her vor Gericht nannte man den Lokomotiven-Krieg von Chemnitz. Erst 1908 wurde zum letzten Mal eine Lok aus den Hartmannwerken von 16 Pferden zum Bahnhof gezogen. Dieses Spektakel soll am 22. August wieder aufleben. Vom früheren Hartmann-Verwaltungsgebäude quer durch die Innenstadt zum Hauptbahnhof. Die Lok kommt aus dem Eisenbahnmuseum im Chemnitzer Osten. Dort steht einiges vom sächsischen Lokomotivenkönig. Zum Beispiel eine Feldbahnlok von 1919.
"Heeresfeldbahnlokomotiven wurden eingesetzt für den Feldtransport im Krieg. Dort wurde also wirklich ins Feld ein Gleis gelegt. Auf diesem relativ unebenen Untergrund waren diese Lokomotiven in der Lage Transporte durchzuführen. 1919 das Baujahr, die ist also nie im Krieg gewesen, ist aber noch fertig gestellt worden und ist nach Simbabwe verkauft worden und hat dort im Sambesidelta Zuckerrohr gefahren. Und von dort haben wir sie über England wieder hier hergeholt."
Wer eine Hartmann-Lok in Aktion erleben möchte, der kann das bei der Schmalspurbahn, die Zittau mit dem Zittauer Gebirge verbindet. Ganz im Osten von Sachsen. Torsten Sameiske:
"Wir haben zwei Einheitslokomotiven mit 750 mm Spurweite, die 1928 bereits bei Hartmann gebaut worden sind. Wir nehmen in diesem Jahr wir so genannte sächsische 4K in Betrieb, die ist im Jahre 1908 bei Hartmann gebaut."
Hartmann hat einiges erfunden für die sächsischen Bahnen.
"Ganz besonders ist die so genannte sächsische 4K-Schmalspurlokomotive. Das ist eine Drehgestelllok, wo beide Drehgestelle beweglich an dem Rahmen angeordnet sind und somit eine bessere Bogenläufigkeit in den engen Tälern erreichen durch die Lokomotiven."
Zurück nach Chemnitz in die Zwickauer Straße.
"Dieses Gebäude wurde vor über 125 Jahren errichtet als Gießerei. Und hier in diesem ehemaligen Maschinenraum hat man unter einer dicken Rußschicht einmal diese fantastische Holzfassetten-Decke entdeckt und diese beiden Gemälde der Chemnitzer Malerin Martha Schrag. Wahrscheinlich war diese Entdeckung der Auslöser, das Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen. Man hatte nämlich nach der Wende begonnen, einige Gebäudeteile abzureißen. Sie sehen hier an der Fliesenwand noch die Löcher, die schon gebohrt waren für die Sprengsätze, um das Gebäude dem Erdboden gleichzumachen."
Bodo Heinze. Dann ist das sächsische Industriemuseum eingezogen und zeigt, womit das Geld verdient wurde. Die aufstrebende Textilproduktion verlangte nach Maschinen, sagt Frank Thomas:
"Es gab um 1800 den sogenannte Garnhunger der Weber. Der Schnellschütze war schon erfunden, sodass die schneller weben konnten. Aber die Spinner kamen mit ihrer Handarbeit, also mit den Spinnrädern einfach nicht mehr nach. Man wusste, dass man in England schon auf Maschinen gearbeitet hat, die rückten natürlich mit dem ganzen Wissen auch nicht raus. Heute nennt man es Industriespionage, früher waren das Bildungsreisen. So ist das Know-how nach Sachsen gekommen."
Wir sehen Textilmaschinen von 1900 etwa, die spinnen, sticken, stricken, weben, wirken Strümpfe, stellen Handschuhe her. Und alle werden dem interessierten Gast vorgeführt.
Die Industrie hat die Stadt geprägt. In den meisten Fabriken aus der Gründerzeit wurde bis zum Ende der DDR noch gearbeitet. Dann standen sie leer, etliches wurde abgerissen, in viele aber zog und zieht noch neues Leben ein.
Straße der Nationen 73, an der Straße steht ein gelber Klinker-Bau, ein Wohnhaus, vier Etagen, von 1870 etwa. Wir gehen durch die Toreinfahrt in den Hof des Häuserkarrees.
"Mein Großvater hat genau über dem Durchgang gewohnt. Das heißt, ich kenne diese Häuser schon, bevor sie rekonstruiert worden sind. Wir haben aus der Küche auf den Hinterhof geguckt, aber auf die Idee im Hinterhof zu spielen, sind wir nie gekommen, es war einfach zu gruselig. Und als ich das wieder gesehen habe, hab ich gedacht "ups, was ist denn daraus entstanden!". Das ist also eine ehemalige Weberei und Stickerei hier im Hinterhof."
Die zu einem farbenfrohen Wohnhaus wurde - à la Hundertwasser. Die Buden und Werkstätten ringsum sind einem großen Garten gewichen. Nicht nur die Fabriken prägen die Stadt, auch der rasante Wohnungsbau in der Gründerzeit. Ab 1870 entstand auf dem Kaßberg, neben der damaligen Altstadt, das großartigste Gründerzeit-Quartier in Deutschland. 4-geschossige Häuserzeilen mit Wohnungen von 90 bis 280 Qm. Die Villa auf der Etage. Jörg Ivandic:
"Der Kaßberg war ein Ort des freien Gedankens. Die Innenstadt war eng bebaut, die Innenhöfe zugebaut, wenig grün. Der Westwind pustete den Kaßberg immer frei. Das ist im sinne von Luft holen in der Zeit um 1880/90 durchaus bemerkenswert. Und die Innenhöfe diese Karrees nicht mir Scharwerksmeistern oder anderen Handelskontoren besetzt, sondern mit Obstbäumen oder sogar Beeten."
In einigen Kriegs-Lücken stehen Plattenbauten. Und das, was den Krieg überstanden hatte, vergammelte danach gründlich.
"Der Kaßberg vor 20 Jahren hat nur eine Gemeinsamkeit mit dem heutigen, dass fast alle Häuser noch stehen und die Straßenzüge noch so sind. Aber es sieht alles anders aus. Der ist wie Phönix aus der Asche aufgestiegen."
Es macht wieder Spaß, durch die Gründerzeit-Viertel zu spazieren, die restaurierten Häuser zu sehen. Schilder "zu vermieten" gibt es kaum. So eine riesige Wohnung in einem prächtigen Jugendstil-Haus auf dem Kaßberg bewohnte der Strumpf-Fabrikant Esche mit seiner Familie. Die Möbel hatten sie vom berühmten Designer Henry Van de Velde entwerfen lassen. Nach einer Weile eben auf dem Kaßberg fühlte der moderne Fabrikant Esche einen Widerspruch. Andrea Pötzsch:
"Einen Widerspruch zu leben mit dem von Van de Velde gestalteten Interieur seiner Wohnung und dem seiner Ansicht nach etwas zu prätentiös angelegten Charakter dieses Mietswohnhauses. Und um disen Widerspruch zwischen Interieur und Architektur zu lösen, erteilte man Van de Velde den Auftrag nicht etwa eine Villa zu bauen. Familie Esche wünschte einen Lebensraum, der durchgängig gestaltet wäre von Van de Velde."
Riesige Villa, Park, Möbel, Lampen, Wandbespannung, Gläser, Geschirr, Besteck. Das ging sogar so weit, dass er die Tabakspfeife des Herren entwarf und die Kleider der Dame. 1903. Allein auf einem Hügel thront die wuchtige Villa Esche. Blaue Fensterrahmen und blaues Holz am Balkon lassen den sattgelben Außenputz leuchten. Nachdem das Haus lange Jahre vor sich hindämmerte, ist es nun restauriert und ein Baudenkmal von europäischem Rang. Darin ein Van-den-Velde-Museum und es ist Tagungsstätte, Konzertraum.
"Die Stadt war enorm reich. Die Unternehmer waren nicht nur finanziell erfolgreich, sondern auch kultiviert. Die waren unternehmerisch auf damaligem Weltniveau, hatten auch Handelsbeziehungen bis nach China. Der erste Arbeitgeberpräsident am Völkerbund in Genf war ein Chemnitzer Unternehmer. Die Unternehmer bauten Villen und brauchten dafür Kunst."
Ingrid Mössinger, Direktorin der Kunstsammlung Chemnitz. Man hat Kunst gesammelt, doch nicht nur für die eigenen vier Wände. Auf Drängen der Bürger bekamen die Kunstvereine der Stadt das König-Albert-Museum am Theaterplatz. Vor 100 Jahren. Kuratorin Beate Ritter:
"Damals gab es ja noch Schwerpunktsammlungen, dass man sich auch voneinander abgegrenzt hat. Anders als heute, wo ja in vielen Museen immer die gleichen Künstler zu sehen sind. Und wir sind eigentlich stolz darauf, dass wir gerade mit diesem Schwerpunkt Schmidt-Rottluff in Deutschland noch einen zweiten Platz neben dem Brücke-Museum anbieten, wo man Expressionismus sehen kann."
Ein Gemälde von Ernst-Ludwig Kirchner heißt "Chemnitzer Fabriken". Es gibt ein Foto, von gleicher Stelle aus geschossen. Es sah wirklich so aus, nur dass Kirchner als Expressionist das Rußchamz in Farben tauchte.
"Das ist Chemnitz, Hohe Straße, die Straße vom Kaßberg, die unmittelbar zwischen Innenstadt und dem Gründerzeitquartier einen Ausblick gibt auf die alte Stadt Chemnitz mit den noch vorhandenen Türmen und einer Fabrikkonzentration zwischen der alten Stadt und dem Berghang. Also eine Stelle, die Kirchner kannte aus seiner Schulzeit, wenn er von der Kaßbergstraße über die Hohe Straße zum Realgymnasium lief."
Kirchner ist auf dem Kaßberg aufgewachsen, auch Karl Schmidt-Rottluff, Ernst Heckel. In der Nazizeit hat die Kunstsammlung gelitten. 1.000 Werke verschwanden, weil "entartet". Vor 2 Jahren gab der der Münchner Galerist Alfred Gunzenhauser seine Kunstsammlung nach Chemnitz. 2.500 Werke, die bis dahin selten oder gar nicht öffentlich zu sehen waren. Vor allem Expressionismus, Klassische Moderne und ganz viel von Otto Dix.
"Wenn wir jetzt fast 1000 Kunstwerke verloren haben am Theaterplatz und da kommen dann 2500 Werke dazu, zum großen Teil eben aus der Epoche, dann ist das - glaube ich - ein sehr sinnvolles Konzept, um eine bestimmte Sammlung in eine Stadt zu holen. Und nicht einfach nur zufällig."
Zu sehen im Museum Gunzenhauser, ein restauriertes Bankgebäude aus den 20-er Jahren. Um 1900 war Chemnitz die steuer-reichste Stadt Deutschlands. Das sieht man auch im neuen Rathaus von 1911. Es ist eines der wenigen Häuser im Zentrum, die den Krieg überstanden haben. Das alte Rathaus daneben wurde wieder aufgebaut. Regelmäßig führt der Türmer durch beide Rathäuser, in versteckte Winkel, auf den Turm, in die Repräsentationsetage, wo zwei Bronze-Löwen Wasser spucken in einen Marmorbrunnen und in den Ratssaal mit einem riesengroßen Wandgemälde von Max Klinger. Von seinen drei Wandbildern blieb nur das in Chemnitz erhalten.
Der Unternehmer Vogel hat wie andere Unternehmer dieser Stadt als Mäzen überlegt, was kann man in diesem schönen neuen Rathaus mit vielen Anklängen des Jugendstils noch tun, um dieses Rathaus als Ort der symbolischen Stärke diese Stadt zu machen. Chemnitz war ja eine der reichsten Städte in dieser Zeit, Gewerbesteuereinnahmen waren mit die höchsten in Deutschland. Und er hat seine Freundschaft zu Max Klinger genutzt und ihn gebeten, hier ein Bild für diese Stadt zu malen.
Bürgermeisterin Barbara Ludwig. Die ganze Stirnseite ist Bild. Vorne neun tanzende Musen, dahinter geschäftiger Hafen-Betrieb und wieder dahinter eine schmucke Stadt, die nicht wie Chemnitz aussieht. Doch der Titel des Bildes ist Programm, meint die Bürgermeisterin: "Arbeit, Wohlstand, Schönheit". Sicher, wenn man von der Autobahn kommt, ist es an der Zufahrt ins Zentrum mit der Schönheit nicht weit her. Doch Chemnitz zieht sich gerade am eigenen Schopf aus dem Sumpf.
Erst um 1850 mit der Industrialisierung begann Chemnitz` kometenhafter Aufstieg.
Und gerade in diesem Jahr fällt immer wieder der Name Richard Hartmann. Sein 200. Geburtstag wird gefeiert. Er kam mit angeblich nur zwei Talern in der Tasche aus dem Elsass und wurde zu einem der größten Industrieellen. Sein Fabrikgelände war damals vor der Stadt. Das, was noch da ist, liegt nun mittendrin. Karin Meisel:
"Um 1800 herum ist Chemnitz noch eine relativ stark befestigte Stadt gewesen mit zwei Stadtmauern, Wehrgängen und Türmen. Hartmann hat ja eigentlich vor der Stadt gebaut. Er war der größte dann mit der Zeit, diese Stadt in der Stadt. Und entlang der Hartmannstraße, Limbacher Straße hat sich eine Firma an der anderen befunden. Wenn wir jetzt so über Chemnitz gucken, sehen wir gelegentlich einen Schornstein. Zur damaligen Zeit waren es auf dem Gelände von Chemnitz zwischen 300 und 400 Schornsteine, die geraucht haben."
Die Hartmann-Werke bauten Webstühle, Spinnereimaschinen und stiegen bald ein in den Lokomotivbau, selbst als noch gar kein Gleis nach Chemnitz führte. Da wurden eben die frisch gebauten Lokomotiven wieder auseinandergenommen, mit Pferdefuhrwerken nach Leipzig gebracht und dort wieder montiert.
"Später hat dann zwar Chemnitz einen Gleisanschluss gekriegt, 1852. Aber die Sächsische Lokomotivfabrik in Chemnitz hat keinen Gleisanschluss gekriegt. So entstand das Kuriosum, dass die über 60 Jahre lang ihre Lokomotiven zu Pferde zum Bahnhof schaffen musste."
Sven Liebold vom Eisenbahnmuseum. Hartmann wollte dem Nachbar-Fabrikanten Schönherr ein Stück von dessen Grundstück abkaufen für den Gleisbau. Doch der wollte nicht. Das lange Hin und Her vor Gericht nannte man den Lokomotiven-Krieg von Chemnitz. Erst 1908 wurde zum letzten Mal eine Lok aus den Hartmannwerken von 16 Pferden zum Bahnhof gezogen. Dieses Spektakel soll am 22. August wieder aufleben. Vom früheren Hartmann-Verwaltungsgebäude quer durch die Innenstadt zum Hauptbahnhof. Die Lok kommt aus dem Eisenbahnmuseum im Chemnitzer Osten. Dort steht einiges vom sächsischen Lokomotivenkönig. Zum Beispiel eine Feldbahnlok von 1919.
"Heeresfeldbahnlokomotiven wurden eingesetzt für den Feldtransport im Krieg. Dort wurde also wirklich ins Feld ein Gleis gelegt. Auf diesem relativ unebenen Untergrund waren diese Lokomotiven in der Lage Transporte durchzuführen. 1919 das Baujahr, die ist also nie im Krieg gewesen, ist aber noch fertig gestellt worden und ist nach Simbabwe verkauft worden und hat dort im Sambesidelta Zuckerrohr gefahren. Und von dort haben wir sie über England wieder hier hergeholt."
Wer eine Hartmann-Lok in Aktion erleben möchte, der kann das bei der Schmalspurbahn, die Zittau mit dem Zittauer Gebirge verbindet. Ganz im Osten von Sachsen. Torsten Sameiske:
"Wir haben zwei Einheitslokomotiven mit 750 mm Spurweite, die 1928 bereits bei Hartmann gebaut worden sind. Wir nehmen in diesem Jahr wir so genannte sächsische 4K in Betrieb, die ist im Jahre 1908 bei Hartmann gebaut."
Hartmann hat einiges erfunden für die sächsischen Bahnen.
"Ganz besonders ist die so genannte sächsische 4K-Schmalspurlokomotive. Das ist eine Drehgestelllok, wo beide Drehgestelle beweglich an dem Rahmen angeordnet sind und somit eine bessere Bogenläufigkeit in den engen Tälern erreichen durch die Lokomotiven."
Zurück nach Chemnitz in die Zwickauer Straße.
"Dieses Gebäude wurde vor über 125 Jahren errichtet als Gießerei. Und hier in diesem ehemaligen Maschinenraum hat man unter einer dicken Rußschicht einmal diese fantastische Holzfassetten-Decke entdeckt und diese beiden Gemälde der Chemnitzer Malerin Martha Schrag. Wahrscheinlich war diese Entdeckung der Auslöser, das Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen. Man hatte nämlich nach der Wende begonnen, einige Gebäudeteile abzureißen. Sie sehen hier an der Fliesenwand noch die Löcher, die schon gebohrt waren für die Sprengsätze, um das Gebäude dem Erdboden gleichzumachen."
Bodo Heinze. Dann ist das sächsische Industriemuseum eingezogen und zeigt, womit das Geld verdient wurde. Die aufstrebende Textilproduktion verlangte nach Maschinen, sagt Frank Thomas:
"Es gab um 1800 den sogenannte Garnhunger der Weber. Der Schnellschütze war schon erfunden, sodass die schneller weben konnten. Aber die Spinner kamen mit ihrer Handarbeit, also mit den Spinnrädern einfach nicht mehr nach. Man wusste, dass man in England schon auf Maschinen gearbeitet hat, die rückten natürlich mit dem ganzen Wissen auch nicht raus. Heute nennt man es Industriespionage, früher waren das Bildungsreisen. So ist das Know-how nach Sachsen gekommen."
Wir sehen Textilmaschinen von 1900 etwa, die spinnen, sticken, stricken, weben, wirken Strümpfe, stellen Handschuhe her. Und alle werden dem interessierten Gast vorgeführt.
Die Industrie hat die Stadt geprägt. In den meisten Fabriken aus der Gründerzeit wurde bis zum Ende der DDR noch gearbeitet. Dann standen sie leer, etliches wurde abgerissen, in viele aber zog und zieht noch neues Leben ein.
Straße der Nationen 73, an der Straße steht ein gelber Klinker-Bau, ein Wohnhaus, vier Etagen, von 1870 etwa. Wir gehen durch die Toreinfahrt in den Hof des Häuserkarrees.
"Mein Großvater hat genau über dem Durchgang gewohnt. Das heißt, ich kenne diese Häuser schon, bevor sie rekonstruiert worden sind. Wir haben aus der Küche auf den Hinterhof geguckt, aber auf die Idee im Hinterhof zu spielen, sind wir nie gekommen, es war einfach zu gruselig. Und als ich das wieder gesehen habe, hab ich gedacht "ups, was ist denn daraus entstanden!". Das ist also eine ehemalige Weberei und Stickerei hier im Hinterhof."
Die zu einem farbenfrohen Wohnhaus wurde - à la Hundertwasser. Die Buden und Werkstätten ringsum sind einem großen Garten gewichen. Nicht nur die Fabriken prägen die Stadt, auch der rasante Wohnungsbau in der Gründerzeit. Ab 1870 entstand auf dem Kaßberg, neben der damaligen Altstadt, das großartigste Gründerzeit-Quartier in Deutschland. 4-geschossige Häuserzeilen mit Wohnungen von 90 bis 280 Qm. Die Villa auf der Etage. Jörg Ivandic:
"Der Kaßberg war ein Ort des freien Gedankens. Die Innenstadt war eng bebaut, die Innenhöfe zugebaut, wenig grün. Der Westwind pustete den Kaßberg immer frei. Das ist im sinne von Luft holen in der Zeit um 1880/90 durchaus bemerkenswert. Und die Innenhöfe diese Karrees nicht mir Scharwerksmeistern oder anderen Handelskontoren besetzt, sondern mit Obstbäumen oder sogar Beeten."
In einigen Kriegs-Lücken stehen Plattenbauten. Und das, was den Krieg überstanden hatte, vergammelte danach gründlich.
"Der Kaßberg vor 20 Jahren hat nur eine Gemeinsamkeit mit dem heutigen, dass fast alle Häuser noch stehen und die Straßenzüge noch so sind. Aber es sieht alles anders aus. Der ist wie Phönix aus der Asche aufgestiegen."
Es macht wieder Spaß, durch die Gründerzeit-Viertel zu spazieren, die restaurierten Häuser zu sehen. Schilder "zu vermieten" gibt es kaum. So eine riesige Wohnung in einem prächtigen Jugendstil-Haus auf dem Kaßberg bewohnte der Strumpf-Fabrikant Esche mit seiner Familie. Die Möbel hatten sie vom berühmten Designer Henry Van de Velde entwerfen lassen. Nach einer Weile eben auf dem Kaßberg fühlte der moderne Fabrikant Esche einen Widerspruch. Andrea Pötzsch:
"Einen Widerspruch zu leben mit dem von Van de Velde gestalteten Interieur seiner Wohnung und dem seiner Ansicht nach etwas zu prätentiös angelegten Charakter dieses Mietswohnhauses. Und um disen Widerspruch zwischen Interieur und Architektur zu lösen, erteilte man Van de Velde den Auftrag nicht etwa eine Villa zu bauen. Familie Esche wünschte einen Lebensraum, der durchgängig gestaltet wäre von Van de Velde."
Riesige Villa, Park, Möbel, Lampen, Wandbespannung, Gläser, Geschirr, Besteck. Das ging sogar so weit, dass er die Tabakspfeife des Herren entwarf und die Kleider der Dame. 1903. Allein auf einem Hügel thront die wuchtige Villa Esche. Blaue Fensterrahmen und blaues Holz am Balkon lassen den sattgelben Außenputz leuchten. Nachdem das Haus lange Jahre vor sich hindämmerte, ist es nun restauriert und ein Baudenkmal von europäischem Rang. Darin ein Van-den-Velde-Museum und es ist Tagungsstätte, Konzertraum.
"Die Stadt war enorm reich. Die Unternehmer waren nicht nur finanziell erfolgreich, sondern auch kultiviert. Die waren unternehmerisch auf damaligem Weltniveau, hatten auch Handelsbeziehungen bis nach China. Der erste Arbeitgeberpräsident am Völkerbund in Genf war ein Chemnitzer Unternehmer. Die Unternehmer bauten Villen und brauchten dafür Kunst."
Ingrid Mössinger, Direktorin der Kunstsammlung Chemnitz. Man hat Kunst gesammelt, doch nicht nur für die eigenen vier Wände. Auf Drängen der Bürger bekamen die Kunstvereine der Stadt das König-Albert-Museum am Theaterplatz. Vor 100 Jahren. Kuratorin Beate Ritter:
"Damals gab es ja noch Schwerpunktsammlungen, dass man sich auch voneinander abgegrenzt hat. Anders als heute, wo ja in vielen Museen immer die gleichen Künstler zu sehen sind. Und wir sind eigentlich stolz darauf, dass wir gerade mit diesem Schwerpunkt Schmidt-Rottluff in Deutschland noch einen zweiten Platz neben dem Brücke-Museum anbieten, wo man Expressionismus sehen kann."
Ein Gemälde von Ernst-Ludwig Kirchner heißt "Chemnitzer Fabriken". Es gibt ein Foto, von gleicher Stelle aus geschossen. Es sah wirklich so aus, nur dass Kirchner als Expressionist das Rußchamz in Farben tauchte.
"Das ist Chemnitz, Hohe Straße, die Straße vom Kaßberg, die unmittelbar zwischen Innenstadt und dem Gründerzeitquartier einen Ausblick gibt auf die alte Stadt Chemnitz mit den noch vorhandenen Türmen und einer Fabrikkonzentration zwischen der alten Stadt und dem Berghang. Also eine Stelle, die Kirchner kannte aus seiner Schulzeit, wenn er von der Kaßbergstraße über die Hohe Straße zum Realgymnasium lief."
Kirchner ist auf dem Kaßberg aufgewachsen, auch Karl Schmidt-Rottluff, Ernst Heckel. In der Nazizeit hat die Kunstsammlung gelitten. 1.000 Werke verschwanden, weil "entartet". Vor 2 Jahren gab der der Münchner Galerist Alfred Gunzenhauser seine Kunstsammlung nach Chemnitz. 2.500 Werke, die bis dahin selten oder gar nicht öffentlich zu sehen waren. Vor allem Expressionismus, Klassische Moderne und ganz viel von Otto Dix.
"Wenn wir jetzt fast 1000 Kunstwerke verloren haben am Theaterplatz und da kommen dann 2500 Werke dazu, zum großen Teil eben aus der Epoche, dann ist das - glaube ich - ein sehr sinnvolles Konzept, um eine bestimmte Sammlung in eine Stadt zu holen. Und nicht einfach nur zufällig."
Zu sehen im Museum Gunzenhauser, ein restauriertes Bankgebäude aus den 20-er Jahren. Um 1900 war Chemnitz die steuer-reichste Stadt Deutschlands. Das sieht man auch im neuen Rathaus von 1911. Es ist eines der wenigen Häuser im Zentrum, die den Krieg überstanden haben. Das alte Rathaus daneben wurde wieder aufgebaut. Regelmäßig führt der Türmer durch beide Rathäuser, in versteckte Winkel, auf den Turm, in die Repräsentationsetage, wo zwei Bronze-Löwen Wasser spucken in einen Marmorbrunnen und in den Ratssaal mit einem riesengroßen Wandgemälde von Max Klinger. Von seinen drei Wandbildern blieb nur das in Chemnitz erhalten.
Der Unternehmer Vogel hat wie andere Unternehmer dieser Stadt als Mäzen überlegt, was kann man in diesem schönen neuen Rathaus mit vielen Anklängen des Jugendstils noch tun, um dieses Rathaus als Ort der symbolischen Stärke diese Stadt zu machen. Chemnitz war ja eine der reichsten Städte in dieser Zeit, Gewerbesteuereinnahmen waren mit die höchsten in Deutschland. Und er hat seine Freundschaft zu Max Klinger genutzt und ihn gebeten, hier ein Bild für diese Stadt zu malen.
Bürgermeisterin Barbara Ludwig. Die ganze Stirnseite ist Bild. Vorne neun tanzende Musen, dahinter geschäftiger Hafen-Betrieb und wieder dahinter eine schmucke Stadt, die nicht wie Chemnitz aussieht. Doch der Titel des Bildes ist Programm, meint die Bürgermeisterin: "Arbeit, Wohlstand, Schönheit". Sicher, wenn man von der Autobahn kommt, ist es an der Zufahrt ins Zentrum mit der Schönheit nicht weit her. Doch Chemnitz zieht sich gerade am eigenen Schopf aus dem Sumpf.