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Wochenzeitung "Kontext"
Kritisches linkes Blatt für Stuttgart

Den Anstoß zur Gründung gaben – Wasserwerfer. Unter den Eindrücken der Polizei-Aktionen gegen die Stuttgart-21-Proteste verließen Journalisten ihre "bürgerlichen" Zeitungen und gründeten vor fünf Jahren in Stuttgart ein eigenes Blatt: den "Kontext". Die Berliner "tageszeitung" ist Kooperationspartner.

Von Thomas Wagner | 05.03.2016
    Webauftritt der Stuttgarter Wochenzeitung "Kontext"
    Webauftritt der Stuttgarter Wochenzeitung "Kontext" (Screenshot: www.kontextwochenzeitung.de/)
    "Feuer unterm Hinterm: Alle drängen in die Mitte. Und mittendrin sitzt der grüne Ministerpräsident. Ob das funktioniert um das Machterhalts willen - wer weiß? "
    "Lahmender Rappe: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte könnte die Südwest-CDU bei einer Landtagswahl hinter einer anderen Partei landen. Und die FDP im Aufwind setzt auch noch auf den lahmenden Rappen."
    Zwei Wochen noch, dann ist Landtagswahl in Baden-Württemberg: Das bestimmt die Schlagzeilen – und den Arbeitsalltag der alternativen Wochenzeitung "Kontext": Hektik, ein ständiges Kommen und Gehen in der "Kontext"-Redaktion mitten in der Innenstadt von Stuttgart:
    "Ich bin jetzt auf dem Weg nach Mannheim. Ich bin jetzt mit Gökay Abkulut, der Landtagskandidatin der Linken unterwegs. Und mein Bus fährt jetzt in fünf Minuten."
    Ein Augenblick später ist Redakteurin Anna Hunger, Ende 20, dann auch schon im Mantel:
    "Ich möchte ein Porträt hier schreiben. Das ist das Markenzeichen, dass wir Themen aufgreifen, die ansonsten untern Tisch fallen, die für die etablierten Medien vielleicht nicht von Interesse sind."
    Und genau das war das Markenzeichen von "Kontext" von Anfang an – damals, vor über fünf Jahren: Den Anstoß zur Gründung gaben – Wasserwerfer.
    1. September 2010: Die Auseinandersetzung um das Milliarden schwere Bahnhofsprojekt S-21 erreichen ihren Höhepunkt: Mit Wasserwerfern und Tränengas geht die Polizei gegen Demonstranten vor, viele werden verletzt. Dieser so genannte "Schwarze Donnerstag" gilt als Initialzündung für die Gründung von "Kontext."
    "Natürlich war die Bewegung auch eine wichtige auch für uns. Die war ja verbunden mit einem Aufbruch, mit einem gesellschaftlich demokratischen Aufbruch. Der Schwabe wurde plötzlich widerborstig und hat das auch gezeigt."
    Redaktionsleiter kam von der "Stuttgarter Zeitung"
    So Josef-Otto Freudenreich, Mitbegründer von "Kontext", und Redaktionsverantwortlicher. Zuvor hatte Freudenreich 25 Jahre lang bei der "Stuttgarter Zeitung" gearbeitet, zuletzt als Chefreporter.
    "Wir sind ja alle aus so genannten bürgerlichen Blättern gekommen und hatten schlicht und ergreifend die Schnauze voll, weil wir halt gespürt haben, dass die Spielräume immer enger werden und haben gesagt: Okay, Freunde, das Spiel machen wir nicht mehr länger mit. Wir machen was eigenes und versuchen das, anders zu machen, als die so genannten Alt-Medien."
    Keine Anzeigen, keine Werbung
    Und "Kontext" ist tatsächlich ziemlich anders als die etablierten Tageszeitungen. Was zunächst auffällt: Keine Anzeigen, keine Werbung.
    "Wir sind vor allem unabhängig: Wir müssen nicht drauf schauen, dass wir Anzeigen von Daimler, von Porsche, von Bosch kriegen. Wir sind schlicht und ergreifend in der Lage, vor solchen Einflussnahmen von außen unabhängig zu sein."
    Stattdessen finanziert sich Kontext über derzeit rund 1500 so genannte "Soli-Abos": Das sind Gönner, die der Wochenzeitung monatlich mindestens zehn Euro zukommen lassen.
    "Und das zweite Bein ist die taz, die, weil sie uns samstags druckt, einfach eine Lizenzgebühr bezahlt, das sind 90.000 Euro pro Jahr."
    Mehr Zeit für die Recherche
    Daneben unterscheidet sich "Kontext" aber noch in einem anderen Punkt von den etablierten Zeitungen in Baden-Württemberg: Durch die Art der Themen und die journalistische Herangehensweise. Elena Wolf, Volontärin bei "Kontext", hat ihre journalistische Ausbildung ganz bewusst bei der alternativen Wochenzeitung im Herzen von Stuttgart gewählt.
    "Weil ich hier mega-viel Zeit bekomme, mich mit Themen auseinanderzusetzen und rausgehen kann zu den Leuten."
    Und das macht sie auch gerade:
    "Ich fahr' nachher in die Mauserstraße nach Feuerbach und mach da eine kleine Umfrage, wo ja auch das türkische Viertel ist, die Moschee und allem, da mal fragen, was die Wählerinnen und Wähler dort wählen möchten, wenn sie denn wählen gehen."
    Menschen eine Plattform gehen, die normalerweise eher weniger zu Wort kommen – das ist ein weiterer Punkt, in dem sich "Kontext" von anderen Medien zu unterscheiden versucht. Dann ist da allerdings noch die ganz klare politische Positionierung:
    "Also wir sind ein kritisches, ein linkes Blatt. Das ist soweit klar."
    Sagt Josef Otto Freudenreich, der übrigens wie all die übrigen Redakteure mit einem Einheits-Bruttogehalt von 3000 Euro auskommen muss. Am Ende eines hektischen Arbeitstages denkt er über die nächsten fünf Jahre nach – und wünscht sich für "Kontext", für seine Kollegen – und für sich selbst
    "mehr Urlaub, mehr Geld und mehr Feste."