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Wo Zigeuner kein Schimpfwort ist

Der 8. April ist "Internationaler Tag der Roma" und oftmals Anlass, über die vielerorts noch immer miserablen Lebensbedingungen der Minderheit zu sprechen. Eine Minderheit, der in Europa acht bis zehn Millionen Menschen angehören. Die meisten von ihnen leben in den südosteuropäischen Ländern Ungarn, Serbien, Rumänien, Bulgarien. Dass Integration vor allem mit politischem Willen gelingen kann, zeigt ein Beispiel in Bulgarien.

Von Simone Böcker | 08.04.2009
    Menschen flanieren bei schönstem Frühlingswetter durch die Fußgängerzone in Lom, bleiben stehen und schwatzen, die Cafés sind gut gefüllt. Roma sitzen neben Bulgaren, auch hinter mancher Theke stehen Roma, wie im Café Elena. Veselka Asenova ist seit einem Jahr Besitzerin der Gaststätte.

    "Der größte Teil unserer Gäste sind keine Roma. Aber für sie macht das keinen Unterschied. Ich fühle mich hier überhaupt nicht diskriminiert. Ich habe sehr viele bulgarische Freunde."

    Das Roma überhaupt am öffentlichen Leben teilnehmen, ist in Bulgarien eher außergewöhnlich, außer eben in Lom. Bürgermeisterin Penka Penkova setzt sich jetzt schon in der zweiten Amtszeit für die Integration der Roma-Gemeinde ein.

    "Wir werden oft tolerant genannt. Aber ich sage immer: Wir kümmern uns einfach um die Probleme und haben keine Angst, sie zu benennen. Und wir arbeiten sehr gut mit den Vertretern der Roma zusammen."

    Zu den Problemen gehörten wie überall in Bulgarien die ärmlichen Wohnverhältnisse in den Roma-Vierteln, die schlechte Gesundheitsversorgung. Oft gehen Roma-Kinder nicht in die Schule - wegen Diskriminierung oder weil sie zum Lebensunterhalt der Familie beitragen müssen. Mitte der 90er-Jahre, während der bulgarischen Wirtschaftskrise, war die Situation besonders schlimm.

    "Damals kamen die Roma-Kinder plötzlich nicht mehr in den Unterricht. Zusammen mit der Roma Lom Stiftung sind wir dann von Haus zu Haus gegangen, um die Eltern zu überzeugen, wie wichtig es ist, dass ihre Kinder wieder zur Schule gehen. Wir haben viele, aber nicht alle überzeugen können. Es ist eben ein langer Prozess."

    In der Hristo Botev-Schule, im Stadt-Viertel Mladenovo. Hier wohnen vor allem Roma. Das Klassenzimmer ist bunt angemalt, Zeichnungen hängen an den Wänden, es ist freundlich und sauber. Eigentlich sind Ferien, trotzdem bekommt Juliana heute Nachhilfe in Mathe von ihrer Lehrerin Bojanka Zvetanova.

    "Juliana lebt im Moment bei ihren Großeltern, ihre Eltern arbeiten in Deutschland. Wer soll ihr zu Hause helfen? Immerhin, es ist toll, dass die Oma das Kind heute zum Lernen herschickt."

    Die Schule gehörte vor Jahren noch zu den schlechtesten der Stadt. Bis die Roma Lom Stiftung forderte, die Finanzmittel für die Schule zu erhöhen: Bis dahin hatte die Hristo Botev-Schule zehn Mal weniger Geld erhalten als die Schulen mit überwiegend bulgarischen Kindern. Heute arbeiten Lehrer mit interaktiven Methoden, es gibt eine Schulbibliothek, Nachmittagsaktivitäten, einen Elternverein. Direktorin Dessislava Alexandrova.

    "Wir wollen, dass die Kinder sich wohl fühlen in der Schule, wir wollen die Schule für sie attraktiv machen. Am wichtigsten ist der persönliche Kontakt mit den Eltern: Wir versuchen, die Familie mit einzubinden. Das verkürzt die Distanz und bringt uns einander näher."

    Heute machen fast alle Roma-Kinder ihren Abschluss, manche studieren anschließend. Einer, der einen großen Anteil am Erfolg trägt, ist Nikolay Kirilov. Er hat vor 13 Jahren die Roma Lom Stiftung gegründet. Seitdem bemüht er sich um eine gute Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden. Das Ergebnis: Gemeinsam beantragen sie mittlerweile Gelder aus EU-Töpfen und staatlichen Programmen für ihre Projekte.

    "Normalerweise wird ein Rom auf irgendeinen Posten gesetzt, und es wird gesagt: Er ist verantwortlich für Roma-Angelegenheiten. Er hat aber weder Einfluss noch Gelder. Für mich ist es wichtig, dass Politiker Roma-Angelegenheiten zu ihrer eigenen Sache erklären. Und genau das versuchen wir hier."